Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hauptziele des Steuerentlastungsgesetzes 1984 sind mehr Eigenkapitalbildung und größere Wettbewerbschancen durch weniger ertragsunabhängige Steuern, mehr Investitionskapital durch Abschreibungserleichterungen und die Einschränkung steuerlicher Vorteile aus der Beteiligung an sogenannten Bauherrenmodellen. Wir wollen damit die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern für eine breite Investitions- und Innovationstätigkeit der Wirtschaft, für eine erleichterte Anpassung an den technischen Fortschritt und eine stärkere Stellung im internationalen Wettbewerb mit unseren Konkurrenzländern.
Wir unterstützen mit diesem Gesetzentwurf den Aufwärtstrend unserer Wirtschaft nach Jahren des Niedergangs, nach Jahren einer Steuerpolitik, die die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollte. Das fatale Ergebnis kennen wir: ein hoher Verlust an Arbeitsplätzen, ein hoher Verlust an selbständigen
Existenzen, eine Auszehrung der Betriebe und die steigenden Abgabelasten für die arbeitenden Menschen.
Der Kollege Gobrecht hat vom falschen gesellschafts- und steuerpolitischen Ansatz gesprochen. Dazu sage ich Ihnen: Das Kardinalproblem unserer wirtschaftlichen Misere ist die Ertragsschwäche und die Kapitalschwäche. Wer heute morgen der Wirtschafts- und Finanzdebatte zugehört hat, der weiß, daß diese beiden Punkte auch von dem Kollegen Wieczorek unterstrichen wurden. Unsere Steuerpolitik setzt hier an, diese Fundamente wieder in Ordnung zu bringen.
Aber wir haben nur begrenzte Möglichkeiten im Rahmen unserer Steuerpolitik, die wirtschaftlichen Kräfte zu revitalisieren und damit die Arbeitslosigkeit erfolgreich abzubauen. Denn wir haben über 300 Milliarden DM an Schulden in der Bundeskasse vorgefunden — in allen öffentlichen Haushalten sind es über 700 Milliarden DM —, die unseren finanzpolitischen Handlungsspielraum einengen. Denn wir wollen an der erfolgversprechenden und Erfolg zeigenden Haushaltskonsolidierung festhalten.
Der Kollege Gobrecht sprach von unseren Grundsätzen in der Opposition,
z. B. dem Abbau heimlicher Steuervergünstigungen. — Der frühere finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und heutige Staatssekretär, Dr. Häfele, hat in seiner Rede zum Bundeshaushalt 1983, den Lahnstein hier eingebracht hat, gesagt — Sie können es im Plenarprotokoll vom 15. September 1982, Seite 6917 nachlesen —:
Wir müßten eigentlich den Abbau dieser heimlichen Steuererhöhungen fordern.
Jetzt kommt seine Bemerkung — noch in der Opposition —:
Aber weil die Staatskasse nichts mehr hergibt, fehlt jede Handlungsfähigkeit in dieser Richtung.
Wir haben also schon damals angekündigt, daß es nur begrenzte Möglichkeiten gibt.
Heute morgen haben wir gesagt: Die Haushaltskonsolidierung ist auch ein wichtiger Maßstab für die anstehende Tarifreform. Die Haushaltskonsolidierung ist existenzwichtig für die Wirtschaft. Wir müssen sie fest im Auge behalten.
So sind 3,5 Milliarden DM an Steuererleichterungen, die diese Regierung, die die Koalition der Mitte gibt, ein Angebot für die gewerbliche Wirtschaft. Vorhin ist die Richtigkeit der Zahlen bezweifelt worden. Dazu muß ich sagen: Natürlich ist es uns schwergefallen, zum jetzigen Zeitpunkt diese steu-
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erlichen Erleichterungen überhaupt zu finanzieren. Aber um überhaupt etwas zu machen, haben wir diese Mittel aus der Mehrwertsteuererhöhung bereitgestellt. Es handelt sich also sozusagen um eine Umschichtungsmasse.
Wir stellen in den Bundeshaushalt 1984 28,7 Milliarden DM für den Zinsendienst ein. Welch einen Gestaltungsspielraum in der Steuerpolitik könnten wir durch diese 28,7 Milliarden DM gewinnen, wenn wir die Zinsen nicht für die Folgen Ihrer Politik ausgeben müßten. Dies muß man sehen.
Daher sind unsere finanziellen Möglichkeiten begrenzt, um etwa Wunder zu erwarten.
Steuerpolitik ist eine Vertrauensfrage. Das wichtigste Kapital, das wir einbringen, das Vertrauenskapital, ist diese Bundesregierung, ist dieser Bundesfinanzminister
und die Koalition der Mitte. Vertrauenskapital ist die wichtigste Voraussetzung, um hier wieder handlungsfähig zu werden.
— Herr Kollege Gobrecht, Sie sagen „Schlingerkurs": Schon nach 12 Monaten Regierungszeit dieser Koalition der Mitte sind so viele positive Ansätze zu erkennen. Sie können es in einem Harvard-Lehrbuch nachlesen: Die klassische Aufwärtsentwicklung beginnt zunächst an der Börse — die haben wir gehabt —, dann bei den Investitionen — die haben wir ermutigt —, und jetzt die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Dies ist eine klassische Aufwärtsentwicklung!
Auf Grund der von uns vorgeschlagenen Steuererleichterungen werden die kleinen und mittleren Betriebe entlastet und ihre Investitionsbedingungen verbessert. Bei der ertragsunabhängigen Vermögenssteuer, die in schwierigen Zeiten zum Substanzverzehr und zum Existenzverlust führen kann, wird das Betriebsvermögen entlastet. Der neu eingeführte Freibetrag von 125 000 DM entlastet die mittelständischen Unternehmen. Das ist die Konstruktion des Freibetrages. Von den 300 000 natürlichen Personen mit Betriebsvermögen werden 60 000 Personen, von den 140 000 Körperschaften werden künftig 80 000 von der Vermögensteuer völlig freigestellt. Das den Freibetrag übersteigende Betriebsvermögen wird nur noch zu 75 % seines Wertes angesetzt. Bei einem Unternehmen mit einem Betriebsvermögen von 250 000 DM sind das 63 % an Entlastung, bei einem Unternehmen mit 10 Millionen DM Betriebsvermögen sind das aber nur 26 % an Entlastung. Das ist ein Entlastungseffekt, der strukturpolitisch auf die kleineren und mittleren Betriebe gerichtet ist.
Die Unternehmen mit einem Betriebsvermögen
über 50 Millionen DM zahlen insgesamt 70 % der
auf nichtnatürliche Personen entfallenden Vermögensteuer. Deswegen sind die 60 % der Entlastungssumme zieladäquat eingesetzt.
Wir räumen in dem Bündel von Maßnahmen neue Sonderabschreibungen in Höhe von 10 % für kleinere Betriebe ein, deren Einheitswert 120 000 DM bzw. deren Gewerbekapital 500 000 DM nicht übersteigt. Die begünstigten Betriebe können somit im ersten Jahr bis zu 40 % über Investition abschreiben. Zu Ihrer Sorge, Herr Kollege Gobrecht, wir würden nicht genug machen, um die Investitionsbedingungen zu verbessern: Dies ist eine Maßnahme, die wir viel großzügiger ausstatten würden, wenn wir mehr Geld in der Kasse von Ihnen hätten übernehmen können.
Für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden Sonderabschreibungen ermöglicht, und zwar 40 % für bewegliche Anlagegüter und bis zu 15 % für unbewegliche Anlagegüter, wenn sie zu mehr als zwei Dritteln der Forschung oder Entwicklung dienen. Diese Abschreibungen verbessern die Liquidität der Betriebe kurz- und mittelfristig.
Diese Steuerentlastungen sind keine Steuergeschenke, sie sind das Gebot der wirtschaftlichen Vernunft! Herr Kollege Gobrecht, mit emotionalen Parolen können Sie den dramatischen Rückgang des Eigenkapitals und der Rentabilität der deutschen Betriebe nicht bremsen und umkehren!
Ich entnehme dem Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1982, daß der Anteil der Eigenmittel an der Bilanzsumme von 30 v. H. im Jahre 1965 auf 19 v. H. im Jahre 1981 zurückgegangen ist. Der Eigenkapitalverlust beträgt in diesen Jahren 165 Milliarden DM. Ich könnte auch sagen, weil wir heute morgen das Bild schon einmal gebraucht haben: ein enormer Blutverlust für die Wirtschaft,
und das heißt Investitionsverlust, das heißt Investitionslücke. Deshalb haben wir heute diese fatale Lage auf dem Arbeitsmarkt, die wir alle beklagen und ändern wollen.
Diese Entwicklung hat der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Helmut Schlesinger — er ist heute vom Kollegen Wieczorek als uribestrittene Autorität in unserem Lande dargestellt worden —, auf dem Deutschen Betriebswirtschaftlertag in Berlin am 17. Oktober 1983 zutreffend mit den Worten charakterisiert:
Unser Problem ist nicht so sehr die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren als vielmehr die Umsetzung neuer Ideen in marktreife Produkte. Dies fällt unserer Industrie schwerer als den Konkurrenten, weil die ausreichende Kapitalbasis fehlt, um neue Investitionsrisiken eingehen zu können. Die Verbesserung liegt in einer schrittweisen Verringerung der Unternehmenbesteuerung.
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Soweit Schlesinger. Mit kleinen Schritten gehen wir in diese Richtung, aber die Richtung stimmt.
Die so beschriebene Strukturkrise läßt sich nicht mit staatlich finanzierten Ausgabenprogrammen bewältigen. Wer heute mehr Schulden, mehr Staat und weniger Arbeit fordert, wird die Krise nicht meistern!
Wir benötigen die wirtschaftliche Dynamik und Leistungskraft der Unternehmen, die man nicht mit Programmen, wie sie eben beschrieben wurden, verbessern kann. Die Ursachen liegen in der Verknappung des Realkapitals. Deswegen ist unsere Antwort auf die Krise, die wirtschaftliche Dynamik und Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Unternehmens, einzelnen für sich und durch alle gemeinsam in ihrer Vielfalt wieder zu erneuern und zu stärken.
Die Schlüsselworte dazu — das sage ich so ausdrücklich, weil Sie, Herr Kollege Gobrecht, gefragt haben, wie der Kurs ist — lauten: Investition und Innovation, denn die schaffen neue Arbeitsplätze und neue Existenzen.
Wir haben Ihre bei der Einbringung des Gesetzentwurfes geäußerte Kritik in der Frage der Steuervereinfachung ernstgenommen. Wir haben uns der Kritik des Bundesrates und der Sachverständigen in der Anhörung gestellt. Wir haben uns den Forderungen auch gestellt.
Der Bundesrat hat der verwaltungsmäßigen Abwicklung naturgemäß besondere Aufmerksamkeit geschenkt und hat entsprechende Änderungen vorgeschlagen. Wir sind den Anregungen in entscheidenden Vereinfachungsfragen gefolgt. Dies ist ein gutes Beispiel für eine parlamentarische Beratungskultur der gegenseitigen Respektierung.
— Herr Kollege Gobrecht, das betrifft zum einen die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene zusätzliche Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1984, die zur Veranlagung der Vermögensteuer vorgesehen war. Hier ist eine Regelung gefunden worden, die eine zusätzliche Hauptveranlagung und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand vermeidet.
Zum anderen wird die Einschränkung von steuerlichen Vorteilen aus der Beteiligung an Bauherrengemeinschaften mit einer beachtlichen Entlastung der Steuerverwaltung erreicht.
Wir verlassen damit nicht die Zielsetzung des Gesetzentwurfes, wie sie in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 niedergelegt ist. Hier heißt es:
Wir wollen eine gerechtere Besteuerung. Deshalb werden wir z. B. die Möglichkeiten für Steuerersparnisse einschränken, die sich für Bezieher höherer Einkommen aus der Beteiligung an sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften ergeben.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, künftig den vollen Abzug der Geldbeschaffungskosten nicht mehr zuzulassen. Die hohen Finanzierungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sollten steuerlich auf die Darlehenszeit, längstens auf fünf Jahre, verteilt werden.
Gegen diesen Vorschlag wurden vom Bundesrat, aber auch in der Anhörung von den Sachverständigen erhebliche Bedenken geäußert, verwaltungstechnische, steuerrechtliche und steuersystematische Bedenken, aber auch Bedenken, daß eine nicht erwünschte Schlechterstellung für private Bauvorhaben eintreten könnte.
Auf der Grundlage des Bundesratsvorschlages ist nun eine überzeugende Lösung gefunden worden, die steuerlichen Vergünstigungen beim Bauherrenmodell einzuschränken: Im Rahmen der Einkunftsart aus Vermietung und Verpachtung können Verluste bei den Einkommensteuervorauszahlungen erst im Jahr nach der Fertigstellung berücksichtigt werden. Das heißt im Klartext: Die hohen Werbungskosten können nicht mehr sofort bei der Zeichnung eines Bauherrenmodells steuerlich geltend gemacht werden, sondern erst nach Fertigstellung der Wohnung.
Gleichzeitig mit dieser Regelung, wird der später vermietende Bauherr dem Eigennutzer gleichgestellt, der ebenfalls erst nach der Fertigstellung in den Genuß der steuerlichen Vorteile gelangt. Für diesen Vorschlag, den wir dem Parlament jetzt empfehlen, spricht auch eine wesentliche Vereinfachung für die Steuerverwaltung,
die Sie, Herr Kollege Gobrecht, soeben kritisiert haben; aber Sie haben keine Schlüsse aus Ihrer Kritik gezogen. Vorgeschaltete und sehr aufwendige Prüfungen entfallen, weil für die Festsetzung der Vorauszahlungen erst nach Abschluß der Investition die tatsächlich entstandenen Verluste geltend gemacht werden können.
Mit diesem Vorschlag werden die steuerlichen Vergünstigungen beim Bauherrenmodell weiter erheblich eingeschränkt, nachdem in den Jahren zuvor bereits der Bauherrenerlaß, die Neuregelung der Grunderwerbsteuer und das Auslaufen der Mehrwertsteueroption zum 31. Dezember 1984, in die gleiche Richtung zielten. Somit bleibt abzuwarten, welche Entwicklung die Bauherrenmodelle nach dieser gesetzlichen Verschärfung nehmen werden.
Die Beratungen im Finanzausschuß haben gezeigt, welche Schwierigkeiten sich ergeben, Verlustzuweisungsgesellschaften einwandfrei abzugrenzen und damit Verlustzuweisungen einzuschränken.
Das gilt besonders in bezug auf neugegründete Unternehmen, bei denen in der Aufbauphase Verluste entstehen können. Vor dem Hintergrund der geringen Eigenkapitalausstattung bleibt unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, wie vorhandenes Sparkapital in produktivere Bereiche und volkswirtschaftlich erwünschte Innovationen gelenkt werden kann. Diese Zielsetzung ist leicht zu formulieren, die praktische Ausgestaltung der Gesetze aber
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nicht ohne Hindernisse. Aus diesem Grunde wird in einer gemeinsamen Entschließung des Finanzausschusses die Bundesregierung aufgefordert, dem Deutschen Bundestag über die Auswirkungen der heute zu treffenden Entscheidungen bis zum 1. Juli 1984 zu berichten und darüber hinaus weitere Maßnahmen zu prüfen, die die Verlustzuweisungsmodelle eindämmen, um dadurch sicherzustellen, daß sich niemand mehr durch Beteiligung an volkswirtschaftlich nicht erwünschten Verlustzuweisungsmodellen seiner Steuerpflicht ganz oder überwiegend entziehen kann.
Das ist die Zielsetzung des gemeinsamen Entschließungsantrages, der mit zur Abstimmung gestellt wird und um dessen Annahme ich Sie bitten möchte.
Deswegen müssen wir, Herr Kollege Gobrecht, Ihre Änderungsanträge und Ihren Entschließungsantrag ablehnen. Wir meinen, daß wir auf das Thema zurückkommen, sobald die Bundesregierung uns den Bericht vorgelegt hat.
Wir stimmen dem Steuerentlastungsgesetz 1984 zu.
Vielen Dank.