Sehen Sie, Frau Kollegin: Das ist genau der Grundirrtum.
Ich bestreite ja nicht, daß Sie in der Zustandsanalyse in einigen Punkten sogar recht haben mögen.
Aber in den Konsequenzen daraus sind wir meilenweit auseinander. Ihre Konsequenzen führen garantiert in die Irre. Es bleibt bei dem, was ich eben gesagt habe: Idylle und Ideologie haben noch niemanden sattgemacht.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Agraretat des Jahres 1984 debattieren, können wir natürlich nicht daraus entlassen werden, daß wir hier auch über die Fragen der europäischen Agrarpolitik sprechen und gleichermaßen etwas über Athen sagen. Ich möchte nur soviel feststellen, daß nicht alles, was wir an Erwartungen in den Athener Gipfel gesetzt hatten, erreicht worden ist. Im Grunde genommen war es auch für uns eine Enttäuschung; das müssen wir sagen.
Wir sagen auch dies, meine Damen und Herren: Die deutschen Landwirte müssen zunächst einmal weiterhin mit der EG-Agrarpolitik in der jetzigen Form leben. Die Kritik an der deutschen Landwirtschaft ist anscheinend vorprogrammiert. Wenn man diese Dinge einseitig betrachtet, könnte man zu einem solchen Ergebnis kommen.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu diesem Thema auch einmal etwas Grundsätzliches sagen. Die Landwirtschaft ist seit nunmehr 15 Jahren voll in die europäische Agrarpolitik eingebunden, in eine Politik, die bisher die Lasten des Zusammenschlusses, seien sie materiell oder psychologisch, tragen mußte, weil andere gemeinsame Politiken so gut wie nicht entwickelt waren.
Diese Politik, so sagen die Skeptiker, hat mehr schlecht als recht als Mittel des Finanzausgleichs der Gemeinschaft gedient. Sie ist aber andererseits die Voraussetzung der Zollunion — das wird meistens übersehen —, die gerade der deutschen Volkswirtschaft im laufenden Jahr wieder zu einem Außenhandelsüberschuß in Höhe von 25 Milliarden DM verholfen hat.
Dies sollten wir der deutschen Öffentlichkeit auch einmal sagen; es wird nach meiner Auffassung zuwenig beachtet.
Die EG-Agrarpolitik ist in ihrer Anlage und im Kern für meine Begriffe durchaus akzeptabel. Sie kann aber zum Sprengsatz werden, wenn sie weiter isoliert betrieben wird. Die Probleme sind, wie wir alle wissen, die wachsende Produktion und deren Finanzierung. Aber zur Europäischen Gemeinschaft gibt es für uns — hier stimme ich Bundeskanzler Helmut Kohl zu — keine Alternative, weder politisch noch ökonomisch. Wenn das so ist, müssen wir sie weiterentwickeln.
Bei den Lösungsvorschlägen muß sich allerdings auch zeigen, ob die Lippenbekenntnisse zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft ernst gemeint sind. Sicherlich ist die Haushaltskonsolidierung eine vordringliche Notwendigkeit, jedoch ist die Si-
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cherung der bäuerlichen Existenzen ebenso wichtig.
Ich will nicht weiter auf die einzelnen Lösungsvorschläge eingehen, aber eines möchte ich sagen. Die von Herrn Minister Kiechle in der jüngsten Vergangenheit wirklich eingehend vorgetragenen Vorstellungen zielen in die richtige Richtung. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß uns die besten Lösungen nichts nützen, wenn nationale Egoismen weiterhin diese Politik regieren. Die Kritiker der Landwirtschaft sollten auf jeden Fall sehen, daß weder die deutsche Landwirtschaft noch die Bundesregierung die Ursache für diese Probleme ist, die im gemeinsamen Agrarmarkt existieren, sondern daß die Ursache in erheblichen Versäumnissen auch der Vergangenheit liegt. Dies muß hier kritisiert werden. Ich sage das hier so deutlich, weil es nach meiner Meinung nicht länger hingenommen werden kann, daß man die Landwirte für Dinge verantwortlich macht, deren Wurzeln in Wirklichkeit in der schwierigen Konstruktion der Gemeinschaft liegen.
Vor den Problemen zu kapitulieren und die Hände in den Schoß zu legen, ist nicht unser Ziel. Das wollen wir nicht. Wir erwarten auch, daß in Paris die Dinge demnächst wieder auf einem Gipfel nach einer guten Vorbereitung vernünftig und zu unserer Zufriedenheit behandelt werden. Denn zu Europa gibt es für uns keine Alternative.
Lassen Sie mich zum Entwurf des Agraretats 1984 kommen. Im kommenden Jahr wird der Agraretat etwa 6 105 Millionen DM umfassen. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber dem letzten Jahr um 2,6%. Sie liegt — das sollten wir festhalten — über der Durchschnittssteigerung des Haushalts insgesamt.
Dazu muß man aber wissen, daß das seit 1973 erstmals wieder der Fall ist. In den vergangenen zehn Jahren betrugen die durchschnittlichen Zuwachsraten des Gesamthaushaltes 7,1 %, im Agrarbereich dagegen 1,1 %. Ich finde, das ist ein Fortschritt. Vor allem die Sparaktionen seit 1980 haben der Landwirtschaft besonders hohe Opfer abverlangt. Dies schlägt sich auch im Anteil der Landwirtschaft an den nationalen Subventionen nieder. Da möchte ich auch einmal mit einer Mär aufräumen: 1970 betrug der Subventionsanteil der Landwirtschaft noch 31,8%. Im laufenden Jahr und im kommenden Jahr wird dies auf 9,6% zurückgeführt. Diese Entwicklung, meine ich, ist dazu angetan, einmal mit dem Märchen aufzuräumen, daß die Landwirtschaft Subventionsempfänger erster Klasse sei.
Unter den Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes mußte in der Vergangenheit besonders auch die Agrarsozialpolitik leiden. Auch wir haben nicht daran vorbei gekonnt, Einschnitte vorzunehmen. Aber eines ist sicher: das Fundament
der Agrarsozialpolitik ist erhalten geblieben. Dies können wir nicht hoch genug einschätzen. Es ist unangetastet geblieben.
Hier, Frau Kollegin Vollmer, komme ich auf die Frage der Unfallversicherung zu sprechen. Wir haben sicherlich nicht alle unsere Erwartungen erfüllen können, denn ich habe ja auch diese Resolution bekommen. Aber eines ist sicher: Wir haben erreicht, daß der ursprüngliche Plan der sozialdemokratisch geführten Regierung, diese Zuschüsse zur Unfallversicherung in der laufenden Legislaturperiode bis 1984 auf Null abzusenken, aufgehoben ist. Wir haben sogar eine Möglichkeit geschaffen, über den Betrag von 279 Millionen DM für das Jahr 1984 hinausgehen zu können. Ich sage hier auch sehr deutlich in Richtung Bundesregierung, daß hier ein Handlungsbedarf besteht.
Ich darf auf das zurückkommen, was Bundeskanzler Dr. Kohl anläßlich des Deutschen Bauerntages im Sommer gesagt hat, die Alte Last mit Bundesmitteln auszugleichen. Wenn hier das Ifo-Institut in einem Gutachten sagt, daß diese Alte Last etwa 380 Millionen DM umfaßt, dann ist es durchaus berechtigt, zu sagen, daß hier Handlungsbedarf besteht.
Ich bin ziemlich sicher, daß wir uns im kommenden Jahr und im Jahre 1985 dieser Frage zuwenden und sie lösen werden.
Seien Sie ganz beruhigt, Frau Vollmer, dies werden wir machen.
— Sie sagen „Bauernverband". Auch die Bauern und der Bauernverband wissen, daß wir angesichts der Hinterlassenschaft, des Riesenschuldenberges, nicht alle unsere Träume verwirklichen konnten. Das wissen wir. Aber wir gehen Schritt für Schritt daran, die Finanzen zu konsolidieren. Dann unterhalten wir uns im Jahre 1985 darüber, was wir gemacht haben und nicht gemacht haben, Frau Kollegin. Dann machen wir das.
— Wir machen das schon, Sie brauchen keine Sorge darum zu haben. An dieser Stelle bin ich ganz sicher. Sie können uns dann ja stellen, und dann haben Sie Gelegenheit, hier heraufzukommen und den Gegenbeweis anzutreten. Wir werden es, wenn es nicht geschehen ist, eingestehen.
— Herr Kollege Wolfram, Sie haben gerade gesagt „Nehmen Sie den Mund nicht so voll". Wenn ich Ihre Rede mal Revue passieren lasse und das mal auf die Ernsthaftigkeit überprüfe, kann ich nur sagen: wer den Mund zu voll genommen hat, das kön-
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nen Sie an Hand des Protokolls spätestens morgen nachlesen; einigen wir uns darauf.
Ich pflege als Haushälter niemanden in dieser Form zu beschimpfen, aber ich möchte Sie bitten, den Stil des Hauses doch so zu wahren, daß Sie als Oberbürgermeister demnächst dort noch leben können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein Wort zur Agrarstrukturpolitik sagen. Hier haben wir einiges auf den Weg gebracht. In der Agrarstrukturpolitik haben wir ein Agrarkreditprogramm geschaffen, das in der Höhe zwischen 50 und 70 Millionen anläuft. Wir hoffen, daß dies im Rahmen der Diskussion auch mit den Ländern angenommen wird. So wie es konstruiert ist, ist es möglich, daß hieraus auch Investitionen gefördert werden, die zur Erleichterung der Arbeit der Landwirtschaft, auch der mittleren und kleinen Betriebe, führen. Das ist ein Fortschritt gegenüber dem alten Programm.
Wir haben gleichermaßen in der Gemeinschaftsaufgabe den alten Zustand wiederhergestellt, weil wir wußten, daß hier Investitionen getätigt werden können, die den ländlichen Raum stärken, daß dort Investitionen gerade in den Bereichen getätigt werden, in denen die Arbeitslosigkeit oft recht hoch ist und die Alternativen gegen Null sind.
Lassen Sie mich ein Weiteres sagen: Ich habe mich eigentlich gewundert, Frau Vollmer, daß Ihr Kollege im Haushaltsausschuß, als wir die 20 Millionen DM zur Verbesserung der Bekämpfung der Schäden im Wald eingesetzt haben, vor Staunen ganz blaß geworden ist — der Herr Kleinert wußte gar nicht, was er machen sollte — und nachher sogar dagegen gestimmt hat. Das muß man sich einmal vorstellen: Ein Grüner stimmt dagegen, daß wir waldbauliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Waldsterbens ergreifen!
Meine Damen und Herren, auf die Frage der Gasölverbilligung will ich hier nicht eingehen. Ich meine, daß wir das bei anderer Gelegenheit noch einmal werden besprechen können. Aber, Frau Kollegin Vollmer, grundsätzlich ist es doch so, daß wir, würden wir das abschaffen, zu einer schlimmen Wettbewerbsverzerrung kämen.
Das ist der einzige Grund, der dies aufrechtzuerhalten rechtfertigt.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen: Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Bundesregierung unter Minister Ignaz Kiechle
in der Lage ist, eine Politik zu betreiben, die den Bauern dient, die das Ziel hat, in Europa wieder realistische Bezüge herzustellen und dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft wieder eine Zukunftsperspektive zu geben. Und darauf kommt es uns an.
Vielen Dank.