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    Plenarprotokoll 10/48 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3439 A Aktuelle Stunde betr. Affäre Kießling Bastian GRÜNE 3439 B Francke (Hamburg) CDU/CSU 3440 B Dr. Apel SPD 3441 A Ronneburger FDP 3442 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3443A Horn SPD 3444 B Hauser (Esslingen) CDU/CSU 3445 C Dr. von Bülow SPD 3446 B Wimmer (Neuss) CDU/CSU 3447 B Kolbow SPD 3448 B Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 3449 B Jungmann SPD 3449 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3450 D Berger CDU/CSU 3451 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand — Drucksache 10/880 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3452 C Lutz SPD 3457 A Müller (Remscheid) CDU/CSU 3459 D Hoss GRÜNE 3463 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 3465 C Heyenn SPD 3467 C Frau Seiler-Albring FDP 3469 D Egert SPD 3470 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Bericht über die Eröffnung der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa in Stockholm vom 17. bis 19. Januar 1984 Genscher, Bundesminister AA 3472 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 3475 C Rühe CDU/CSU 3478 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3481 B Schäfer (Mainz) FDP 3483 D Nächste Sitzung 3485 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3486*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3486* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 3439 48. Sitzung Bonn, den 20. Januar 1984 Beginn: 8.30 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 20. 1. Antretter* 20. 1. Bahr 20. 1. Bohl 20. 1. Brandt 20. 1. Brosi 20. 1. Büchner (Speyer) 20. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 20. 1. Dr. Enders* 20. 1. Ertl 20. 1. Gerlach (Obernau) 20. 1. Grünbeck 20. 1. Frau Dr. Hamm-Brücher 20. 1. Handlos 20. 1. Haungs 20. 1. Heimann 20. 1. Huonker 20. 1. Graf Huyn 20. 1. Jansen 20. 1. Jung (Düsseldorf) 20. 1. Kretkowski 20. 1. Kroll-Schlüter 20. 1. Landré 20. 1. Lenzer* 20. 1. Dr. Lippold 20. 1. Dr. h. c. Lorenz 20. 1. Offergeld 20. 1. Petersen 20. 1. Frau Potthast 20. 1. Rawe 20. 1. Reddemann* 20. 1. Reschke 20. 1. Reuschenbach 20. 1. Saurin 20. 1. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Scheer 20. 1. Schlaga 20. 1. Frau Schmedt (Lengerich) 20. 1. Schmidt (Hamburg) 20. 1. Schmidt (München)* 20. 1. Schmidt (Wattenscheid) 20. 1. Schröder (Lüneburg) 20. 1. Schröer (Mülheim) 20. 1. Dr. Solms 20. 1. Spilker 20. 1. Stockleben 20. 1. Vahlberg 20. 1. Voigt (Frankfurt) 20. 1. Dr. Voigt (Northeim) 20. 1. Voigt (Sonthofen) 20. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesminister für Wirtschaft hat dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mit Schreiben vom 23. Dezember 1983 eine Vorlage betreffend Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission wegen des deutschen Filmförderungsgesetzes übermittelt. Der Bundestagspräsident hat aufgrund von § 77 Abs. 2 GO entschieden, daß diese Vorlage nicht als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wird. Sie wurde den Fraktionen und dem Innenausschuß zugeleitet. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Fünfzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Verlängerung der Frist für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Republik Griechenland (Drucksache 10/799 Nr. 6)
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    Rede von Adolf Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lutz, mir wäre es lieber gewesen,

    (Dr. George [CDU/CSU]: Si tacuisses!)

    Sie hätten heute morgen das ehrliche Bemühen anerkannt, auf einem Gebiet flankierende Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen, anstatt es in Grund und Boden zu verdammen. Ich komme im Laufe meiner Rede noch darauf zurück.



    Müller (Remscheid)

    Die Fraktion der CDU/CSU nimmt mit großer Genugtuung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung nach intensiven Vorarbeiten und Kontakten mit den Sozialpartnern ihre im Mai 1983 in der Regierungserklärung von Helmut Kohl umrissenen allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Leitlinien noch vor der entscheidenden Tarifrunde 1984 in einem Gesetzentwurf zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand konkretisiert hat.
    Wir werten das geplante Vorruhestandsgesetz als ein seriöses, an die Sozialpartner gerichtetes Angebot zu einem umfassenden Solidarpakt, der die wirtschaftspolitischen und arbeitsmarktpolitischen Interessen beider Seiten genügend berücksichtigt. Der vorgesehene Zuschuß der Bundesanstalt für Arbeit trägt auch der Mitverantwortung des Staates für die Entwicklung des Arbeitsmarktes Rechnung.
    Die Vorruhestandsregelung bildet aber nur den ausfüllungs- und verbesserungsfähigen Rahmen einer konkreten Tarifvereinbarung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften,

    (Kolb [CDU/CSU]: Dort ist der wunde Punkt, genau!)

    die sich von dem gemeinsamen Streben nach sozialem Ausgleich und einem tragfähigen Kompromiß leiten lassen. Der Gesetzentwurf will lediglich Mindestbedingungen setzen, an deren Erfüllung die Zahlung des staatlichen Zuschusses geknüpft ist. Die CDU/CSU erwartet, daß die Tarifpartner kollektive Abreden treffen, die die Leistungen zugunsten des ausscheidenden Arbeitnehmers verbessern.
    Das vorliegende Angebot der Bundesregierung ist darüber hinaus das Ergebnis einer realitätsbezogenen Analyse der aktuellen und mittelfristig voraussehbaren Entwicklung des Wirtschaftswachstums und des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik. Der Gesetzentwurf nimmt — anders als der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten — auf die begrenzten finanziellen Mittel der öffentlichen Hand Rücksicht. Er trägt auch der immer noch labilen Verfassung der deutschen Wirtschaft Rechnung, die vor den schädlichen Folgen einer drastischen Kostensteigerung bewahrt bleiben muß.
    Für die Fraktion der CDU/CSU ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit die zentrale Aufgabe der Sozial- und Gesellschaftspolitik der 80er Jahre. Im Einklang mit dieser auch von Bundeskanzler Helmut Kohl vorrangig verfolgten Zielsetzung sehen wir in der Arbeitslosigkeit nicht nur ein wirtschaftliches Problem, wir erkennen sie als eine umfassende Herausforderung für die humanitäre Qualität unserer Industriegesellschaft.
    Niemand in der Union denkt deshalb daran, die Arbeitslosen ihrem Schicksal zu überlassen und nur naiv auf die sogenannten Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen. Ein solches passives Zuwarten stünde auch in einem krassen Gegensatz zu unseren sozialen Grundüberzeugungen. Wir haben den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschaffen und weiter ausgebaut.
    Deshalb bekennen wir uns vorbehaltlos zu seinen sozialethischen Verpflichtungen.
    Die von uns in nur 15 Monaten wieder auf eine solide wirtschaftliche und finanzielle Grundlage gestellte Sozial- und Gesellschaftspolitik steht, trotz gewandelter wirtschaftlicher und demographischer Bedingungen, nach wie vor unter dem Postulat des Ausgleichs sozialer Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichte. Nach unserem Grundwerteverständnis muß eine moderne und leistungsfähige Sozialpolitik immer gestaltende Elemente des solidarischen Ausgleichs zugunsten sozial Schwacher und Hilfsbedürftiger durch eine angemessene Belastung und Inpflichtnahme der finanziell und wirtschaftlich Starken und Leistungsfähigen enthalten. In Zeiten einer hohen durch schwierige und langwierige Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft verfestigten Arbeitslosigkeit sind alle am Wirtschaftsprozeß beteiligten gesellschaftlichen oder staatlichen Einrichtungen in die Pflicht genommen.
    Die Pflicht zum solidarischen Ausgleich trifft zunächst den Staat bei der Ausgestaltung seiner Sozialgesetzgebung. Sie erfaßt daneben die Sozialpartner bei der Vereinbarung der kollektiven Arbeitsbedingungen. Sie gilt schließlich auch für den einzelnen Arbeitnehmer, vor allem, was das Verhältnis von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsplatzsuchenden angeht.
    Das Vorruhestandsmodell der Bundesregierung als Teil einer arbeitsmarktpolitischen Gesamtstrategie steht im Einklang mit der zutreffenden Grundannahme, daß wir ein möglichst kräftiges Wirtschaftswachstum als notwendige Voraussetzung für die mittelfristige Überwindung unserer Beschäftigungskrise benötigen. Wachstum, qualitatives und quantitatives Wirtschaftswachstum, ist eine unverzichtbare, doch leider keineswegs ausreichende Bedingung für eine schrittweise Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes. Wir verschließen uns nicht der durch praktische Erfahrungswerte und wissenschaftliche Analysen erhärteten Erkenntnis, daß unter den tiefgreifend veränderten weltwirtschaftlichen und binnenwirtschaftlichen Bedingungen Wachstum alleine nicht mehr ausreicht, um allen Arbeitslosen wieder einen Dauerarbeitsplatz zu verschaffen. An der Notwendigkeit einer vernünftigen Arbeitszeitverkürzung geht gegenwärtig kein Weg vorbei.
    Wie aber soll eine pragmatische Sozial- und Gesellschaftspolitik, die auf wirtschaftliche Notwendigkeiten Rücksicht nimmt, auf diese Herausforderung konkret reagieren? Kein dem Gedanken der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit verpflichteter Politiker kann Trost in der Aussicht finden, daß Ende der 80er Jahre aus demographischen Gründen ein Umschwung auf dem Arbeitsmarkt bevorsteht.

    (Kolb [CDU/CSU]: Schneller, als wir glauben!)

    Wer unter Hinweis auf diese Entwicklung zum
    Nichtstun rät, offenbart vor allem Gleichgültigkeit
    gegenüber Millionen betroffener Arbeitnehmer, de-



    Müller (Remscheid)

    nen die Arbeitslosigkeit eine schwere finanzielle und psychische Last aufbürdet. Den Betroffenen, vor allem den jungen Leuten, die derzeit ohne Beschäftigung sind, muß jetzt geholfen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Mehrheit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktexperten rät zu einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit, weil man sich von dieser Spielart der Arbeitszeitverkürzung den zahlenmäßig größten und dauerhaftesten arbeitsmarktpolitischen Entlastungseffekt erhofft.
    Diese Form der Arbeitszeitverkürzung kann überdies der Zustimmung der großen Mehrheit der Arbeitnehmer sicher sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Arbeitnehmer begreifen die Verkürzung der Lebensarbeitszeit neben den segensreichen arbeitsmarktpolitischen Wirkungen mit Recht als einen willkommenen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens. Alle seriösen Meinungsumfragen signalisieren uns: die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ist vor allem bei älteren Arbeitnehmern, für die die Last eines langen Arbeitslebens mit den Jahren immer drückender wird, besonders populär. Es kann daher nicht überraschen, daß auch mehrere Gewerkschaften in Kenntnis der Stimmungslage ihrer Mitglieder bei nüchterner Abwägung der Chancen und Risiken jeder der konkurrierenden Formen der Arbeitszeitverkürzungen der Verkürzung der Lebensarbeitszeit den Vorrang vor einer Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich geben wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn sie es nur tun würden!)

    Angesichts dieser eindeutigen Ausgangslage hielt sich die Bundesregierung zu Recht gefordert, ein von einem breiten Konsens in der Bevölkerung getragenes Angebot zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit als Beitrag zur Milderung des Beschäftigungsproblems zu unterbreiten. Dürfte man allein auf den arbeitsmarktpolitischen Entlastungseffekt abstellen, erschiene eine Absenkung der flexiblen Altersgrenze in der Rentenversicherung auf mindestens 60 Jahre als besonders wirksames Instrument zu Lösung des Problems; denn eine Änderung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung käme mit einem Schlag rund 320 000 Arbeitnehmern zugute. Dieser bei vordergründiger Betrachtung naheliegende Weg ist aber durch die angespannte Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung leider verschlossen. Gegenwärtig und in absehbarer Zeit dürfen der Rentenversicherung keine zusätzlichen finanziellen Leistungen aufgebürdet werden. Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit muß für die Rentenversicherung kostenneutral sein. Selbst eine mit versicherungsmathematischen Abschlägen erkaufte Senkung der flexiblen Altersgrenze ist wegen der aktuellen Liquiditätsprobleme der Rentenversicherung zur Zeit nicht zu verwirklichen.
    Zur Abrundung des Bildes muß ehrlicherweise hinzugefügt werden: bei einem freiwilligen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und einem Eingehen in die Rente bereits mit 60 Jahren müßte die Rente mit versicherungsmathematischen Abschlägen um 21 % gekürzt werden. Diesen finanziellen Aderlaß können sich aber nur wenige Arbeitnehmer leisten, deren Grundversorgung mit einer zusätzlichen betrieblichen oder individuellen Altersversorgung aufgestockt wird.
    Der Beharrlichkeit des Bundesarbeitsministers ist es maßgeblich zu verdanken, daß die Bundesregierung jetzt und in den kommenden fünf Jahren einer besonders schutzbedürftigen Gruppe älterer Arbeitnehmer eine attraktive Alternative zur Absenkung der flexiblen Altersgrenze angeboten hat.
    Der nun vorliegende Entwurf eines Rahmengesetzes sichert den begünstigten älteren Arbeitnehmern die segensreichen Wirkungen einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit und bewahrt zugleich die gesetzliche Rentenversicherung vor unzumutbaren finanziellen Lasten. Das mutige Experiment, auf unkonventionelle Weise den Zielkonflikt zwischen arbeitsmarktpolitischer Entlastung und rentenpolitischer Kostenneutralität aufzulösen, wird jedoch nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die Tarifvertragsparteien den ihnen zugedachten Part in gesamtwirtschaftlich verantwortlicher Weise mitspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich glaube, es könnte sich als hilfreich erweisen, daß bei dem Grundgedanken des Vorruhestandsgesetzes das von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten entwickelte Modell einer sogenannten Tarifrente Pate gestanden hat. Der Gesetzgeber folgt hier der Erkenntnis, daß der Staat aus eigener Kraft, d. h. allein die schwierigen strukturellen Arbeitsmarktprobleme nicht bewältigen kann. Die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft bedarf zu ihrer Funktionsfähigkeit gerade in Krisenzeiten der aktiven Mitwirkung aller gesellschaftlichen Kräfte. Besonders den Sozialpartnern ist mit der Tarifautonomie ein wichtiges sozialpolitisches Gestaltungsmittel an die Hand gegeben. Sie tragen in besonderem Maße Mitverantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung und das Schicksal des Arbeitsmarktes.
    Die deutschen Gewerkschaften haben in der Krise bisher genügend Beweise ihres gesamtwirtschaftlichen Verantwortungsbewußtseins erbracht. Die maßvollen Tarifabschlüsse der letzten Jahre, insbesondere die Ergebnisse der Lohnrunde 1983, sprechen für sich. Sie legen Zeugnis für die tarifpolitische Einsicht ab, daß in wirtschaftlichen Krisenzeiten auch für den Arbeitnehmer begrenzte lohnpolitische Opfer nicht zu vermeiden sind.
    Dieses frühere Verhalten der Sozialpartner gibt also Anlaß zu der Hoffnung, daß Arbeitgeber und Gewerkschaften auch in diesem Jahr, in dem die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland an einem konjunkturellen Wendepunkt steht, ihren konstruktiven Beitrag zur Überwindung der Wirtschafts- und Beschäftigungskrise leisten werden.
    Wenn die Repräsentanten der Sozialpartner in der aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzung auch manchmal den Eindruck erwecken, als sei ein



    Müller (Remscheid)

    Arbeitskampf unvermeidbar, weil sich keiner kompromißbereit zeigt, so vertraue ich doch auf den Realitätssinn der Verantwortlichen. Denn keiner Seite kann daran gelegen sein, am Ende vor einem tarifpolitischen Scherbenhaufen zu stehen. Leidtragende eines langwierigen Arbeitskampfes, der das zarte Pflänzchen einer allmählich in Gang kommenden wirtschaftlichen Erholung auf breiter Front mit Sicherheit zerstören würde, wären immer die Mitglieder beider Kontrahenten. Einen Pyrrhussieg am Ende eines langen destruktiven Arbeitskampfes können weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer wünschen.
    Selbst auf die Gefahr hin, der tarifpolitischen Einmischung geziehen zu werden, Kollege Lutz, mache ich keinen Hehl aus meiner Präferenz für eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, so wie sie für begrenzte Zeit und für einen genau abgegrenzten Personenkreis unter Wahrung der Interessen der mittelständischen Betriebe mit der Vorruhestandsregelung der Bundesregierung angeboten wird. Ausschließlich diese Form der Arbeitszeitverkürzung schafft durch die bedingte Gewährung eines öffentlichen Zuschusses einen massiven Anreiz zur Wiederbesetzung des durch Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers freigewordenen Arbeitsplatzes. Bei keinem anderen Modell der Arbeitszeitverkürzung tritt die solidarische Verbundenheit zwischen den Generationen, also zwischen den jüngeren Arbeitsuchenden und den älteren Arbeitsplatzbesitzern deutlicher zutage.
    Aus ehrlicher Sorge um die arbeitsmarktpolitisch schädlichen Wirkungen einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich warne ich vor übertriebenen arbeitsmarktpolitischen Erwartungen, die mit der Einführung der 35Stunden-Woche verknüpft werden. Sie könnten sich sehr bald als gefährliche Illusion erweisen. Was Großbetriebe organisatorisch noch relativ problemlos verkraften könnten, würde in Klein- und Mittelbetrieben arbeitsmarktpolitisch schädliche Wirkungen auslösen. Arbeitszeitverkürzungen werden diese Betriebe mit Sicherheit zu forcierten Rationalisierungen zwingen, wobei die Gefahr des Verlustes weiterer Arbeitsplätze besteht.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Dort, wo sich Betriebe im Grenzbereich der Rentabilität bewegen,

    (Kolb [CDU/CSU]: Das sind sehr viele!)

    kann ein drastischer Kostenanstieg auf Grund einer massiven Wochenarbeitszeitverkürzung sogar existenzgefährdend wirken, und zwar existenzgefährdend für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Unternehmer zahlt mit dem Verlust seines Risikokapitals, der Arbeitnehmer verliert seinen Arbeitsplatz.
    Daß diese Gefahr überaus realistisch ist, beweist die erschreckende Statistik der Unternehmenszusammenbrüche der letzten Jahre, die erst in jüngster Zeit eine Tendenz zur Besserung erkennen läßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. George [CDU/CSU]: Auch Erblast!)

    Meine Damen und Herren, wie weit müssen sich einzelne Gewerkschaftsfunktionäre von den Interessen der Basis entfernt haben, daß sie diese Zusammenhänge schlicht leugnen oder als unerheblich abtun, die anstehende Tarifrunde zu einer politischen Auseinandersetzung hochstilisieren und den Anschein erwecken, als ginge es um Sein oder Nichtsein der Gewerkschaften!

    (Kolb [CDU/CSU]: Die kennen die Praxis nicht mehr, das ist das Problem!)

    Diese Propagandisten des Klassenkampfes sind innerhalb der Gewerkschaften zum Glück nur eine Minderheit.

    (Egert [SPD]: Nun wird es aber unanständig!)

    Ihre Lautstärke soll vor allem den geringen Rückhalt bei den organisierten Arbeitnehmern überspielen. Am Ende — dessen bin ich gewiß — werden sich die praktische Vernunft und der Realitätssinn der Mehrheit durchsetzen.
    Die vorliegende Ruhestandsregelung der Bundesregierung kann einen wichtigen Impuls zur Entkrampfung der tarifpolitischen Auseinandersetzung geben. Je intensiver die Tarifvertragsparteien bzw. einzelne Unternehmen und Arbeitnehmer von dem Angebot des Gesetzgebers Gebrauch machen, sich kollektivrechtlich oder durch Einzelarbeitsvertrag an der Vorruhestandsregelung zu beteiligen, desto nachhaltiger wird die Entlastungswirkung auf dem Arbeitsmarkt sein. Die insgesamt gesehen positive Reaktion von fünf Einzelgewerkschaften und die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeberseite stimmen hoffnungsfroh, daß das Experiment eines Beschäftigungspaktes von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften zum Wohl von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsuchenden gelingen wird.

    (Egert [SPD]: Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens!)

    — Jawohl, das ist der Wunsch. —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Nicht der Wunsch der Funktionäre!)

    Die CDU/CSU wird ihren Beitrag zu einer zügigen Beratung der Vorlage leisten,

    (Egert [SPD]: Aha!)

    damit sie noch vor der Osterpause verabschiedet werden kann. Wir werden auch, meine Damen und Herren, intensiv darüber nachdenken, ob sich die Attraktivität des Gesetzes durch Verbesserung im Detail bei Wahrung der haushaltspolitischen Seriosität noch erhöhen läßt.
    Ich danke ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand ist nach unserer Meinung in verschiedener Hinsicht wenig geeignet, eine Antwort auf die drängenden Probleme unserer Gesellschaft zu geben. Vielmehr erschwert er eher noch den Überblick über die Fülle von Vorschlägen, Anregungen und Gesetzentwürfen, die zur Bewältigung des gesamten Komplexes der Arbeitslosigkeit bis jetzt schon vorgelegt worden sind.
    Wenn wir GRÜNEN von Ruhestand reden oder wenn das ins Spiel gebracht wird, dann gehen wir von zwei wichtigen Bedingungen aus.
    Das eine ist die menschliche Seite, ist die Situation, wie wir sie in der Arbeitswelt vorfinden, ist die Art und Weise, wie wir mit immer unzumutbarer werdenden Zuständen, mit Zumutungen industrieller Wirklichkeit konfrontiert werden. Erst das zweite ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die uns anregen kann, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen.
    Ich denke, daß das erste, die Situation in der Arbeitswelt und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und die Arbeitnehmer, die gewichtigere Frage ist. Ich möchte sie nur ganz kurz dahin charakterisieren: 1962 sind von fünf Arbeitnehmern mehr als vier — statistisch — mit 65 Jahren in die Rente gegangen; 1983 war es von fünf Arbeitnehmern noch nicht einmal einer, der mit 65 Jahren in Rente ging. Die anderen sind vorher aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden und mußten ihren Arbeitsplatz zur Hälfte als Invaliden verlassen.

    (Dr. George [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Zurufe von den GRÜNEN)

    — Herr George, nicht ich habe diese Zahlen recherchiert, sondern die Zahlen stammen aus Untersuchungen.

    (Dr. George [CDU/CSU]: Die Schlüsse die Sie ziehen, sind falsch!)

    — Ich bin j a noch gar nicht fertig, und ich habe noch gar keinen Schluß gezogen. Sie müssen erst einmal zuhören.
    76,8% der Männer scheiden vor dem 63. Lebensjahr aus dem Arbeitsleben aus, und bei den Frauen sieht es nicht viel besser aus. Nach meinen Erfahrungen bezüglich der Stimmung in den Betrieben
    — Sie wissen, daß ich noch ein oder zwei Tage im Monat als Schlosser bei Daimler-Benz arbeite und direkten Kontakt habe — sind auch in der jetzigen Situation die Kollegen überwiegend der Meinung, daß die Altersgrenze generell herabgesetzt werden muß und nicht zeitlich begrenzt sein sollte. Sobald die Kollegen das 55. Lebensjahr erreicht haben, denken sie nur noch daran, wie sie möglichst schnell den Belastungen zu erträglichen Bedingungen entrinnen können. Die Tatsache, daß der vorliegende Entwurf nur eine zeitlich begrenzte Verrentung vorsieht, macht ihn nicht zu einem menschlichen Entwurf. Herr Blüm, dieser Entwurf stellt nicht den Menschen in den Mittelpunkt; hier macht
    sich bemerkbar, daß der Politiker den Gesetzentwurf geschrieben hat, denn hier wird der Mensch sozusagen zur Schachfigur auf dem Brett der Arbeitsmarktpolitik. Ich glaube, daß wir uns energisch davon absetzen müssen.
    Wir treten für eine Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze auf 58 Jahre zu zumutbaren Bedingungen ein.

    (Jagoda [CDU/CSU]: Was ist „zumutbar"?)

    — Dazu komme ich nachher, Herr Jagoda. — Wir wollen die Grenze nach oben hin offenhalten, denn wir sind der Auffassung, daß diejenigen, die weiterarbeiten wollen, die Möglichkeit haben sollen, im Arbeitsprozeß zu bleiben.
    Der vorliegende Entwurf ist schon unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten unzureichend; denn wenn man die Verrentung ab dem 59. Lebensjahr ermöglicht, kommt man — selbst wenn man großzügig rechnet — nur auf nahezu 200 000 Entlastungsarbeitsplätze, während man über 200 000 Arbeitsplätze mehr schaffen kann, wenn man die Verrentung ab dem 58. Lebensjahr ermöglicht. Dem stehen 200 000 arbeitslose Jugendliche unter 20 Jahren gegenüber, und wenn wir noch diejenigen Arbeitslosen, die zwischen 20 und 25 Jahre alt sind, dazurechnen, dann sind es 550 000 Jugendliche. Selbst wenn man unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten an die Verrentung herangeht, müßte man die Verrentung statt ab dem 59. Lebensjahr schon ab dem 58. Lebensjahr ermöglichen.
    In dem von der CDU/CSU und der FDP vorgelegten Entwurf gibt es noch einige andere Pferdefüße, auf die ich kurz eingehen möchte. Ich möchte zunächst auf die miesen materiellen Bedingungen zu sprechen kommen. Die Kollegen in den Betrieben empfinden es einfach als unzumutbar, daß nur 65% des Bruttogehalts gezahlt werden. Dieser Prozentsatz wird hier zwar als Mindestbedingung dargestellt, aber die Erfahrungen zeigen, daß solche einmal festgesetzten Mindestbedingungen sozusagen als Marge dienen, über die man nicht wesentlich hinausgehen kann.

    (Dr. George [CDU/CSU]: Daraus wird berechnet!)

    Ich nenne einen zweiten Gesichtspunkt: Wenn jemand in Rente geht, werden die Rentenbeiträge nicht auf der Grundlage des jeweiligen Bruttolohnes berechnet, sondern sie werden auf der Grundlage des nach Ihrem Entwurf auf 65 % herabgesetzten Vorruhestandsgeldes berechnet, was noch einmal zu einer Absenkung der Rente im allgemeinen führt. Das trägt aber auch zu einer Absenkung des Rentenniveaus insgesamt bei. Darüber müssen wir uns auch im klaren sein; das wurde hier noch gar nicht gesagt.
    Es ist weiter festzuhalten, daß in dem Entwurf kein gesetzlicher Anspruch auf das Vorruhestandsgeld und auf die Verrentung enthalten, sondern dies an die Zustimmung des Arbeitgebers und der Tarifpartner gebunden ist, was ein wesentlicher Mangel gegenüber unseren Vorschlägen einer generellen



    Hoss
    Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze von 63 Jahren auf 58 Jahre mit gesetzlicher Garantie ist.
    Ein weiteres Moment ist, daß in dem Entwurf versteckte Subventionen für die Unternehmer stekken. Zwar heißt es in dem Entwurf, daß der Unternehmer den Zuschuß von 40 % vom Bund nur dann bekommt, wenn er jemanden wieder einstelle; aber er muß ihn nur für zwei Jahre einstellen, den Anspruch auf den Zuschuß hat er dagegen für maximal sechs Jahre, wenn sich jemand mit 59 Jahren verrenten läßt und erst mit 65 Jahren in die ordentliche Rente geht. Das ist ein versteckter Zuschuß. Zusammenfassend möchte ich sagen: Dieser vorgelegte Entwurf ist so schlecht, daß die 59er Regelung immer noch besser ist.
    Die Regierung will sogar die 59er Regelung, die gewiß ihre Pferdefüße hat, abschaffen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sehr viele!)

    — Ich gebe Ihnen in der Frage durchaus recht. Die großen Betriebe können hierdurch Leute auf Kosten der Allgemeinheit, auf Kosten der Arbeitslosenfonds entlassen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Betriebsrat!)

    — Natürlich mit Betriebsrat, das will ich Ihnen gerne zugestehen.
    Ihr vorgelegter Entwurf ist so schlecht, daß die vorhandene Regelung immer noch besser ist. Trotzdem wollen Sie die 59er Regelung sogar abschaffen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Ich würde mit Ihnen gerne darüber reden, weil darin Dinge enthalten sind, die auch ich geändert haben möchte.
    Der vorliegende Entwurf hat, wenn man ihn untersucht, eher die Aufgabe, der Öffentlichkeit zu zeigen, daß die Bundesregierung auch auf arbeitsmarktpolitischem Gebiet in die Offensive gehen will, daß sie etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun will. Und er hat natürlich generell die Aufgabe, als Alternative zur 35-Stunden-Woche, die Bundeskanzler Kohl als „törichte Forderung" bezeichnet hat, sozusagen ein Gegengewicht darzustellen.
    Wir sind in einer Situation, daß die Öffentlichkeit, daß die Arbeiter und Angestellten in den Betrieben, daß die Bürger zur Zeit mit verschiedensten Modellen der Arbeitszeitverkürzung, der Flexibilisierung der Änderung des Arbeitszeitgesetzes, der Arbeitszeitordnung, der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und vieler anderer Dinge konfrontiert werden, die es ihnen sehr schwer machen, sich durch diesen Dschungel von Vorstellungen und Vorschlägen durchzufinden. Ich glaube, daß das ein Problem ist, das für alle Fraktionen gilt. Die ernste gesellschaftliche Frage der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit dürfen wir nicht als ein Problem des Parteienkampfes sehen — daß eine Partei einen Vorschlag bringt und eine andere etwas dagegen setzt, um politisch davon zu profitieren —, sondern wir müssen dahin zielen, den Betroffenen wirklich zu helfen und Maßnahmen zu finden, die uns weiterbringen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kolb [CDU/ CSU]: Und ob wir sie bezahlen können!)

    — Natürlich: und ob sie machbar sind.
    Ich stelle die Frage: Stimmt es denn wirklich, daß
    — nach Ihren Vorstellungen, Herr Blüm — die Arbeitsplatzvernichtung gestoppt wird, wenn die Alten aus den Betrieben früher herausgehen und Junge hereinkommen? Ist es nicht vielmehr so, daß wir den betrieblichen Ablauf und die heutige Produktion auf ein Tempo einstellen, das nur noch jüngere Arbeitnehmer leisten können und bei dem man sich als 50jähriger schon überflüssig vorkommt? Führt dieser Prozeß — wenn wir nur diesen Prozeß und nichts anderes ansehen —, den Sie hier einleiten wollen, nicht dazu, daß die Belastungen in den Betrieben noch größer werden und die Leute später nicht mit 59 oder 60 aus den Betrieben heraus müssen, sondern schon mit 55, weil sie kaputtgemacht werden?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweite Frage: Stimmt es denn wirklich — das richte ich an die Gewerkschaften und die Kollegen, die meinen, daß nur mit der 35-Stunden-Woche die Probleme zu lösen wären —, daß die 35-StundenWoche Arbeitsplätze in großem Maße schafft, wenn wir uns nur darauf verlassen, die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Diese Frage stelle ich angesichts von Beispielen, die ich in Nordwürttemberg/Nordbaden bei dem Tarifvertrag von 1974 — dem Lohnrahmentarifvertrag 2 — selbst erlebt habe. 1974 wurde hier durch die Einführung von acht Minuten Pause pro Stunde die Arbeitszeit pro Tag um 64 Minuten herabgesetzt, so daß unsere Arbeitswoche im Akkordbereich seit 1974 nur noch 34,40 Stunden betragen hat. Alle begleitenden Untersuchungen — zuletzt auch die Studie von Sofi in Göttingen — zeigen, daß das keine zusätzlichen positiven Beschäftigungswirkungen gehabt hat, sondern daß das einen Rationalisierungsschub ausgelöst hat. Auch die Gewerkschaften — das muß man sagen — haben im großen und ganzen nichts dagegen unternommen. Sie haben nichts getan, um diesen Rationalisierungsschub aufzuhalten, sondern sie haben das abgedeckt — das kann ich aus eigener betrieblicher Erkenntnis sagen — durch Ortsverwaltung und Vorstände der Gewerkschaft, die zugestimmt haben, daß bei uns in dem Moment, als die 8-MinutenPause eingeführt wurde, die Akkordverrechnungsgrenze aufgehoben wurde, so daß dann in 52 Minuten genausoviel Stücke hergestellt werden konnten wie vorher in 60 Minuten. Ich frage: Was bedeutet ein solcher Vorgang für den Menschen, für den Arbeiter im Produktionsprozeß? Unter dem Strich hat er davon nichts.
    Bevor ich zu dem eigentlichen Problem, das sich daraus ergibt, komme, noch eines: Herr Blüm und andere sprechen von der Flexibilisierung des Arbeitslebens. Zu diesem ganzen Komplex ist ein Arbeitszeitentwurf in Arbeit. Er liegt in den Grundzügen vor und ist in der Presse schon vorgestellt worden. Man will die Flexibilisierung der Arbeitszeit so



    Hoss
    gestalten, daß die Arbeit mehr der Produktion, dem Produktionsablauf, angepaßt wird. Das bedeutet, daß man in den Wochen, in denen viel Arbeit ist, maximal bis an 60 Stunden herangehen kann und daß man in den Wochen, in denen wenig Arbeit ist, auf 30 Stunden heruntergehen kann, so daß letzten Endes eine fixierte Jahresarbeitszeit erreicht wird, die aber durch diese Art von Flexibilisierung der Arbeitszeit so maximal und so intensiv genutzt wird, daß dabei wiederum die Unternehmen den Profit haben und die Betroffenen, die Arbeiter, maximal ausgelaugt und früher sozusagen rentenfähig werden.
    Ich glaube, eine solche Art von Flexibilisierung, die zu einer weiteren Vernutzung von Arbeitskraft führt, ist abzulehnen. Das alles führt zentral auf einen Punkt hin, der uns an die Ursachen der Arbeitslosigkeit heranführt. Es kommt nicht nur darauf an, auf Fehlentwicklungen in der Produktion zu reagieren. Wenn dort höhere Belastungen entstehen, Belastungen, die durch Rationalisierungsprozesse entstanden sind, kann man das nicht laufenlassen und darauf nur mit Arbeitszeitverkürzungen antworten. Vielmehr kommt es — und das ist in diesem ganzen Bereich unser Anliegen, das Anliegen der GRÜNEN — auf die zentrale Frage der Belastungen im Arbeitsprozeß an. Dort müssen wir ansetzen und Veränderungen herbeiführen, um eine menschliche Arbeitswelt zu erreichen, die dann auch eine größere Gesundheit und Einsparungen in anderen Bereichen ermöglicht. Herr Jagoda, das gehört mit zu diesem Komplex. Durch eine solche ökologische Arbeitspolitik muß man dahin kommen — ich sehe gerade, daß schon wieder das Licht aufleuchtet, und muß mich kurz fassen —, Fehlentwicklungen zu vermeiden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Noch ganz kurz zwei, drei Sätze: Wir werden diesen Entwurf, der vorliegt, durch Maßnahmen und Vorschläge, die in Arbeit sind, begleiten. Wir werden solche Vorschläge im Bereich der Flexibilisierung der Altersgrenze und im Bereich der Flexibilisierung in der Arbeitswelt, was die Arbeitszeit betrifft, rechtzeitig fertig haben. Wir werden Vorstellungen entwickeln, wie sich die einzelnen Arbeitnehmer in einer immer stärker militärisch erscheinenden Arbeitswelt flexibler bewegen können, wie sie mehr Möglichkeiten erhalten, unbezahlten Urlaub zu bekommen, mehr Spielraum — —