Rede von
Horst
Gobrecht
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Verlaub, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer: Bei Ihrer Darstellung der Regierungspolitik hatte ich doch ein wenig den Eindruck, als ob wir uns in einem Kosmetiksalon mit angeschlossener Schönheitsreparatur befänden.
So geschönt ist hier die Regierungspolitik im Bereich des Sozialen dargestellt worden.
Die Frau Präsidentin hatte natürlich recht, als sie sagte, daß ich zu einem anderen Themenbereich sprechen wolle.
— Selbstverständlich, Herr Kollege Spöri, ohne Komplex, wie sich das in der Finanzpolitik und wie sich das erst recht für Sozialdemokraten gehört.
Meine Damen und Herren, die Steuerpolitik der Kohl-Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP gleicht einem schlingernden Schiff in einem Meer voller Untiefen bei ziemlichem Sturm. An Backbord hat die Zwangsanleihe bereits an drei Stellen verfassungsrechtliche Lecks geschlagen, obwohl der Fels Karlsruhe noch nicht passiert ist. Gleichwohl wird die sichere Reparatur durch eine Ergänzungsabgabe abgelehnt. An Steuerbord ist das Gewicht von verschenkten Vermögensteuer-Milliarden so rechts gestaut worden, daß das Schiff zu kentern droht. Auf der Brücke streiten sich der Erste und der Zweite Offizier
handgreiflich darum, wann endlich die heimlich an Bord gebrachte Ladung in Gestalt der heimlichen Steuererhöhungen zur Leichterung des Schiffes zurückgegeben werden soll. Der Kapitän des Schiffes ist auf der Brücke lange nicht gesehen worden, und wenn er sich bei schwerem Wetter überhaupt auf die Brücke traute, würde das dem Schiff im Sturm auch nichts helfen, weil er schwere Probleme gern vor sich herschiebt und Entscheidungen nicht liebt, sondern sie lieber aussitzt.
Meine Damen und Herren, das steuerpolitische Durcheinander, das steuerpolitische Tohuwabohu der Regierungskoalition könnte man auch unfreundlicher beschreiben; denn es hat erhebliche Ähnlichkeit mit dem Durcheinander in der Europäischen Gemeinschaft.
Da sind in der Opposition der Union vollmundige Forderungen nach der Rückgabe der heimlichen Steuererhöhungen in unablässiger Folge aufgestellt worden, während gleichzeitig die schwarze Mehrheit im Bundesrat nach der Sonthofener Strategie staatliche Ausgaben weit über Bundestagsbeschlüsse hinaus erhöht hat — und dies u. a. deshalb, um dem parteipolitischen Gegner um so leichter in Sachen Finanzen am Zeuge flicken zu können. Kaum in der Regierung, sind diese flotten Sprüche vergessen. Die Arbeitnehmer, die kleinen Handwerker, die kleinen Kaufleute, die kleinen Freiberufler, die sich im unteren Teil der einkommensteuerlichen Progressionszone befinden, sollen ruhig auf Jahre hinaus weiter steigende Lohn- und Einkommensteuer bezahlen. Die wirklich Großen, die Einkommensmillionäre, betrifft das ja nicht; denn für die ist der Spitzensteuersatz seit Jahren unverändert.
Immerhin, meine Damen und Herren — und das hat heute morgen schon eine gewisse Rolle gespielt —, hat der kleinere Koalitionspartner, die FDP, dieses Thema nun, offensichtlich zur Ablenkung von aktuellen anderen Schwierigkeiten, entdeckt. Der Wirtschaftsminister Lambsdorff und der Abgeordnete Haussmann fordern alsbald eine Entscheidung über eine Einkommensteuersenkung und noch einen Termin dafür in dieser Wahlperiode. Doch Steuer-Staatssekretär Häfele, einst der Erfinder der heimlichen Steuererhöhungen, sagte in einem Interview auf den Hinweis, daß es wohl Streit über den Steuersenkungstermin gebe — wörtliches Zitat —:
Nein, wir haben überhaupt keinen Streit. Vor allem die sachkundigen Kollegen beider Fraktionen sind sich völlig einig, daß die Sanierung vorrangig ist.
Womit die Herren Lambsdorff und Haussmann nun nicht nur dabei erwischt worden sind, daß sie eine offensichtlich inopportune Forderung aufgestellt haben, sondern auch noch als nicht sachkundig bezeichnet worden sind. Wahrscheinlich sind diese Umgangsformen Ausdruck der bisher vermißten geistig-moralischen Erneuerung in der Politik.
3202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983