Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt für das Jahr 1984 hat, so haben wir von der Regierungskoalition erfahren, die Aufgabe, die sich etwa als Fernhaltung der Krisen in der Welt von den Unternehmen der Bundesrepublik, also als Reduzierung der Krisenwirkungen im Inland, beschreiben läßt. Er hat weiter die Aufgabe, Optimismus zu verbreiten, ohne daß jemand sagen könnte, Optimismus sei bereits Politik.
Herr Schäuble hat vorhin erklärt, dieser Haushalt sei Ausdruck einer konsequenten Konsolidierungspolitik. Ich glaube, daß das stimmt. Herr Hoppe hat sich ähnlich geäußert, indem er von einer Stabilisierung des Aufschwungs gesprochen hat. Der Kollege Hoss hat gestern zur Stabilisierung und Konsolidierung einer Wirtschaft erklärt, wie aggressiv der Charakter der industriellen Kultur und Produktion in dieser Gesellschaft ist. Dieser Haushalt wird die Krisen, die das industrielle System verursacht hat, nicht beseitigen und nicht lösen können.
Ich will in wenigen Stichworten die vier Hauptkrisen, die zur Zeit die Welt bewegen, nennen.
Die meiner Meinung nach wichtigste Krise ist die Krise der internationalen Zerstörung der Arbeit. Die Zerstörung der Arbeit begann und geht auch heute noch ganz stark in den Ländern der Dritten Welt weiter. Sie führt hin zum Welthunger. 15 Millionen Kinder verhungern jährlich, meldet die „Frankfurter Rundschau" heute. Sie geht weiter in der Technologieentwicklung der Machteliten hier bei uns, in den USA und anderen sogenannten entwickelten Ländern. Sie endet hier bei der Arbeitslosigkeit.
Der zweite Bereich internationaler Krisen ist der der Zerstörung der Natur, hier, wie außerhalb Europas, zu Lande, zu Meere und in der Luft. Die Ursachen sind bekannt: Die Technologie, die wir hier haben, das industrielle System, zerstört Natur durch Rohstoffausbeutung, Energietransfer, Umweltbelastung, Boden-, Wasser- und Luftbelastung mit den Folgewirkungen. Das sind Zerstörungen, die ungeheure Ausmaße ereichen werden und in Teilen schon erreicht haben. Wir kennen das aus der Bundesrepublik und auch weltweit, mindestens seit der Studie „GLOBAL 2000", dem Bericht an den Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Die dritte Krise ist die Krise der Verwertung des Kapitals, die Krise, die sich in dem internationalen Zins- und Schuldenverkehr deutlich ausdrückt: hohe Verschuldung all überall, hohe Zinsen in den USA, auch hier noch, Kapitalbewegungen mit der Konzentration in den USA. Die Folge ist eine Verpulverung des Kapitals — weil es anders nicht mehr geht — in Rüstungsbereichen, der Beginn der Rüstungs-und-Kapital-Spirale in den USA, Haushaltsdefizite usw.
Die Entwicklung dieser aggressiven Industrie führt letzten Endes zur dritten Krise, zur Krise der Verteilung der Welt.
Die Krise der Verteilung der Welt haben wir vor zwei Wochen hier diskutiert. Sie führt zu aggressiven Handlungen gegenüber Menschen, gegenüber der Erde, zum Aufbau eines aggressiven Potentials, was wir so nicht mitmachen können.
Herr Dregger selber hat hier erläutert, daß diese Aggression, diese Aggressivität des Systems notwendig sei, weil doch — und das ist am 21. November dieses Jahres hier gesagt worden — die Länder des Westens existenziell auf die Energie- und Rohstoffzufuhren aus anderen Erdteilen angewiesen seien. Wenn diese sich weigern, wird die Aggressivität möglicherweise — zum Teil haben wir es
3290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1983
Dr. Jannsen
in Grenada erlebt, zum Teil befürchten wir es in Nicaragua — in Aggression umschlagen.
— Herr Dregger, wenn Sie nur Tatsachen beschreiben und nicht bereit sind, darüber nachzudenken und die Konsequenzen von Entwicklungen mit uns zu diskutieren, dann tut es mir leid. Tatsachen alleine vorzutragen ist noch keine Politik.
Jedenfalls stellt sich die Situation nach der Vorlage des Haushalts, der in wenigen Minuten hier verabschiedet werden wird, so dar, daß die soziale Chirurgie der Koalition den Kranken, die deutsche und die Weltwirtschaft, nicht heilen wird. Sie wird vielleicht bis hin zu einer Phase der Rekonvaleszenz, wie Herr Stoltenberg das genannt hat, führen; aber ich glaube, die Chirurgie ist nicht das richtige Instrument. Man sollte vielleicht ernsthaft darüber nachdenken — und das meine ich jetzt nicht als Scherz —, ob — um im Bild zu bleiben — nicht einmal Akupunktur ein sinnvoller Versuch wäre,
um, wie es Herr Kollege Hoss bereits gestern angedeutet hatte, den weichen Weg einer Entwicklung vorzubereiten, der dadurch bestimmt sein kann, daß wir beginnen, selber die Zerstörung unserer Fähigkeiten, die die Industriegesellschaft hervorgebracht hat, aufzuheben, indem wir selber tätig werden, indem wir Abhängigkeiten, in denen wir uns befinden, abbauen, indem wir unsere eigene Lebenswirklichkeit gestalten und sie nicht verdammt, verteufelt und verfolgt, in die Schattenwirtschaft hinein getrieben sehen. Diese Schattenwirtschaft ist ein Teil der selbständigen Tätigkeit der Menschen für sich, ihre Freunde, ihre Umgebung.
Dieser Weg, Herr Schäuble, ist mit Sicherheit kein einfacher und bequemer Weg, sondern dieser Weg ist ein harter, anstrengender und arbeitsreicher Weg.
Da Sie unsere sämtlichen Anträge, die ein Versuch waren, einige Punkte dieses Weges zu beschreiben, abgelehnt haben, werden Sie verstehen können, daß wir der Haushaltsvorlage insgesamt nicht zustimmen können.