Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, daß dem wirtschaftspolitischen Sprecher der CSU angesichts der Ausführungen des Wirtschaftsministers nichts anderes einfällt, als sich Sorge darüber zu machen, ob der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU den Valentin-Preis verdient hat oder nicht.
Wenn das alles ist, was euch bewegt, dann wundere ich mich über die schlechte Wirtschaftspolitik der Rechts-Mitte-Koalition weiß Gott nicht mehr.
— Weiß ich, weiß ich.
Aber nun zu dem, was uns eigentlich bewegen sollte: nicht der Karl-Valentin-Preis, sondern die Wirtschaftspolitik dieser Regierung.
Nahezu sintflutartig bricht seit einiger Zeit über das erstaunte Publikum eine Fülle skeptischer, halbguter, warnender bis euphorischer oder sogar sehr guter Prognosen über die Entwicklung der deutschen Wirtschaft herein, witzigerweise meist auf der Seite des Wirtschaftsteils in dem direkt nebenan steht, was die einzelnen Wirtschaftsverbände über ihren Bereich auszusagen haben, beispielsweise der Tiefbau, der uns mit Entlassungszahlen überrascht, der deutsche Reedereiverband, der die schlechteste wirtschaftliche Lage seines Verbandes seit Jahren beklagt, der Maschinenbau usw. usw. Das mag natürlich nur die verwirren, die beide Seiten der Zeitung lesen. Die anderen, die nur den einen Teil, wo das Positive steht, lesen, sind zu sehr an dem neuen Gesellschaftsspiel der Medizinmänner der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft beteiligt, nämlich: Kommt der wirtschaftliche Aufschwung? Und so spielen wir nun seit längerem: Er kommt. Er kommt vielleicht. Er kommt vielleicht ein bißchen. Er kommt, wenn wir besonders brav sind. Er kommt; aber er geht sofort wieder. Er kommt; aber ganz schwachbrüstig.
Und letztlich: Auch wenn wir ganz brav sind und er im nächsten Jahr nicht kommt, haben wir festgestellt, daß wenigstens bei Art und Zahl der wirtschaftlichen Prognosen ein Aufschwung stattgefunden hat.
Außerdem: Die Medizinmänner der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft bleiben im Gespräch. Sie verdienen an ihren Konjunkturvoraussagen, ob sie sich nun gegenseitig widersprechen, ob sie nachgebessert werden, ob sie korrigiert werden müssen. Das Parlament hört zum Teil gar nicht mehr zu bei diesen Prognosen. Auch die Bevölkerung läßt das meiste an sich vorbeirauschen. Zu den einzigen, die es zur Kenntnis nehmen, gehört beispielsweise die „Wirtschaftswoche", die am 25. November 1983 lakonisch feststellt: Merkwürdige Berechnungen!, und die uns den seltsamen Weg der Entstehung dieser Prognosen erklärt. Sie kommt zu dem Ergebnis, es sei wohl die Fernsehfreudigkeit des Kieler Wirtschaftsprofessors Norbert Walter gewesen, dem wir diesen Aufschwung zu verdanken haben, denn er habe mal wieder in die Zeitungen oder ins Fernsehen gewollt.
Natürlich macht die Bundesregierung in dieser Situation das einzige Vernünftige, was auch wir gemacht hätten: Sie sucht sich das Angenehmste heraus
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1 und macht darüber hinaus dieses einmütige Jubilieren auch noch zu einer Tugend zwischen den Koalitionspartnern. Normalerweise fliegen zwischen den Koalitionspartnern die Fetzen.
Wenn man sich beispielsweise mal anguckt, was der bayerische Landesvater von der Wirtschaftspolitik des im Moment amtierenden Wirtschaftsministers hält, so kann das, was Minister Stoltenberg heute morgen gesagt hat, doch nicht im Ernst angenommen werden. Sie sind sich doch in keinem einzigen Punkt einig, weder zwischen den Koalitionspartnern noch innerhalb ihrer eigenen Partei, wohin die Reise überhaupt gehen soll.
Woher überhaupt alle Beteiligten außer aus tiefem Glauben an die eigene Überzeugung, daß man sich nie irren kann, den Mut nehmen, auf Prognosezüge aufzuspringen, bleibt mir ein Rätsel.
1978 waren von 29 projizierten Daten 28 schlichtweg ein Flopp. Das ist eine Trefferquote, die, wenn Sie sie auf die Dauer im Lotto anwenden würden, Sie zu einem armen Mann machen würde.
1980 sagten vier der fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute ein reales Wachstum von 2,5 % voraus, eine Inflationsrate von unter 4 % und eine Abnahme der Arbeitslosenzahl. Einen Monat später ging der Sachverständigenrat diesen Voraussagen noch mit einem weiten Schritt voraus. Er sagte eine Wachstumsrate von 2,5 % bis 3 % und eine Verringerung der Arbeitslosenzahl um 50 000 voraus. Das kommt mir so bekannt vor. Ich habe das Gefühl, die Wirtschaftsinstitute kupfern bei sich selber ungeniert ab, kassieren bei uns und wundern sich nicht einmal, daß ihre Prognosen nicht eintreten.
Insoweit, Kollege Dregger, habe ich natürlich gestern auch Ihren Mut bewundert, uns diese Zahlen hier vorzubeten. Warten wir erstmal ein Jahr in Ruhe ab, ob das alles so eintritt. Ich halte es mit Churchill: Ich glaube an keine Statistik, die ich nicht selber zusammengelogen habe.
Das dürfte, denke ich, in diesem Fall mehr als sonst stimmen.
Nun geht es hier nicht darum, daß wir am Ende recht gehabt haben wollen. Denn kein Mensch kann Schadenfreude darüber haben, wenn Arbeitslosigkeit und schleppende Wirtschaftsaktivitäten sich fortsetzen.
Aber ich kann nur sagen: Ihr Wort in Gottes Ohr!
Denn wenn ich daran denke, was heute morgen in
der Zeitung zu lesen ist, daß der Präsident des Sparkassenverbandes, Geiger, gesagt hat, wir müßten damit rechnen, daß die Sparquote abnehme und in vielen Bereichen die Investitionstätigkeit nicht in Gang komme, dann fehlt mir einfach die Zuversicht, die Sie ausstrahlen. Erst recht fehlen uns von der SPD die Zuversicht und der Optimismus, die Sie ausstrahlen, wenn in der Bundesrepublik über 2 Millionen Menschen langsam, aber sicher in eine Dauerarbeitslosigkeit hineinwachsen und in dieser Dauerarbeitslosigkeit 30 % der registrierten Arbeitslosen nicht einen Pfennig an Unterstützung bekommen.
Ich gehe jetzt einmal von der These aus, daß davon besonders Frauen betroffen sind. Innerhalb der EG sind über 12 Millionen Menschen ohne Arbeit.
Im Bereich der OECD sind es noch mehr.
Was Sie hier betreiben, ist eine Meisterleistung an Verdrängung. Ich bedaure, daß darauf alle möglichen Leute hereinfallen.
Statt weinerlich zu sein, wie Sie mir zurufen, wäre es vernünftiger, von dem blinden Optimismus Abstand zu nehmen, der durch wenig gerechtfertigt ist, und Ihren Glauben an die uralte Tante Marktwirtschaft durch vernünftige Tatsachenanalysen zu ersetzen.
Man muß sich einmal allein den vorgelegten Einzelplan 09 anschauen. Da liegen die Unwägbarkeiten wie Fußangeln nur so herum. Dabei müßte dem Finanzminister eigentlich schlechtwerden.
Ich kann nur hoffen, daß sich bei dem Einzelplan des Wirtschaftsministers nicht dieselben Prognosetreffer herausstellen, wie es sich beispielsweise bei dem verhält, was in Athen passiert ist. Wie ist denn die Truppe der Aufrechten nach Athen losgereist? Kosten senken — strukturelle Verbesserung — keine müde Mark mehr! Wie ist die Truppe wiedergekommen? Stück für Stück mit blassem und langem Gesicht — 4 Milliarden dazu — keine Strukturverbesserung — außer Spesen nichts gewesen!
Wenn das, was Sie uns als erfolgreiche internationale und nationale Wirtschaftspolitik hier vorgeführt haben, allein bei Einzelplan 09 nur bruchstückweise eintrifft, dann kann ich nur sagen: Dann gute Nacht! Dann wird es wirklich schwierig. Dann müssen wir uns alle zusammen warm anziehen.
Der Präsident der Arbeitgeberverbände, Otto Esser, hat uns auch gleich einen Ausweg gewiesen. Offensichtlich haben in der Zwischenzeit nicht nur die Regierungen das Sagen, sondern die Präsiden-
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ten von Arbeitgeberverbänden oder Industrieverbänden bestimmen die Richtlinien der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Otto Esser rechnet vor, daß bei einem Wachstum des realen Bruttosozialprodukts von etwa 3 % und einer Produktivitätsrate von 2 bis zirka 2,5 % die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten fünf Jahren um 1 Million erhöht werden würde. Das bedeutet im Klartext: Wir müssen zwölf Jahre warten, um den jetzigen Bestand der Arbeitslosen abzubauen. Das ist wirklich schon eine abenteuerliche Zugrundelegung von Zahlen. Nicht einmal die ansonsten durch nichts getrübten Wachstumsprognosen der fünf Weisen gehen von einem Zeitraum von zwölf Jahren aus, in dem sie eine Wachstumsrate von real 3% jährlich voraussagen. Außerdem ist in höchstem Grade fraglich, ob wir bei der zunehmenden Rationalisierung zwölf Jahre lang annehmen dürfen, daß der Produktivitätsfortschritt jeweils immer unter der Wachstumsrate liegt. Im übrigen steht in dieser ganzen Berechnung nicht ein einziges Wort darüber, daß allein 1984 die Zahl derjenigen, die zusätzlich in Arbeitsplätze untergebracht werden müssen, rund 100 000 beträgt. Dort steht auch kein Wort darüber, wie man das Wachstum erreichen soll, außer daß das natürlich auf dem Wege der sozialen Marktwirtschaft gehen soll.
Gestern hat Herr Genscher — übrigens heute unterstützt von Herrn Lambsdorff — gesagt, daß die Entsparung, die als Folge der rücksichtslosen Kaufkraftbeschneidung allein dazu führe, daß der Konsum aufrecht erhalten werde, etwas ganz Tolles sei. Es sei nämlich der Beweis dafür, daß die Bevölkerung Mut in die Zukunft und in die Wirtschaftspolitik dieser Regierung habe.
— Halt, halt!
Mein Kollege Claus Grobecker, der jetzt leider nicht mehr da ist, hätte nun gesagt: Grundkurs I bei den Gewerkschaften: wenn man investieren will, muß man wohl irgendwo sparen. Das habe ich so gelernt, als ich an der Uni war. Wenn man nicht spart und gleichzeitig investieren will — Sie sagen ja, daß das passieren wird — und den Konsum steigern will, dann muß sich das entweder in der Inflationsrate niederschlagen oder es wird nicht investiert oder es passiert irgend etwas anderes, was in Ihrer Berechnung nicht berücksichtigt ist.
Nach dem, was sich im Moment darstellt, scheint mir dies richtig zu sein: Erstens wird der Konsum aufrechterhalten, und zwar nicht weil die Leute gern entsparen, sondern weil sie ihren Konsum nicht mehr herunterfahren können.
Zweitens fehlen uns damit die Mittel zu Investitionen, und folgerichtig wird im Moment in der Bundesrepublik auch nicht investiert. Das wird übrigens auch von Herrn Geiger so gesehen.
Wenn Sie sich mal allein angucken — nur ganz kurz und so nebenbei ist das vorhin gesagt worden —, was wir an Sektoren und Branchen und Regionen haben, in denen im nächsten Jahr Entlassungen von mehreren tausend anstehen, dann frage ich mich in der Tat wiederum: Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? Von Berlin bis Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen über das Saarland, ein Gürtel von Bremen bis herunter in den Süden — ich höre mal bei Baden-Württemberg auf —, wo wir jeden Tag die neuesten Tartarenmeldungen bekommen, daß wieder Tausende von Arbeitnehmern entlassen werden sollen. Vom — ich nenne jetzt nicht die Firmen — Maschinenbau bis zu den Werften, vom Bereich der Ausstattungsgüter bis zu vielen anderen Bereichen, wird mit Entlassungen gedroht, und zwar nicht immer nur mit einer, sondern gleich mit Tausenden. Wenn diese Arbeitslosen wieder vor den Türen der Bundesanstalt stehen, kann Ihre Berechnung mit der Überweisung an die Bundesanstalt nicht stimmen, es sei denn, Sie planen insgeheim wieder, die Arbeitslosenhilfesätze zu senken.
Folgerichtig geht bei diesen Voraussagen die Steuervorausschätzung, an der ja die Bundesregierung beteiligt ist, davon aus, daß wir für 1984 bei den Lohneinkommen mit 12 bis 13 Milliarden DM weniger an Kaufkraft rechnen müssen. 12 bis 13 Milliarden DM sind dann also weniger in den Taschen der Arbeitnehmer. Dadurch verringert sich im übrigen auch die Einnahmenseite beim Bund. Für die angebotsfixierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist dies womöglich sogar noch ein Erfolg. Wenn man jedoch die ganzen übrigen Kahlschlagsanierungen im Sozialbereich zuzieht, über die andere Kollegen besser und mit sehr viel Wissen reden können, dann gehört entweder Naivität, schlichter Glaube oder Zweckoptimismus dazu, von einem dauerhaften Aufschwung zu reden.
Ich glaube, daß man wirtschaftliche Tatbestände unterschiedlich bewerten darf. Das muß in einem Parlament mit so unterschiedlichen Mitgliedern möglich sein.
Es ist auch durchaus legitim, wenn Angehörige dergleichen Denkschule einmal auf der wirtschaftswissenschaftlichen Seite, dann wieder auf der Regierungsseite sich ihre Argumente zum Beweis der Richtigkeit ihrer eigenen Thesen gegenseitig zuspielen. Ich glaube aber auch, daß es intellektuelle Fairneß gebietet, die Existenz krisengeschüttelter Branchen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen
und nicht so zu tun, als ob es das alles nur in den Alpträumen von wahlkreisinteressierten Abgeordneten gäbe. Es ist doch nicht das Problem von Herrn Wolfram alleine, daß wir in der Kohle Probleme haben. Und es ist doch nicht das Problem der
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norddeutschen Abgeordneten, daß es in den Werften kriselt. Keineswegs sind auch nur NordrheinWestfalen oder das Saarland daran interessiert, die Stahlfrage hochzuschaukeln. Das sind reelle, existierende Probleme der deutschen Wirtschaft.
Was tut der Wirtschaftsminister in diesen Branchen?
Bei den Werften spielt er Schiffeversenken. Ich weiß nicht, ob Sie dieses alte Schülerspiel kennen. Da macht man so ein Blatt in die Mitte und sagt blindlings irgendeine Zahl in einem vorgezeichneten Kästchen auf der anderen Seite, und der andere schreibt auf: Getroffen.
So machen Sie Wirtschaftspolitik. Da gibt es kein Konzept, da gibt es nichts, woran man überhaupt erkennen könnte, was Sie sich bei der Schiffahrt auch nur ungefähr vorstellen,
sondern Sie hauen blindlings zu in der Hoffnung, daß irgendwo am Ende — —
3) — Na, gucken Sie sich mal an, was in Norddeutschland, allein in Bremen, bei den Großfusionen der Werften vorgegangen ist.
Sie hauen blindlings zu in der Hoffnung, der Stärkere wird am Ende übrig bleiben. Dieses Totschlageargument der selbstheilenden Kräfte des Marktes bewirkt bei uns in Norddeutschland, aber nicht nur dort, bewirkt in Bremen, bewirkt in Berlin, bewirkt in Nordrhein-Westfalen, bewirkt im Saarland Arbeitslosigkeit, und zwar erschreckend zunehmende Arbeitslosigkeit und offenbart zweitens auch Ihren Mangel an Erkenntnisfähigkeit.
Es sind doch nicht die Löhne, nicht einmal die Lohnnebenkosten, es ist auch nicht das Verhalten der Arbeitnehmer, die beispielsweise dem Stahloder dem Schiffbau zu schaffen machen, sondern es ist die geradezu unverfrorene Subventionspolitik unserer europäischen Partner in diesen Bereichen, die, wenn wir mithalten wollen und nicht ganze Branchen vor die Hunde gehen lassen wollen, auch uns — ich gebe Ihnen das j a gerne zu — in der Subventionspolitik zum Teil zu unvernünftigem Handeln zwingen. Aber entweder, Herr Bundeswirtschaftsminister — — Nun ist er weg.
Entweder hat ihn der Kummer oder die Interessenlosigkeit hinausgetrieben, beides ist gleichermaßen — —(Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Rede hat
ihn hinausgetrieben!)