Rede von
Dr.
Heiner
Geißler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich habe nichts gegen diejenigen, die aus ihrer religiösen Überzeugung und von der Bergpredigt her zu einer bestimmten politischen Auffassung kommen. Ich habe Respekt und Achtung. Und jeder bemüht sich darum. Aber die Bergpredigt ist nicht zur Begründung jeder politischen Aussage da. Jedoch große Skepsis ist gegenüber dem hohlen Pathos derer angebracht, die sich zur Begründung ihrer Verteidigungspolitik auf die Bergpredigt und das Evangelium berufen, aber sonst in ihrem persönlichen oder politischen Leben mit der Bergpredigt so gut wie nichts zu tun haben wollen.
Das Evangelium und die Bergpredigt sind kein Steinbruch, aus dem man die Argumente nach Belieben herausholen kann, um sie nach politischer Opportunität zu verwenden. Wir wollen das ungeborene Leben schützen. Deswegen hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag, dem Haushaltsausschuß die Gründung einer Bundesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens vorgeschlagen. Die Mittel dieser Bundesstiftung sollen 1984 25 Millionen, ab 1985 50 Millionen betragen. Die Stiftung soll am 1. Juli in Kraft treten. Die Mittel sollen unbürokratisch und schnell über die Beratungsstellen den Frauen zugute kommen, die sich auf Grund einer Schwangerschaft in einer Konfliktsituation befinden, weil wir der Auffassung sind, daß wir in der Lage sein sollten, die sozialen Ursachen zu beseitigen, die für eine Frau, wenn sie schwanger geworden ist, ein Grund sein könnte, einem Schwangerschaftsabbruch näherzutreten. Dies ist ein effizienter Schutz des ungeborenen Lebens, den wir vorschlagen.
Ich bitte auch die Fraktion der GRÜNEN, diesen Vorschlag nicht abzulehnen, sondern ihm zuzustimmen, weil er den Frauen hilft. Das wissen wir aus vielen, vielen Gesprächen mit den Beratungsstellen. Mit solchen Mitteln können die Beratungssstellen effektiv, schnell und unbürokratisch helfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Diese ganze Haushaltsdebatte — was ich jetzt sage, hat etwas mit der Familien- und der Jugendpolitik zu tun — hat bewiesen, daß die Sozialdemokraten ein wichtiges Problem unserer Zeit nicht verstanden haben. Wir haben, davon bin ich fest überzeugt, auch in der Gegenwart die Aufgabe, die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen.
Das berührt das Thema der Staatsverschuldung. Eine Staatsverschuldung von über 300 Milliarden DM, die uns j a die Sozialdemokraten hinterlassen haben, die nicht wir geschaffen haben, bedeutet eine Ausbeutung der Menschen, die nach uns kommen.
Wir haben auch die Aufgabe, in der Gegenwart Opfer für die Zukunft zu bringen. Unser Menschenbild ist nicht der Homo oeconomicus, der keine Fragen nach den Werten jenseits von Angebot und Nachfrage stellt. Dies ist ein materialistisches, ein gegenwartsbezogenes Menschenbild. Unser Menschen- und Weltbild reicht hingegen über die Gegenwart und auch über eine Generation hinaus.
Der Abbau von Schulden ist eine moralische Tat. Das möchte ich hier sagen.
3244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Dr. Geißler
Für uns ist das Gemeinwesen kein Selbstbedienungsladen für diejenigen, die in der Gegenwart leben, und ist keine Gegenwartsgesellschaft mit beschränkter Haftung für die Zukunft.
Mit diesem Bundeshaushalt 1984 sagen wir unseren Mitbürgern: Wir als Bürger haben nicht nur Rechte in der Gegenwart, sondern auch Pflichten für die Zukunft.