Rede von
Hubert
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Es reizt mich ja ungemein, meine Damen und Herren, auf die Rede des Herrn Geißler einzugehen. Denn die Art der politischen Auseinandersetzung, die Sie, Herr Geißler, seit Monaten in diesem Land pflegen — gegenüber der Friedensbewegung, uns gegenüber und auch gegenüber der SPD —, hat sehr viel mit geistigem Bürgerkrieg zu tun.
Aber ich habe nicht viel Zeit und will daher jetzt zum Haushaltsgesetz sprechen.
Wer sich das Haushaltsgesetz 1984 durchsieht, wird an einer Stelle eine Überraschung erleben. Er wird nämlich sehen, daß der Vorschlag der Bundesregierung zur Regelung des § 4 Abs. 9 erheblich von der Beschlußempfehlung abweicht, die der Haushaltsausschuß mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen verabschiedet hat. Ganz gegen die von den Regierungsfraktionen im Ausschuß ansonsten geübte Praxis, dem Regierungsentwurf im wesentlichen — mitunter sogar mit verbunden Augen — Zustimmung zu erteilen, soll hier eine Regelung beschlossen werden, die um etliches von dem abweicht, was die Bundesregierung im September vorgeschlagen hat.
Des Rätsels Lösung findet sich freilich rasch, wenn man weiß, worum es geht. Es geht um die parlamentarische Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste und damit um ein Thema, das — ich werde das nachfolgend nachzeichnen — der Regierung schon seit Monaten Kopfzerbrechen zu bereiten scheint.
Seit Jahren ist diese Kontrolle von einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses vorgenommen worden, einem Unterausschuß, in dem gemäß der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages alle Parteien vertreten waren. Diese Praxis hätte folgerichtig auch unsere Fraktion an diesen Beratungen beteiligen müssen.
Nun meinte aber die Bundesregierung schon unmittelbar nach dem 6. März, sie müsse einen Weg
finden, uns aus dieser Kontrolle heraushalten zu können. Offensichtlich gibt es hier einiges unter Verschluß zu halten, jedenfalls einiges, was nach Ihrer Auffassung das Ohr eines grünen Parlamentariers auf keinen Fall erreichen darf.
Deshalb haben sich die Herren im Kanzleramt, die Herren aus dem Verteidigungsministerium, aus dem Innenministerium, aus dem Ministerium der Justiz und dem Finanzministerium unter tatkräftiger Mitwirkung des Herrn Jenninger schon kurz nach dem 6. März zusammengesetzt, um auszutüfteln, wie wohl die GRÜNEN durch Verfahrenstricks hier ausgesperrt bleiben könnten.
Was bei diesem Bemühen bis zum Herbst — genauer gesagt, bis zum September — herausgekommen ist, das zeigt der Regierungsentwurf, der Ihnen immer noch vorliegt. Herausgekommen war damals ein Entwurf, der mit einer geradezu dümmlichen Irreführung der Öffentlichkeit eine Rechtsbeugung vertuschen wollte, die in dieser Form auch wir der Bundesregierung nicht zugetraut hätten. Allen Ernstes wollten Sie auf der Grundlage eines Gesetzes, das es noch gar nicht gab und auch noch nicht geben konnte, nämlich auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes, über das wir jetzt beraten, eine Neuregelung des Verfahrens unter dem Vorwand durchsetzen, es gehe um die Regelung des Wegfalls von Essenszuschüssen. Unter diesem Vorwand wollten Sie die Ausschaltung der GRÜNEN durchsetzen.
Meine Damen und Herren, wir haben damals verhindert, daß dies umgesetzt werden konnte, indem wir diesen ungheuerlichen Vorgang öffentlich gemacht haben. Die hergestellte Öffentlichkeit hat dann bei Ihnen zumindest einen bescheidenen Erkenntnisprozeß ausgelöst, den Erkenntnisprozeß nämlich, daß der Weg, den Sie hier vorgeschlagen hatten, offensichtlich ein derart illegaler Weg gewesen wäre, daß Sie ihn in dieser Form nun denn doch nicht wagen konnten.
Für Sie stand damals fest: Wir müssen einen geschickteren Dreh finden, um das gleiche Ziel zu erreichen, nämlich Heraushaltung der GRÜNEN um jeden Preis. Und wieder kamen sie zusammen, die Herren aus den Ministerien, um im Dunkel der Kulissen eine neue Variation dieses grünen Sondergesetzes auszubrüten. Bis Anfang November waren sie dann fündig geworden. Die Ausschußdrucksache 273 des Haushaltsausschusses lag vor. Nun sollte nach Auffassung der Regierungsparteien überhaupt keine Kontrolle der Etatansätze der Geheimdienste in diesem Jahr mehr stattfinden. Diese Kontrolle sollte nun von einer im neuen Jahr, also nachträglich, nach Verabschiedung des Haushaltes mit den Stimmen der Mehrheit des Deutschen Bundestages zu wählenden Fünferkommission geleistet werden. Damit hatten Sie jetzt eine rechtliche Klippe umschifft, nämlich die, daß Sie ursprünglich auf der Basis eines Gesetzes verfahren wollten, das es noch gar nicht gab.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3245
Kleinert
Mit dem Umschiffen dieser Klippe allerdings waren Sie gleichzeitig auf ein neues Riff aufgelaufen. Wenn vor Verabschiedung des Haushalts über diese Titel gar nicht mehr beraten werden sollte, dann mußten Sie ja auf die vorläufige Haushaltsführung zurückgreifen, um überhaupt Ausgaben aus diesen Titeln tätigen zu können. Das ist aber laut Grundgesetz nur dann möglich, wenn der Haushalt insgesamt nicht beraten und nicht verabschiedet werden kann. Das kann er ja, denn Sie haben ja hier eine fast überall gefolgstreue Mehrheit in diesem Parlament. Wir werden j a sehen, daß Sie diesen Haushalt verabschieden können.
Nun war freilich auch mit dieser ebenso rechtswidrigen Lösung das Kapitel Geheimdienstfinanzen noch längst nicht abgeschlossen. Nur 14 Tage nach diesem zweiten Vorschlag überraschten Sie uns mit einem dritten, nämlich mit der Ausschußdrucksache 293, die dann wiederum die Zahl fünf aus dem Kontrollgremium herausnahm. Offensichtlich hatten Sie inzwischen Angst davor bekommen, daß wir vielleicht eine einstweilige Anordnung beantragen könnten im Blick darauf, daß die Zahl fünf ganz offensichtlich auf eine „Lex GRÜNE" hinzielte. Um das nun auch noch ausschalten zu können, kam ein dritter und schlußendlich sogar ein vierter Entwurf.
Meine Damen und Herren, das Ganze zielte letztlich dahin, Ihre Tricksereien, die Sie hier seit dem März unternehmen, um uns da herauszuhalten, und zwar mit allen Mitteln, auch mit dem Mittel der offensichtlichen Rechtsbeugung, herauszuhalten, noch weiter zu perfektionieren.
Was sich im Zuge dieser verschiedenen Versuche offenbart hat, will ich einmal so bezeichnen: Bei Ihren sogenannten Rechtsgelehrten kann man einen gewissen Anstieg der intellektuellen Kompetenz nicht übersehen. Was damit allerdings nicht verbunden war, ist ein Anstieg des Rechtsempfindens.
Vor uns liegen jetzt die erste und die vierte Fassung des Versuchs, uns auszuschließen. Diese Fassung, die jetzt beschlossen werden soll, läuft aber nicht nur darauf hinaus, uns aus der Beratung der Etatansätze der Geheimdienste herauszuhalten, sie läuft nicht nur darauf hinaus, unter Umständen die Opposition insgesamt aus dieser Beratung herauszuhalten, sie läuft sogar darauf hinaus, daß Parlament insgesamt aus der verfassungsrechtlich zwingend vorgeschriebenen Beratung über die Haushaltstitel, zunächst jedenfalls, völlig herauszuhalten.
Wir sollen hier heute, morgen über etwas abstimmen, meine Damen und Herren, dessen Inhalt eigentlich niemand aus der Mitte des Parlaments überhaupt kennen kann; denn über diese Titel ist parlamentarisch bis zur Stunde nicht beraten worden, weder hier noch im Ausschuß noch in irgendeinem Unterausschuß.
Deshalb ist es auch offenkundig, daß diese Titel keine Etatreife besitzen und daß damit der Haushalt insgesamt nicht verabschiedet werden kann. Deshalb habe ich auch gestern hier beantragt,
die Vertagung der Debatte zu beschließen, so lange, bis diese Titel beraten sind. Und weil dies nicht geschehen ist, haben wir und auch ich als einzelner Bundestagsabgeordneter entsprechende Anträge auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich habe am 30. September an dieser Stelle
— Sie können das nachlesen — ausgeführt, daß Sie diese verfassungsrechtlichen Manipulationen deshalb versuchen, weil Sie uns für ein Sicherheitsrisiko halten.
— Herr Friedmann, Ihre Zustimmung gibt mir erneut recht.
Ich habe damals gefragt, wer denn wohl angesichts dieser Vorgänge das eigentliche Sicherheitsrisiko sei.
Ich habe gefragt: Sind denn die das Sicherheitsrisiko, die über die Art und Weise aufklären wollen, wie die Geheimdienste mit Steuergeldern umgehen, oder sind es nicht vielmehr die, die im Dunkel der Kulissen an grundlegenden Prinzipien der Verfassung und des Haushaltsrechts herummanipulieren?
Meine Damen und Herren, die Regierungsparteien selber sind es gewesen, die die endgültige Antwort auf diese Frage in den vergangenen Wochen gegeben haben.
Ich bedanke mich.