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ID1004415500

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    Vokabeln: 10
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/44 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 44. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 —Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksachen 10/638, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 10/653 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 10/657 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/647, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 10/686, 10/716 —Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/687 — Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksachen 10/281, 10/535, 10/723 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 10/639, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/677 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/696 — in Verbindung mit Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksachen 10/640, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 10/641, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 10/724, 10/733 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/725 — Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der unmittelbaren Kostenbeteiligung der Versicherten an der Krankenhaus- und Kurbehandlung (Selbstbeteiligungs-Aufhebungsgesetz) — Drucksache 10/120 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 10/675 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/676 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit — Drucksachen 10/189, 10/704 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag des Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortmaßnahme: Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung — Drucksachen 10/205, 10/698 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Mutterschaftsurlaub — Drucksachen 10/358 Nr. 64, 10/706 — in Verbindung mit Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksachen 10/645, 10/659 — in Verbindung mit Haushaltsgesetz 1984 — Drucksachen 10/658, 10/660 — Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 3109B, 3205 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3109C Wieczorek (Duisburg) SPD 3118A Carstens (Emstek) CDU/CSU 3123 D Stratmann GRÜNE 3128 B Dr. Weng FDP 3133 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 3136 D Frau Simonis SPD 3144 B Glos CDU/CSU 3150 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3154 D Vizepräsident Stücklen 3156 C Frau Fuchs (Köln) SPD 3165A Dr. Friedmann CDU/CSU 3171 D Frau Potthast GRÜNE 3175A Frau Seiler-Albring FDP 3176B, 3248 B Roth SPD 3178C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 III Wissmann CDU/CSU 3183 D Hoss GRÜNE 3186 A Dr. Haussmann FDP 3189 D Sieler SPD 3191 D Präsident Dr. Barzel 3194A Jagoda CDU/CSU 3195A Vizepräsident Frau Renger 3195 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 3198 D Gobrecht SPD 3201 B Frau Dr. Vollmer GRÜNE 3208 B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 3210 C Grünbeck FDP 3212 B Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 3213C Schulhoff CDU/CSU 3218 D Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 3220 D Frau Zutt SPD 3223 C Bredehorn FDP 3226 A Kiechle, Bundesminister BML 3227 D Hauck SPD 3230 B Dr. Hoffacker CDU/CSU 3232 C Eimer (Fürth) FDP 3236 B Jaunich SPD 3237 A Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 3239 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 3244 A Roth (Gießen) CDU/CSU 3245 D Walther SPD 3249 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 3250 B Vizepräsident Wurbs 3258 C Namentliche Abstimmungen . 3254 B,C, 3256 B,C Nächste Sitzung 3258 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3259* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Heyenn (SPD) nach § 31 Abs.1 GO 3259* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3107 44. Sitzung Bonn, den 8. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 12. Cronenberg (Arnsberg) 9. 12. Fischer (Frankfurt) 9. 12. Gerstl (Passau) * 9. 12. Gilges 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Haase (Fürth) * 9. 12. Haehser 9. 12. Handlos 9. 12. Frau Dr. Hartenstein 9. 12. Immer (Altenkirchen) 9. 12. Dr. Kreile 8. 12. Lemmrich* 9. 12. Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Dr. Müller* 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Reddemann* 9. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. von Schmude 9. 12. Schreiner 9. 12. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 9. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Verheyen 9.12. Voigt (Frankfurt) 9. 12. Weiskirch (Olpe) 9. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung des Abg. Heyenn (SPD) nach § 31 Abs.1 GO Zur Abstimmung über den Einzelplan 11 erkläre ich hiermit, daß ich aus den von Sprechern meiner Fraktion dargelegten Gründen nicht zustimmen kann. Ich begrüße jedoch, daß es auf Betreiben meiner Fraktion eine interfraktionelle Einigung darüber gegeben hat, wie sichergestellt werden kann, daß die drei im Hamburger Verkehrs-Verbund einbezogenen Linien der Eisenbahngesellschaft Altona, Kaltenkirchen, Neumünster (AKN) auch künftig von Behinderten unentgeltlich in Anspruch genommen werden können. Ich begrüße weiter, daß die Fraktionen von CDU/CSU und FDP verbindlich erklärt haben, eine gesetzliche Regelung vorzunehmen, wenn der jetzt gemeinsam vorgesehene Weg nicht zum Ziel führt. Die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD haben sich darauf geeinigt, im Rahmen der Aussprache zum Einzelplan 11 folgende Erklärung zu Protokoll zu geben: Die Fraktionen gehen übereinstimmend davon aus, daß die obersten Landesbehörden in Hamburg und Schleswig-Holstein die drei in den Hamburger Verkehrsverbund einbezogenen Linien der Eisenbahngesellschaft Altona, Kaltenkirchen, Neumünster (AKN) als S-Bahnen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Schwerbehindertengesetz anerkennen. Durch diese Entscheidung der zuständigen Landesbehörden soll sichergestellt werden, daß Behinderte auch künftig diese Linien, die eine Reihe von S-Bahnmerkmalen aufweisen, unentgeltlich in Anspruch nehmen können.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Wirtschaftspolitik — wie auch die Wirtschaftsdebatte — darunter leidet, daß sie zu wenig perspektivisch gesehen wird, daß sie zu sehr aus konjunktureller Sicht betrachtet wird, daß man sich sozusagen von Ast zu Ast hangelt und nach Lösungen sucht, die uns weiterbringen. Man sucht nach dem Aufschwung, aber der Frage: Welcher Aufschwung soll das sein?, geht man zu wenig nach. Zum weiteren glaube ich, daß der Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik/Gesellschaftspolitik hier zu wenig gesehen wird und daß es notwendig ist, diesen Zusammenhang etwas mehr herauszuarbeiten.
    Perspektivisch gesehen steht die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die ja im Zusammenhang zu sehen ist, in den letzten vier, fünf Jahren schon in beiden Koalitionen — sowohl der SPD/FDP-Koalition wie auch der CDU/CSU/FDP-Koalition — im Zeichen des Abbaus sozialer Leistungen zur Stützung möglicher neuer Konjunktur, eines neuen Aufschwungs. Bei der ersten Koalition, der der SPD/ FDP, war das etwas vorsichtiger, bei der zweiten — CDU/CSU und FDP — ist es rigoroser.
    Viele halten sich an der Hoffnung fest, daß der Sozialabbau, der vorgenommen wird, eine vorübergehende Erscheinung sei, daß es sozusagen notwendig sei, einmal Opfer zu bringen, um einen neuen Aufschwung einzuleiten, und daß man dann wieder in eine Phase komme, in der man denen, die Opfer gebracht haben, wieder etwas zugute kommen lassen könne.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Besser als umgekehrt!)

    Ich möchte folgender Frage nachgehen, die den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftspolitik und den Opfern dieser Politik betrifft. Was bringt die Wirtschaftspolitik für die Menschen, für die sie, wie wir annehmen sollten, eigentlich gemacht sein soll? Wie sieht es für die Menschen aus? Längerfristig können wir nicht umhin, uns zu vergegenwärtigen, welche Opfer die bisherige Wirtschaftspolitik schon produziert hat. Ich bitte Sie, vielleicht einmal für einen kurzen Moment einzuhalten und über folgende Zahlen nachzudenken.
    Ich rede nicht von den 2,3 Millionen Arbeitslosen und nicht von den 2 Millionen Sozialhilfeempfängern, die ja schon zur Genüge in die Debatte eingeführt worden sind. Es gibt einige andere Indikatoren für den Zustand unserer Gesellschaft und für Tendenzen in ihr, Indikatoren, die uns — jeden von uns hier — nachdenklicher stimmen sollten. Wir haben es in der Bundesrepublik z. B. mit 1,8 Millionen Alkoholkranken zu tun. Wir haben es mit 2 Millionen Menschen, die medikamentenabhängig sind, zu tun.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unsere Schuld?)

    Wir hatten es im vergangenen Jahr mit 8 Millionen Arztbesuchen wegen psychisch bedingter Krankheiten zu tun, wobei 1 Million Menschen einer therapeutischen oder psychiatrischen Behandlung bedürfen. 4 Millionen Menschen in unserer Gesellschaft, in unserer Wohlstandsgesellschaft, sind innerhalb eines Jahres in Straftaten verwickelt worden. Wir haben 1 Million Obdachlose.
    Ich denke, daß diese Opfer einer Wirtschaftspolitik, die sich mitten unter uns befinden, Ausdruck dafür sind, daß in unserer Bevölkerung eine tiefe Unsicherheit vorhanden ist. Das hat sehr wohl etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun; ich komme darauf nachher noch zu sprechen. Die Leute beginnen, ihren Optimismus zu verlieren und daran zu zweifeln, daß die zukünftige Wirtschaftspolitik an diesen längerfristigen Indikatoren und Tendenzen etwas ändert. Ist das ein mit dem Sozialabbau verbundener vorübergehender Zustand, oder gibt es tiefergehende Ursachen, die dahin führen'? Was steckt dahinter?
    Es wird sicher gut sein, perspektivisch einmal davon auszugehen, daß wir in unserer Gesellschaft ein grandioses Industriesystem geschaffen haben, ein sehr exportabhängiges Industriesystem, das in zunehmendem Maße auf enorme Schwierigkeiten mit entsprechenden Folgen stößt. Daß wir diesen Stand eines grandiosen Industriesystems erreicht haben, daß wir einen ungeheuren Massenausstoß von Industriegütern haben, macht uns zugleich auch zu Gefangenen dieses Systems, denn dann, wenn dieser Industrieausstoß von Massengütern nicht abgesetzt werden kann, schlägt das — mit allen sozialen Folgen — auf unsere eigene Gesellschaft zurück.
    Dieses Industriesystem konnten wir nach unserer Meinung, nach Meinung der GRÜNEN, nur deshalb schaffen — und das ist Industriepolitik —, weil wir auf den Schultern anderer stehen, sozusagen wie jemand, der sich über Wasser hält, weil ein anderer unter ihm steht und dessen Schultern einen guten Platz bieten, damit er den Kopf über Wasser hält.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir stehen nämlich auf den Schultern der armen
    Länder der Dritten Welt, und es gibt keine Anzei-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3187
    Hoss
    Chen dafür, daß der industrielle Reichtum und Wohlstand, der in den Industrieländern geschaffen worden ist und geschaffen wird, dazu dienen soll, den Zwiespalt, die Schere zwischen armen und reichen Ländern aufzuheben, d. h. die Teilung der Welt zu beseitigen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das Mißverhältnis zwischen den hohen Preisen der Massengüter der Industriewelt und den niedrigen Preisen für die Rohstoffe, die wir den Ländern in der Dritten Welt zahlen, zeigt, daß hier ein Mechanismus in Gang gesetzt ist, dem Sie sich nicht stellen. Vielmehr fahren Sie fort, die Wirtschaft in der alten Weise zu organisieren, ohne diesem grundlegenden Widerspruch in der Welt zwischen hochentwickelten Industrienationen und immer ärmer werdenden Ländern der Dritten Welt nachzugehen.

    (Hornung [CDU/CSU]: Wer hilft denn am meisten?)

    Was geschieht? Es geschieht folgendes — ich will kurz skizzieren, wie die Hilfe aussieht —: Wir haben einen Industrieapparat mit Massenausstoß von Gütern, und wir setzen das ab. Solange diese Länder über Möglichkeiten verfügen, diese Industrieprodukte zu kaufen, ist es gut. Wenn das nicht mehr geht, drängen unsere Waren dorthin, und wir geben diesen Ländern Kredite. Mit diesen Krediten, die wir ihnen geben, kaufen sie unsere Waren. Der nächste Schritt ist die totale Verschuldung dieser Länder; es kommt zum Kollaps, zur Zahlungsunfähigkeit. Der nächste Schritt ist, daß Umschuldungsverhandlungen aufgenommen, daß wieder neue Möglichkeiten der Lieferung von Waren in diese Länder geschaffen werden. Aber wer bezahlt denn die Verluste, die bei diesem Geschäft entstehen? Die schlagen zurück in unsere Gesellschaft und erscheinen hier als Sozialabbau.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn diese Märchen aufgeschrieben?)

    — Das sind keine Märchen. Sie brauchen bloß in die Dritte Welt zu fahren, sich anzusehen, wie die Leute dort leben, einen Vergleich zwischen dem vorigen Jahrhundert und heute anzustellen und zu sehen, wie die Lebenszusammenhänge vieler Millionen Menschen in Lateinamerika, in Afrika und Asien zerstört werden,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    dann wissen Sie, daß das keine Märchen sind. Wenn vom Bundestag schon Reisen ins Ausland gemacht werden, dann würde ich Ihnen raten, sich dorthin zu begeben, wo die wirklichen Auswirkungen der Industriepolitik sichtbar werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die kennen auf ihren Reisen doch nur Luxushotels! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Verlangen Sie für die Bundesrepublik die Verschuldung?)

    Aber ich will wieder ruhiger werden. Denn es geht ja darum, wirklich einige Zusammenhänge aufzuzeigen, damit wir daraus vielleicht entsprechende Konsequenzen ziehen. Im übrigen: Wenn Sie das jetzt noch für ein Märchen halten, so sollen Sie das ja nicht gleich annehmen. Es würde ja genügen, wenn wir darüber gemeinsam nachdenken und dann im Verlauf der nächsten Jahre doch zu einigen Ergebnissen kommen.
    Also, diese Exportpolitik unseres Industriesystems schlägt nun zurück, weil in der Welt eben gewisse Schwierigkeiten aufgetreten sind, die sich darin äußern, daß es in unserer Wirtschaft zu Stokkungen kommt. Die Teilung, die unser Industriesystem zwischen armen und reichen Ländern in der Welt vorgenommen hat, schlägt jetzt in unsere Gesellschaft hinein. Diese Teilung sieht so aus, daß das „Arm" und das „Reich" zu einem Zustand werden wird, der nicht nur von kurzer Dauer ist, sondern der von längerer Dauer sein wird, solange Sie Ihre Politik machen können. Der vorgelegte Wirtschaftshaushalt und auch der Gesamthaushalt sind ein Ausdruck dafür, daß Sie — genauso wie Sie in der Welt die Schwierigkeiten in den Griff zu kriegen suchen — hier im Gebiet der Bundesrepublik die Schwierigkeiten auf den Schultern der armen Leute austragen. Sie versuchen hier mit einem Haushalt zu einem Ausgleich zu kommen, der durch Sozialabbau gekennzeichnet ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich kenne j a nun durch die Ausschußarbeit, durch die Arbeit im Bereich Arbeit und Soziales, einige von Ihnen. Ich habe in der Zeit, in der ich hier bin, auch viele von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, CSU und FDP, kennengelernt und weiß, daß es falsch wäre, zu sagen, daß Sie den Sozialabbau einfach so schlechthin beschließen. Ich weiß sehr wohl, daß Sie sich als einzelne da nicht leicht tun und daß es Ihnen — auf Grund Ihrer christlichen Tradition, z. B. vom Kolping-Gedanken geprägt — persönlich nicht so leicht fällt, diese Beschlüsse zu fassen. Aber Sie haben sich entschieden.
    Sie entscheiden sich für die Fortführung Ihrer Industriepolitik, weil Sie keinen anderen Ausweg sehen. Das läuft darauf hinaus, mit Rigorosität die Schwächsten zu treffen in der Hoffnung, daß das vorübergehend sein wird und daß man diesen Schwachen nachher wieder etwas geben kann. Das ist eine Entscheidung — darüber müssen Sie sich völlig im klaren sein —, die für Sie doch in gewisser Weise bezeichnend ist. Das erklärt mir auch, warum Sie imstande und bereit sind, z. B. Behinderten, die in geschützten Werkstätten tätig sind und die bisher einen Rentenbeitrag, einen Zuschuß von 90 % erhalten, damit sie dann, wenn sie älter sind, eine vernünftige Rente in Höhe von 90% der Rente eines Gesunden erhalten, diesen Zuschuß des Bundes von 90 % auf 70 % zu kürzen.


Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Hoss, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lamers?

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Nein. Ich bin jetzt gerade so im Fluß. Ich bin sehr diskussionsfreudig. Aber ich brauche die Zeit einfach. — Es geht darum, daß
    3188 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
    Hoss
    man sich überlegt — sehen Sie, jetzt bin ich schon gestört; ich möchte gern, daß Sie mich da bitte ausreden lassen —, daß Sie bereit sind, von 90 % auf 70% zu senken.
    Ich habe Briefe von Eltern behinderter Kinder erhalten, die in solchen Werkstätten arbeiten. Darin heißt es z. B.: „Wir wollen für unser behindertes Kind gern sorgen; aber wenn wir alt und krank sind, können wir es nicht mehr; und dann wollen wir die Sicherheit haben, daß unser Kind aufgehoben und versorgt ist." Und genau an diesem Punkt treffen Sie die Eltern dieser behinderten Kinder. Sie scheuen sich nicht, durch eine solche Maßnahme 85 Millionen DM im Haushalt durch Sozialabbau einzusparen.
    Ich vergleiche damit — diesen Vergleich muß ich bringen —, daß Sie durch die Änderung der Parteienfinanzierung in der vergangenen Woche sich in kurzer Frist 200 Millionen selber zuschusterten

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und daß Sie eine Diätenerhöhung beschlossen haben, die Sie bestimmt nicht so nötig haben wie die Eltern von Behinderten oder die Behinderten selber oder andere sozial Schwache,

    (Schily [GRÜNE]: Sehr wahr!)

    für die es mehr ausmacht, ob sie fünf Prozent oder zehn Prozent abgezogen bekommen, als wenn Sie jetzt fünf Prozent mehr kriegen. Ich glaube, daß das hier jetzt einmal deutlich gesagt werden muß.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Billig!)

    Oder: In der Erkennntnis, von der Sie glauben, daß sie richtig ist, daß Ihre Wirtschafts- und Industriepolitik zu einem guten Ergebnis führt, lassen Sie sich nicht hindern, Gehörlosen und Taubstummen die Fahrgelder zu kürzen, die diese mehr als jeder andere in unserer Gesellschaft brauchen,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    weil sie nämlich in andere Orte und andere Städte fahren müssen, um Gleichgesinnte und gleich Benachteiligte zu treffen, um Kommunikation zu betreiben, die sie also ausgeben, um das Notwendige zu tun, was zu den zwischenmenschlichen Beziehungen gehört. All das schlagen Sie in den Wind, weil Sie die von Ihnen vorgesehene Wirtschafts- und Industriepolitik für richtiger halten, als daß Sie dafür sorgen, daß eine soziale Ausgeglichenheit in unserer Gesellschaft herrscht.
    Sie verschärfen auch — ich will das nicht näher ausführen; Sie wissen es sicher — die Voraussetzungen, daß Frauen Erwerbsunfähigkeitsrente bekommen können, und Sie — auch schon die SPD-Koalition hat es zugelassen —, haben auf dem Gebiet der Sozialhilfe den Warenkorb, der seit 1970 existiert, laut dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge um 30 % zurückfallen lassen.

    (Hornung [CDU/CSU]: Die Voraussetzungen fehlen! Dafür können wir doch nichts!)

    Viele machen die Augen zu — sie sind nicht betroffen — oder haben gar Vorteile, weil sie auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft sitzen.
    Wir werben für einen anderen Weg der Industrie, für einen anderen Weg der Wirtschaftspolitik. Es gibt — das hat sich herumgesprochen, seit die GRÜNEN auf der politischen Bildfläche der Bundesrepublik erschienen sind — einen harten Weg und einen weichen Weg der Haushaltspolitik und auch der Wirtschaftspolitik. Der harte Weg heißt, daß sich im Haushalt Momente der Teilung unserer Gesellschaft wiederfinden. Das ist ein Weg, der dahin führt, die sozialen Konflikte schärfer zu betonen. Und Sie gehen den Weg einer zugespitzten Klassengesellschaft. Nicht wir sind es, die die Klassengesellschaft betonen, sondern durch den Haushalt, den Sie jetzt machen, betonen Sie eine zugespitzte Klassengesellschaft.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir sind für einen weichen Weg. Wir sind für eine Wirtschaftspolitik, die der aggressiven Industriestrategie den Boden entzieht und die Natur und Gesellschaft schont. Herr Kohl hat ja in seiner Rede zu den GRÜNEN gesagt: Sagen Sie doch mal, wie Sie das machen wollen, wie Sie eine andere Politik machen wollen. Es gibt immer zwei Wege. Es gibt den harten, es gibt den weichen. Man muß sich nur entscheiden.
    In der Energiepolitik heißt das, daß man den Weg der großtechnologischen zentralistischen Energiegewinnung gehen kann. Das sind Atomkraftwerke, das sind Wiederaufbereitungsanlagen mit den Folgen auch für die demokratische Gesellschaft. Das sind ungeschützte Kohlegroßkraftwerke. Das ist im Grund auch der Weg der harten Arbeitsplatzvernichtung. Für diesen Weg kann man sich entscheiden. Die Regierungskoalition hat sich dafür entschieden.
    Der weiche Weg der Wirtschafts- und Industriepolitik ist der, daß man den Weg des Energiesparens geht, daß man schon allein dadurch, daß man die Wärmedämmung unserer Gebäude in der Bundesrepublik auf den Stand von Schweden und Norwegen bringt, im Bereich der Häuser 50 % der heute verbrauchten Wärme einsparen kann, daß man sich auf andere Energiequellen besinnt — Biogas, Wind, Sonne — und andere, dezentrale Produktionsmethoden der Energiegewinnung herausstellt, Wirbelschichtverfahren usw. Wenn man eine solche Wirtschaftspolitik will, dann muß man sich aber mit den Großenergieerzeugern auseinandersetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das heißt, daß dann die Führungskraft des Bundeskanzlers und der anderen Kabinettsmitglieder gefordert ist, sich mit diesen Leuten der Energiewirtschaft auseinanderzusetzen. Ich bezweifle, daß diejenigen, die jetzt in der Regierung sind, in der Lage sind, diese Auseinandersetzung im Sinne eines weichen Weges in der Wirtschaftspolitik zu führen.
    Genauso geht es in der Verkehrspolitik. Da kann man sich entscheiden, wie es im Bundeskabinett und im Haushalt entschieden wird: für den Abbau von Strecken im öffentlichen Nah- und Fernver-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
    Hoss
    kehr, man legt den Leuten nahe, sich, wenn die Strecken stillgelegt sind, Autos zu kaufen, man baut weitere Straßen und belastet die Umwelt. Der weichere Weg besteht darin — er müßte sich im Haushalt wiederfinden —, daß man Schritt für Schritt den öffentlichen Nah- und Fernverkehr ausbaut, ihn attraktiver macht, Ballungsgebiete, Industriegebiete entzerrt, die Wege verkürzt und dem Auseinanderdriften der Plätze, wo wir wohnen, wo wir bauen, wo wir leben, wo wir kommunizieren, wo wir lernen, entgegenwirkt, indem man die entstandenen Entfernungen verkürzt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das ist naiv, was Sie da erzählen! Das entspricht der vierten Klasse der Volksschule!)

    In der Dritte-Welt-Politik würde das bedeuten, daß man keine Exportpolitik betreibt, die aggressiv ist, daß man nicht versucht, das, was wir hier produzieren, auf jeden Fall in den anderen Ländern abzusetzen. Ich denke z. B. an den Export von Atomkraftwerken nach Brasilien, wo man diese nicht braucht, weil man über Wasserkraftreserven verfügt, die noch gar nicht ausgenutzt sind. Ich denke an die Belieferung anderer Länder mit Chemieprodukten, mit denen die Menschen auf den Plantagen vergiftet werden.

    (Zurufe von der CDU/CSU — Gallus [FDP]: Haben Sie schon mal was von Heuschrekkenplagen gehört?!)

    — Wenn Sie demnächst eine Reise nach Lateinamerika oder in das ferne Asien machen, dann besuchen Sie dort einmal die Plantagen! Dann werden Sie sehen, wie dort von Flugzeugen aus Produkte unserer chemischen Industrie gesprüht werden, während die Leute unten arbeiten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Man konnte lange Berichte über die Verhältnisse auf den Philippinen lesen.
    Wir haben also eine aggressive Industriepolitik, die keine Rücksicht auf die Natur und den Menschen nimmt.
    Wir sind dafür, daß man bei uns angepaßte mittlere Technologien entwickelt und mit diesen versucht, den Ländern in der Dritten Welt zu helfen. Das Know-how unserer hervorragenden Konstrukteure und Techniker sollte zur Entwicklung von Produkten genutzt werden, die die Konkurrenz der anderen auf dem Weltmarkt unterlaufen können, die den anderen Konkurrenz machen dadurch, daß unsere Produkte langlebiger sind, eine echte Hilfe darstellen und die Umwelt schonen.
    Wenn man eine solche Politik betreiben will, eine Exportpolitik, die darauf hinausläuft, solche Produkte in die Welt zu bringen, die den anderen helfen, sich selber auf die Beine zu stellen, die ihnen helfen, ihr Leben selber zu gestalten, dann muß man sich allerdings auch darüber im klaren sein, daß in unserer Gesellschaft einige Veränderungen notwendig sind. Wir müssen dann von denen abrükken, die Industriepolitik auf unsere und auf Kosten der Dritten Welt machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das heißt wiederum, daß die Leute in der Regierung die nötige Führungskraft aufbringen müssen, sich mit den Herren der großen Industrie auseinanderzusetzen, die heute in den Vorstandsetagen der Konzerne ihre Politik bestimmen.

    (Glocke des Präsidenten)

    Zum Abschluß darf ich dies sagen, weil es gesagt werden muß: Wenn ich dann daran denke, daß Herr Kohl als Kanzler sich verschämt von der Industrie Kuverts in die Tasche, in die Seitentasche seines Jacketts drücken läßt,

    (Glocke des Präsidenten — Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit! — Unerhört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    in denen Zigtausende von Mark sind — lesen Sie es doch nach —, dann muß ich allerdings erhebliche Zweifel anmelden — —