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ID1004806100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/48 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3439 A Aktuelle Stunde betr. Affäre Kießling Bastian GRÜNE 3439 B Francke (Hamburg) CDU/CSU 3440 B Dr. Apel SPD 3441 A Ronneburger FDP 3442 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3443A Horn SPD 3444 B Hauser (Esslingen) CDU/CSU 3445 C Dr. von Bülow SPD 3446 B Wimmer (Neuss) CDU/CSU 3447 B Kolbow SPD 3448 B Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 3449 B Jungmann SPD 3449 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3450 D Berger CDU/CSU 3451 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand — Drucksache 10/880 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3452 C Lutz SPD 3457 A Müller (Remscheid) CDU/CSU 3459 D Hoss GRÜNE 3463 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 3465 C Heyenn SPD 3467 C Frau Seiler-Albring FDP 3469 D Egert SPD 3470 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Bericht über die Eröffnung der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa in Stockholm vom 17. bis 19. Januar 1984 Genscher, Bundesminister AA 3472 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 3475 C Rühe CDU/CSU 3478 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3481 B Schäfer (Mainz) FDP 3483 D Nächste Sitzung 3485 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3486*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3486* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 3439 48. Sitzung Bonn, den 20. Januar 1984 Beginn: 8.30 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 20. 1. Antretter* 20. 1. Bahr 20. 1. Bohl 20. 1. Brandt 20. 1. Brosi 20. 1. Büchner (Speyer) 20. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 20. 1. Dr. Enders* 20. 1. Ertl 20. 1. Gerlach (Obernau) 20. 1. Grünbeck 20. 1. Frau Dr. Hamm-Brücher 20. 1. Handlos 20. 1. Haungs 20. 1. Heimann 20. 1. Huonker 20. 1. Graf Huyn 20. 1. Jansen 20. 1. Jung (Düsseldorf) 20. 1. Kretkowski 20. 1. Kroll-Schlüter 20. 1. Landré 20. 1. Lenzer* 20. 1. Dr. Lippold 20. 1. Dr. h. c. Lorenz 20. 1. Offergeld 20. 1. Petersen 20. 1. Frau Potthast 20. 1. Rawe 20. 1. Reddemann* 20. 1. Reschke 20. 1. Reuschenbach 20. 1. Saurin 20. 1. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Scheer 20. 1. Schlaga 20. 1. Frau Schmedt (Lengerich) 20. 1. Schmidt (Hamburg) 20. 1. Schmidt (München)* 20. 1. Schmidt (Wattenscheid) 20. 1. Schröder (Lüneburg) 20. 1. Schröer (Mülheim) 20. 1. Dr. Solms 20. 1. Spilker 20. 1. Stockleben 20. 1. Vahlberg 20. 1. Voigt (Frankfurt) 20. 1. Dr. Voigt (Northeim) 20. 1. Voigt (Sonthofen) 20. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesminister für Wirtschaft hat dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mit Schreiben vom 23. Dezember 1983 eine Vorlage betreffend Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission wegen des deutschen Filmförderungsgesetzes übermittelt. Der Bundestagspräsident hat aufgrund von § 77 Abs. 2 GO entschieden, daß diese Vorlage nicht als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wird. Sie wurde den Fraktionen und dem Innenausschuß zugeleitet. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Fünfzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Verlängerung der Frist für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Republik Griechenland (Drucksache 10/799 Nr. 6)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich danke für die Gelegenheit, dem Deutschen Bundestag einen ersten Bericht über die Eröffnung der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa und über die diese Eröffnung begleitenden Gespräche geben zu können. Die nüchterne Einschätzung der mit der Stockholmer Konferenz gebotenen Möglichkeiten und die Warnung davor, diese Zusammenkunft mit überzogenen Erwartungen zu belasten, geben der Bundesregierung die Möglichkeit der unbefangenen Bewertung. Wir werden uns auch in Zukunft von Realismus und nicht von Wunschdenken leiten lassen. Die Bundesregierung hat sich seit langem für das Zustandekommen dieser Konferenz, über deren Einsetzung in Madrid drei Jahre lang verhandelt worden war, eingesetzt. Unsere beharrlichen Bemühungen haben zum Erfolg geführt. Die Bundesregierung hat dabei in der Überzeugung gehandelt, daß wir die internationale Lage nicht außer Kontrolle geraten lassen dürfen.
    Das Jahr 1983 stand im Zeichen schwerer Belastungen des West-Ost-Verhältnisses. In kardinalen Fragen der Sicherheitspolitik konnte kein Einvernehmen gefunden werden. Der Abschuß der koreanischen Verkehrsmaschine schuf zusätzliche Belastungen. Der West-Ost-Dialog drohte in wichtigen Bereichen abzureißen.
    Die Anwesenheit der Außenminister in Stockholm zeigte, daß alle Teilnehmerstaaten die politische Bedeutung der Konferenz hoch einschätzen und daß sie auch nach Möglichkeiten für die Fortsetzung des West-Ost-Dialoges suchen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Ein großes Verdienst von Ihnen!)

    Dem Verlangen der Völker nach einem neuen Anfang in den West-Ost-Beziehungen kann sich niemand entziehen. Es geht darum, das gemeinsam Erreichte auszubauen und neue Wege zur Überwindung bestehender Hindernisse zu suchen.
    In Stockholm konnte ein wichtiges Forum für den Sicherheitsdialog zwischen West und Ost eröffnet werden. Der KSZE-Prozeß und die soliden Kontakte, die wir auf der Grundlage der Verträge mit unseren östlichen Nachbarn beständig unterhalten haben, erwiesen sich in der Vorbereitung dieser Konferenz als ein haltbares Netz, das den Stürmen der Zeit widerstand. Die Bundesregierung war sich dabei stets bewußt, daß unser Dialog mit dem Osten den Dialog der Großmächte untereinander nicht ersetzen kann.
    Wir haben frühzeitig gefordert, daß die Stockholmer Konferenz auf politischer Ebene eröffnet werden sollte, um sie über die engeren Themen der Konferenz hinaus für die Verbesserung der WestOst-Beziehungen zu nutzen. Dieser Gedanke hat sich im Westen und bei den Neutralen und Ungebundenen durchgesetzt; er ist schließlich auch im Osten akzeptiert worden. Die Bundesregierung hat dabei in dem Bewußtsein gehandelt, daß unser Land im Herzen Europas, an der Nahtstelle zwischen West und Ost von den Gefahren der Instabilität und der Konfrontation besonders betroffen ist.
    Wir haben besondere Verantwortung, durch berechenbare und konstruktive Politik zur Stabilität und zur Entspannung beizutragen. Die Bundesregierung stützt sich dabei auf ein klares und geschlossenes Konzept, das alle Bereiche der WestOst-Beziehungen, die Sicherheit, die politischen Beziehungen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den kulturellen Austausch, also alle in der Schlußakte von Helsinki im zweiten und dritten Korb genannten Gebiete, umfaßt.
    Auch im Jahre 1984 wird es auf zwei Dinge besonders ankommen: Erstens. Es geht darum, daß wir die Einigkeit im westlichen Bündnis bewahren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Zweitens. Wir müssen die langfristigen politischen Absichten des Westens gegenüber der Sowjetunion und den anderen Staaten des Warschauer Pakts beständig, eindeutig klarstellen. Wir wollen, daß man in Moskau bei der Überprüfung der dortigen Position eine klare Vorstellung von der westlichen Haltung in den Fragen der Zusammenarbeit und der Sicherheit erhält.
    In der politischen Erklärung von Brüssel vom 9. Dezember 1983, deren Inhalt die Bundesregierung maßgeblich mitgestaltet hat, haben die Bündnispartner der Sowjetunion und den übrigen Staaten des Warschauer Pakts das Angebot gemacht, mit uns zusammenzuarbeiten, um ein langfristiges, konstruktives und realistisches Verhältnis herzustellen, das auf Gleichgewicht, Mäßigung und Gegenseitigkeit beruht. Wir dürfen dabei niemals vergessen: Daß wir dieses Angebot machen konnten, setzte voraus, daß im Laufe des Jahres 1983 die Einheit und die Geschlossenheit des Bündnisses — auch bei der Durchführung der für unsere Sicherheit notwendigen Entscheidungen einschließlich der Verwirklichung beider Teile des NATO-Doppelbeschlusses bestätigt worden sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ein zerstrittenes, ein in der Durchführung der als notwendig erkannten Verpflichtungen nicht verläßliches Bündnis hätte auch seine Fähigkeit verloren, eine konstruktive Politik der Verständigung mit dem Osten zu gestalten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Rede Präsident Reagans vom 16. Januar 1984 bestätigt die Grundlinien der Brüsseler Erklärung in eindrucksvoller Weise. Sie bestätigt die Auffassung des Bündnisses von der künftigen Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses auch für das bilaterale Verhältnis der Vereinigten Staaten zur Sowjetunion. Besonders begrüßen wir, daß der amerikanische Präsident an die gemeinsamen Interessen und die gemeinsame Verantwortung der USA und der Sowjetunion erinnert. Die Rede des amerikanischen Außenministers in Stockholm führte diese Linie fort, indem sie sich nachdrücklich und ausdrücklich auf die Brüsseler Erklärung beruft.
    Das informelle Treffen der Außenminister des Bündnisses am Vorabend der Konferenz hat der Fortentwicklung der westlichen Konferenzlinie erfolgreich gedient. Es hat die Einheit des westlichen



    Bundesminister Genscher
    Bündnisses in den Fragen der Konferenz und ihres politischen Umfeldes unterstrichen.
    Auch die Zusammenkunft der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft, die wir in Stockholm hatten, verspricht eine positive Wirkung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit während der Konferenz.
    Die Bundesregierung ist besonders befriedigt über die Wiederaufnahme der amerikanisch-sowjetischen Gespräche auf hoher politischer Ebene. In der fünfstündigen Begegnung zwischen den Außenministern Shultz und Gromyko ist ein für das WestOst-Verhältnis wichtiger Faden wiederaufgenommen worden. Wir werden auch in Zukunft die Fortführung dieses politischen Dialogs unterstützen.
    In meiner Zusammenkunft mit Außenminister Gromyko habe ich unsere Sorge über die uns unverändert bedrohende sowjetische Mittelstreckenrüstung wiederholt und unsere Auffassung bekräftigt, daß es für uns keinen anderen Weg gibt, streitige Fragen zu lösen, als den Weg der Verhandlungen. Gegenstand des Gespräches mit dem sowjetischen Außenminister waren alle West-Ost-Fragen und auch das bilaterale Verhältnis. Ich habe unseren Willen zu langfristiger guter Zusammenarbeit ebenso unterstrichen wie die Bedeutung der Brüsseler Erklärung des Atlantischen Bündnisses.
    Es ist beabsichtigt, während der Konferenz Konsultationen zwischen den Delegationen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zu führen. Die Bemühungen, offene bilaterale Fragen zu lösen, sollen fortgeführt werden. Das gilt auch für die Ausreisewünsche Deutschstämmiger aus der Sowjetunion.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Das Gespräch, das in einer ebenso sachlichen wie konstruktiven Atmosphäre verlief, hat die Absicht beider Staaten bekräftigt, die bilateralen Beziehungen auf der Grundlage des Moskauer Vertrages auszubauen. Gegensätze in wichtigen Fragen der Sicherheitspolitik, insbesondere in bezug auf die Mittelstreckenraketen, konnten nicht überwunden werden.
    Die Gespräche mit den Außenministern des Warschauer Pakts haben bestätigt, daß auch sie ein Interesse am Fortgang des Dialogs, der Entspannung und Zusammenarbeit haben und daß unsere Bemühungen um diese Politik wie auch insbesondere um die Stockholmer Konferenz und ihre Eröffnung auf der Ebene der Außenminister von allen gewürdigt werden.
    In dem Gespräch mit dem Außenminister der DDR ist erneut zum Ausdruck gekommen, daß beide deutschen Staaten den Willen haben, durch die Entwicklung ihrer Beziehungen die internationale Lage auch weiterhin nicht zu belasten, sondern im Gegenteil zur Stabilisierung des politischen Umfeldes in Europa beizutragen. Wir verstehen unser Bemühen um Verbesserung des Verhältnisses zur DDR auch in Zukunft als europäische Friedenspolitik.
    Nach den Erfahrungen der ersten Woche in Stockholm und nach den Begegnungen der Außenminister kann festgestellt werden:
    Erstens. Der Ost-West-Dialog geht weiter. Ob er die von uns gewünschte Verbesserung des WestOst-Verhältnisses bewirken wird, muß sich noch erweisen.
    Zweitens. Der KSZE-Prozeß wird fortgeführt.
    Drittens. Die Stockholmer Konferenz bietet bei gutem Willen aller Beteiligten eine realistische Chance.
    Viertens. Es bleibt dabei: Die MBFR-Verhandlungen, die Verhandlungen über Truppenreduzierungen in Wien, sind nicht unterbrochen, und sie werden nicht unterbrochen. Die Erwartung, daß sie in absehbarer Zeit fortgeführt werden, ist begründet. Wir, die Bundesrepublik und unsere westlichen Partner, werden diese MBFR-Verhandlungen zu gegebener Zeit durch weiterführende Vorschläge fördern.
    Fünftens. In der Genfer Abrüstungskonferenz wird der angekündigte Vertragsentwurf der USA für eine weltweite Ächtung der chemischen Waffen die Chancen substantieller Verhandlungen verbessern. Das setzt voraus, daß die Sowjetunion zu befriedigenden Regelungen für die Verifikation bereit ist. Ich wiederhole hier, was ich auch in Stockholm gesagt habe: Das Problem bei den Verhandlungen über die Ächtung chemischer Waffen ist nicht die Frage, ob sie in Europa oder in der Welt geächtet werden sollen, sondern ob die Sowjetunion bereit ist, befriedigenden Regeln der Nachprüfbarkeit zuzustimmen. Tut sie das, dann muß diese Geißel von allen Völkern der Welt genommen werden und nicht nur von den europäischen Völkern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben nicht erwartet und konnten nicht erwarten, daß die Gründe, die Anlaß zur Sorge geben, in diesen Tagen ausgeräumt werden können. Die Meinungsbildung der sowjetischen Führung dauert noch an. Es wird beständiger weiterer Anstrengung bedürfen, um im West-Ost-Verhältnis voranzukommen. Wir sehen die Lage dabei realistisch. Wir sehen sie mit ihren Problemen, aber auch mit ihren Möglichkeiten, vor allem mit unseren Möglichkeiten, die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Sorglosigkeit wäre ebenso falsch am Platze wie Schwarzmalerei oder rechthaberische Schuldzuweisung. Die Bundesregierung ist entschlossen, auch in Zukunft nüchtern und verantwortlich für den Frieden zu handeln. Wir wollen dabei auch die berechtigten Interessen der anderen Seite erkennen und berücksichtigen. Wir erwarten das auch umgekehrt; denn in den Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit werden wir am Ende nur gemeinsam gewinnen oder gemeinsam verlieren.
    Wir haben im Herbst des vergangenen Jahres hier in diesem Hohen Haus offen und mit Leidenschaft über die Frage der Sicherheitspolitik diskutiert. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Konferenz von Stockholm und bei der Beurteilung



    Bundesminister Genscher
    ihrer Bedeutung für das West-Ost-Verhältnis waren wir weitgehend einig. Dabei müssen wir allerdings nüchtern sehen, was die Konferenz von Stockholm erreichen kann und was nicht. Diese Konferenz in Stockholm kann keine Lösung der Raketenfrage bringen, weder für die strategischen noch für die Mittelstreckenraketen. Die Lösung dieses Problems muß an anderer Stelle gesucht werden. Ein positiver Verlauf der Stockholmer Konferenz kann aber die Verhandlungsbemühungen an anderer Stelle fördern. Die Haltung der Sowjetunion zur Zukunft der Verhandlungen über die strategischen Waffen ist unverändert offen. Bei den Mittelstreckenraketen hat es keine Anhaltspunkte für eine positivere Haltung der Sowjetunion gegeben. Unsere Bemühungen, durch unsere Gesamtpolitik die Ansätze dafür zu verbessern, werden fortgesetzt. Diese Bemühungen dürfen aber nicht zu Lasten unserer legitimen Sicherheitsinteressen und sie dürfen nicht zu Lasten der Einheit unseres Bündnisses gehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Fixierung der öffentlichen Diskussion auf die Gefährlichkeit nuklearer Waffen, auf die Schrecken eines nuklearen Krieges, darf die Tatsache nicht verdrängen, daß die Zerstörungskraft moderner konventioneller Waffen sich dem Vernichtungspotential der Atomwaffen annähert. Auch ein Krieg mit konventionellen Waffen wäre tausendmal schrecklicher als der Zweite Weltkrieg. Europa darf deshalb auch nicht in eine Entwicklung hineintreiben, die den Ausbruch eines konventionellen Konflikts wahrscheinlicher macht. In der längeren Perspektive wird eine rüstungskontrollpolitische Stabilisierung des konventionellen Kräfteverhältnisses in Europa eine Hauptaufgabe der Stockholmer Konferenz sein.
    Wir wollen Mißtrauen abbauen und Vertrauen in Europa wachsen lassen. Das verlangt konkrete Maßnahmen, Maßnahmen, die entsprechend dem vereinbarten Konferenzmandat militärisch bedeutsam, politisch verbindlich, angemessen verifizierbar sind, die in ganz Europa vom Atlantik bis zum Ural angewandt werden. Wer die Offenheit in den Fragen der Sicherheit verweigert, wer sich der Verläßlichkeit der Nachprüfung von Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung entzieht, der setzt sich dem Verdacht aus, er wolle etwas verheimlichen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ohne mehr Transparenz lassen sich Mißtrauen und Bedrohungsgefühle nicht beseitigen. Wir wollen die Gefahr von Überraschungsangriffen und die Sorge vor Einschüchterungsversuchen mindern.
    Das Mandat für die Konferenz in Stockholm ist präzise. Unsere Vorschläge, die westlichen Vorschläge dafür umfassen Maßnahmen der Information, der Beobachtung und Verifikation sowie Schritte, die die militärische Stabilität in Europa festigen. Die Teilnehmerstaaten der Konferenz sollen regelmäßig Informationen über ihre militärischen Verbände austauschen. Das würde nicht nur stabilisierend wirken, sondern auch die Grundlage für weitere Vereinbarungen bilden können. Jeder soll mit jedem eine jährliche Vorausschau über wichtige militärische Aktivitäten austauschen. Jeder soll beurteilen können, ob eine militärische Übung tatsächlich lange vorausgeplant war oder ob sie in einer bestimmten Situation zur Drohung oder gar zur politischen Erpressung genutzt werden soll.
    In Weiterentwicklung der in Helsinki beschlossenen Maßnahmen sollen alle militärischen Aktivitäten in Europa von einer bestimmten Struktur oder einem bestimmten Umfang genau und im voraus bekanntgemacht werden. Zu solchen Aktivitäten sollen Beobachter entsandt werden können, die sich selbst vor Ort informieren. Rechte und Pflichten dieser Beobachter müssen es ihnen ermöglichen, ihre Aufgabe auch effektiv zu erfüllen.
    Alle Teilnehmerstaaten müssen die Gewißheit haben, daß getroffene Vereinbarungen von allen uneingeschränkt eingehalten werden. Es müssen Kommunikationswege geschaffen werden, damit Mißverständnisse, die trotz dieser Vereinbarungen entstehen, aufgeklärt werden können.
    Die 35 Staaten haben sich im Madrider Schlußdokument das Ziel gesetzt — ich zitiere wörtlich —,
    der Pflicht der Staaten, sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt in ihren gegenseitigen Beziehungen zu enthalten, Wirkung und Ausdruck zu verleihen.
    Sie haben sich vorgenommen, zu diesem Zweck
    neue, wirksame und konkrete Schritte zu unternehmen, die darauf gerichtet sind, Fortschritte bei der Festigung des Vertrauens und der Sicherheit und bei der Verwirklichung der Abrüstung zu erzielen ...
    Damit sind Ziel und Weg klar beschrieben.
    Der in der Charta der Vereinten Nationen verankerte und in der Schlußakte von Helsinki noch einmal feierlich bekräftigte Gewaltverzicht muß durch konkrete, militärisch bedeutsame vertrauensbildende Maßnahmen gestärkt werden. Es kann nicht darum gehen, Taten durch die Wiederholung von Worten zu ersetzen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Es geht darum, die Worte glaubwürdiger zu machen und das Verhalten in Übereinstimmung mit den Worten zu bringen. Das muß überall in der Welt gelten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir begrüßen, daß Präsident Reagan in seiner Rede die Verminderung und schließliche Beseitigung der Androhung und Anwendung von Gewalt bei der Lösung internationaler Streitfragen als erstrangige Aufgabe bei der Verbesserung der internationalen Lage bezeichnet hat. Ich rufe im Zusammenhang mit dem Verzicht auf Gewalt und der Diskussion darüber die Erklärung in Erinnerung, die Bundeskanzler Helmut Kohl im Juli 1983 in Moskau abgab. Er sagte dort:
    Eine erneute, verbindliche Bekräftigung des
    Gewaltverbotes kann zur Verbesserung der in-



    Bundesminister Genscher
    ternationalen Lage beitragen, wenn dadurch Gewaltandrohung konkret verhindert wird, Gewaltanwendung dort, wo sie andauert, beendet wird.
    Das meint auch, daß bestehende Gewaltanwendung in Afghanistan ihr Ende finden muß.
    Die Glaubwürdigkeit des Gewaltverzichts setzt auch den Verzicht auf die Inanspruchnahme von Waffenmonopolen und von Überlegenheit sowie die Bereitschaft zu Verhandlungen über den Abbau bestehender Disparitäten voraus.
    Die Staats- und Regierungschefs des westlichen Bündnisses haben in der „Bonner Erklärung" vom 10. Juni 1982 bekräftigt:
    Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
    Damit haben die Bündnispartner feierlich bekräftigt, keine ihrer Waffen — nukleare wie konventionelle — als erste, d. h. ohne angegriffen zu sein, einzusetzen.
    Meine Damen und Herren, es würde der Vertrauensbildung dienen, wenn alle KSZE-Teilnehmerstaaten zu einem so umfassenden Verzicht bereit wären.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das westliche Angebot, das wir in Stockholm entsprechend dem Konferenzmandat unterbreitet haben, ist Teil eines umfassenden Konzepts für die Entwicklung der West-Ost-Beziehungen. Die Chance von Stockholm aufzuzeigen ist kein Zweckoptimismus, sondern realistische Politik aktiver Friedenssicherung. Nicht das Schüren von Angst ist das Gebot der Stunde. Was wir brauchen, ist eine Politik, die mit Vernunft und Augenmaß einer Ordnung des Friedens in Europa den Weg ebnet, die auf Vertrauen und Gleichgewicht, auf Dialog, Zusammenarbeit und Mäßigung in Wort und Tat gegründet ist.
    Heute, zu Beginn des Jahres 1984, geht es darum, die Möglichkeiten für eine neue Verständigung zwischen West und Ost auf das beste zu nutzen und neue Wege zu finden, um schrittweise eine stabilere Ordnung des Friedens in Europa zu erreichen. Wir werden in diesem Sinne auch in Stockholm handeln.
    Je größer in unserem Lande die Übereinstimmung in der Politik der europäischen Einigung ist, je größer die Übereinstimmung darüber ist, daß wir ein verläßlicher Bündnispartner sein müssen, je mehr wir in der Sicherheitspolitik übereinstimmen, desto größer ist unser Gewicht im Westen und desto größer wird auch das Interesse des Ostens sein, mit uns auf der Grundlage der Gleichberechtigung und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Schluß-akte von Helsinki langfristig zusammenzuarbeiten.
    Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft um eine solche Übereinstimmung hier in der Bundesrepublik Deutschland, hier im Deutschen Bundestag bemühen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke (Bonn)


(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten freuen uns, daß die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa eröffnet worden ist. Ich habe nach dem Abschluß der Madrider KSZE-Folgekonferenz am 16. September an dieser Stelle dem Bundesaußenminister und der deutschen Verhandlungsdelegation unseren Glückwunsch ausgesprochen für ihr Verdienst am erfolgreichen Abschluß der Madrider Konferenz und für den Beginn der Stockholmer Konferenz in diesem Januar.
    Das Madrider Ergebnis ist eine eindeutige Bestätigung dafür, daß die Zusammenarbeit zwischen Ost und West möglich ist, wenn sich alle Seiten mit Ernsthaftigkeit und ohne sich unter Zeitdruck zu setzen um eine solche Zusammenarbeit bemühen.
    Ich wiederhole das, was wir Sozialdemokraten bei Übernahme der Oppositionsaufgabe in diesem Hohen Hause gesagt haben: Wir werden die Bundesregierung überall dort unterstützen, wo sie die unter sozialdemokratischer Führung begonnene Entspannungspolitik fortsetzt. Das galt für die Madrider Konferenz. Das wird auch für die Konferenz in Stockholm gelten.

    (Beifall bei der SPD)

    Der erfolgreiche und positive Abschluß der Madrider Konferenz ist von der Bundesregierung allerdings auch dazu benutzt worden, den Fehlschlag ihrer Nachrüstungspolitik zu kaschieren. Die Aufstellung neuer amerikanischer und zusätzlicher sowjetischer Raketen in Europa

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Die Sie früher gewollt haben!)

    läßt das Kanzlerwort „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" zu einer bloßen Sprechblase werden, Herr Kollege Marx.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Eine Politik der Schadensbegrenzung zielt jetzt darauf ab, die Bevölkerung mit einer Art Besänftigungspropaganda über die negativen Folgen dieser Nachrüstungspolitik hinwegzutäuschen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sie wissen doch, daß das nicht stimmt!)

    Bei allen Verdiensten, Herr Außenminister, die die Bundesregierung am Zustandekommen der Stockholmer Konferenz hat, ist nicht zu übersehen, daß ihr mangelnder Realitätssinn oder Realitätswille in der anderen Frage wesentlich mit zur Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen beigetragen hat.

    (Beifall des Abg. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE])




    Dr. Ehmke (Bonn)

    Trotz aller Warnungen hat die Bundesregierung selbst nach dem Scheitern der Genfer Konferenz fortwährend in Optimismus gemacht

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Realismus!)

    und mit allen Mitteln den Eindruck zu erwecken versucht, als ob alles so weitergehen werde wie bisher.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist wahr!)

    Die Rede des sowjetischen Außenministers Gromyko in Stockholm am Mittwoch hat für alle Welt sichtbar werden lassen, daß es keinerlei Anlaß für diesen Optimismus gibt. Die Rede hat jene Illusionen zerstört, die davon ausgingen, es wäre eine bloße Frage der Zeit, wann die Sowjetunion sozusagen reumütig an den Verhandlungstisch zurückkehren würde.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

    Die Rede hat noch einmal unterstrichen, daß der Zusammenbruch der Genfer Verhandlungen in den Rüstungskontrollbemühungen zwischen Ost und West eine Zäsur darstellt.
    Verehrter Herr Bundesaußenminister, auch wenn das Gespräch zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Außenminister fünf Stunden gedauert hat, ändert das nicht das geringste an meiner Feststellung. Der amerikanische Außenminister hat gestern auf einer Pressekonferenz in Oslo seinerseits festgestellt, daß das Gespräch keinerlei Fortschritt erbracht habe. Leider, kann ich nur wie Sie sagen. Aber wir sollten uns nichts vormachen.
    In den Jahren der Entspannungspolitik ist in Europa über die Blockgrenzen hinweg ein neues Bewußtsein europäischer Zusammengehörigkeit gewachsen, ohne die für die eigenen Sicherheitsinteressen maßgebende Blockzugehörigkeit in Ost oder in West in Frage zu stellen.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Auch das Raketenarsenal der Sowjets ist gewachsen!)

    Die erneute Konfrontation der Supermächte, verehrter Kollege Klein, wird von den Europäern in Ost und West unbeschadet ihrer Blockzugehörigkeit als Gefährdung gemeineuropäischer Sicherheitsinteressen verstanden. Die Gefährdung des mit dem Entspannungsprozeß bisher Erreichten verstärkt in beiden Teilen Europas den Wunsch nach Wiederaufnahme und Vertiefung der Entspannungspolitik.
    Die Entwicklung der Ost-West-Beziehungen hängt natürlich stark davon ab, welche Vorstellungen und welche Einschätzungen die Vereinigten Staaten — deren Bemühen, auch militärisch wieder Weltmacht Nummer 1 zu werden, auf der Hand liegt — von der Sowjetunion haben. Der amerikanische Präsident hat in einer Fernsehrede, die gleichzeitig auch schon eine Vorwahlrede für den amerikanischen Wahlkampf war, nach langen Monaten zum erstenmal gegenüber der Sowjetunion wieder gemäßigte Töne angeschlagen. Wir begrüßen das. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber den früheren Redensarten, in denen die Sowjetunion als „Herd des Bösen" und dergleichen dargestellt wurde.
    Ob sich aus dieser geänderten Tonart, die auch durch den amerikanischen Wahlkampf bestimmt ist, substantiell etwas am gestörten Verhältnis zwischen den beiden Großmächten ändern wird, bleibt abzuwarten. Der amerikanische Präsident hat zwar Entgegenkommen gegenüber der Sowjetunion im Falle einer Rückkehr an den Verhandlungstisch der Rüstungskontrollverhandlungen angedeutet. Hier muß aber festgehalten werden, daß er dafür keinerlei konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt hat und daß solche auch nicht aus den Gesprächen der beiden Außenminister hervorgegangen sind.
    In den vergangenen drei Jahren hat sich jedenfalls — das hat Botschafter Harriman eindrucksvoll dargelegt — amerikanische Politik dadurch ausgezeichnet, daß sie zwar ein klares Feindbild hatte, aber kein Konzept für den Ausbau ihrer Beziehungen zur Sowjetunion. Wenn die Rede des amerikansichen Präsidenten insoweit den Anfang einer Änderung der Politik auch in der Sache darstellt, verdient eine solche Kursänderung sicher die Unterstützung der Europäer. Ich will allerdings nicht verhehlen, daß wir anläßlich des Europabesuchs des amerikanischen Präsidenten 1980 schon ähnliche Reden gehört haben, um dann zu erleben, daß er nach seiner Rückkehr nach Amerika wirtschaftliche Sanktionen verhängte und dann auch noch versuchte, sie gegen die eigenen europäischen Verbündeten durchzusetzen. Ich bin da also skeptisch.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Immer drauf auf die Amis!)

    Ein Neuansatz in dem Ost-West-Verhältnis kann nur erreicht werden, wenn wir an der Politik der Entspannung festhalten. Insofern besteht jedenfalls zum Außenminister ja auch kein Gegensatz. Das gilt auch dann, wenn Amerika — ich sage: durchaus zu Recht — mit den weltweiten Ergebnissen der Entspannungspolitik teilweise unzufrieden ist. Aber was ist die Alternative? Eine Politik der Konfrontation und der militärischen Überlegenheit führt zu einem Wettrüsten, das nicht mehr, sondern immer weniger Sicherheit schafft. Außerdem verschlingt es Unsummen, die für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den westlichen Industriestaaten und die Bekämpfung des Elends in der Dritten Welt dringend gebraucht werden.
    Die Militarisierung des Sicherheitsdenkens hat außerdem in den Vereinigten Staaten zur Finanzierung von Rüstungsprogrammen über riesige Haushaltsdefizite geführt,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Vom wem geht die denn aus?)

    die in ihren Auswirkungen die wirtschaftliche Sicherheit Europas wie die der Dritten Welt beeinträchtigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Aufgabe liegt bei Gewährleistung ausreichender Verteidigungsfähigkeit gerade in entgegengesetzter Richtung. Wir müssen die Entspan-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    nungspolitik, die am Hoch- und Wettrüsten der Großmächte aufgelaufen ist,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Der Sowjetunion!)

    wieder freimachen, um zu einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West vorwärtsschreiten zu können. Im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel gilt für beide Seiten,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Bla, bla, bla!)

    daß Sicherheit des Überlebens nicht mehr gegen die andere Seite, sondern nur mit der anderen Seite zu erreichen ist.
    Dem verehrten Bla-bla-Klein will ich sagen: Wenn Sie der Meinung sind, daß man weiter Milliarden für den Unsinn ausgeben kann, mit immer mehr Waffen immer weniger Sicherheit zu haben, dann machen Sie das bitte. Aber Sie werden dabei auf unsere Opposition stoßen.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das ist billig! Billiger Jakob!)

    Die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa ist mit ihren zwei geplanten Verhandlungsphasen gegenwärtig der einzige Ansatzpunkt, dem Entspannungsprozeß neue Impulse zu geben. Ich stimme dem Außenminister darin zu: Man würde die Konferenz überfordern, wenn man alle Hoffnungen gescheiterter Rüstungskontrollverhandlungen auf sie projizieren würde. Das kann Stockholm nicht. Stockholm kann bestenfalls dazu beitragen, wieder zu einem besseren Klima zwischen Ost und West zu kommen. Sie hat trotz ihrer Beschränkung auf Europa Bedeutung über Europa hinaus, denn die Verhältnisse in Europa bleiben wichtig als Weichenstellung für die weitere Entwicklung im Ost-West-Verhältnis insgesamt.
    Daher dürfen auch — Herr Bundesaußenminister, Sie sind über dieses Problem etwas schnell hinweggehuscht — rüstungskontrollpolitische Maßnahmen und Vorschläge nicht einfach schon darum abgelehnt werden, weil sie auf Europa beschränkt sind. Der kürzlich von der Sowjetunion gemachte Vorschlag, alle chemischen Waffen aus Europa abzuziehen, verdient ernsthaftere Aufnahme und Prüfung, als ihm bisher vom Westen widerfahren ist.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Dazu gehört aber auch die Verifizierung!)

    — Das ist richtig. In den Fragen der Verifizierung, Herr Kollege Marx, gibt es keine Meinungsverschiedenheiten.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das ist schwierig!)

    — Richtig. Aber immerhin haben wir die Sowjetunion bewegt, Inspektionen an Ort und Stelle grundsätzlich zuzustimmen. Das ist ein prinzipieller Fortschritt. Jetzt ist die Frage, wie man ein sol-
    ches Inspektionssystem gemeinsam ausgestalten kann.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Ihr Vorschlag ist aber dahinter zurückgegangen!)

    — Nein, das ist sie nicht. Aber sie ist nicht genügend weit gegangen, daß wir sagen könnten: Das reicht schon aus. Aber ein Fortschritt ist erzielt worden.
    Zu den vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen, die in Stockholm beraten werden, gehören vor allem auch Maßnahmen, die einen Überraschungsangriff — sei es aus dem Stand heraus, sei es aus Manöverbewegungen heraus — ausschließen sollen. Unseres Erachtens kommt solchen Vereinbarungen, solchen vertrauensbildenden Maßnahmen eine zusätzliche Bedeutung in einem Zeitpunkt zu, in dem die NATO dabei ist, die konventionelle Verteidigung der Zentralfront zu stärken — oder anders gesagt: die Verteidigung an der europäischen Zentralfront stärker zu konventionalisieren. Bei den Problemen, die wir in den nächsten Jahren mit den Mannschaftsstärken haben werden, ist jeder Zeitgewinn, den wir für Mobilmachungsmaßnahmen dadurch erzielen können, daß Panzerverbände und Großverbände nicht in Grenznähe stationiert oder in Manövern bewegt werden dürfen, für die konventionelle Stärke der NATO in Mitteleuropa wesentlich.
    Bei der Frage des Gewaltverzichts geht es einmal um ein solches Abkommen zwischen den Militärblöcken — das ist etwas anderes als die generellen Erklärungen —, aber es geht auch — das ist, glaube ich, eine Idee, die der Bundesaußenminister eingeführt hat — um die Frage, ob solche Vereinbarungen wechselseitig zwischen allen Staaten in Europa abgeschlossen werden können.
    Die Bundesrepublik ist jedenfalls auf Grund ihrer geographischen Lage in besonderem Maße an solchen Vereinbarungen interessiert. Sie würden helfen, die Situation an der Blockgrenze weiter zu entspannen und beide Seiten vor militärischen Kurzschlüssen an dieser Grenze zu schützen.
    Eine erfolgreiche Konferenz könnte dazu beitragen, Vertrauen für die Sicherheitspolitik des Bündnisses und der Bundesrepublik zurückzugewinnen, Vertrauen, das durch die Art verlorengegangen ist, in der der Nachrüstungsbeschluß durchgesetzt wurde. Die Bundesregierung muß aufpassen, hier nicht erneut Fehler zu machen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Starkes Stück!)

    Aber, Herr Bundesaußenminister: Mit einer Politik der bloßen Schadensbegrenzung — so sehr wir verstehen, daß Sie sich jetzt darauf konzentrieren
    — ist es nicht getan. Auch alle richtigen und notwendigen Bemühungen in Stockholm sind kein Ersatz dafür, daß der Westen eine umfassende Initiative im Hinblick auf ein besseres Verhältnis zum Osten entwickelt. Dafür wird eine gemeinsame und selbstbewußte Politik der Europäer entscheidend sein.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Ehmke (Bonn)

    Statt dessen haben wir heute nicht nur in wichtigen Fragen der deutschen Außenpolitik — ich denke an die Entwicklungspolitik, an Afrika, aber auch an Zentralamerika — eine Wende zum Schlechten zu beklagen,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Noch eine Wende!)

    sondern es ist auch, Herr Bundesaußenminister, bei Anerkennung aller Ihrer Bemühungen gerade für Stockholm und in Stockholm, das Absinken des Ansehens und des Einflusses der Bundesrepublik in der Welt auf Grund einer widerspruchsvollen und unklaren Gesamtpolitik nicht zu übersehen.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich empfehle Ihnen, sich z. B. nur einmal in der UNO umzuhören, wie das heute verglichen mit vor anderthalb Jahren aussieht, Herr Kollege Klein.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese negative Entwicklung wird durch die Affären der Bundesregierung noch beschleunigt. Ich weiß, daß der Herr Kollege Genscher natürlich so wenig glücklich war wie wir, daß das Ereignis in Stockholm hier durch die Wörner-Affäre in den Hintergrund gedrängt wurde. Das müssen Sie doch bitte auch einmal sehen, die Sie jetzt schon wieder so tun, als ob Ihnen dieser Staat gehört und Sie sich alles leisten können:

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Nein, es ist aber fast jedes Wort falsch, was Sie reden!)

    Die Tatsache, daß sich diese Bundesregierung zunehmend in Affären erschöpft, deren Peinlichkeit so ziemlich alles übertrifft, was in der Bundesrepublik bisher geboten wurde,

    (Beifall bei der SPD)

    trägt natürlich dazu bei, unser Ansehen und unseren Einfluß im Ausland und im Bündnis weiter zu schmälern.

    (Zuruf von der SPD: Leider!)

    Das gilt unbeschadet aller sonstigen Unterschiede sowohl für den Fall Geißler mit seinen dollen Sprüchen wie für den Fall Lambsdorff und ganz besonders für den Fall Wörner.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/CSU])

    — Nun rühren Sie nicht an die schwache Stelle des früheren Innenministers, Herr Kollege.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie mal was zu Guillaume!)

    Der Oppositionsführer Dr. Vogel hat dem Bundeskanzler vorgeschlagen, der deutschen Öffentlichkeit und der Bundeswehr eine Fortsetzung dieses Schauspiels von Peinlichkeiten und — so muß ich leider sagen — auch Schäbigkeiten, das wir in den letzten Wochen erlebt haben, zu ersparen.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Seitens der Opposition!)

    Der Herr Bundeskanzler hat sich aber einmal mehr
    als unfähig erwiesen, auch nur im Bundeskabinett
    Ordnung zu schaffen. Daher ist auch schon jetzt abzusehen, daß aus all diesem eines nicht zu fernen Tages ein Fall Kohl werden wird.

    (Beifall bei der SPD) Was dieses Land statt dessen braucht,


    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ist Ehmke! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Ist ein Beitrag zur KVAE!)

    ist eine große politische Anstrengung, Europas Stellung im Bündnis zu stärken, seine Abhängigkeit von negativen Entwicklungen in der Weltwirtschaft zu mindern, seine technologischen Fähigkeiten im weltweiten Wettbewerb zu fördern und eine Reform der EG einzuleiten, die die weitere Entwicklung Europas auf eine tragfähige Grundlage stellt.

    (Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/ CSU])

    Da von dieser Bundesregierung in dem Zustand, in dem sie sich gerade auch heute morgen hier dargestellt hat, offensichtlich nichts dergleichen zu erwarten ist, wird die SPD dafür in Kürze ein Konzept vorlegen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Ehmkes Beitrag zur Vertrauensbildung! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die zehn Mann da!)