Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Durch Ihre Maßnahmen, Herr Kollege, werden wir im Jahr 1984 erstmals so weit sein, daß die Rentenversicherung auf den Kreditmarkt gehen muß, um überhaupt in diesen Monaten Renten auszahlen zu können.
Sie zahlen die Renten auf Pump. Wir Sozialdemokraten wissen auch, daß die soziale Sicherung in ihrer heutigen Struktur Veränderungen ausgesetzt ist. Wir haben unser Konzept dafür vorgelegt und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Anträge eingebracht, die diesem Konzept entsprechen.
Bei allen Maßnahmen zur mittel- und langfristigen Konsolidierung der sozialen Sicherung lassen wir uns von folgenden Grundpositionen leiten.
Erstens. Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Nicht der Sozialstaat, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer.
Wir zahlen bereits heute zur Einkommenssicherung der Arbeitslosen 32 Milliarden DM jährlich.
Nimmt man die Steuer- und die Beitragsausfälle hinzu, sind es 55 Milliarden DM. Wenn wir Ihre Politik fortsetzen, Herr Kollege, wird sich dieser Betrag noch erhöhen. Wenn Sie nichts zum Abbau der Arbeitslosigkeit tun, wird das Problem ihrer Finanzierung Ihnen noch besondere Kopfschmerzen bereiten.
Zweitens. Der Sozialstaat ist Verfassungsauftrag und steht nicht zur Disposition der Regierenden. Damit sind für uns unvereinbar die Rückkehr zur Armenpflege alter Prägung, der Abbau klarer Rechtspositionen zugunsten von Ermessensentscheidungen, die Aufhebung der staatlichen Verantwortung durch eine falsch verstandene Subsidiarität und die Aufgabe des Prinzips der Solidargemeinschaft.
Drittens. Soziale Gerechtigkeit ist bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise unerläßlich. Das bedeutet vor allem bessere Lebenschancen für die Benachteiligten, besondere Heranziehung der Privilegierten zur Finanzierung der gesellschaftlichen Lasten und das solidarische Einstehen aller für die Bewältigung der Wirtschaftskrise und zur Sicherung des Sozialstaats.
Was heißt das für die aktuellen Beratungen? Eine Strukturreform in der gesetzlichen Rentenversicherung kann nicht nur darin bestehen, daß wir — Sie haben es zu Recht gesagt, Herr Bundesarbeitsminister — dafür sorgen wollen, daß die Bundesanstalt wieder angemessene Beiträge für die Rentenversicherung zahlt. Das ist keine Töpfchenwirtschaft, sondern ein Strukturelement, mit dem das Risiko der Arbeitslosigkeit dort bekämpft und finanziert wird, wo es hingehört.
Dabei geht es wohl darum, ob wir uns ein finanzielles Konzept vorstellen können, mit dem die Finanzierung von Arbeitslosigkeit gerechter gestaltet wird.
Ich kann mir auf Dauer nicht vorstellen, daß nur die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit herangezogen werden und alle anderen Bevölkerungsgruppen von dieser schweren Last ausgenommen bleiben. Daran müssen wir arbeiten.
Was wir wollen, ist ein Finanzierungssystem, das
eine ausgewogene Verteilung der finanziellen Belastungen auf Grund der absehbaren demographi-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3169
Frau Fuchs
sehen Entwicklung auf Beitragszahler, Rentner und Staat gleichermaßen gewährleistet.
Eine Strukturreform muß sich auch der Frage stellen: Wie halten wir es denn mit der Finanzierung der Rentenversicherung, der sozialen Sicherungssysteme, wenn immer mehr Maschinen und immer weniger Menschen eingesetzt werden?
Es darf doch nicht so sein, daß sich Unternehmer durch Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen der Verpflichtung zur Finanzierung der sozialen Sicherung entziehen können.
Deswegen fordere ich Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister, gehen Sie mit uns den praktikablen Weg, die Wertschöpfung als mögliche Beitragsbemessung für die Arbeitgeberbeiträge zu diskutieren.