Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich als erstes ebenfalls sehr herzlich bei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sowie bei allen Mitarbeitern bedanken, die sich viel Mühe mit dem Einzelplan 10 gegeben haben, um ihn im Rahmen der Beratungen so zu gestalten, daß wir die Agrarpolitik im kommenden Jahr nunmehr in einer Form durchführen können, wie wir sie für richtig halten.
Vor uns liegt ein agrarpolitisch schwieriges Jahr. Wir werden nicht nur mit Geld, sondern auch mit geduldigem Bemühen und vielleicht auch mit der einen oder anderen neuen Idee versuchen müssen, den jetzigen neuen Gegebenheiten, denen sich die Agrarpolitik stellen muß, Rechnung zu tragen. Wir werden uns dieser Mühe durchaus unterziehen. Ich bitte auch das Parlament um Mitarbeit dabei. Wir haben nun einmal geänderte Fakten.
Bisher war die Agrarpolitik auf Intensivierung, auf Produktivitätssteigerung, auf Wachsen ausgerichtet. Dabei wurde in Kauf genommen, daß Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft in andere Bereiche abwandern konnten; dies hat sich grundlegend geändert.
3228 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Kiechle
Wir haben jetzt volle Märkte, und zwar bei Lebensmitteln in Europa ganz besonders volle. Das ist im übrigen kein fundamentaler Fehler. Wenn wir nach Osten blicken, dann finden wir im gleichen Europa noch Länder, in denen die Hausfrauen 40 Jahre nach dem Krieg noch Schlange vor den Läden stehen.
Mir ist es schon lieber, wenn wir in unserem freien Westen das Problem der zu vollen Läden als das der zu leeren Läden haben.
Es ist aber immerhin ein Problem; das kann man nicht bestreiten.
Wir haben zweitens keine Arbeitsplätze mehr, die wir noch etwa qua Politik nach dem Motto „Geh' doch da weg und dort hin" anbieten könnten. Wir haben in Europa leider über 12 Millionen Arbeitslose — selbst in der Bundesrepublik Deutschland über 2 Millionen — und wir werden sie wegen des nicht stattgefundenen und versäumten Strukturwandels der letzten zehn Jahre auch noch eine ganze Reihe von Jahren haben.
Wir können die Frage nach möglichst hoher Intensität beispielsweise auch in der Landwirtschaft nicht mehr nach alten Schemas beantworten.
Themen der Ökologie stellen sich uns mit ganz eindeutiger Klarheit. Der Wald hat uns ein Signal gegeben, was passiert, wenn die Natur überlastet wird. Wir können uns auf anderen Gebieten — sei es nun beim Boden oder wo auch immer — den Test, wie weit wir mit der Intensität gehen dürfen, nicht leisten. Wir müssen vorher Untersuchungen durchführen und rechtzeitig dafür sorgen, daß solche Entwicklungen — etwa im Bereich der Belastung von Pflanzen, des Bodens und ähnlichem — nicht passieren, wie sie beim Wald schon passiert sind.
Bei der Weichenstellung in der Agrarpolitik bedarf es daher künftig noch erheblich größerer Behutsamkeit, als man in der Vergangenheit glaubte. Ich mache damit keine Schuldzuweisung. Auch wir selbst haben in den letzten 15 Jahren nicht immer vorher geahnt und ahnen können, wie die Entwicklung laufen wird.
Meine Damen und Herren, es wird auch ein Teil der Agrarpolitik der nächsten Jahre dieser Bundesregierung sein, sehr behutsam mit den Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft umzugehen.
Auch sie sind volkswirtschaftlich wichtig und wertvoll, und es ist besser, sie, wo das möglich ist, rechtzeitig abzusichern, bevor sie verlorengehen. Das gilt dann besonders, wenn man nachher keine Alternative für diese Arbeitsplätze hat.
Ich meine, mit einer solchen, in wenigen Gedankenstrichen zusammengefaßten Zielrichtung dessen, was wir Agrarpolitik nennen wollen, ist auch ausgesagt, in welche Richtung die Politik gehen soll. Das Wort von Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung, daß wir eine Agrarpolitik machen wollen und machen werden, die dem bäuerlichen Familienbetrieb dient, wird auch in praktische Politik umgesetzt. Die Kollegen hier haben es ja zum Teil schon gesagt: Wir setzen diese Politik bei der Agrarstrukturpolitik, also bei der Förderpolitik, um. Wir werden in der Sozialpolitik, wo es sich ermöglichen läßt, und in Beratungen mit dem Berufsstand und allen in Frage kommenden Betroffenen dem Aspekt einer möglichst großen sozialen Gerechtigkeit mehr Gewicht verleihen. Wir werden besonders die jungen Landwirte berücksichtigen, und wir werden auch Gesetzgebung auf den Weg bringen, um mehr Bodenmobilität zu erreichen, aber nicht über Druck, sondern durch Erleichterungen.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem einen oder anderen hier Gesagten machen. Frau Zutt, mich dürfen Sie ruhig konservativ nennen. Das ist für mich nicht im geringsten eine Beleidigung oder etwas Ähnliches.
Ich bin ein Konservativer. Konservativ sein: Das heißt conservare, d. h. bewahren. Ich sage Ihnen voraus, die junge Generation wird uns in zehn, 15 Jahren fragen, was wir an Gutem auch im Umgang mit der Natur bewahrt haben, und nicht, was wir durch unsere Neuerungssucht dauernd aufs Spiel gesetzt haben. Insofern finde ich das ganz ausgezeichnet.
Wir sind selbst liberal genug, um nicht einseitig zu sein. In der Koalition sind sogar Liberale, Konservative und Christliche zusammen. Da kann mit dieser Bezeichnung gar nichts passieren.
Frau Zutt, Sie waren ein bißchen aufgeregt; das hat mir leidgetan, weil Sie so eine charmante Kollegin sind.
Die Agrarier beißen doch im allgemeinen gar nicht. Sie haben hier einige Gedanken vorgetragen; ich will jedoch wegen der Kürze der Zeit nur zu einem Punkte Stellung nehmen. Der beliebte Milchmarkt, der ein Beispiel für die Überdehnung einer Marktordnung darstellt und deswegen bestimmter Korrekturen bedarf, hat es Ihnen besonders angetan. Leider haben Sie nicht hinzugefügt, was Sie mit der allgemeinen Bemerkung, nur durch mehr Markt sei dieser Milchmarkt in Ordnung zu bringen, denn meinen. Ich muß also auf das zurückgreifen, was Ihr Kollege Müller, der Obmann im Ernährungsausschuß ist, hier an diesem Pult gesagt hat. Er hat gesagt: Preise senken, das sei das Rezept, das unter „mehr Markt" zu verstehen sei, und zwar längerfristig, über längere Zeit. Wenn das allerdings gemeint
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Bundesminister Kiechle
ist — und offensichtlich ist es das —, so kann ich dem aus sozialen Gründen nicht zustimmen.