Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich ist es das gute Recht der Antragsteller, wann immer sie wollen, einen solchen Antrag zu stellen.
Aber eine ganz andere Frage ist, ob die Antragsteller auch gut beraten sind, wenn sie sich mit einem solchen Antrag auch nur in die Nähe derjenigen begeben, die seit Jahr und Tag ein schwebendes Ermittlungsverfahren zum Anlaß einer geradezu beispiellosen Kampagne genommen haben.
Das Parlament tut gut daran, wenn es auch nur jeden Anschein einer Vorverurteilung meidet, und da es an Vorverurteilungen jeglicher Art in diesen
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1983 3263
Dr. Mikat
Tagen nicht mangelt, muß ein solcher Antrag, mögen die Antragsteller es wollen oder nicht, mögen sie sich dessen bewußt sein oder nicht, geradezu zwangsläufig in den Kontext bereits erfolgter Vorverurteilungen geraten.
Der Rechtsgrundsatz, daß vor dem Richterspruch keiner für schuldig erklärt werden darf, wird so oft verletzt,
daß es an der Zeit ist, durch unser Nein zu ihrem Antrag gleichzeitig deutlich zu machen, daß das Parlament auch Wahrer dieses Rechtsgrundsatzes ist.
Es mag sein, Sie halten Ihren Antrag zu diesem Zeitpunkt für opportun. Und manche Zeichen sprechen dafür, daß Sie sich mit Ihrer Rolle als Opposition zugleich auf die Jagd nach der Opportunität begeben haben.
Wer Opportunismus für den Komparativ von Opposition hält, der irrt sich.
Erst vor zwei Tagen, am vergangenen Mittwoch, haben Sie, Herr Dr. Vogel, die mit Ihrem Antrag verfolgte Forderung von dieser Stelle aus bereits gestellt. Der Bundeskanzler hat Ihnen überzeugend geantwortet.
Der Bundeskanzler hat — das will ich hier ausdrücklich feststellen — das Prinzip der Gewaltenteilung nicht tangiert. Es ist grotesk, ihm das zu unterstellen.
Es ist grotesk, dem Bundeskanzler zu unterstellen, er habe in die Kompetenz einer Ermittlungsbehörde oder eines Gerichts eingegriffen. Der Bundeskanzler tut doch wohl nicht mehr als seine Pflicht, seine politische und seine menschliche Pflicht, wenn er wenigstens bis zur Zustellung der Anklageschrift wartet. Und wie auch der Bundeskanzler entscheidet, wir sind sicher, Herr Dr. Vogel, er entscheidet pflichtgemäß, unter Abwägung der Umstände, unter Wahrung der Kompetenzen. Wir lehnen Ihren Vorwurf, der Bundeskanzler habe das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt — ein ungeheuerlicher Vorwurf — mit Nachdruck ab.
Herr Dr. Vogel, Sie sind ein viel zu guter Jurist, als daß Sie nicht wüßten — —
— Ja, meine Damen und Herren, da begebe ich mich zu Ihnen in einen Dissens: Ich schätze Herrn Dr. Vogel, auch wenn ich vielfach anderer Meinung bin, als einen vortrefflichen Juristen, wenn auch unsere Meinungen divergieren.
Aber genau vor diesem Hintergrund ist das so schlimm. Sie wissen doch, Herr Dr. Vogel, was es bedeutet, einem Bundeskanzler oder sonst jemandem Verletzung eines Fundamentalprinzips unserer parlamentarischen Demokratie vorzuwerfen.
Herr Dr. Vogel, Sie haben hier Ihre Forderung bereits erhoben. Heute aber wollen Sie mehr als nur einen Appell. Heute wollen Sie einen förmlichen Beschluß des Parlaments. Das käme, würde das Parlament Ihnen folgen, wie Ihr Antrag selbst in die Nähe der Vorverurteilungen. Wir lehnen das ab.
Vor einiger Zeit stellten Sie ähnliche Anträge gegen die Bundesminister Zimmermann und Geißler. Wäre das Parlament Ihren Anträgen gefolgt, was hätte es dann anderes getan, als ein Urteil zu fällen? Das hatten Sie damals ja schließlich auch begehrt: ein politisches Urteil. Nun sagen Sie heute, mit Ihrem Antrag — Sie haben das ja ausgeführt — wollten Sie ausdrücklich kein Urteil fällen. Doch so, wie die Dinge nun einmal liegen, muß Ihrem Antrag dennoch diese Wirkung beigemessen werden. Wir lehnen das ab.
Hier kann es nicht darum gehen — hoffentlich —, alte Rechnungen zu begleichen. Natürlich weiß ich, daß aus dem Zusammenbruch der sozial-liberalen Koalition bei Ihnen noch einige Posten offen sind. Hier geht es einzig und allein darum, daß wir das Maß an Emotionen, das in der Öffentlichkeit die Ermittlungsaufgaben der Staatsanwaltschaft begleitet hat, nicht seitens des Parlaments noch vergrößern.
In der bisherigen öffentlichen Diskussion — das übersehe ich nicht — wurde das Beispiel des kleinen Kassierers bemüht,
der bis zum Abschluß eines Verfahrens von seinen Aufgaben entbunden würde, liefe gegen ihn ein Ermittlungsverfahren. Wer dieses Beispiel bemüht, gleich, ob er von einem großen oder kleinem Kassierer spricht, verkennt die Ebenen. Über den in Rede stehenden Kassierer befindet kein Parlament, also kein Verfassungsorgan. Dem Verfassungsorgan Parlament ist in besonderer Weise — das
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möchte ich noch einmal betonen — der Grundsatz der Unschuldsvermutung anheimgegeben. Das Parlament kann die Immunität aufheben. Es hat sie in diesem Fall ja auch aufgehoben, um ein Verfahren zu ermöglichen.
Dann aber sollte es kluge Selbstbescheidung üben und den Beteiligten Abwägung und Entscheidung ihrer Schritte überlassen. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage der Selbstdisziplin.
Niemand nimmt richterliche Entscheidung und Urteilsspruch vorweg, wenn er — wie jüngst in dankenswerter Weise Herr Kollege Schmude von Ihrer Fraktion — die persönliche Integrität des Grafen Lambsdorff nachdrücklich bekräftigt.
Persönliche Integrität, das ist ein leicht verletzbares Gut. Sie ist in diesem Komplex in unseren Tagen zu oft angegriffen und nach vielen Richtungen hin — wohlgemerkt: nach vielen Richtungen hin, nicht nur in Richtung auf Graf Lambsdorff — verletzt worden.
So nehmen wir denn Ihren Antrag auch zum Anlaß, die persönliche Integrität von Graf Lambsdorff ausdrücklich zu bekräftigen.
Sie mögen einwenden, Ihr Antrag stelle diese nicht in Frage. Sie müssen sich entgegenhalten lassen Umfeld und Klima, denen Ihr Antrag zwangsläufig nicht entrinnen kann.
Entscheidungen, auch und gerade Entscheidungen über diesen Antrag, finden immer in einem bestimmten Klima, in einem bestimmten Umfeld statt.
Zum Umfeld dieses Antrags — darüber gibt es keinen Streit — gehören Vorverurteilungen ebenso wie emotionsgeladene Wertungen. Darum lehnen wir Ihren Antrag ab, nicht weil es ein Antrag der Opposition ist, sondern weil wir davon überzeugt sind, daß der Sache, um die es eigentlich geht, mit diesem Antrag kein guter Dienst erwiesen wird.