Rede von
Erich
Wolfram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Spies von Büllesheim, ich hatte immer gehofft, wir zwei und, sofern Sie in Ihrer Fraktion ein bißchen Einfluß haben, Ihre Anhänger hätten uns längst auf die Formeln 90 : 90 verständigt. Kehren Sie zu dieser Formel zurück, dann können wir weiter miteinander reden und handeln!
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung amputiert, sie skelettiert, sie vernichtet Arbeitsplätze, ohne daß sie Alternativen aufzeigt, ohne daß sie neue Arbeitsplätze schafft.
Verehrte Frau Kollegin Hürland, Sie müßten eigentlich an meiner Seite stehen, ein bißchen rechts von mir, aber an meiner Seite. Wissen Sie, das, was jetzt passiert, ist die Vernichtung von 20 000 Arbeitsplätzen im Bergbau; dazu kommen 20 000 Arbeitsplätze in der Bergbauzulieferindustrie.
Diese Bundesregierung — auch Sie, Herr Staatsminister — merkt nicht, daß sie dabei auch noch der Stahlindustrie zusätzlichen Schaden zufügt, denn der Bergbau
ist der Hauptauftraggeber und Hauptabnehmer der Stahlindustrie.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung läßt zu, daß die Ministerpräsidenten Strauß, Albrecht und vor allem Herr Späth die Axt an den Kohleverstromungsvertrag legen. Herr Späth braucht Wyhl nicht zu bauen; er braucht keinen französischen Kernenergiestrom. In der Bundesrepublik gibt es genug Strom. Herr Späth kann sich an die heimischen Stromerzeuger wenden. Er könnte Strom genug bekommen.
— Zu einem für uns alle tragbaren und die zukünftige Stromversorgung sichernden Energiepreis! Herr Späth kauft doch zu Lasten anderer subventionierten französischen Kernenergiestrom ein. Das ist die Politik, die Sie unterstützen. Wir warnen vor solchen Experimenten. Wir werden nicht zulassen, daß Kernenergiestrom Kohiestrom verdrängt und daß damit zusätzliche Risiken für den Absatz der heimischen Steinkohle entstehen.
Meine Damen und Herren, Ihr energiepolitischer Sprecher, der Kollege Gerstein, sollte nicht gegen die SPD polemisieren, wir wollten den unterbrochenen Kampf gegen die Nutzung der Kernenergie wiederaufnehmen. Als Ruhrgebietsabgeordneter sollte er sich vielmehr eindeutig zum Vorrang — aus Ihrer Sicht — der Kohleverstromung bekennen und sich für die volle und uneingeschränkte Erfüllung des Kohleverstromungsvertrages einsetzen, statt Schlachten für mehr Kernenergie zu schlagen.
— Ach, verehrter Herr Staatsminister, Sie sind ein lieber Westfale, aber von Energiepolitik verstehen Sie bei Gott nichts.
Das Amt bringt doch nicht immer den Verstand, den man da braucht. —
Meine Damen und Herren, natürlich haben wir zur Kenntnis genommen, daß sich die Wirtschaftsminister der Länder kürzlich erneut zum Jahrhundertvertrag bekannt haben. Aber bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, bekennen Sie sich hier ohne Wenn und Aber zu diesem Vertragswerk. Wir sagen: Wehret den Anfängen, wenn Herr Späth und
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3217
Wolfram
andere versuchen, die Axt an ein erfolgreiches Jahrhundertwerk zu legen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vertraut der deutschen Elektrizitätswirtschaft und ihrem Verband, daß sie ohne Wenn und Aber zu dem gültigen Vertrag stehen.
Diese Bundesregierung hat die Kohlevorrangpolitik aufgegeben, auch wenn Sie heute das Gegenteil behaupten. Sie haben den Steinkohlenbergbau im Saarland, im Aachener Revier und an der Ruhr auf eine schiefe Ebene gebracht.
Bei gutem Willen dieser Bundesregierung — Sie ausschließlich tragen die Verantwortung, meine Damen und Herren — wäre es möglich gewesen, den an die Stahlindustrie ausfallenden Absatz ganz oder teilweise anderweitig zu ersetzen.
Unserer Fraktionsvorsitzender Dr. Vogel hat dazu mit Schreiben vom 11. Juli 1983 an Herrn Bundeskanzler Dr. Kohl einen Maßnahmenkatalog vorgeschlagen und ihm ein Angebot zu konstruktiver Zusammenarbeit unterbreitet.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich frage Sie:
Warum haben Sie dieses Angebot nicht aufgenommen? Sie haben sich heute mittag in einer für mich beachtlichen Art und Weise mit unseren Alternativen zur Schaffung von Beschäftigung, mit der Frage, wie man Arbeitslose in Arbeit bringen kann, auseinandergesetzt. Sie sind nicht zu den Ergebnissen gekommen, die wir für richtig halten. Aber hätten Sie sich doch auch mit uns über unsere energiepolitischen Vorschläge auseinandergesetzt. Sie haben noch heute oder morgen die Gelegenheit, unseren Anträgen für eine stärkere Förderung der Fernwärme, der umweltfreundlichsten Energie auf der Basis der heimischen Steinkohle, zuzustimmen. Sie haben heute noch die Gelegenheit, unserem Antrag auf Gewährung finanzieller Beihilfen zur Einführung der Kohle im Wärmemarkt zuzustimmen. Reden Sie doch nicht davon, handeln Sie!
Sie haben heute noch die Gelegenheit, unserem Antrag auf Aufstockung der Investitionshilfen für den Bergbau zuzustimmen. Jede 100 Millionen DM mehr wären postwendend ein Stück mehr Beschäftigung für die Bergbauzulieferindustrie und für die Stahlindustrie.
— Lieber Herr Staatsminister, wie konnte der Herr
Bundeskanzler Sie ins Kabinett holen, wenn Sie so
schwache Zwischenrufe machen? Spüren Sie nicht
den Ernst, der aus meinen Worten für eine Region und für deren Zukunft spricht?
Ich denke, Sie sind der CDU-Vorsitzende für das westliche Ruhrgebiet. Denken Sie doch einmal daran, in wessen Auftrag Sie handeln.
Meine Damen und Herren, ich bitte die Koalition, noch einmal zu überlegen, ob sie unseren maßvollen, zumutbaren und verantwortungsbewußten Anträgen nicht doch noch zustimmt oder ob sie nicht zumindest zusagt, daß wir bei nächster Gelegenheit erneut darüber reden. Wenn sich die finanzielle Lage so verbessert, wie Sie erwarten, wenn Sie Investitionshilfen gewähren wollen, wenn Sie Arbeit schaffen wollen: dann müssen Sie unseren Anträgen zustimmen; denn das sind die besten und schnellstens wirksamen Arbeitsbeschaffungsprogramme!
Ich bin gespannt, ob wenigstens die Kolleginnen und Kollegen der Koalition aus dem Saarland, dem Aachener Raum und dem Ruhrgebiet mit uns stimmen. Ich bin vor allem gespannt, ob der Bundesarbeitsminister für die Erhaltung von Arbeit und Beschäftigung oder dagegen stimmt.
Sehr geehrter Herr Bundesarbeitsminister, der Sie im Moment von mir nicht gesichtet werden: Für das Ruhrgebiet genügt es nicht, daß Sie in Dortmund das Werksorchester der zur Stillegung anstehenden Zeche Gneisenau dirigieren oder beim Sechs-Tage-Rennen in der Westfalenhalle eine Ehrenrunde drehen, für das Ruhrgebiet und die anderen Gebiete ist Handeln und nicht Politshow gefordert.
Ich frage den Bundeskanzler, wie er es mit der Energiepolitik hält. Wird auf niedrigerem Niveau stabilisiert, oder handeln Sie wie in den letzten zwölf Monaten nach der Salamitaktik?
Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihr Staatssekretär Grund hat mir vorige Woche auf meine Fragen geantwortet, daß Sie nicht in der Lage sind, zu garantieren, das neue Niveau sei eine neue Stabilisierung. Er hat angekündigt, daß die nächsten 5 bis 6 Millionen Tonnen Förderung gefährdet sind — was die Stillegung weiterer zwei bis drei Schachtanlagen bedeuten würde — wenn der Finanzminister die Lieferung von Kokskohle in die Länder der EG finanziell nicht mehr fördert. Bekennen Sie sich doch, Herr Bundeskanzler, morgen, wenn Sie sprechen, wie Helmut Schmidt zum heimischen Bergbau und zur Energiepolitik.
Ich frage Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister — hören Sie freundlicherweise einmal genau zu, Sie können lesen ich weiß nicht, was Sie lesen, das, was
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Wolfram
ich annehme, ist es nicht, denn das muß dicker sein —, ob es stimmt, daß die EG-Kommission 800 Millionen DM Sonderkreditmittel zur Verfügung hat, um Ersatzarbeitsplätze in den Montanregionen zu schaffen und den Einsatz der Kohle im Wärmemarkt zur Substitution von Öl zu fördern, und ob es stimmt, daß der Vertreter Ihres Hauses es in den letzten Tagen in Brüssel abgelehnt hat, diese Mittel für die Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen. Wenn das stimmt, wenn meine Informationen aus Brüssel richtig sind, daß der Vertreter Ihres Hauses noch nicht einmal diese Brüsseler Mittel in die Bundesrepublik hineinlassen will, dann wäre das ein Skandal erster Ordnung. Ich hoffe sehr, daß Sie mich berichtigen können. Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.