Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es nun nicht gerade für ein Zeichen von Demokratie, wenn die Sozialdemokratische Partei über den Bundesminister und seine Arbeit diskutiert, ihn gleichzeitig kritisiert, aber offenbar nicht in der Lage ist, mit ihm selber über die Arbeit zu diskutieren und zu sprechen.
Ich möchte, weil es zum Protokoll im Deutschen Bundestag gehört und weil ich ja weiß, was Sie bewegt, am Anfang dieser Diskussion folgendes festhalten.
— Herr Porzner, ich will dazu etwas sagen.
Ich habe in meiner damaligen Rede gesagt, die Sozialdemokratische Partei werde durch die einseitige Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika und die fast nahtlose Verwendung sowjetischer Argumente gegen die Nachrüstung, ob sie es wolle oder nicht, in der geistigen Auseinandersetzung um die Frage des NATO-Doppelbeschlusses zu einer Fünften Kolonne der anderen Seite.
Ich habe, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen Brief des Bundeskanzlers außer Diensten Helmut Schmidt, den mir Bundeskanzler Helmut Kohl übergeben hat, an ihn folgendes geschrieben:
Ich habe von der geistigen Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluß
und nicht von der Gesamtpolitik der SPD gesprochen. Mein Vorwurf ist nicht eine grundsätzliche Charakterisierung der Sozialdemokratischen Partei, sondern bezieht sich auf die Argumentation einer wachsenden Mehrheit der SPD in einer konkreten politischen Position, die allerdings eine historische Dimension hat.
Dies alles weiß die Sozialdemokratische Partei, aber sie redet immer etwas anderes.
Was ich zur Begründung gesagt habe, kann ja wohl nicht bestritten werden. Hinzu kommt der Antiamerikanismus, die Beteiligung führender Sozialdemokraten an der Blockade der amerikanischen Kasernen, die Verharmlosung des totalitären Charakters der Sowjetunion und vieles andere mehr, was j a auch von Helmut Schmidt bestätigt wird.
Man muß keine Gespenster sehen, um zu erkennen, daß hier ein geistiger Erosionsprozeß stattfindet.
Denjenigen, die eine langfristige grundsätzliche Änderung der deutschen Politik einleiten wollen, muß
deutlich und für jeden verständlich entgegengetre-
3240 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Dr. Geißler
ten werden, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Das habe ich Helmut Schmidt geschrieben, und ich habe dazu gefügt:
Die geschichtliche Leistung der Sozialdemokratischen Partei für unsere Demokratie ist von mir nie in Frage gestellt worden, und ich halte auch in Zukunft die Übereinstimmung in den politischen Grundfragen zwischen unseren Parteien für geboten.
Jetzt möchte ich Ihnen zu diesem Thema noch etwas anderes sagen. Gestern hat Herr Wischnewski hier einen Diskussionsbeitrag geleistet und mich in einer nach meiner Auffassung verunglimpfenden Form wieder angegriffen.
Warum? Der Innenminister von Nicaragua hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Besuch gemacht. — Wischnewski hat behauptet, ich hätte diesen Innenminister beleidigt. — Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß in Nicaragua unsere Freunde, die Christlichen Demokraten, verfolgt werden. Ich habe ihn auf das Schicksal der Herrenhuter Gemeinde der Moravos und der Misquitos hingewiesen. Ich habe ihn gefragt, ob 1985 die zugesagten Wahlen stattfinden. Ich habe ihn auf die Pressezensur in Nicaragua hingewiesen, auf das neugeschaffene Blockwartsystem — den Comites de defensa Sandinista — und auf das neue Parteiengesetz. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß Hunderte von Christlichen Demokraten in den Gefängnissen von Nicaragua sitzen, darunter Gefangene, die von Amnesty International als Gefangene des Jahres deklariert worden sind. Dies alles habe ich Herrn Borge gesagt, dies und nichts anderes.
Ich halte es für einen Skandal — ich darf es so sagen —, daß er und mit ihm wohl die Führung der Sozialdemokratischen Partei den Dialog mit mir, einem demokratisch gewählten Minister, offenbar verweigert, sich aber mit einem Polizeiminister solidarisiert, der sich schwerster Verletzungen der Menschenrechte schuldig gemacht hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Haushalt. Herr Jaunich, zu dem, was von Ihnen zum Schluß dazu ausgeführt worden ist, kann ich nur sagen — —
— Er hat hier angebliche Tatsachen wiedergegeben, die einer ernsthaften Überprüfung überhaupt nicht standhalten. Ich habe in der Tat mit anderen in der Christlich Demokratischen Union über die Neue Soziale Frage gesprochen und geschrieben. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir auch in der Bundesrepublik Deutschland Armut haben.
Aber der Indikator ist die Sozialhilfe — Herr Glombig, auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger. Jetzt will ich Ihnen zum wiederholten Male eine Zahl nennen. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist von
1970 bis zum Jahre 1982, also in der Zeit, in der Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung hatten, von 1,5 Millionen auf 2,1 Millionen gestiegen. In derselben Zeit, also unter Ihrer Verantwortung, ist der Sozialhilfeaufwand von 3,3 Milliarden DM auf jetzt 16,3 Milliarden DM gestiegen. Sie können doch nicht von neuer Armut sprechen, nachdem wir ein Jahr die Regierungsverantwortung übernommen haben, während die eigentliche neue Armut in der Zeit entstanden ist, in der Sie die sozialpolitische Verantwortung hatten.