— Sie können vor Arroganz schon bald nicht mehr laufen. Sie sollten lieber sachlich mitwirken.
Wir verschweigen heute in der Debatte zur zweiten Lesung nicht, daß wir unseren Bürgern schmerzhafte Opfer zumuten mußten. Wir haben dies den Leuten aber vor der Wahl am 6. März gesagt. Wer das Wunder vollbringen kann, bei einem Haushalt von 257 Milliarden DM, bei dem fast jede dritte Mark allein in die Haushaltspläne des Bundesministers für Arbeit und des Bundesministers für Familie und Jugend fließt, eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen — ohne die angesprochenen Haushaltspläne anzutasten — herbeizuführen, der sollte das auch beweisen. Ihr Vorschlag war: mehr Verschuldung, d. h. Chancenverminderung für die junge Generation.
Wir haben aber nicht einfach — wie das früher der Fall war — mit dem Klingelbeutel gesammelt, bis das Geld zusammen war, sondern wir haben mit Perspektiven und nach Grundsätzen unsere Politik gemacht. Alle Details unserer Sozialpolitik sind Bestandteil eines Konzeptes. Es geht nicht nur um Zurücknahme,
sondern dahinter steht eine Vorstellung, wie die Sozialpolitik gestaltet werden soll.
— Ich nehme das gleich auf. Sie führen so oft das Wort „Solidarität" im Munde. Ich sage Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei: Solidarität können Sie nicht in der Armut praktizieren, sondern nur, wenn Sie Wohlstand für alle erzeugen. Auf diesem Wege sind wir wieder. Wenn Sie weitergemacht hätten, wäre Solidarität ein Fremdwort gewesen.
Lassen Sie mich noch zu einigen wenigen Punkten kommen.
— Aber meine Damen und Herren, wir leben doch in einem Staat, in dem der, der hier spricht, seine Themen selber aussuchen kann. Sie können mir noch zusätzliche Redezeit besorgen; dann sage ich Ihnen auch dazu noch etwas.
Nehmen Sie doch nicht immer an, daß wir nicht so klug und bewandert sind wie Sie selber. Wo kommen wir denn eigentlich hin? Was ist denn das für ein Stil hier im Parlament?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3197
Jagoda
Lassen Sie mich einen Begriff aufnehmen, den Frau Kollegin Fuchs ausgesprochen hat: Wir würden Rente auf Pump nehmen.
Wahr ist: Wenn wir die Regierung nicht übernommen hätten und wenn die Rentner ein halbes Jahr später nicht ihre Rentenerhöhung bekommen hätten, hätte die Rentenversicherung im August 1983 die Renten nicht mehr bezahlen können. Das haben nicht wir, sondern Sie zu vertreten.
Ich will Ihnen dazu einen zweiten Punkt sagen: Diese Liquiditätsschwierigkeit im Monat November kommt daher, daß die Rücklagen von 7 Milliarden DM bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nicht ohne Verluste flüssiggemacht werden können.
Der nächste Punkt ist, daß der Bundesfinanzminister die Bundeszuschüsse so rechtzeitig geben wird, daß mit dem Zinsgewinn, der auf dem Geldmarkt und nicht auf dem Kapitalmarkt, wie Sie das immer darstellen, entsteht, ein Ausgleich erfolgen kann.
Ein wesentlicher Punkt in der Rentenpolitik aber ist, daß es geschafft worden ist — loben wir einmal unseren Minister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm —, das, was in der Koalitionsvereinbarung stand — man müsse die Rentenerhöhung um ein halbes Jahr verschieben —, zu verhindern. Die Rentner in Deutschland werden am 1. Juli wieder eine Rentenerhöhung bekommen. Das haben sie dieser Koalition zu verdanken und nicht der beißenden und überzogenen Kritik der Opposition.
Ich will Ihnen nur sagen, daß wir auf diesem Gebiet alles unternommen haben, um das herbeizuführen.
Wir werden über die Aktualisierung und die Einmalzahlung versuchen, die Renten zu stabilisieren. Lassen Sie mich zur Einmalzahlung etwas sagen.
Wir sind der Auffassung, daß dies sozial ertragbarer ist als Ihre Erhöhung der Beiträge, mit der Sie alle getroffen hätten, auch diejenigen mit einem kleineren Einkommen. Wir nehmen diejenigen, die sonst über der Beitragsbemessungsgrenze liegen würden, mit herein. Sie waren doch zum Wettbewerb aufgefordert, ein noch besseres Konzept zu erarbeiten als das, was wir vorgelegt haben. Da war aber bei Ihnen Schweigen im Walde. Deswegen haben Sie das Recht zur Kritik verloren.
Lassen Sie mich zu einem sehr ernsten Problem kommen. Ich will gerne in aller Deutlichkeit sagen, daß das für uns ein ganz schwerer Punkt gewesen ist: Es geht um die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge für die Behinderten in Werkstätten.
Vielleicht ermessen Sie die Dramatik, die hier von der Finanzpolitik ausgeht, an dem, was wir vorgefunden haben. Ich will in aller Deutlichkeit sagen, daß uns das, was beispielsweise von Herrn Kollegen Hoss mit dem Brief von Eltern in die Debatte eingeführt worden ist, bekannt ist. Da brauchen wir keine Briefe; das wissen wir.
Allerdings ist es auch in diesem Bereich nicht zulässig, das wirkliche Bild unter Weglassung einiger Tatbestände zu zeichnen. Wenn dieses Gesetz angenommen wird, dann bedeutet das für einen behinderten Mitbürger, der mit 16 Jahren in eine Werkstatt für Behinderte eintritt und mit 36 Jahren seine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommt, daß er nicht etwas mehr als 200 DM, sondern nach heutigem Stand über 880 DM bekommt. Das bedeutet, daß weder die alte noch die neue Rente ausgereicht hätte, um eine Heimunterbringung zu ermöglichen. Er wäre immer auf die Sozialhilfe- angewiesen gewesen.
Ich will noch einen Punkt erwähnen. Machen Sie es bitte nicht so, daß unsere Mitbürger, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind — Hilfe zum Lebensunterhalt ist ein Rechtsanspruch und nicht mehr ein Almosen —, Menschen zweiter Klasse sind.
— Weil 880 DM Rente — wenn Sie mich so herausfordern — eine Leistung der Versichertengemeinschaft in Deutschland sind. Es gibt bei uns Menschen, z. B. Witwen oder diejenigen, die wenig verdient haben oder die vom Schicksal gebeutelt worden sind, die weniger als 880 DM haben. Auch das will ich Ihnen einmal sagen.
Tun Sie nicht immer so, als würden wir hier sonst etwas tun.
— Herr Kollege, ich kann keine Ausnahmen machen, sonst bin ich unglaubwürdig.