Der Herr Präsident hat mich von der Antwort dispensiert. Dafür bin ich ihm dankbar, weil ich die Preisverleihungsregeln nicht genau beherrsche. Das will ich nun wirklich gerne den Bayern unter sich überlassen.
Meine Damen und Herren, es ist ganz gewiß richtig, daß die Arbeit — nachdem das, was wir bisher geleistet haben, die ersten Früchte trägt, was zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind — noch längst nicht getan ist. Es liegt noch eine Wegstrecke harter Arbeit und schwerer Entscheidungen vor uns.
— Wie bitte?
— Ja, ich will die Frage gern beantworten. Genau dieselbe Situation, die wir zwischen Wirtschafts- und Haushaltspolitikern in der alten Koalition gehabt haben — der Herr Kollege Hoppe hat gestern auf diesen Widerspruch hingewiesen —, haben wir in der neuen. Konjunkturpolitisch, wirtschaftspolitisch, tarifpolitisch wäre mir eine Tarifreform zum 1. Januar 1986 sehr willkommen, aber ich habe immer — vor allem in einer Rede vor zehn Tagen — hinzugefügt — was nachzulesen ist —:
unter der Voraussetzung, daß die Konsolidierungsaufgabe gelöst ist.
Nach dem Gutachten des Sachverständigenrates und nach dessen Berechnungen zur Rückführung des strukturellen Defizits per Ende 1985 bin ich sehr zuversichtlich, daß wir eine solche Plattform finden können. In dieser Zuversicht mag ich mich von dem einen oder dem anderen unterscheiden. Nach meiner alten Erfahrung unterscheide ich mich in dieser Zuversicht immer — und das verstehe ich völlig; das ist gewissermaßen ressortgebunden — von dem zurückhaltenderen Bundesfinanzminister. Das muß und wird auch diesmal der Fall sein.
— Das ist kein beeindruckender Rückzug, sondern
es wird dabei bleiben, daß ich meine Position vertrete, wenn die volkswirtschaftlichen, finanzpoliti-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
schen und haushaltspolitischen Voraussetzungen und Bedingungen zu diesem Zeitpunkt gegeben sind. Wenn nicht, ist das nicht zu verantworten. Die Konsolidierungsaufgabe ist nach all dem, mit dem wir hier angetreten sind, die Aufgabe Nummer eins.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir haben uns mit großer Intensität dem Stichwort zu nähern, das man modernerweise „Deregulierung" nennt, und wir haben nicht nur die mit diesem Stichwort beschriebene Aufgabe zu sehen, sondern sie auch zu lösen. Ich bin — das wissen Sie — nie ein Anhänger und Vertreter von „Reaganomics" gewesen.
— Doch, doch, Herr Roth! Ich weiß ja nicht, ob dieser fröhliche Urlaut das jetzt bestätigen oder bezweifeln sollte. Ich bin nie ein Anhänger von „Reaganomics" gewesen, aber in diesem einen Punkt des Abbaus von Regulierungen und hinderlichen Vorschriften sehe ich eine wesentliche Grundlage dafür, daß die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten zurückgegangen ist. Eine solche Grundlage ist nicht die Defizitpolitik und nicht die Laffer-Kurve, wohl aber der Abbau von Regulierung oder Überregulierung. Hier ist einiges zu tun, und hier müssen wir, meine Damen und Herren, auch den Mut haben, uns die Schutzgesetze anzusehen, die wir in Zeiten der Vollbeschäftigung für richtig, für sinnvoll, für nützlich gehalten haben, die übrigens
wir alle miteinander befürwortet haben, bei denen man sich aber heute fragen muß, ob sie in Zeiten geänderter Verhältnisse am Arbeitsmarkt nicht nur noch denjenigen schützen, der Arbeit hat, und sich zu Lasten dessen auswirken, der Arbeit sucht. Das kann nicht sein!
Alles in allem komme ich zu dem Ergebnis, daß die Politik der Bundesregierung richtig ist.
— Es freut micht, daß Sie das überrascht. Manchmal glaubt man gar nicht, mit welch einfachen, aber deutlichen Feststellungen man Überraschung auslösen und Freude machen kann, meine Damen und Herren.
Mit großem Interesse habe ich zu einem bestimmten Punkt eine kritische Anmerkung meines verehrten Amtsvorgängers Karl Schiller gelesen. Es ist vielleicht richtig, daß wir von dem Augenblick an, als wir hier an die Arbeit gegangen sind, das eigene Haus in Ordnung zu bringen — so habe ich das schon früher formuliert, und ich bin mit dieser Bemerkung bei hohen und höchsten Stellen nicht immer auf Wohlgefallen gestoßen —, unsere Aufmerksamkeit sehr, sehr wesentlich auf das Innere, auf unsere bundesdeutsche Wirtschaft, konzentriert haben. Und Karl Schiller meint: Ihr müßt ein bißchen auch an die Außenwirtschaft, nach außen denken. Dieses Land kann es allein nicht schaffen, so eingebunden wie wir sind.
— Ja, früher haben wir den inneren Bereich vielleicht zu sehr übersehen und zuviel nach außen gesehen, manchmal auch mit dem Hintergedanken, jedenfalls der Gefahr, daß man sich mit den berühmten exogenen Umständen, mit denen, die von außen kamen, entschuldigte.
Deswegen meine ich, daß wir uns im außenwirtschaftlichen Bereich — bei GATT, in der Europäischen Gemeinschaft, auf den Weltwirtschaftskonferenzen und was es an derlei Veranstaltungen sonst noch gibt — in der Tat sehr darauf konzentrieren, daß wir sehr intensiv darum kämpfen müssen, daß die Freiheit internationaler Wirtschaftsbeziehungen nicht weiter eingeengt wird, sondern erhalten bleibt und — wo immer es geht — ausgebaut wird. Das berühmte Rollback des Protektionismus. Über die Verschuldungsproblematik ist heute gesprochen worden. Protektionismus im allgemeinen ist noch nicht erwähnt worden, jedenfalls habe ich es nicht gehört. Hier gibt es bedrohliche Entwicklungen, und zwar sowohl innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch bei unseren amerikanischen Partnern. Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist aufgerufen, sich dem entgegenzustellen.
Ich bin im Prinzip auch sehr damit einverstanden, Herr Kollege Mitzscherling, daß Sie gestern gesagt haben, die Währungsprobleme müßten angesprochen werden. Aber ich befürchte: Unter den gegenwärtigen politischen Umständen sind die Vorschläge, die Sie uns gemacht haben, nicht von — ich will nicht unfreundlich sein und sagen: nicht von großem Realitätssinn — einer großen Erfolgschance getragen. Glauben Sie, meine Damen und Herren, auf dem Hintergrund von Athen denn im Ernst, daß zur Zeit die Möglichkeit besteht, Großbritannien dem Europäischen Währungssystem beitreten zu lassen?
Ich sehe das nicht. Glauben Sie in der Tat, meine Damen und Herren, daß wir eine Chance haben — an die ich ohnehin nicht glaube —, irgend etwas zu tun, um ein dem System von Bretton Woods angenähertes Weltwährungssystem wieder zu institutionalisieren? Wenn wir keine Konvergenz der Wirtschaftspolitiken erreichen — weltweit und vor allem in Europa —, dann kann es nicht funktionieren. Wenn wir sie aber erreichen, dann brauchen wir keine währungspolitischen Institutionen. Sie sind dann zwar eine Erleichterung, vielleicht eine Verbesserung, vielleicht ein Zusammenhalt, eine Leitplanke, aber sie sind nicht die eigentliche Voraussetzung. Man fängt nicht mit den Mechanismen an, sondern man muß mit der zugrunde liegenden Politik anfangen, und die läuft doch nach wie vor — wir wissen es — auseinander.
Eines muß ich hier klarstellen. Unser Kollege Helmut Schmidt hat nach einer heutigen Meldung
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der „Financial Times" in Washington verkündet, daß die Vereinigten Staaten etwa in zwei Jahren mit Kapitalverkehrskontrollen europäischer Länder, auch durch die Bundesrepublik, rechnen müßten. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: Das kommt für unsere Entscheidungen für unsere Politik nicht in Frage, nicht in Betracht. Wir werden nicht zu Kapitalverkehrskontrollen übergehen.
Ich habe vorhin die Frage gestellt, ob wir die Rezepte der 60er Jahre anwenden. Ich bin der Meinung: nein. Wir werden nicht in allen Fällen die damals bewährten, erfolgreichen Rezepte anwenden. In der Grundhaltung allerdings, meine Damen und Herren, sage ich ein deutliches Ja zu den Prinzipien, die die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland leistungs- und wettbewerbsfähig gemacht haben — aber nicht nur aus Gründen der Effizienz. Die Soziale Marktwirtschaft, zu der sich diese Regierung, die Koalition der Mitte bekennt, ist für uns nicht nur ein System zur Verbesserung der Zahlen — auch und vor allem der Arbeitsplätze —, zur Erhöhung der Umsätze, für eine vernünftige Leistungsbilanz und was es sonst noch alles an Kenndaten gibt, sondern sie ist für uns auch das Wirtschaftssystem, in dem sich die Leistungsfähigkeit des einzelnen — hervorgerufen und hervorgelockt durch Wettbewerb, der im übrigen immer noch die genialste Kontrolle wirtschaftlicher Macht ist, die je erfunden worden ist — am besten entfalten kann. Diese Leistungsfähigkeit, auf die wir setzen, kann nur in diesem System — frei von Bevormundungen, frei von Beschränkungen — zum Zuge kommen; auf sie bauen wir. Mit der Hilfe unserer Bürger wird es uns dann auch möglich sein, die immer noch vor uns liegenden Probleme zu bewältigen.
Danke für Ihr Zuhören.