Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, Sie waren vor allen Dingen laut, aber Sie waren, wenn ich Ihnen ein Zwischenzeugnis ausstellen soll, „mangelhaft" und haben das Thema verfehlt.
Denn, Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben das, was Sie eigentlich tun sollten, nicht getan. Sie hätten zu Ihrem Haushalt sprechen sollen, zu dem Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, und Sie hätten schon ein bißchen mit Bedacht den Menschen draußen erklären sollen, welche katastrophalen Kürzungen Sie in Ihrem Ressort zu verantworten haben.
Wir werfen Ihnen vor, daß Sie voll auf die Linie von Graf Lambsdorff, Herrn George und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht eingeschwenkt sind.
Sie versuchen nämlich, zutiefst unsoziale Entscheidungen mit rhetorischen Kunststücken zu verpakken,
der Öffentlichkeit zu verkaufen und dabei über die wahre Bedeutung hinwegzutäuschen.
Mit Ihren schönen Reden, Herr Bundesarbeitsminister, liefern Sie den bunten Zuckerguß für die Giftpillen von Graf Lambsdorff, George und Albrecht.
Sie haben einmal gesagt: Sozialpolitik ist nichts für Feuerwerker, für die bekanntlich nur der Augenblick zählt. Inzwischen sind Sie, Herr Bundesarbeitsminister, selber zum Feuerwerker geworden. Wenn Ihre rhetorischen Knallfrösche verpufft sind, wenn es ans Handeln und ans Durchsetzen geht, sind Sie der Unglücksrabe des Kabinetts.
In jedem Koalitionsgespräch werden Sie von Ihren Kollegen Lambsdorff und Stoltenberg untergebuttert
und müssen wichtige Interessen Ihres Ressorts preisgeben.
Die Ihnen kraft Amtes anvertrauten Interessen der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Rentner, aller sozial schwachen Bevölkerungsgruppen haben Sie nicht angemessen wahrgenommen,
und Ihre laute Art hat daran nichts geändert.
Dann haben Sie hier ein beachtliches Bild Ihrer Erfolge dargestellt. Ich frage mich, was eigentlich die Bürger draußen denken sollen, denen hier schon den ganzen Tag eine Erfolgsmeldung nach der anderen dargetan wird.
Dabei suchen die Menschen in unserem Lande Arbeitsplätze, dabei sind die Familien betroffen, weil ihre Kinder keinen Ausbildungsplatz finden,
und dabei sind die Familien in Sorge, welche Verschlechterung ihres Lebensstandards am 1. Januar 1984 auf sie zukommt.
Tatsache ist doch, daß, seit Sie an der Regierung sind,
die Arbeitslosenzahl um 227 000 gestiegen ist. Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht so tun, als ob Sie die Arbeitslosigkeit abgebaut hätten.
Wissen Sie eigentlich, was auf die Familien zukommt? Wissen Sie von jenem Familienvater mit
3166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Frau Fuchs
einem Bruttoeinkommen von 3000 DM, der erst einmal 250 DM mehr Sozialversicherungsbeiträge auf sein Weihnachtsgeld zahlen muß? Diesem Familienvater haben Sie schon das BAföG-Geld für seine Tochter gestrichen, Sie haben ihm wahrscheinlich sogar eine Mieterhöhung beschert, und wenn die Tochter arbeitslos wird, bekommt sie ein Arbeitslosengeld, das von Ihnen um 40 % gekürzt worden ist. Dies, Herr Bundesarbeitsminister, ist die Politik, die Sie zu vertreten haben.
Unzumutbares wird Familien mit behinderten Kindern abverlangt.
Die Eltern behinderter Kinder dürfen ab 1. Januar nicht mehr die Einrichtung auswählen, die für ihr Kind am besten ist.
Diese Familien werden darüber hinaus unerträglich belastet, denn das Sozialamt kann die Zahlungen um monatlich 200 bis 300 DM kürzen, wenn die Wohnung der Eltern angeblich zu teuer ist. Das ist die Sozialpolitik, die Sie, Herr Bundesarbeitsminister, in diesem Kabinett mit zu vertreten haben.
Wir haben einen Arbeitsminister, der das alles zuläßt und der sich gegen diese Entwicklung nicht wehrt.
Meine Damen und Herren, es war ja den ganzen Vormittag sehr interessant: Hier wird so getan, als ob die Wende geschafft wäre, als ob man Erfolgsmeldungen kundtun könnte, als ob alles wieder in Fahrt gekommen wäre.
Die Realität sieht ganz anders aus. Ich frage Sie, Herr Bundesarbeitsminister, welcher Begriff von Sozialpolitik gilt eigentlich: der, den der Herr Bundesfinanzminister hier heute dargestellt hat — mir sind die Tränen gekommen,
als er sagte, wie enorm die Besserverdienenden in diesem Staat angeblich belastet sind —,
oder der Ihre? Der Herr Bundesfinanzminister hat sich noch gefreut, daß es ihm gelungen ist, weitere Einsparungen durchzusetzen;
diese betreffen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Herr Bundesarbeitsminister. Sie mußten bei
den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die in Ihrem
Entwurf vorgesehen waren, noch einmal 200 Millionen DM wegnehmen.
Sie haben einmal gesagt, Herr Bundesarbeitsminister,
es sei populär, über die ausufernde Sozialpolitik zu reden; die heiligen Kühe aber, so haben Sie gemeint, grasen woanders. Sie haben dieses gesagt, als Sie Oppositionspolitiker waren.
Jetzt müssen Sie in der Öffentlichkeit zugeben, daß im Jahre 1983 von den 12 Milliarden DM Einsparungen 10,2 Milliarden DM zu Lasten des Sozialbereichs gegangen sind;
das sind 85%. Im nächsten Jahr werden von den 6,6 Milliarden DM 4,1 Milliarden DM auf die Sozialpolitik entfallen, und die heiligen Kühe, meine Damen und Herren, grasen weiter; das ist Ihre Politik.
Sie haben auch einmal gesagt, Herr Bundesarbeitsminister, man könne einer Oma mit einer Rente von 500 DM keine Opfer zumuten, solange andere ungeschoren bleiben. Jetzt muten Sie der alten Frau viele Opfer zu; denn ihre Rente wird nur unwesentlich erhöht.
Soweit sie Sozialhilfeempfängerin ist, kann sie damit rechnen, daß ihre Sozialhilfeleistungen noch weiter gekürzt werden.
Sie haben in Ihrer kurzen Amtszeit Rentenänderungen von 8 % gegenüber dem Rechtszustand vor dem 21. Rentenanpassungsgesetz verordnet. Dies geschah linear, ohne jegliche Sozialkomponente und ohne Rücksicht auf die von Ihnen angeführte Oma mit einer Rente von 500 DM.
Die reichen Leute blieben ungeschoren; sie kriegen wiederum Steuergeschenke.
Wir Sozialdemokraten lehnen Ihre unausgewogenen Spargesetze ab. Sie verschieben Lasten, ohne die sozialen Sicherungssysteme nachhaltig zu konsolidieren, und Sie belasten in besonderer Weise die Schwächsten in der Gesellschaft. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, meine Damen und Herren:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3167
Frau Fuchs
Die Beschäftigungssituation wird sich mittel- und langfristig weiter verschärfen.
Sie haben doch mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 die Erfahrung machen müssen, daß durch Sozialabbau kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen wird. Experten rechnen aus, daß Sie jetzt wiederum einige hunderttausend Arbeitsplätze durch die Sparpolitik vernichten, die Sie betreiben.
Und dann sagen Sie, die Zahl der Arbeitslosen hätte sich verbessert.
Ich finde es beachtlich, daß Sie dabei nicht daran denken, wieviele Arbeitnehmer in die stille Reserve gehen. All Ihre Zahlen können doch gar nicht stimmen, wenn Sie bedenken, daß allein 8 Milliarden DM Zuschuß gezahlt werden müssen, weil so viele Menschen in die Arbeitslosenhilfe hineingedrängt werden.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren.
Ganz besonders zynisch finde ich die Art, wie Sie mit Jugendarbeitslosigkeit umgehen. Die SPD-Fraktion hat bereits vor Monaten ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes vorgelegt.
Insgesamt 1,6 Milliarden DM sollten für 150 000 zusätzliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Leute zur Verfügung gestellt werden.
Sie haben dieses Programm mit dem Argument abgelehnt, daß bereits genug getan worden sei und im nächsten Jahr alles gar nicht so schlimm werde. Sie wollen wohl nicht zur Kenntnis nehmen, daß mehr als 50 000 Jugendliche in diesem Jahr nicht in einen Ausbildungsplatz vermittelt werden konnten?
Sie wollen nicht wahrhaben, daß der Ausbildungsmarkt im kommenden Jahr noch stärker als in diesem Jahr belastet sein wird. Wir werden Sie fragen, wie Sie zu diesen Dingen stehen, und werden beantragen, daß über unser Programm zur Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit heute abend namentlich abgestimmt wird.
Wir lehnen die Spargesetze auch deshalb ab, weil sie ungeeignet sind, die sozialen Sicherungssysteme zu konsolidieren. Wie die Ausschußanhörungen gezeigt haben, lösen sie weder die Finanzprobleme der Rentenversicherung noch die der Bundesanstalt für Arbeit. Alles, was Sie mit den Maßnahmen erreichen, ist eine Verschiebung von Finanzlasten zwischen dem Bund, der Sozialversicherung und den Kommunen. Zukünftige Finanzierungsprobleme an anderer Stelle werden damit vorprogrammiert. Der Verschiebebahnhof, den Sie, Herr Minister Blüm, stillegen wollten, feiert fröhliche Urstände. Ihre Sparbeschlüsse sind auf scharfe Kritik gestoßen. Nicht nur die öffentlichen Anhörungen vor den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, sondern auch zahlreiche andere Stellungnahmen haben das wahre Gesicht dieser sozialen Demontage deutlich gemacht.
In den eigenen Reihen der größeren Koalitionspartei rührt sich der Widerstand. Kein geringerer als der verehrte Kollege Alfons Müller hat kürzlich auf der Tagung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Berlin festgestellt, daß die Hauptlast der Sanierung auf dem Rücken der Arbeitnehmer, Familien und Rentner liegt.
Sind Sie eigentlich betroffen, wenn Sie darüber nachdenken, was Sie den Eltern antun, die ihre Kinder in Beschützenden Werkstätten untergebracht haben?
Wir haben dafür gesorgt, daß den Eltern eine große Sorge genommen wurde,
indem wir eine Rente für diesen Personenkreis eingeführt haben.
Sie kürzen diese Renten um 22 %. Sie nehmen den Eltern damit die Sorge nicht. Die Eltern werden unter das Sozialhilfeniveau zurückgestoßen. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
Das Mutterschaftsurlaubsgeld wird gekürzt. Sie haben nicht einmal unseren Antrag im Ausschuß mitgetragen, wenigstens Übergangsvorschriften vorzusehen, damit die Frauen, die schon schwanger sind und sich auf das Mutterschaftsgeld eingestellt
3168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Frau Fuchs
haben, in ihrem Vertrauen gestärkt werden. Sie sagen nunmehr: Ab 1987 soll dieses Geld allen zugute kommen. Es wird also gekürzt. Herauskommen wird eine Taschengeldregelung. Unser Ansatz, einen Schritt zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun, wird damit vollends zunichte gemacht. Das ist Ihre Politik.
Sie haben entscheidende Änderungen für den Bereich der Rentenversicherung vorgesehen. Wir lehnen diese Änderungen ab, weil sie keinen Beitrag zu einer notwendigen Strukturreform leisten, auch wenn Sie diese Maßnahmen gern als einen ersten Schritt einer Strukturreform ausgeben wollen. Tatsache ist: Hier werden nicht mittel- oder langfristig die Weichen für eine Stabilisierung gestellt. Hier werden lediglich Leistungen gekürzt. Schon jetzt ist absehbar, daß Sie weitere Leistungen kürzen müssen, um die Rentenfinanzen langfristig zu konsolidieren.
Ich fordere Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister, die Karten auf den Tisch zu legen. Ich finde es unerträglich, daß die Renten im nächsten Jahr zum erstenmal als Renten auf Pump ausgezahlt werden müssen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.