Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein, der Herr Spöri hat mich so gestört, daß er jetzt nicht das Wort zu einer Zwischenfrage bekommt.
Herr Kollege Apel, Sie haben die Situation der Gemeindefinanzen angesprochen. Sie haben davon gesprochen, daß die Gemeindehaushalte durch explodierende Sozialausgaben belastet sind. Das ist richtig. Sie sollten doch aber bei der Frage der Belastung der öffentlichen Haushalte durch die explodierenden Sozialausgaben nicht übersehen, daß auch diese explodierenden Sozialausgaben zum überwiegenden Teil eine Folge der von Ihnen verursachten Massenarbeitslosigkeit sind.
Die Begleitgesetze zum Haushalt 1984 beinhalten ja eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen — genau, wie es schon in den Begleitgesetzen zum Haushalt 1983 der Fall war —, mit denen wir die Gemeindehaushalte von Ausgaben entlasten. Meine Damen und Herren, ich sage auch dieses: Auch die Problematik der kommunalen Haushalte wird nicht in erster Linie durch eine Erhöhung der Einnahmen,
3282 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1983
Dr. Schäuble
sondern nur durch eine Begrenzung der Ausgaben zu lösen sein.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir über das Thema der Arbeitszeit und über das Thema der Rückgewinnung der Vollbeschäftigung miteinander nachdenken, müssen wir, wie ich glaube, noch einmal über den Satz des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Brandt reden, der ja eine staatliche Vollbeschäftigungsgarantie abgegeben hat. Ich glaube, daß wir den Irrsinn dieser staatlichen Vollbeschäftigungsgarantie beseitigen müssen. Der Staat kann in einer Sozialen Marktwirtschaft Vollbeschäftigung nicht garantieren. Der Staat kann den Tarifpartnern Mitverantwortung für die Vollbeschäftigung nicht abnehmen. Dies gilt für die Frage der Arbeitszeit genauso wie für die Frage der Lohnpolitik.
Wenn wir gegen Ende dieser langen Haushaltsdebatte darüber nachdenken, wo die Unterschiede zwischen Koalition und Opposition liegen und wo die Notwendigkeit zur Gemeinsamkeit besteht, dann sollten Sie, Herr Kollege Apel und meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, doch einmal darüber nachdenken, ob es nicht einen Grundkonsens zwischen den großen Fraktionen dieses Hauses geben sollte, und zwar dahin gehend, an die Tarifpartner gemeinsam zu appellieren, ihre Verantwortung für die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung wahrzunehmen, nicht aber Klassenkampf zu predigen, sondern vielmehr bei unserem Bemühen um mehr Partnerschaft mitzumachen.
Wir haben unsere Politik auf Gemeinsamkeit angelegt. Wir sagen nicht — wie es ein früherer Vorsitzender Ihrer Fraktion gesagt hat —, wir brauchten die Opposition nicht. Wir brauchen die Opposition. Für das Vertrauen, für die Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist es wichtig, daß es eine demokratische Alternative gibt, ohne daß bei dieser Alternative die Beständigkeit völlig verlorenginge. Das gilt in der Außenpolitik so sehr wie etwa in der Wirtschaftspolitik für das Investitionsklima.
Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Sie beinhaltet damit die Möglicheit des Wechsels. Wer langfristige Investitionsentscheidungen zu treffen hat, braucht Vertrauen. Er braucht das Vertrauen, daß die Rahmenbedingungen auch dann noch investitionsfreundlich bleiben, wenn es zu einem demokratischen Wechsel kommen sollte. Wir haben aus der britischen Geschichte doch erlebt, wie das Investitionsklima zerstört wird, wenn alle vier Jahre das Gegenteil betrieben wird. Deswegen appelliere ich an die Sozialdemokraten, auch in der Wirtschaftspolitik zu einem gemeinsamen Grundkonsens zurückzukehren.
Ein gemeinsamer Grundkonsens der großen demokratischen Parteien wird auch die Solidarität der Tarifpartner fördern. Und wir brauchen Gemeinsamkeit auch wieder in den Grundfragen der Außenpolitik.
Die Bundesrepublik Deutschland ist unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl wieder ein verläßlicher Freund für den Westen und ein berechenbarer Partner für den Osten geworden.
Das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland ist wiederhergestellt. Aber es gibt Zweifel, was im Falle eines demokratischen Wechsels in der Bundesregierung geschehen würde. Daran knüpfen sich bei manchen vielfach auch Hoffnungen, aber es knüpfen sich daran eben auch viele Besorgnisse bei unseren Freunden.
Ich habe in den Tagen der leidenschaftlichen Debatten noch einmal die Rede nachgelesen, die Herbert Wehner am 30. Juni 1960 an dieser Stelle gehalten hat. Ich finde, Sie alle von der sozialdemokratischen Fraktion sollten sich in der bevorstehenden Weihnachtspause die Muße nehmen, mit allem Ernst noch einmal nachzulesen, was damals Wehner über die Notwendigkeit eines Grundkonsens in den Fragen der nationalen Sicherheit und der Außen- und Sicherheitspolitik gesagt hat.
Die deutschen Sozialdemokraten haben sich in den letzten Wochen mit rasanter Geschwindigkeit von den Grundlagen gemeinsamer Außenpolitik verabschiedet. Das mag sie zwar — das ist dann parteipolitisch für uns vielleicht gar nicht schlecht — von der Regierungsverantwortung noch für lange Zeit fernhalten. Aber es erfüllt alle, die an das Ganze denken, mit Sorge. Es beeinträchtigt Vertrauen im In- und Ausland. Und, meine Damen und Herren von der Koalition, es erhöht unsere Verantwortung. Ich sage das überhaupt nicht triumphierend, sondern eher nachdenklich und besorgt: Es gibt zur Koalition der Mitte derzeit keine verantwortbare demokratische Alternative.
Ich sage es auch ganz leise an uns selbst: Jeder in unseren eigenen Reihen, meine Freunde, muß daran denken und muß das bei allem, was wir tun was wir reden, beherzigen. Wir tragen eine schwere Last.
— Herr Kollege Apel, ich möchte keine Zwischenfrage mehr zulassen.
Das Schlimmste an der Erblast, die Sie uns hinterlassen haben, ist, daß Sie unser Volk daran gewöhnen wollten, scheinbar bequeme Auswege zu gehen.