Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf Herrn Roth eingehen. Herr Roth, Sie und die Fraktion der SPD — Herr Vogel hat das ja angekündigt — werden morgen nochmals zu der Rücktrittsforderung an den Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff eine Erklärung abgeben. Das ist Ihr gutes Recht. Allerdings, es ist schon die dritte Rücktrittsforderung in dieser Woche, sie verbraucht sich etwas. Nur, spätestens beim Haushalt dieses Wirtschaftsministers müßten die Sozialdemokraten eigentlich ihre eigenen Konzepte vorzeigen. Rücktrittsforderungen sind kein Ersatz für Wirtschaftspolitik.
Graf Lambsdorff hätte es in der Tat verdient, daß sich auch die Sozialdemokraten mit dem Inhalt seiner Wirtschaftspolitik und mit dem wirtschaftspolitischen Stil auseinandersetzen,
mit dem Stil eines Mannes, der in der letzten Woche in der „Herald Tribune" als der profilierteste Vertreter westlicher Industriegesellschaften, als profiliertester Marktwirtschaftler gewürdigt wurde. Typisch für Lambsdorff ist auch, daß ihm einer der führenden Wirtschaftsdienste in dieser Woche atte-
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Dr. Haussmann
stierte, daß er sich große Verdienste dadurch erworben hat, daß er maßlose finanzielle Ansprüche, Herr Roth, der Stahlindustrie, der Werften und der Seeschiffahrt eisern abgelehnt hat. Ich werde nachher zu Ihrem Vorwurf der fehlenden Industriepolitik noch einiges sagen.
Der Gipfel aber ist — und das nehme ich Ihnen auch persönlich nicht ab, Herr Roth —, in welcher Weise Sie behaupten, man würde der internationalen und der deutschen Wirtschaft einen Dienst tun, wenn man Ihrer Forderung genügen würde. Ich glaube, der deutschen Wirtschaft wäre ein größerer Dienst getan, wenn die Sozialdemokratie endlich eine vernünftige marktwirtschaftliche Politik à la Arndt, à la Matthöfer und à la Helmut Schmidt fortsetzen würde. Meine Damen und Herren, wer glaubt, daß Lambsdorff in den letzten Wochen und Monaten seinen internationalen Aufgaben nicht nachgekommen sei, der sollte sich auch als führender Wirtschaftssprecher der Sozialdemokratie darüber informieren, was Graf Lambsdorff bei Wirtschaftskonferenzen, bei Regierungsgesprächen in der Volksrepublik China, in Japan, in Washington, in Brüssel, bei einer bevorstehenden Reise nach Indien, bei Gesprächen in Australien mit den ASEAN-Staaten für die Exportwirtschaft und für die exportabhängige deutsche Industrie getan und erreicht hat bzw. erreicht.
Es ist billig, in dieser Weise über ihn herzuziehen,
als wäre er nicht einer der wichtigsten internationalen Freihändler, die die Europäische Gemeinschaft noch auf diesem Gebiet hat.
— Es tut mir furchtbar leid, ich muß mich leider an die noch kürzere Redezeit halten. Ich kann im Ausschuß gerne wieder mit Ihnen diskutieren.
Die Sozialdemokratie möchte jetzt einen Mann kaltstellen — das ist doch der tiefere Grund —, der sie an eigene bessere marktwirtschaftliche Zeiten erinnert. Von Altbundeskanzler Schmidt weiß man ja, daß Lambsdorff wie wenige im Kabinett von Schmidt angehört wurde.
— Herr Roth, vielleicht ist es Ihnen vorhin bei Ihrer Schelte entgangen, daß kurz nach Redeantritt nicht weniger als drei Staatssekretäre des Wirtschaftsministeriums Ihnen gebannt gelauscht haben, was nun die Vorstellungen der Sozialdemokraten sind. Inzwischen ist der Minister auch noch da. Sie können sich also nicht beklagen.
Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff bleibt für die FDP, bleibt für die Bundesregierung der konsequente Freihändler, der marktwirtschaftliche Mahner und ist damit auch für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik unverzichtbar.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten reagieren auch deshalb so persönlich verletzend und so aggressiv, weil die Lambsdorffsche Politik,
nämlich die Wende zu mehr Marktwirtschaft, zu solideren Staatsfinanzen, gegen die SPD durchgesetzt werden mußte
und nun Früchte trägt. Bundeskanzler Kohl hat recht: Wie hätten sich Sozialdemokraten feiern lassen, wenn ihrer Politik von den Fachleuten als Resultat inzwischen ein 3 %iges Wachstum und kein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit attestiert worden wäre?
Denn es ist in der Tat, meine Damen und Herren, die wichtigste Botschaft in den letzten Wochen gewesen,
daß es nun endlich eine begründbare Hoffnung gibt
— daß es nicht mehr konjunkturelle Sonderfaktoren sind, sondern daß es eine begründbare Hoffnung gibt —, daß der Trend zu immer mehr Arbeitslosigkeit endgültig gebrochen ist, daß die wirtschaftliche Stagnation endlich überwunden ist und daß damit für viele Jugendliche in der Bundesrepublik mittelfristig zumindest wieder eine Arbeitsplatzperspektive durch die Politik der neuen Regierung aufscheint.
Wenn Sozialdemokraten und ihnen nahestehende Wirtschaftsjournalisten immer davon reden, im Wirtschaftsministerium fehle es an einer sogenannten Industriepolitik aus einem Guß — man hört das auch von einzelnen Ministerpräsidenten —, so kann man als Marktwirtschaftler den Ehrgeiz dieser „Industriepolitiker" eigentlich nur mit einigen Fragezeichen versehen. Wer soll denn in Krisenbranchen die Marktnischen finden? Wer soll sich denn an eine gesunkene Nachfrage anpassen? Dies ist und bleibt doch in erster Linie Sache der Unternehmen selber und kann nicht Sache der Beamten in irgendeinem Ministerium sein.
Was der Staat tut und woran die neue Regierung intensiv arbeitet, ist, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, mehr Risikokapital bereitstellen zu helfen — Herr Wissmann hat schon darauf hingewiesen —, Forschungshilfen zu geben, für weniger Bürokratie und mehr Flexibilität zu sorgen. Dies ist marktwirtschaftliche Industriestrukturpolitik, aber nicht Einzellenkung. Wir dürfen den gefährlichen Pfad zu mehr Einzeleingriffen wie Staatshilfen, Bestandsgarantien, Fusionshilfen nicht beschreiten. Es ist doch nicht so, meine Damen und Herren, daß Größe in der Werft- oder Stahlindustrie mit Wettbewerbsfähigkeit gleichzusetzen wären. Was passiert denn bei Großfusionen mit den kleinen und mittleren Betrieben?
— In der Tat haben wir es — Herr Stratmann, Sie waren doch im Wirtschaftsausschuß — abgelehnt — —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Dr. Haussmann
— Nein, wir haben das doch im Wirtschaftsausschuß abgelehnt. Und Sie haben die Auskünfte bekommen, daß auch wegen der kleinen und mittleren Werften eine staatliche Hilfe für eine Größtwerft nicht in Frage kommt. Das war doch der tiefere Grund.
Wir haben deshalb gesagt, wir geben in Bremen 80 Millionen DM für die Schaffung alternativer Arbeitsplätze aus. Wer uns für Bremen kritisiert, der sollte dem Wirtschaftsminister und dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten dankbar sein, daß es gelungen ist, die Bereitschaft der Firma Daimler-Benz zu erreichen, den Standort Bremen vorzuziehen. Das ist Industriepolitik, meine Damen und Herren, aber nicht Fusionen, mehr Konzentration und Bestandsgarantien. Nein, meine Damen und Herren, der Staat kann nicht zur Intensivstation für nicht mehr lebensfähige Industriestrukturen werden.
Er muß Geburtshelfer für Neues, für Zukunftsträchtiges sein.
Noch ein Wort, Herr Roth: Wenn eine große Partei ihren Hauptbeitrag in dieser Woche in einer Rücktrittsforderung sieht, dann versagt sie sich dem wichtigsten innenpolitischen Thema, dem Abbau der Arbeitslosigkeit.
Ihr Hauptpunkt war doch die erneute Forderung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wenn Sie hier dem Bundeskanzler vorwerfen, er mische sich in die Tarifautonomie ein, muß ich schon sagen, daß dies äußerst pharisäerhaft ist. Beim letzten Arbeitnehmerkongreß der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg haben der SPD-Landesvorsitzende Lang und der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Vogel, erklärt, daß die Sozialdemokratische Partei ihre politische Bedeutung mit der Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei Lohnausgleich verknüpfe. Das ist ihr gutes Recht, wenn Sie glauben, daß die Einführung der 35-Stunden-Woche der entscheidende Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit sei. Das gute Recht und die Pflicht des Bundeskanzlers ist es, auf Grund seiner Richtlinienkompetenz aus seiner Sicht auf die Gefahren einer solchen Forderung für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Arbeitsplätze der deutschen Wirtschaft aufmerksam zu machen.
Das ist kein Eingriff in die Tarifautonomie, sondern eine zentrale gesamtpolitische Aufgabe.