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ID1004804500

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    Plenarprotokoll 10/48 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3439 A Aktuelle Stunde betr. Affäre Kießling Bastian GRÜNE 3439 B Francke (Hamburg) CDU/CSU 3440 B Dr. Apel SPD 3441 A Ronneburger FDP 3442 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3443A Horn SPD 3444 B Hauser (Esslingen) CDU/CSU 3445 C Dr. von Bülow SPD 3446 B Wimmer (Neuss) CDU/CSU 3447 B Kolbow SPD 3448 B Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 3449 B Jungmann SPD 3449 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3450 D Berger CDU/CSU 3451 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand — Drucksache 10/880 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3452 C Lutz SPD 3457 A Müller (Remscheid) CDU/CSU 3459 D Hoss GRÜNE 3463 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 3465 C Heyenn SPD 3467 C Frau Seiler-Albring FDP 3469 D Egert SPD 3470 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Bericht über die Eröffnung der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa in Stockholm vom 17. bis 19. Januar 1984 Genscher, Bundesminister AA 3472 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 3475 C Rühe CDU/CSU 3478 D Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 3481 B Schäfer (Mainz) FDP 3483 D Nächste Sitzung 3485 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3486*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3486* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1984 3439 48. Sitzung Bonn, den 20. Januar 1984 Beginn: 8.30 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 20. 1. Antretter* 20. 1. Bahr 20. 1. Bohl 20. 1. Brandt 20. 1. Brosi 20. 1. Büchner (Speyer) 20. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 20. 1. Dr. Enders* 20. 1. Ertl 20. 1. Gerlach (Obernau) 20. 1. Grünbeck 20. 1. Frau Dr. Hamm-Brücher 20. 1. Handlos 20. 1. Haungs 20. 1. Heimann 20. 1. Huonker 20. 1. Graf Huyn 20. 1. Jansen 20. 1. Jung (Düsseldorf) 20. 1. Kretkowski 20. 1. Kroll-Schlüter 20. 1. Landré 20. 1. Lenzer* 20. 1. Dr. Lippold 20. 1. Dr. h. c. Lorenz 20. 1. Offergeld 20. 1. Petersen 20. 1. Frau Potthast 20. 1. Rawe 20. 1. Reddemann* 20. 1. Reschke 20. 1. Reuschenbach 20. 1. Saurin 20. 1. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Scheer 20. 1. Schlaga 20. 1. Frau Schmedt (Lengerich) 20. 1. Schmidt (Hamburg) 20. 1. Schmidt (München)* 20. 1. Schmidt (Wattenscheid) 20. 1. Schröder (Lüneburg) 20. 1. Schröer (Mülheim) 20. 1. Dr. Solms 20. 1. Spilker 20. 1. Stockleben 20. 1. Vahlberg 20. 1. Voigt (Frankfurt) 20. 1. Dr. Voigt (Northeim) 20. 1. Voigt (Sonthofen) 20. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesminister für Wirtschaft hat dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mit Schreiben vom 23. Dezember 1983 eine Vorlage betreffend Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission wegen des deutschen Filmförderungsgesetzes übermittelt. Der Bundestagspräsident hat aufgrund von § 77 Abs. 2 GO entschieden, daß diese Vorlage nicht als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wird. Sie wurde den Fraktionen und dem Innenausschuß zugeleitet. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Fünfzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Verlängerung der Frist für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Republik Griechenland (Drucksache 10/799 Nr. 6)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Egon Lutz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Jagoda, es ist nicht zu bestreiten, daß das unsere Intention war. Mittlerweile ist das dazu verkommen,

    (Dr. George [CDU/CSU]: Wie alles von Ihnen!)

    daß die Großbetriebe in der Tat die 59jährigen in den Vorruhestand schicken. Wenn Sie das jetzt unterbinden, erreichen Sie, daß mehr Arbeitslosigkeit bei den jungen Leuten entsteht.

    (Hornung [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)

    Ich frage Sie, ob das in der jetzigen Situation vernünftig ist. Man kann so etwas in anderen beschäftigungspolitischen Zeiten korrigieren. Es ist barer Unsinn, es jetzt zu korrigieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Weil es Unsinn ist, hat sich Herr Blüm das zu eigen gemacht — er macht das häufig — und wird es in Gesetzesform gießen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sie vertreten schlichtweg sozialen Mißbrauch!)

    Die Vorruhestandsregelung, die Sie in die parlamentarische Beratung einbringen wollen, diesen Wechselbalg der 59er Regelung, den Sie uns in der nächsten Woche unterschieben wollen, löst, meine ich, keines der drängenden beschäftigungspolitische Probleme. Auch Ihr Bestreben, den Jugendarbeitsschutz zu verbösern, das Arbeitsrecht für Schwerbehinderte auszuhebeln und eine ganze Reihe weiterer Arbeitsschutzbestimmungen zu kippen, kann von uns nicht als Schritt in die richtige Richtung empfunden werden.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wissen Sie überhaupt, was die richtige Richtung ist? Das haben Sie noch nie gewußt!)

    Im Gegenteil, Sie müssen mit unserem erbitterten Widerstand rechnen, wenn sie auf diesem Wege fortfahren, mit heiterem Gesicht und flinker Zunge den Sozialstaat öffentlich hinzurichten trachten.
    Wir kämpfen um jede Form von Arbeitszeitverkürzung,

    (Beifall bei der SPD)

    einmal mit dem Arbeitszeitgesetz, zum anderen mit einem vernünftigen Vorruhestandsgesetz, das von den Tarifvertragsparteien auch praktikabel gemacht werden kann. Herr Minister, wir würden Sie gern unserer Sachkunde teilhaftig werden lassen,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Um Gottes willen! — Bloß nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    weil wir immer noch hoffen, daß der Gewerkschaftler Blüm seine Rolle nicht gerade darin begreift, gegen die Politik seiner Gewerkschaft Sturm zu laufen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Der Lutz wird zum Luzifer! — Dr. George [CDU/CSU]: Das war ein doppelter Lutz!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Remscheid).

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    Rede von Adolf Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lutz, mir wäre es lieber gewesen,

    (Dr. George [CDU/CSU]: Si tacuisses!)

    Sie hätten heute morgen das ehrliche Bemühen anerkannt, auf einem Gebiet flankierende Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen, anstatt es in Grund und Boden zu verdammen. Ich komme im Laufe meiner Rede noch darauf zurück.



    Müller (Remscheid)

    Die Fraktion der CDU/CSU nimmt mit großer Genugtuung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung nach intensiven Vorarbeiten und Kontakten mit den Sozialpartnern ihre im Mai 1983 in der Regierungserklärung von Helmut Kohl umrissenen allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Leitlinien noch vor der entscheidenden Tarifrunde 1984 in einem Gesetzentwurf zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand konkretisiert hat.
    Wir werten das geplante Vorruhestandsgesetz als ein seriöses, an die Sozialpartner gerichtetes Angebot zu einem umfassenden Solidarpakt, der die wirtschaftspolitischen und arbeitsmarktpolitischen Interessen beider Seiten genügend berücksichtigt. Der vorgesehene Zuschuß der Bundesanstalt für Arbeit trägt auch der Mitverantwortung des Staates für die Entwicklung des Arbeitsmarktes Rechnung.
    Die Vorruhestandsregelung bildet aber nur den ausfüllungs- und verbesserungsfähigen Rahmen einer konkreten Tarifvereinbarung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften,

    (Kolb [CDU/CSU]: Dort ist der wunde Punkt, genau!)

    die sich von dem gemeinsamen Streben nach sozialem Ausgleich und einem tragfähigen Kompromiß leiten lassen. Der Gesetzentwurf will lediglich Mindestbedingungen setzen, an deren Erfüllung die Zahlung des staatlichen Zuschusses geknüpft ist. Die CDU/CSU erwartet, daß die Tarifpartner kollektive Abreden treffen, die die Leistungen zugunsten des ausscheidenden Arbeitnehmers verbessern.
    Das vorliegende Angebot der Bundesregierung ist darüber hinaus das Ergebnis einer realitätsbezogenen Analyse der aktuellen und mittelfristig voraussehbaren Entwicklung des Wirtschaftswachstums und des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik. Der Gesetzentwurf nimmt — anders als der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten — auf die begrenzten finanziellen Mittel der öffentlichen Hand Rücksicht. Er trägt auch der immer noch labilen Verfassung der deutschen Wirtschaft Rechnung, die vor den schädlichen Folgen einer drastischen Kostensteigerung bewahrt bleiben muß.
    Für die Fraktion der CDU/CSU ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit die zentrale Aufgabe der Sozial- und Gesellschaftspolitik der 80er Jahre. Im Einklang mit dieser auch von Bundeskanzler Helmut Kohl vorrangig verfolgten Zielsetzung sehen wir in der Arbeitslosigkeit nicht nur ein wirtschaftliches Problem, wir erkennen sie als eine umfassende Herausforderung für die humanitäre Qualität unserer Industriegesellschaft.
    Niemand in der Union denkt deshalb daran, die Arbeitslosen ihrem Schicksal zu überlassen und nur naiv auf die sogenannten Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen. Ein solches passives Zuwarten stünde auch in einem krassen Gegensatz zu unseren sozialen Grundüberzeugungen. Wir haben den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschaffen und weiter ausgebaut.
    Deshalb bekennen wir uns vorbehaltlos zu seinen sozialethischen Verpflichtungen.
    Die von uns in nur 15 Monaten wieder auf eine solide wirtschaftliche und finanzielle Grundlage gestellte Sozial- und Gesellschaftspolitik steht, trotz gewandelter wirtschaftlicher und demographischer Bedingungen, nach wie vor unter dem Postulat des Ausgleichs sozialer Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichte. Nach unserem Grundwerteverständnis muß eine moderne und leistungsfähige Sozialpolitik immer gestaltende Elemente des solidarischen Ausgleichs zugunsten sozial Schwacher und Hilfsbedürftiger durch eine angemessene Belastung und Inpflichtnahme der finanziell und wirtschaftlich Starken und Leistungsfähigen enthalten. In Zeiten einer hohen durch schwierige und langwierige Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft verfestigten Arbeitslosigkeit sind alle am Wirtschaftsprozeß beteiligten gesellschaftlichen oder staatlichen Einrichtungen in die Pflicht genommen.
    Die Pflicht zum solidarischen Ausgleich trifft zunächst den Staat bei der Ausgestaltung seiner Sozialgesetzgebung. Sie erfaßt daneben die Sozialpartner bei der Vereinbarung der kollektiven Arbeitsbedingungen. Sie gilt schließlich auch für den einzelnen Arbeitnehmer, vor allem, was das Verhältnis von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsplatzsuchenden angeht.
    Das Vorruhestandsmodell der Bundesregierung als Teil einer arbeitsmarktpolitischen Gesamtstrategie steht im Einklang mit der zutreffenden Grundannahme, daß wir ein möglichst kräftiges Wirtschaftswachstum als notwendige Voraussetzung für die mittelfristige Überwindung unserer Beschäftigungskrise benötigen. Wachstum, qualitatives und quantitatives Wirtschaftswachstum, ist eine unverzichtbare, doch leider keineswegs ausreichende Bedingung für eine schrittweise Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes. Wir verschließen uns nicht der durch praktische Erfahrungswerte und wissenschaftliche Analysen erhärteten Erkenntnis, daß unter den tiefgreifend veränderten weltwirtschaftlichen und binnenwirtschaftlichen Bedingungen Wachstum alleine nicht mehr ausreicht, um allen Arbeitslosen wieder einen Dauerarbeitsplatz zu verschaffen. An der Notwendigkeit einer vernünftigen Arbeitszeitverkürzung geht gegenwärtig kein Weg vorbei.
    Wie aber soll eine pragmatische Sozial- und Gesellschaftspolitik, die auf wirtschaftliche Notwendigkeiten Rücksicht nimmt, auf diese Herausforderung konkret reagieren? Kein dem Gedanken der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit verpflichteter Politiker kann Trost in der Aussicht finden, daß Ende der 80er Jahre aus demographischen Gründen ein Umschwung auf dem Arbeitsmarkt bevorsteht.

    (Kolb [CDU/CSU]: Schneller, als wir glauben!)

    Wer unter Hinweis auf diese Entwicklung zum
    Nichtstun rät, offenbart vor allem Gleichgültigkeit
    gegenüber Millionen betroffener Arbeitnehmer, de-



    Müller (Remscheid)

    nen die Arbeitslosigkeit eine schwere finanzielle und psychische Last aufbürdet. Den Betroffenen, vor allem den jungen Leuten, die derzeit ohne Beschäftigung sind, muß jetzt geholfen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Mehrheit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktexperten rät zu einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit, weil man sich von dieser Spielart der Arbeitszeitverkürzung den zahlenmäßig größten und dauerhaftesten arbeitsmarktpolitischen Entlastungseffekt erhofft.
    Diese Form der Arbeitszeitverkürzung kann überdies der Zustimmung der großen Mehrheit der Arbeitnehmer sicher sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Arbeitnehmer begreifen die Verkürzung der Lebensarbeitszeit neben den segensreichen arbeitsmarktpolitischen Wirkungen mit Recht als einen willkommenen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens. Alle seriösen Meinungsumfragen signalisieren uns: die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ist vor allem bei älteren Arbeitnehmern, für die die Last eines langen Arbeitslebens mit den Jahren immer drückender wird, besonders populär. Es kann daher nicht überraschen, daß auch mehrere Gewerkschaften in Kenntnis der Stimmungslage ihrer Mitglieder bei nüchterner Abwägung der Chancen und Risiken jeder der konkurrierenden Formen der Arbeitszeitverkürzungen der Verkürzung der Lebensarbeitszeit den Vorrang vor einer Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich geben wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn sie es nur tun würden!)

    Angesichts dieser eindeutigen Ausgangslage hielt sich die Bundesregierung zu Recht gefordert, ein von einem breiten Konsens in der Bevölkerung getragenes Angebot zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit als Beitrag zur Milderung des Beschäftigungsproblems zu unterbreiten. Dürfte man allein auf den arbeitsmarktpolitischen Entlastungseffekt abstellen, erschiene eine Absenkung der flexiblen Altersgrenze in der Rentenversicherung auf mindestens 60 Jahre als besonders wirksames Instrument zu Lösung des Problems; denn eine Änderung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung käme mit einem Schlag rund 320 000 Arbeitnehmern zugute. Dieser bei vordergründiger Betrachtung naheliegende Weg ist aber durch die angespannte Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung leider verschlossen. Gegenwärtig und in absehbarer Zeit dürfen der Rentenversicherung keine zusätzlichen finanziellen Leistungen aufgebürdet werden. Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit muß für die Rentenversicherung kostenneutral sein. Selbst eine mit versicherungsmathematischen Abschlägen erkaufte Senkung der flexiblen Altersgrenze ist wegen der aktuellen Liquiditätsprobleme der Rentenversicherung zur Zeit nicht zu verwirklichen.
    Zur Abrundung des Bildes muß ehrlicherweise hinzugefügt werden: bei einem freiwilligen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und einem Eingehen in die Rente bereits mit 60 Jahren müßte die Rente mit versicherungsmathematischen Abschlägen um 21 % gekürzt werden. Diesen finanziellen Aderlaß können sich aber nur wenige Arbeitnehmer leisten, deren Grundversorgung mit einer zusätzlichen betrieblichen oder individuellen Altersversorgung aufgestockt wird.
    Der Beharrlichkeit des Bundesarbeitsministers ist es maßgeblich zu verdanken, daß die Bundesregierung jetzt und in den kommenden fünf Jahren einer besonders schutzbedürftigen Gruppe älterer Arbeitnehmer eine attraktive Alternative zur Absenkung der flexiblen Altersgrenze angeboten hat.
    Der nun vorliegende Entwurf eines Rahmengesetzes sichert den begünstigten älteren Arbeitnehmern die segensreichen Wirkungen einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit und bewahrt zugleich die gesetzliche Rentenversicherung vor unzumutbaren finanziellen Lasten. Das mutige Experiment, auf unkonventionelle Weise den Zielkonflikt zwischen arbeitsmarktpolitischer Entlastung und rentenpolitischer Kostenneutralität aufzulösen, wird jedoch nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die Tarifvertragsparteien den ihnen zugedachten Part in gesamtwirtschaftlich verantwortlicher Weise mitspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich glaube, es könnte sich als hilfreich erweisen, daß bei dem Grundgedanken des Vorruhestandsgesetzes das von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten entwickelte Modell einer sogenannten Tarifrente Pate gestanden hat. Der Gesetzgeber folgt hier der Erkenntnis, daß der Staat aus eigener Kraft, d. h. allein die schwierigen strukturellen Arbeitsmarktprobleme nicht bewältigen kann. Die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft bedarf zu ihrer Funktionsfähigkeit gerade in Krisenzeiten der aktiven Mitwirkung aller gesellschaftlichen Kräfte. Besonders den Sozialpartnern ist mit der Tarifautonomie ein wichtiges sozialpolitisches Gestaltungsmittel an die Hand gegeben. Sie tragen in besonderem Maße Mitverantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung und das Schicksal des Arbeitsmarktes.
    Die deutschen Gewerkschaften haben in der Krise bisher genügend Beweise ihres gesamtwirtschaftlichen Verantwortungsbewußtseins erbracht. Die maßvollen Tarifabschlüsse der letzten Jahre, insbesondere die Ergebnisse der Lohnrunde 1983, sprechen für sich. Sie legen Zeugnis für die tarifpolitische Einsicht ab, daß in wirtschaftlichen Krisenzeiten auch für den Arbeitnehmer begrenzte lohnpolitische Opfer nicht zu vermeiden sind.
    Dieses frühere Verhalten der Sozialpartner gibt also Anlaß zu der Hoffnung, daß Arbeitgeber und Gewerkschaften auch in diesem Jahr, in dem die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland an einem konjunkturellen Wendepunkt steht, ihren konstruktiven Beitrag zur Überwindung der Wirtschafts- und Beschäftigungskrise leisten werden.
    Wenn die Repräsentanten der Sozialpartner in der aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzung auch manchmal den Eindruck erwecken, als sei ein



    Müller (Remscheid)

    Arbeitskampf unvermeidbar, weil sich keiner kompromißbereit zeigt, so vertraue ich doch auf den Realitätssinn der Verantwortlichen. Denn keiner Seite kann daran gelegen sein, am Ende vor einem tarifpolitischen Scherbenhaufen zu stehen. Leidtragende eines langwierigen Arbeitskampfes, der das zarte Pflänzchen einer allmählich in Gang kommenden wirtschaftlichen Erholung auf breiter Front mit Sicherheit zerstören würde, wären immer die Mitglieder beider Kontrahenten. Einen Pyrrhussieg am Ende eines langen destruktiven Arbeitskampfes können weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer wünschen.
    Selbst auf die Gefahr hin, der tarifpolitischen Einmischung geziehen zu werden, Kollege Lutz, mache ich keinen Hehl aus meiner Präferenz für eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, so wie sie für begrenzte Zeit und für einen genau abgegrenzten Personenkreis unter Wahrung der Interessen der mittelständischen Betriebe mit der Vorruhestandsregelung der Bundesregierung angeboten wird. Ausschließlich diese Form der Arbeitszeitverkürzung schafft durch die bedingte Gewährung eines öffentlichen Zuschusses einen massiven Anreiz zur Wiederbesetzung des durch Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers freigewordenen Arbeitsplatzes. Bei keinem anderen Modell der Arbeitszeitverkürzung tritt die solidarische Verbundenheit zwischen den Generationen, also zwischen den jüngeren Arbeitsuchenden und den älteren Arbeitsplatzbesitzern deutlicher zutage.
    Aus ehrlicher Sorge um die arbeitsmarktpolitisch schädlichen Wirkungen einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich warne ich vor übertriebenen arbeitsmarktpolitischen Erwartungen, die mit der Einführung der 35Stunden-Woche verknüpft werden. Sie könnten sich sehr bald als gefährliche Illusion erweisen. Was Großbetriebe organisatorisch noch relativ problemlos verkraften könnten, würde in Klein- und Mittelbetrieben arbeitsmarktpolitisch schädliche Wirkungen auslösen. Arbeitszeitverkürzungen werden diese Betriebe mit Sicherheit zu forcierten Rationalisierungen zwingen, wobei die Gefahr des Verlustes weiterer Arbeitsplätze besteht.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Dort, wo sich Betriebe im Grenzbereich der Rentabilität bewegen,

    (Kolb [CDU/CSU]: Das sind sehr viele!)

    kann ein drastischer Kostenanstieg auf Grund einer massiven Wochenarbeitszeitverkürzung sogar existenzgefährdend wirken, und zwar existenzgefährdend für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Unternehmer zahlt mit dem Verlust seines Risikokapitals, der Arbeitnehmer verliert seinen Arbeitsplatz.
    Daß diese Gefahr überaus realistisch ist, beweist die erschreckende Statistik der Unternehmenszusammenbrüche der letzten Jahre, die erst in jüngster Zeit eine Tendenz zur Besserung erkennen läßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. George [CDU/CSU]: Auch Erblast!)

    Meine Damen und Herren, wie weit müssen sich einzelne Gewerkschaftsfunktionäre von den Interessen der Basis entfernt haben, daß sie diese Zusammenhänge schlicht leugnen oder als unerheblich abtun, die anstehende Tarifrunde zu einer politischen Auseinandersetzung hochstilisieren und den Anschein erwecken, als ginge es um Sein oder Nichtsein der Gewerkschaften!

    (Kolb [CDU/CSU]: Die kennen die Praxis nicht mehr, das ist das Problem!)

    Diese Propagandisten des Klassenkampfes sind innerhalb der Gewerkschaften zum Glück nur eine Minderheit.

    (Egert [SPD]: Nun wird es aber unanständig!)

    Ihre Lautstärke soll vor allem den geringen Rückhalt bei den organisierten Arbeitnehmern überspielen. Am Ende — dessen bin ich gewiß — werden sich die praktische Vernunft und der Realitätssinn der Mehrheit durchsetzen.
    Die vorliegende Ruhestandsregelung der Bundesregierung kann einen wichtigen Impuls zur Entkrampfung der tarifpolitischen Auseinandersetzung geben. Je intensiver die Tarifvertragsparteien bzw. einzelne Unternehmen und Arbeitnehmer von dem Angebot des Gesetzgebers Gebrauch machen, sich kollektivrechtlich oder durch Einzelarbeitsvertrag an der Vorruhestandsregelung zu beteiligen, desto nachhaltiger wird die Entlastungswirkung auf dem Arbeitsmarkt sein. Die insgesamt gesehen positive Reaktion von fünf Einzelgewerkschaften und die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeberseite stimmen hoffnungsfroh, daß das Experiment eines Beschäftigungspaktes von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften zum Wohl von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsuchenden gelingen wird.

    (Egert [SPD]: Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens!)

    — Jawohl, das ist der Wunsch. —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Nicht der Wunsch der Funktionäre!)

    Die CDU/CSU wird ihren Beitrag zu einer zügigen Beratung der Vorlage leisten,

    (Egert [SPD]: Aha!)

    damit sie noch vor der Osterpause verabschiedet werden kann. Wir werden auch, meine Damen und Herren, intensiv darüber nachdenken, ob sich die Attraktivität des Gesetzes durch Verbesserung im Detail bei Wahrung der haushaltspolitischen Seriosität noch erhöhen läßt.
    Ich danke ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)