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    Plenarprotokoll 10/48 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3439 A Aktuelle Stunde betr. Affäre Kießling Bastian GRÜNE 3439 B Francke (Hamburg) CDU/CSU 3440 B Dr. Apel SPD 3441 A Ronneburger FDP 3442 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3443A Horn SPD 3444 B Hauser (Esslingen) CDU/CSU 3445 C Dr. von Bülow SPD 3446 B Wimmer (Neuss) CDU/CSU 3447 B Kolbow SPD 3448 B Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 3449 B Jungmann SPD 3449 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3450 D Berger CDU/CSU 3451 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand — Drucksache 10/880 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3452 C Lutz SPD 3457 A Müller (Remscheid) CDU/CSU 3459 D Hoss GRÜNE 3463 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 3465 C Heyenn SPD 3467 C Frau Seiler-Albring FDP 3469 D Egert SPD 3470 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Bericht über die Eröffnung der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa in Stockholm vom 17. bis 19. Januar 1984 Genscher, Bundesminister AA 3472 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 3475 C Rühe CDU/CSU 3478 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3481 B Schäfer (Mainz) FDP 3483 D Nächste Sitzung 3485 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3486*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3486* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 3439 48. Sitzung Bonn, den 20. Januar 1984 Beginn: 8.30 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 20. 1. Antretter* 20. 1. Bahr 20. 1. Bohl 20. 1. Brandt 20. 1. Brosi 20. 1. Büchner (Speyer) 20. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 20. 1. Dr. Enders* 20. 1. Ertl 20. 1. Gerlach (Obernau) 20. 1. Grünbeck 20. 1. Frau Dr. Hamm-Brücher 20. 1. Handlos 20. 1. Haungs 20. 1. Heimann 20. 1. Huonker 20. 1. Graf Huyn 20. 1. Jansen 20. 1. Jung (Düsseldorf) 20. 1. Kretkowski 20. 1. Kroll-Schlüter 20. 1. Landré 20. 1. Lenzer* 20. 1. Dr. Lippold 20. 1. Dr. h. c. Lorenz 20. 1. Offergeld 20. 1. Petersen 20. 1. Frau Potthast 20. 1. Rawe 20. 1. Reddemann* 20. 1. Reschke 20. 1. Reuschenbach 20. 1. Saurin 20. 1. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Scheer 20. 1. Schlaga 20. 1. Frau Schmedt (Lengerich) 20. 1. Schmidt (Hamburg) 20. 1. Schmidt (München)* 20. 1. Schmidt (Wattenscheid) 20. 1. Schröder (Lüneburg) 20. 1. Schröer (Mülheim) 20. 1. Dr. Solms 20. 1. Spilker 20. 1. Stockleben 20. 1. Vahlberg 20. 1. Voigt (Frankfurt) 20. 1. Dr. Voigt (Northeim) 20. 1. Voigt (Sonthofen) 20. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesminister für Wirtschaft hat dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mit Schreiben vom 23. Dezember 1983 eine Vorlage betreffend Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission wegen des deutschen Filmförderungsgesetzes übermittelt. Der Bundestagspräsident hat aufgrund von § 77 Abs. 2 GO entschieden, daß diese Vorlage nicht als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wird. Sie wurde den Fraktionen und dem Innenausschuß zugeleitet. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Fünfzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Verlängerung der Frist für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Republik Griechenland (Drucksache 10/799 Nr. 6)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hoss, wenn es richtig ist, daß es keine Patentrezepte gibt
    — und ich bin davon überzeugt, daß das eine richtige Feststellung ist —, kann es j a nur logisch und richtig sein, wenn man durch viele kleine Schritte, durch viele Schritte in die richtige Richtung mit dem unbestritten vorhandenen Problem fertigwerden will. Insoweit begrüße ich es, daß es so viele Ansätze — bei rechter Betrachtung, meine ich, auch gemeinsame Ansätze — gibt, mit der Beschäftigungsproblematik fertigzuwerden. Der Streit um den besten Weg zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beherrscht ja auch — ich meine: Gott sei Dank
    — dauerhaft die öffentliche Diskussion; „Gott sei Dank" sage ich mit Rücksicht auf die Debatte von heute morgen. Sie wird teils polemisch und sie wird teils sachlich geführt. Die Abteilung Polemik hat Egon Lutz heute morgen hier abgewickelt.

    (Zurufe von der SPD)

    — In ruhigem Ton.

    (Kolb [CDU/CSU]: Klassisch gekonnt hat er das getan!)

    Daß der Minister in der Lage ist, polemisch zu reagieren, ist unbestritten. Er ist gut in dieser Beziehung. Das wird ihm nicht abgesprochen. Wenn auch in ruhiger Form, Egon Lutz hat sehr wohl polemisiert.
    Wichtig ist — das wäre meine große Bitte an alle Beteiligten —, den Versuch zu unternehmen, sich nicht gegenseitig den guten Willen abzusprechen. Ich meine, das ist notwendig.
    Wenn wir heute über die Frage des vorzeitigen In-den-Ruhestand-Gehens diskutieren, also um die Strategie, durch eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit — wohlgemerkt: eine freiwillige Verkürzung der Lebensarbeitszeit — eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt zu bringen, dann beweist das für mich, daß es durchaus gemeinsame Ansätze gibt. Denn diese Strategie ist in dem Vorschlag der Sozialdemokraten, den wir hier schon einmal diskutiert haben, zumindest vom Grundsatz her bejaht worden. Insofern meine ich, mehr Gemeinsames als Trennendes in beiden Entwürfen finden zu können.

    (Lutz [SPD]: Unser Gesetz ist aber besser!)

    Lassen Sie mich unsere Position noch einmal stichwortartig aufzeigen. Die Liberalen haben nie den Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und Arbeitszeit geleugnet. Wir sind mit all denjenigen, die ernsthaft um das Wohl unserer Wirtschaft bemüht sind, der Meinung, daß sich Produktivitätsfortschritt nicht nur in höherem Lohn, sondern durchaus auch in kürzerer Arbeitszeit niederschlagen kann. Die Frage für uns muß nur lauten: In welchem Umfang ist eine solche Maßnahme in unserer konkreten wirtschaftlichen Situation sinnvoll, richtig und zu verantworten? Wie ich von dieser Stelle schon einmal gesagt habe, darf es in einem solchen Fragenkomplex keine Tabus geben. Ich habe das Tabu bestimmter Kreise immer für völlig falsch gehalten. Man muß diese Frage in der



    Cronenberg (Arnsberg)

    Tat offensiv und offen diskutieren. Ich freue mich, daß dies auch geschieht.
    In unseren Leitlinien von 1981 zur Überwindung der Arbeitslosigkeit haben wir uns schon mit der Frage der Verkürzung der Lebensarbeitszeit als einer denkbaren Möglichkeit zur Minderung der angesprochenen Problematik beschäftigt. Dabei haben wir betont — ich möchte das mit allem Nachdruck wieder tun —, daß solche Maßnahmen keinesfalls die Chancen für Arbeit verschlechtern dürfen. Es muß wiederholt werden: Ein Drittel unserer Arbeit, ein Drittel unserer Beschäftigung muß draußen, im Export im harten Wettbewerb geholt werden. Deswegen sei an dieser Stelle noch einmal klargestellt: Wer mit der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich den Faktor Arbeit um 15 %bis 20 % verteuert, vertreibt die Arbeit aus unseren Fabriken. Er schafft keine Arbeitsplätze; er vernichtet dieselben. Er handelt grob fahrlässig.
    Herr Kollege Stratmann, ich habe mit viel Aufmerksamkeit und hohem Respekt Ihre Ausführungen vom 8. Dezember gelesen, in denen Sie sich mit dieser Problematik auseinandersetzen und schlicht den Vorschlag machen, wir sollten unsere Exportabhängigkeit mindern, wir sollten uns sozusagen mehr binnenwirtschaftlich — um Ihren Ausdruck aufzugreifen — orientieren, um uns somit aus der internationalen Wettbewerbsproblematik abzulösen. Schlicht und einfach: Ich halte das für falsch und auch für nicht praktikabel, solange wir offene Grenzen haben, solange Produkte in unser Land frei importiert werden können. Ich halte das für den wesentlichen Fehlansatz Ihrer Ausführungen vom 8. Dezember.
    Ich möchte Ihnen empfehlen, sich mit dem Artikel von Nell-Breuning in der „Zeit" auseinanderzusetzen. Er sagt, daß höhere Preise für die Drittweltländer, höhere Rohstoffpreise, die notwendig sind, um sinnvolle Entwicklungspolitik zu betreiben — das sind j a wohl, wenn ich mich dunkel erinnere, Ziele Ihrer Politik —, nur dann möglich sind, wenn entsprechende Exporterlöse bei den Industrieländern vorhanden sind. Er formuliert das überspitzt: Wir müßten mehr arbeiten und im Grunde genommen reicher werden, um diesen Bedürfnissen der Entwicklungsländer gerecht werden zu können.
    Ich kann an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, möchte aber noch einmal betonen: Falsch sind alle Maßnahmen, wenn sie unserer Wettbewerbsfähigkeit schaden. Dann schafft die 35-Stunden-Woche sehr viele Arbeitsplätze, wie ich schon mehrmals gesagt habe, nur nicht bei uns, sondern in Ostasien, in Hongkong, in Taiwan, in den Wettbewerbsländern. Das darf und kann nicht das Ziel unserer Politik sein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aus diesem Grunde haben wir uns in diesem Zusammenhang auch bei der Vorruhestandsregelung bemüht, sowohl volkswirtschaftlich wie auch betriebswirtschaftlich dem Gesichtspunkt der Kostenneutralität große Beachtung beizumessen. Mit dem Vorwurf, die jetzige Regelung werde diesem Anspruch der Kostenneutralität nicht gerecht, werden im Grunde genommen uneinsichtige Tarifvertragsparteien unterstellt. Eine solche Unterstellung halte ich aber für verfehlt. Die Tarifvertragsparteien wissen doch sehr genau, daß der zarte, beginnende Aufschwung neben einer richtigen Politik das Ergebnis einer vernünftigen Tarifpolitik, vernünftiger Tarifabschlüsse 1981, 1982, 1983 gewesen ist. Dadurch sind die Lohnstückkosten relativ gesunken. Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist leicht gestiegen. Die Arbeitslosigkeit hat sich nicht, wie befürchtet und prognostiziert, auf 3 Millionen hin entwickelt. Im Gegenteil: Die Situation ist leicht entspannt.
    Funktionierende Rezepte werden die Tarifvertragsparteien doch wohl nicht leichtsinnig unbeachtet lassen bei ihren Verhandlungen. Geschieht das trotzdem, wird Arbeit zu teuer, werden unsere Produkte zu teuer. Dann haben wir eben nicht mehr, sondern weniger Arbeit. Und ein Etikett mit der Aufschrift „Dieses Produkt wurde in einem Betrieb erzeugt, in dem nur 35 Stunden gearbeitet wird. Deswegen, lieber Verbraucher, zahle 5, 6 oder 7 % mehr." hilft sicher niemandem außer der Druckerei, die die Etiketten druckt.
    Ernsthaft: Der Hauptirrtum aller Arbeitsverteilungsapostel ist, daß sie von einem fixen Arbeitsvolumen ausgehen. Das ist falsch. In der Volkswirtschaft wie in den einzelnen Betrieben muß man sich um Arbeit bemühen. Arbeit muß genaugenommen erarbeitet werden. Wer nicht durch bessere Leistung Arbeit akquiriert, wer darauf hofft, daß ihm Arbeit mühelos in den Schoß fällt, der schafft nicht notwendige Arbeitsplätze, sondern verteilt bestenfalls immer weniger Arbeit. Deswegen zum x-ten Male: Arbeitsplätze schaffen ist richtig, Arbeitsplätze verteilen ist mit Sicherheit falsch dann, wenn dadurch sogar bestehende Arbeitsplätze gefährdet werden.
    Der Vorschlag der Regierung und der Koalition ist ein seriöses, ernst zu nehmendes Angebot an die Tarifvertragsparteien, die Beschäftigungsproblematik durch die Vorruhestandsregelung zu mindern.
    Kollege Hoss, Sie dient auch der Individualisierung der Arbeitszeit. Sie ist Dienst am und für den Menschen und stellt genau, wie Sie es verlangt haben, den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt der Bemühungen.
    In den Beratungen werden wir allerdings einige Punkte noch einmal ernsthaft erörtern müssen. Wir müssen überprüfen, ob der Problematik der Kleinbetriebe in der Vorlage ausreichend Rechnung getragen wird. So sehr ich in diesem Zusammenhang die Kritik ernst nehme, daß die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben nicht Arbeitnehmer minderen Rechts sein dürfen, so sehr müssen wir aber auch darauf achten, daß diese Klein- und Mittelbetriebe nicht funktionsunfähig werden. Wir können uns nicht der Tatsache verschließen, daß es Betriebe mit einem überproportional hohen Anteil an älteren Arbeitnehmern gibt. Diese Betriebe dürfen nicht funktionsunfähig werden. Es ist zu überlegen, ob man hier vielleicht eine prozentuale Regelung oder andere Methoden finden kann, um mit der Problematik fertig zu werden.



    Cronenberg (Arnsberg)

    Auch die Höhe des Zuschusses und seine Ausgestaltung bedürfen noch einer ernsthaften Diskussion.
    Selbstverständlich ist auch jetzt schon — das ist inzwischen ja üblich geworden — die Frage der Verfassungsmäßigkeit gestellt worden. Neu ist diesmal allerdings, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit vor Beratung und Verabschiedung des Gesetzes gestellt wird. Das ist neu. Man sollte doch zumindest erst einmal die Formulierung des Gesetzes abwarten.

    (Lutz [SPD]: Wer hat denn diese Frage gestellt?)

    — Einige Kollegen aus dem Hohen Hause, sogar aus meiner Fraktion.

    (Zurufe von der SPD: Aha, so ist das!)

    — Ich gehe mit diesen Kollegen nicht anders um als mit Ihnen, Herr Kollege Lutz.
    Der Vorruhestand, so hat der Minister ausgeführt, zwingt sinnvollerweise und richtigerweise zur Partnerschaft zwischen den Tarifvertragsparteien. Darauf lege ich ganz großen Wert.
    Im Gegensatz zum SPD-Entwurf, der getreu dem Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" konzipiert worden ist — Sie werden sich sicher erinnern, von wem dieses Prinzip postuliert wurde —, sieht die Regierungsvorlage keine übertriebenen Kontrollmechanismen vor. Die Wiederbesetzung kann flexibel gehandhabt werden. Ich gehe davon aus, daß Betriebsrat und Belegschaft darauf achten werden, daß nicht schwarze Schafe unter den Unternehmern dieses Gesetz mißbrauchen werden. Ich gehe sogar davon aus und wette, daß eine Wiederbesetzungsquote von mehr als 50 % zu erwarten ist.

    (Abg. Lutz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich habe noch zwei Minuten. Wenn ich mit meinem Text fertig werde und dann noch Zeit ist, gern.

    (Stratmann [GRÜNE]: Um was wetten Sie?)

    — Das lassen Sie uns an anderer Stelle machen, nicht hier im Plenum.
    Zu begrüßen ist ebenfalls, daß die Übernahme eines über den Bedarf hinaus Ausgebildeten bei Kleinbetrieben einer Wiederbesetzung gleichgestellt wird.
    Im Gegensatz zur 35-Stunden-Woche ist die Vorruhestandsregelung befristet — ich meine: zu Recht
    — und trägt somit dem sich ändernden Altersaufbau und möglichen Erfahrungen Rechnung. Sie ist, wie wir es immer verlangt haben, revisibel.
    Alles in allem: Es ist ein Entwurf, der es verdient, ohne jede Polemik diskutiert zu werden. Ich möchte das Ganze unter dem Motto behandelt wissen: Verbesserungen sind möglich, Anregungen sachlicher Art sind erwünscht. Das sind sinnvolle Voraussetzungen für ernsthafte Beratungen, von denen ich sicher bin, daß sie zu einem guten, praktikablen und für die Tarifvertragsparteien annehmbaren Gesetz führen werden.
    Herzlichen Dank für die Geduld.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Günther Heyenn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Jeder Redner der Koalitionsfraktionen hat heute morgen diesen Entwurf mehrfach als seriös bezeichnet. Je häufiger ich das Wort „seriös" höre, desto stärker wächst bei mir das Verständnis für die Gewerkschaften, die von diesem Entwurf überhaupt nichts halten.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich vorweg deutlich betonen, daß anzunehmen ist, daß die Gewerkschaften, die sich heute noch für diesen Weg der Arbeitszeitverkürzung entschieden hab en, bei diesem völlig unzumutbaren Angebot auf andere Forderungen zur Arbeitszeitverkürzung im tariflichen Bereich umschwenken werden, z. B. auf die Forderung nach der 35-Stunden-Woche.

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP])

    Ein zweiter Punkt. Herr Kollege Cronenberg, Sie haben von einem zarten Aufschwung gesprochen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Dieser Aufschwung ist so zart, daß er nur einige Unternehmer erreicht. Er wird vertrocknet sein, bevor er den letzten Unternehmer, geschweige denn den ersten Arbeitslosen in dieser Republik erreicht hat.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

    Meine Damen und Herren, wenn die Produktivität stärker steigt als das Bruttosozialprodukt, wenn die Arbeitslosigkeit trotz der angesprochenen leichten Erholung weiter zunimmt, wenn diese Arbeitslosigkeit uns 1983 55 Milliarden DM gekostet hat, wenn 90 % der Arbeitnehmer beschäfigt sind und zum Teil nicht unerheblich Überstunden machen, aber 10 % mit der Null-Stunden-Woche beim Arbeitsamt zufrieden sein müssen, dann kann nach unserer Meinung die Frage nach der Form der Arbeitszeitverkürzung — Verkürzung der Lebensarbeitszeit oder der Wochenarbeitszeit — kein Glaubenskrieg sein. Es darf darüber kein sinnloser Streit entstehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Beide Formen sind notwendig. Nur: Die Herrn Blüm und Kohl können nicht begreifen, daß die Frage, welcher Weg vorrangig beschritten werden soll, ausschließlich eine Sache der Tarifpartner ist.
    Meine Damen und Herren, im übrigen hatten wir in der Nachkriegszeit über Jahrzehnte hinweg eine permanente Arbeitszeitverkürzung. Dies ist gestoppt worden. Wir hatten eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die flexible Altersgrenze, Sozialpläne im betrieblichen Bereich, verlängerten Jahresurlaub, Bildungsurlaub, Mutterschaftsurlaub. All



    Heyenn
    dies hat entlastend auf den Arbeitsmarkt gewirkt. Deswegen sagen wir, daß dieser Prozeß der Verkürzung der Arbeitszeit auf allen Ebenen zur Entlastung auf dem Arbeitsmarkt wieder in Gang gesetzt werden muß.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Es gibt keinen Weg zur Vollbeschäftigung ohne die Arbeitszeitverkürzung.
    Diesen Erfordernissen hat die Gewerkschaft NGG mit ihrem brauchbaren Modell der Vorruhestandsregelung entsprochen. Wir haben auf dieser Basis im Juni letzten Jahres einen eigenen Entwurf vorgelegt. Der Bundesarbeitsminister mußte lange, auch von den Gewerkschaften, gedrängt werden, zu Rande zu kommen. Es lag aber auch daran, daß er mehrfach bei den Herren Lambsdorff und Stoltenberg wiedervorlegen mußte. Was dabei dann herausgekommen ist, ist so wenig, daß mit Fug und Recht der Verdacht geäußert werden kann, niemand werde von dieser Regelung überhaupt Gebrauch machen. Ich habe in einem Magazin gelesen, daß der Finanzminister die Angebote zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit bis zur Lächerlichkeit deformiert habe. Ich will dem nichts hinzufügen; denn der uns vorliegende Entwurf trägt natürlich auch nicht die Handschrift eines Sozialpolitikers, sondern die eines kurzsichtigen Finanzministers.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen, da Sie, Herr Müller, von möglichen kleinen Korrekturen gesprochen haben, in Erinnerung rufen, was der DGB-Vorsitzende allen Mitgliedern dieses Bundestages in dieser Woche mitgeteilt hat, nämlich die Aufforderung, nicht nur kleine Korrekturen vorzunehmen, sondern grundlegend zu verbessern, weil dieser Entwurf so nicht akzeptabel sei.
    Lassen Sie mich zu einigen Einzelpunkten kommen, um diese nicht vorhandene Akzeptanz zu belegen. Sie rechnen selber mit einer Wiederbesetzung der frei werdenden Stellen von 50 %. Die Annahme einer so hohen Zahl ist völlig unverständlich, weil nach Ihrem Entwurf der Arbeitgeber dem Arbeitsamt nur darlegen muß, daß wiederbesetzt worden ist, was immer das auch im einzelnen heißen mag. Wir hatten in unserem Entwurf festgelegte, überprüfbare Mechanismen vorgesehen. Wir hatten die Mitwirkung des Betriebsrates eingebaut. Wir wollten in jährlichen Abständen diese Kontrolle der Wiederbesetzung wiederholen. Auch Herr Blüm hatte das einmal vor. Wenn man ein wenig in der öffentlichen Auseinandersetzung zurückgeht, wird deutlich, daß auch er dies kontrollieren wollte. Aber der Graf Lambsdorff hatte, wie man auch lesen kann, Bedenken gegen Eingriffe in die Gestaltungsfreiheit der Unternehmer. Dem hat sich dann die Bundesregierung angeschlossen.
    Die deutschen Arbeitgeber haben in der Anhörung, die wir zu unserem Entwurf schon hatten, ganz deutlich gesagt, was sie wollen. Sie wollen in ihrer Personalpolitik flexibel bleiben, sie wollen also die Vorteile der Vorruhestandsregelung für sich reklamieren; der eingentliche Grund, nämlich einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten, interessiert die deutschen Unternehmer, wie wir gehört haben, nur in minderem Umfang.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Und dann sind sie noch aus einem wirklich ganz wichtigen Grund gegen eine Kontrolle. Sie fürchten nämlich, so in der Anhörung gesagt, daß die qualitative Ausweitung der Mitbestimmung auf kaltem Wege einen unerhörten Machtzuwachs für die Betriebsräte bedeuten würde. Dies kann man natürlich nicht hinnehmen, wenn auf der anderen Seite so lächerliche Probleme wie die Arbeitslosigkeit stehen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, für uns hat die Wiederbesetzungspflicht und ihre Kontrolle entscheidende Bedeutung für den Komplex Vorruhestand. Die Bundesregierung und Sie, Herr Bundesarbeitsminister, verhöhnen den Grundgedanken des Vorruhestandes. Sie schaffen nämlich lediglich ein neues Instrument für bequemen Personalabbau.

    (Egert [SPD]: Ein Potemkinsches Dorf!)

    An diesem Entwurf ist ohnehin nur die Hälfte aller Arbeitnehmer interessiert, wenn überhaupt jemand interessiert ist; denn der öffentliche Dienst bleibt draußen, und rund 7 Millionen Beschäftigte arbeiten in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten. Dort liegt es in der Entscheidung des Unternehmers, ob die Vorruhestandsregelung angewandt wird, und die Entscheidung wird in der Regel nein heißen.
    Zu den Zahlen, die im Schwange sind: Der Entwurf geht davon aus, daß 65 % des Bruttoarbeitsentgeltes gezahlt werden sollen. Wie mir meine Kollegen von der NGG in Kiel vorgerechnet haben, sind das fast immer weit mehr als 100 bis 150 DM weniger als wir Sozialdemokraten mit unserem Entwurf vorgeschlagen hatten. Gänzlich unzumutbar finden wir die Zuschußregelung, die eigentlich einen Anreiz für Tarifverträge darstellen sollte. Sie wollen lediglich 40 % des Vorruhestandsgeldes als Zuschuß zahlen. Das sind rund 25% vom vorherigen Bruttolohn. Wir wollten zwei Drittel zahlen, und dies ist ein wesentlicher Unterschied für den Anreiz. Wir sagen ganz deutlich: Wenn sich die älteren Kollegen bereit erklären, für Jüngere, die arbeitslos sind, vorzeitig ihre Arbeit zu beenden, dann sollte man ihnen auch ein lukratives Angebot machen, und dies hat der Herr Bundesarbeitsminister nicht begriffen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Zu den 58jährigen ist schon ausgeführt worden, was diese Erhöhung von 58 auf 59 bedeutet. Es sind im anspruchsberechtigten Personenkreis allein 200 000 Personen weniger. Wir waren davon ausgegangen, daß das in den ersten Jahren 100 000 annehmen würden. Bei Ihrer Regelung ist anzunehmen, daß das niemand annehmen wird. Die Bundesanstalt für Arbeit — das sind doch wohl Fachleute — sagt, 59 sei indiskutabel, über 58 könne man reden — das haben wir vorgeschlagen —, noch besser sei 57.



    Heyenn
    Ich habe da etwas von einem Herrn Scharrenbroich gefunden, der Herrn Blüm nicht ganz unbekannt sein dürfte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!)

    Er hat am 28. Dezember 1983 geschrieben — und nach dem, was ich hier zitieren will, ist er ein guter Mann —:
    Beide Kongresse, CDU-Parteitag und CDA-Bundestagung, fordern einstimmig das 58. Lebensjahr.
    Er sagt weiter:
    Es entspräche nicht nur der Glaubwürdigkeit von Kongressen, sondern auch den Erfordernissen des Arbeitsmarktes, wenn man 59 wieder korrigieren würde.
    Ich glaube, das ist ein vernichtendes Urteil, einmal über den Bundesarbeitsminister und zum anderen über die Glaubwürdigkeit der CDU/CSU.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sie haben den Dukatenesel totgeschlagen!)

    Es empfiehlt sich noch nicht, auf die 59er-Regelung einzugehen; denn Sie haben es nicht geschafft, den Gesetzentwurf schon heute zur Beratung vorzulegen. Lassen Sie mich deshalb nur zwei Sätze dazu sagen. Die Verschlechterung der Altersrente mit 60 wäre überhaupt nicht nötig, wenn das Vorruhestandsgeld vernünftig konzipiert und finanziell attraktiv ausgestattet wäre. Deswegen haben wir auch keine Einschränkung der 59er-Regelung vorgesehen.

    (Dr. George [CDU/CSU]: Die SPD überweist das Geld!)

    Zusammenfassend noch einmal: Was ist arbeitsmarktpolitisch eine wirksame gesetzliche Rahmenregelung? Zu fordern sind strikte Wiederbesetzungspflicht, Altersgrenze bei 58, attraktives Versorgungsniveau, großzügiger Finanzierungsbeitrag des Staates, Weiterführung der Sozialversicherungsbeiträge.

    (Dr. George [CDU/CSU]: Und so weiter!)

    Wenn Sie den Maßstab dieser Forderungen an Ihren Gesetzentwurf anlegen, werden Sie mit mir gemeinsam zu der Schlußfolgerung kommem müssen, daß Sie diesen Entwurf, diesen vernünftigen Grundgedanken mit dem, wozu Lambsdorff und Stoltenberg den Herrn Blüm gezwungen haben, bis zur Bedeutungslosigkeit haben verkümmern lassen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend versuchen, die Geschichte dieses Vorruhestandes in wenigen Worten in einem Märchen zusammenzufassen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Heyenn als Märchentante! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Hören Sie mich zunächst mal an! — Dies ist das Märchen vom kleinen Norbert, vom großen Gerhard und vom Grafen, vom kleinen Norbert, der immer nur Gutes wollte für seine Arbeitnehmer, für
    seine Behinderten, für seine Rentner, vom großen Gerhard, der immer nur Großes für die Großen wollte und der mal gelesen hatte, Politik bedeute, keine Schulden zu machen, und vom Grafen, der auch viel mit Geld zu tun hatte.

    (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)

    Aber glücklich war der kleine Norbert nicht, denn da gab es eine Tradition,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: ... vom Vogel, der schon ausgeflogen ist!)

    und danach mußte er, wollte er Gutes tun, zunächst den großen Gerhard und den Grafen fragen. Solange der kleine Norbert zurückdenken konnte, — immer, wenn er Gutes tun wollte, hatten ihm der große Gerhard und der Graf bedeutet: Mache Schlechtes, kürze und kürze bei deinen Arbeitslosen, deinen Behinderten und deinen Rentnern. Aber Norbert war unverdrossen. Er fragte wieder: Darf ich Gutes tun?, und wieder durfte er nichts Gutes tun. Aber durfte er schon nichts Gutes tun, so wollte er doch wenigstens überhaupt etwas tun, wie er es immer getan hatte, denn vor dem Nichtstun hatte er die größte Angst. So tat er etwas, wie er es immer getan hatte. Er tat nichts Gutes, aber er tat, als sei es etwas besonders Gutes. — Dies ist der Versuch eines Märchens vom Vorruhestand.
    Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)