Rede von
Wolfgang
Mischnick
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen ist über den Punkt, über den wir hier zu diskutieren haben, viel gesagt, aber auch viel Qualm verbreitet worden. Tatsache ist, daß ein Ermittlungsverfahren laut Beschluß der Staatsanwaltschaft in Bonn seit dem 14. Januar 1982 läuft und nunmehr abgeschlossen ist, daß aber das Ergebnis noch nicht dem Beschuldigten im Wortlaut bis zu dieser Stunde zur Kenntnis gekommen ist.
Tatsache ist, daß bis heute deshalb von dem Beschuldigten eine Wertung nicht erfolgen konnte.
Tatsache ist, daß im Gegensatz zu den täglich überall in der Bundesrepublik Deutschland laufenden Ermittlungsverfahren bei diesem Verfahren immer wieder Teile der Ermittlungen, Teile der Aussagen in die Öffentlichkeit gelangten und in verschiedenen Zeitschriften nachzulesen sind.
Tatsache ist, daß — in einem Buch zusammengefaßt — diese „Sickerprodukte" kurz nach der Pressekonferenz der Staatsanwälte
käuflich zu erwerben sind. Tatsache ist, daß der Wortlaut von Vernehmungen auch von Kollegen dieses Hauses in diesem Buch nachgelesen werden kann.
Tatsache ist, daß sich ein Untersuchungsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags mit den undichten Stellen befaßte. Wie meistens bei solchen Untersuchungen ist ein klares Ergebnis nicht zustande gekommen.
Tatsache ist, daß das zuständige Justizministerium in Nordrhein-Westfalen es nach diesen Erfahrungen mit undichten Stellen im Ermittlungsablauf, wie das bisher bei keinem Ermittlungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten war, nicht für notwendig hielt, wenigstens nach Abschluß der Ermittlungen Vorsorge zu treffen. Warum hat das nordrhein-westfälische Justizministerium nicht sichergestellt, daß die Pressekonferenz der Staatsanwälte erst nach Zustellung der Anklageschrift an alle Beschuldigten stattfand?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Justizministerium in Düsseldorf von der Absicht der Abhaltung einer Pressekonferenz nicht unterrichtet worden ist.
3266 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1983
Mischnick
Ich kritisiere, daß sich das zuständige Ministerium trotz aller Erfahrungen der letzten Monate nicht rechtzeitig eingeschaltet hat, nicht — um dieser Deutung vorzubeugen — um das Ermittlungsverfahren zu beeinflussen, sondern um Schaden von der Justiz abzuwenden, der durch den Zeitpunkt und die Art der öffentlichen Darstellung entstanden ist.
Dies ist nicht die Bewertung, wie wir hier mehrfach gehört haben, wie ich wiederhole, der politischen Freunde von Graf Lambsdorff allein, sondern das entspricht genau der Bewertung eines hessischen Generalstaatsanwaltes, seines Stellvertreters und eines weiteren leitenden Staatsanwalts. Ich setze mich nicht mit den Staatsanwälten auseinander, sondern ich setze mich mit der auf sichtführenden Ministerin auseinander. Sie hat leider keine Gelegenheit genommen, als Bundesratsmitglied zu diesen Fragen in den letzten Tagen hier Stellung zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Tatsache ist, daß wir als Parlamentarier nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, diese, wie ich meine, schlimmen Erfahrungen zu diskutieren, damit sie nicht zum Normalfall und damit in Zukunft zum Schaden aller Angeschuldigten
werden können. Dies festzustellen ist kein unzulässiger Eingriff in unser Rechtssystem, sondern es dient der Bewahrung unseres Rechtssystems, damit die kritisierte Art nicht zum Regelfall des Vorgehens für die Zukunft wird.
Tatsache ist aber auch, daß aus der Niederschrift und den Berichten über die Pressekonferenz der Staatsanwälte hervorgeht, daß die Staatsanwaltschaft also nicht davon ausgehe, daß diese Vorteile Einfluß genommen hätten, sondern lediglich davon, daß sie hätten Einfluß nehmen können; dies sei ganz entscheidend.
Weiter müsse betont werden, daß nicht davon ausgegangen werden könne, daß mit den qualifizierenden Momenten zwangsläufig auch eine Pflichtwidrigkeit der Angeschuldigten angenommen worden sei. — Ich betone dies alles, weil diese Teile, die ich jetzt bringe, kaum in irgendeiner Veröffentlichung zu lesen waren. —
Man habe keine Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei den Zuwendungen um Vorteile gehandelt habe, die von den Betroffenen in die eigene Tasche geleitet worden seien. Die Staatsanwaltschaft gehe überhaupt nicht von einem eigennützigen Verhalten aus; es sei auch zu keiner Zeit erwogen worden, dies zu unterstellen. Die Staatsanwaltschaft sei nicht von einem pflichtwidrigen Verhalten der Amtsträger ausgegangen; anderenfalls hätte man die Geschehnisse auch unter anderen Gesichtspunkten gewürdigt. Die Staatsanwaltschaft gehe — auf Zusatzfragen — nicht davon aus, daß die Gelder eigennützig verwandt worden seien. Man lege sehr großen Wert auf die Feststellung, daß die Angeschuldigten jedes Verschulden bestreiten; insbesondere werde bestritten, daß man irgendwelches Geld entgegengenommen habe. Wenn man schon versucht, über das, was in der Pressekonferenz gesagt worden ist, Urteile oder Vorurteile zu bilden, sollte man alle Punkte, die dort festgestellt worden sind, zur eigenen Urteilsbildung mit einbeziehen.
Tatsache ist, daß der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, immer erklärt hat, daß er nach Kenntnis der Anklageschrift mit dem Bundeskanzler und mit dem Vorsitzenden der Freien Demokraten, Hans-Dietrich Genscher, über seine und seiner Anwälte Bewertung sprechen wird und danach seine Entscheidungen treffen wird. Dies gilt für jedes Stadium des Verfahrens.
Da dies nie unklar war, ist Ihr Antrag völlig überflüssig.
Er wird von uns abgelehnt.
Wir kennen Graf Lambsdorff als einen aufrechten Mann, der zu seinem Wort, zu seiner Sache steht. Glauben Sie ernstlich, daß ein Mann, der sich schuldig fühlen würde, in diesem Parlament seine Sache, seine Wirtschaftspolitik mit dieser Energie und Überzeugungskraft vertreten könnte? Das kann nur ein Mensch, der innerlich von seiner Unschuld überzeugt ist.
Unser Grundsatz, nur Gerichte entscheiden über Schuld und Unschuld, nicht Presse, nicht Ankläger, auch nicht Mehrheitsverhältnisse von Parlamenten, wird von uns jederzeit und gegenüber jedermann durchgehalten,
wie in der Vergangenheit so heute, so auch in Zukunft. Wir Freien Demokraten stehen zu unserer liberalen Rechtsauffassung ohne Rücksicht auf die Person,
ganz gleich, zu wem sie gehören, ganz gleich, ob sie in Opposition oder Regierung sind. Für uns gilt der Mensch, der hier im Vordergrund steht, und zu dem stehen wir.