Nein. — Ich will es noch in Zahlen ausdrücken. Sie verlangen ja immer handfeste Fakten. Wäre die Preissteigerungsrate alten Übungen entsprechend 3% höher gewesen, dann hätten an Net-
3158 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Dr. Blüm
tolohn 15 Milliarden DM weniger Kaufkraft zur Verfügung gestanden. Wäre die Preissteigerung nicht halbiert worden, hätten im Sozialleistungsbereich 10 Milliarden weniger an Kaufkraft zur Verfügung gestanden. 15 Milliarden und 10 Milliarden sind schon 35 Milliarden.
— 25 Milliarden! Meine Damen und Herren, ich weiß, daß ich Ihnen eine Freude bereite.
— Ja, Sie wirken so ansteckend auf mich, Sie wirken durch Ihr Geschrei ungeheuer ansteckend. Ich lese also noch einmal ganz langsam vor: Bei den Arbeitnehmern, bei den Lohnempfängern 15 Milliarden Kaufkraft mehr und 10 Milliarden DM mehr Kaufkraft bei den Sozialleistungsempfängern. Ich danke Ihnen, daß ich diese Erfolgsmeldung noch einmal wiederholen konnte, damit sie nun auch jeder begreift.
Die Sparguthaben wären um 16 Milliarden DM in ihrem Wert gemindert gewesen. Jetzt können Sie zusammenzählen, und ich nenne Ihnen die Vergleichszahl bei Ihrer Ergänzungsabgabe, mit der Sie durch die Lande reisen und sich feiern lassen. 1 % bringt 600 Millionen DM. Selbst wenn Sie 5% zustande brächten, würden Sie damit nur 3 Milliarden DM den Besserverdienenden abnehmen und dann bestenfalls 3 Milliarden DM den weniger Verdienenden zur Verfügung stellen. Unsere Preispolitik, unsere Politik der Preisdämpfung hat den weniger Verdienenden mehr Geld gebracht, als Sie ihnen durch alle Umverteilungsspiele sozialistischer Natur geben können.
Sie hat den Arbeitnehmern mehr gebracht als alles Geld, das Sie mit Ergänzungsabgaben umverteilen wollen.
Meine Damen und Herren, ich nenne auch die Krankenversicherung. Wir haben die Beiträge gesenkt.
Damit ist 1 Milliarde mehr Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugute gekommen. Durch diese Beitragssenkung sind 500 Millionen DM mehr im Portemonnaie der Arbeitnehmer. Ich sage jetzt auch hier noch einen Satz:
Beitragssenkung ist nicht weniger sozial als Leistungssteigerung. Die soziale Gerechtigkeit beginnt nicht erst auf der Ausgabenseite, sie fängt schon auf der Einnahmenseite an.
Es geht in der Sozialpolitik nicht nur um Bedürftigkeit auf der einen Seite, sondern auch um die Zahlungsfähigkeit auf der anderen Seite; denn auch auf der anderen Seite stehen Arbeitnehmer. Es ist nämlich so ein alter sozialistischer Wunderglaube, das Sozialsystem würde aus irgendwelchen anonymen Quellen gespeist.
Es wird gespeist von den Beitragszahlern, und das sind die Arbeitnehmer. Deshalb müssen wir mit ihren Groschen haushalten. Wir machen Arbeitnehmerpolitik, wenn wir die Beiträge senken, die Beiträge in Schach und in Proportionen halten.
— Sie haben wohl noch gar nicht gemerkt, daß die Zahler und die Empfänger in unserem Sozialsystem dieselben Leute sind, daß zwischen Lebensphasen umverteilt wird, aber nicht zwischen Klassen. Das gehört ins 19. Jahrhundert, das ist längst überlebt.
— Meine Damen und Herren, ich trage hier als Sozialpolitik eine Politik vor, von der ich sage: Sie ist eine Politik für die kleinen Leute. Und Sie können noch so viel schreien: Es ist eine Politik für die kleinen Leute, die wir betrieben haben.
Ich weiß, Sie tun immer so, als hätten Sie den Dauerparkplatz bei den Armen.
Das ist ein Irrtum, muß ich sagen. Das entspricht Ihrer Überheblichkeit, aber nicht der Realität.
Meine Damen und Herren, wenn wir Schulden abbauen — ich habe es schon einmal gesagt, ich will es noch einmal wiederholen —, machen wir eine soziale Politik. Schulden sind immer auf dem Buckel der kleinen Leute bezahlt worden.
Die Zinsen der staatlichen Schuldenpolitik bekommen nicht die Rentenempfänger, die Sozialhilfeempfänger, sondern diejenigen, die dem Staat Geld leihen konnten. Das sind nicht die armen Leute, das sind die Ölscheichs, die Banken und die Besserverdienenden. Schulden abbauen ist soziale Politik.
Dafür brauche ich gar keine volkswirtschaftlichen Theorien. Das entspricht auch dem Lebensgefühl der Arbeiterfamilie. Die Arbeiterfamilie hat nie auf Pump gelebt. Sie hat immer gewußt: Man kann nicht mehr essen, als auf dem Tisch steht; und ein Staat kann nicht mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Das entspricht dem Lebensgefühl der Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, wir sparen auch, um das Sozialsystem zu stabilisieren. Das Sozialsystem
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3159
Bundesminister Dr. Blüm
zu stabilisieren, ist eine konservative Aufgabe im besten Sinne des Wortes — nämlich Erreichtes zu erhalten. Erreichtes zu gefährden, kann nicht sozial fortschrittlich sein.
Eine Politik mit Hochstapelei, mit mehr Versprechen als Halten ist eine Politik gegen Rentner, gegen kinderreiche Familien und gegen Sozialhilfeempfänger.
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht gehandelt hätten, hätten der Bundesanstalt für Arbeit 14 Milliarden DM gefehlt — 14 Milliarden DM! Das ist mehr, als die gesamte Kriegsopferversorgung kostet. Hätten wir nicht gehandelt, wäre die Rentenversicherung schon im Sommer dieses Jahres zahlungsunfähig gewesen.— Und ich frage Sie nach Ihren Sanierungskonzepten.
Die scheinen Sie streng vertraulich zu halten.
— Wenn Sie das meinen: Was Sie da vorgeschlagen haben, ist nicht Sanierung. Die SPD schlägt vor, daß die Bundesanstalt für Arbeit mehr Beiträge an die Rentenversicherung zahlt. Dann muß der Staat halt der Bundesanstalt für Arbeit mehr Geld geben. Dann fehlte eben das Geld, das der Staat der Rentenversicherung geben müßte. Man kann es drehen und wenden: Es gibt nicht mehr soziale Sicherheit ohne mehr Arbeit; denn nur aus mehr Arbeit fließen mehr Beiträge. Alles andere sind nur Taschenspielertricks.
— Ich weiß, Sie sind natürlich auch auf den alten sozialdemokratischen Einfall gekommen — sehr originell ist er nicht —, einfach die Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit zu erhöhen,
um über 5 Milliarden DM.
— Hören Sie doch einen Augenblick zu! Ich will Ihnen gerade erklären, wo der Unterschied liegt, verehrte Frau Kollegin.
— Es langt mir schon, wenn Herr Roth ruhig zuhört, er braucht gar nicht zu reden.
Sehr verehrte Frau Kollegin Fuchs, ich will Ihnen gern den Unterschied zwischen Beitragserhöhung und verstärkter Einbeziehung der Sonderzahlungen in die Beitragspflicht erklären.
— Das ist gar nicht spannend. Ich wußte nicht, daß Sie darauf nicht selber gekommen sind.
Beitragserhöhungen treffen alle, die Hochverdienenden wie die Wenigverdienenden. Durch Einbeziehung der Sonderzahlungen ändert sich für die Niedrigverdienenden überhaupt nichts. Die zahlen jetzt schon von ihrem Weihnachtsgeld Beitrag, und die zahlen auch in Zukunft. Die Einbeziehung der Sonderzahlungen schont die Niedrigverdienenden. Die Ganzhochverdienenden müssen zwar auch keine Beiträge bezahlen,
die bekommen allerdings auch keine Leistungen. — Sie haben zu früh gelacht. So ist das System.
Ich fasse zusammen: Beitragsanhebungen, auch wenn es sich nur um ein paar Zehntel Prozentpunkte handelt, treffen das Portemonnaie gerade jener Arbeitnehmer, die wenig verdienen. Deshalb ist unsere Lösung gerechter, zumal sie Klarheit schafft. Wer Weihnachtsgeld bekommt, soll sich nicht durch Zahlungstricks den Beitragspflichten entziehen können.
das ist die sozialdemokratische Dreieinigkeit der Sanierung.