Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Oppositionsführer hat gestern gemeint, ich liebte es — er kann leider im Augenblick nicht hier sein, aber ich will die paar Sätze dazu doch sagen —, hart und mitunter verletzend zu kritisieren. Ich habe diese Bewertung bedauert. Hart kritisieren, j a. Verletzend? — Ich bemühe mich darum, dies nicht zu tun. Der Kollege Vogel hat gemeint, ich hätte eine Kostprobe davon in meinem Beitrag zur Stationierungsdebatte vor 14 Tagen gegeben. Ich habe mir daraufhin diese Rede noch einmal durchgelesen. Ich kann nichts Verletzendes darin sehen. Dann müßten wir die Empfindlichkeitsschwelle schon sehr weit herunterziehen. Ich glaube, ich habe klar und deutlich gesprochen, aber ich habe niemanden, auch nicht den Kollegen Vogel, in dieser Rede verletzt, ganz gewiß nicht verletzen wollen.
— Klar. Es gibt keine Eile. Das ist auch keine Kritik. Ich weiß, wie das ist.
Ich will hier jetzt nicht die einzelnen Punkte wiederholen, die ich damals vorgetragen habe — das wäre auch nur Nachkarten —, aber ich möchte deutlich machen: Es liegt mir daran, sehr klar Positionen zu vertreten, wie ich sie sehe, sie aber nicht so zu vertreten, daß sich andere persönlich verletzt oder gar herabgesetzt fühlen.
Heute geht es um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik, eben auch um den Einzelplan 09 des Bundeswirtschaftsministeriums, von dem ich schon an dieser Stelle sagen möchte: Ich sehe mit ganz geringem Vergnügen die Zuwachsraten in diesem Haushalt. Es sind im wesentlichen Subventionsnotwendigkeiten. Sie laufen dem Ziel, das wir uns vorgenommen haben und an dem wir festhalten werden
— Subventionen, insonderheit Erhaltungssubventionen zurückzuführen —, entgegen.
Es ist, glaube ich, mit vollem Recht gesagt worden
— das ist ja auch die Übung —, daß bei einer solchen Debatte die grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Positionen, wie sie sich zwischen Koalition und Opposition ergeben, diskutiert werden müssen und sollen. Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, werfen der Bundesregierung vor, hier und draußen, sie habe kein wirtschaftspolitisches Konzept. Ich habe mir die Vorschläge angesehen, die uns in den Entschließungsanträgen vorgelegt worden sind, und ich habe mir die wirtschaftspolitischen Ausführungen des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Kollegen Vogel, angehört. Ich möchte nicht versäumen, das wirtschaftspolitische Konzept Ihrer Fraktion und Ihrer Partei, wie ich es aus diesen Äußerungen entnehmen kann — also auf der Basis dieser Beiträge —, einmal vorzuführen.
Die SPD will die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken und fordert die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Umweltabgaben und die Erhaltung von Industriestandorten. Die SPD will die Zinsen senken und fordert riesige staatliche Beschäftigungsprogramme, die über Staatsschulden finanziert werden sollen. Die SPD will Investitionen und Innovationen anregen, den Mittelstand stärken und die Gründung von selbständigen Existenzen fördern und fordert gleichzeitig die Ergänzungsabgabe, die Rücknahme der Vermögensteuersenkung, mehr Staat und mehr Schulden. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Mit Ökonomie hat das alles nicht sehr viel zu tun.
Die Widersprüche werden entweder verschwiegen, oder sie werden nicht erkannt. Es gibt bei Ihnen kein der Situation angepaßtes wirtschaftspolitisches Konzept. Der Wähler hat das früh erkannt. Ihr Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, Mitglied dieses Hauses, hat ja nach dem 6. März 1983 selber festgestellt und erklärt: Aus den Wahlanalysen läßt sich ablesen, daß der Wähler der Sozialdemokratischen Partei die Kompetenz zur Bewältigung der wirtschaftspolitischen Probleme abgesprochen hat.
— Natürlich habe ich das gelesen, aber selbstverständlich! Ich bin doch auf den Zwischenruf gewappnet, Herr Wolfram. Sie wissen doch, daß ich morgens früh aufstehe und die Zeitungen lese. Meine Güte!
— Wir beide müssen uns doch nicht darüber streiten, wer früher aufsteht. Herr Kollege Wolfram ist ein fleißiger Mann. Das weiß ich.
Hätte der Wähler übrigens gewußt, wohin sich Ihre sicherheitspolitische Talfahrt entwickeln würde, so hätten Sie auch das noch im Wahlergebnis zu spüren bekommen.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, weigern sich, davon Kenntnis zu nehmen, daß sich die in den 70er Jahren bei uns weltweit angewandten Rezepte mehr und mehr nicht nur als wirkungslos, sondern schließlich auch als schädlich erwiesen haben. Sie versuchen immer noch, auf strukturelle Verwerfungen mit konjunkturellen Maßnahmen zu reagieren. Ich finde, es ist schon eine merkwürdige Debatte: Wenn die Koalition der Mitte sagt, wir brauchen mehr Marktwirtschaft, mehr Leistungsbereitschaft, mehr Risikobereitschaft, dann werfen Sie uns vor, wir wollten mit den Mitteln der 50er und 60er Jahre die Probleme der 80er Jahre lösen. Aber eines steht doch fest: In den 50er und 60er Jahren hat die deutsche Wirtschaft die ihr gestellten Aufgaben gemeistert, und in den 70er Jahren ist uns das nur noch eingeschränkt gelungen.
Warum führen wir eigentlich keine Diskussion über die Frage, welche Grundauffassung von Wirtschaftspolitik für die 80er Jahre notwendig ist und welche Folgen für den Instrumentenkasten dieser Wirtschaftspolitik sich dann aus den konkreten Problemen der 80er Jahre ergeben?
Die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage ist klar: Ohne Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte, ohne Rückbesinnung auf bewährte ordnungspolitische Prinzipien werden wir unsere Probleme nicht lösen. Wenn Sie mit uns bereit sind, diesen Grundmaßstab gemeinsam anzulegen, dann können wir über Einzelmaßnahmen, über Instrumente immer, wie ich glaube, vernünftig miteinander reden.
Wenn Sie sich aber weiter von dem abwenden, wofür Männer wie Heinrich Deist, Klaus Dieter Arndt und Karl Schiller in Ihrer Partei standen und stehen, dann werden wir in der wirtschaftspolitischen Diskussion weiter aneinander vorbeireden.
3138 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Ich will versuchen, die unterschiedlichen Denk- und Lösungsansätze — übrigens so, wie ich es damals mit einem Einzelthema, Herr Stratmann hat das ja erwähnt, nämlich mit Rationalisierung, Produktivität und ihrer Auswirkung auf die Beschäftigung, bei der ersten Lesung getan habe — an einem, wie ich glaube, wichtigen Einzelthema deutlich zu machen. Es ist ein Einzelthema, das ich kürzlich mit dem Kollegen Roth in einer Fernsehsendung nur andiskutieren konnte.
Wir werden im Jahr 1983 knapp 30 Milliarden DM für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ausgeben. Es gibt — allerdings nicht unproblematische — Rechnungen, die die Kosten der Arbeitslosigkeit noch wesentlich höher ansetzen.
Von seiten der Sozialdemokraten und speziell vom Kollegen Roth ist gefordert worden, diese Gelder — wie Sie sagen — sinnvoller einzusetzen. Die Faszination, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, Beschäftigungsprogramme aufzulegen und damit zum Beispiel Umwelt- und Energieeinsparungsinvestitionen durchzuführen, ist in der Tat mehr als verführerisch.
Aber ich warne davor, diesen Weg zu beschreiten. Hier werden Illusionen gezüchtet, die sich in der Wirklichkeit nicht umsetzen lassen. Der Ansatz verkennt die Ursachen der Arbeitslosigkeit, und er übersieht die negativen Rückwirkungen solcher Vorschläge auf Zinsen, Wechselkurse, Preise und Investitionen und damit auf die bestehenden Arbeitsplätze.
An einer extremen Rechnung wird deutlich, daß mit diesem vermeintlichen Patentrezept nichts anderes als eine Wirtschaftspolitik à la Münchhausen versucht würde.
Nimmt man zwei Millionen Arbeitslose mit einem durchschnittlichen Arbeitslosengeld von z. B. 20 000 DM pro Jahr und würde der Staat zum Lohnausgleich weitere 5 000 DM je Arbeitslosen drauflegen, so könnten — das wird behauptet — mit 50 Milliarden DM 2 Millionen Arbeitslose von der Straße geholt werden. Dies, meine Damen und Herren, ist eine Milchmädchenrechnung.
Erstens. Tatsache ist zunächst, daß die 2 Millionen Arbeitslosen so schnell überhaupt keine Arbeit finden, weil die Arbeitsplätze erst durch entsprechende Investitionen geschaffen werden müssen, und auch die kosten Geld.
Zweitens. Die Finanzierungs- und Subventionsproblematik wird völlig außer acht gelassen, wenn aus dem Arbeitslosengeld z. B. Investitionen im Umweltschutz bei den Gemeinden mitfinanziert würden. Werden nämlich erst einmal subventionierte Arbeitsplätze in großer Zahl geschaffen, dann ist es für die Unternehmen, aber auch für die Stadtkämmerer, wie wir gesehen haben, interessanter, teure Arbeitsplätze, die sich bisher selbst bezahlen mußten, durch staatlich subventionierte Arbeitsplätze zu ersetzen.
Die Arbeitslosigkeit wäre nicht beseitigt. Sie würde an anderer Stelle in verstärkter Form wieder auftreten. Der Ruf nach weiteren Subventionen würde dann um so lauter erschallen. Das ist eine Kette ohne Ende.
Die Subventionierung von Beschäftigten hat im Prinzip die gleiche Wirkung wie die Subventionierung von Unternehmen: Arbeitskräfte werden in unproduktiven Verwendungen festgehalten, Initiativen werden gelähmt. Subventionierte Arbeitskräfte verschlechtern die Chancen derjenigen, die ihre Einkommen am Markt verdienen müssen. Wachstumschancen und damit die Schaffung produktiver dauerhafter Arbeitsplätze werden so verschenkt.
Gerade die Erfahrung mit solchen Beschäftigungsprogrammen sollte gelehrt haben, daß über Subventionierung von Arbeitsplätzen keine vollwertigen, sich selbst tragenden Arbeitsplätze geschaffen werden können. Natürlich, solange der Staat die Subventionen zahlt, können solche Arbeitsplätze aufrechterhalten werden. Doch diese Subventionen werden im Laufe der Zeit immer teurer, so daß der Staat sehr schnell an die Grenzen seiner Finanzierungsmöglichkeiten stößt. Wie schädlich dies ist, haben wir gerade erlebt.
Wir konsolidieren doch heute, weil diese Grenzen erreicht wurden, weil das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen erschüttert wurde. Herr Kollege Wieczorek, wir konsolidieren nicht aus Selbstzweck. Wenn Sie sagen, auch Sie seien für das Konsolidieren, sich dann aber gleichzeitig einmal ansehen, was Sie alles vorschlagen, dann wirken Sie doch etwa wie der Direktor der Schnapsfabrik, der gegen den Alkoholkonsum auftritt.
Solche Überlegungen verkennen auch völlig die Rückwirkungen auf den Kapitalmarktzins, wenn sich der Staat in der jetzigen Phase weiter zusätzlich verschulden würde. Das Ifo-Institut schätzt, daß eine dauerhafte Erhöhung des langfristigen Zinssatzes um einen Prozentpunkt nach Ablauf aller Anpassungsprozesse zu einem Rückgang der Anlageinvestitionen der Unternehmen von fast 20% führen würde.
Werden statt dessen Steuern erhöht, würden Unternehmen in die Pleite getrieben, die bisher gerade noch rentabel waren, oder die Belastung der Arbeitnehmer, die für zusätzliche verdiente Einkommen schon jetzt im Durchschnitt bei 50% liegt, würde weiter steigen.
Zudem müßten die Folgekosten künstlich geschaffener staatlicher Arbeitsplätze bei den Ge-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff meindehaushalten gesehen werden. Die Fehler, die mit Bettenbergen in Krankenhäusern, zu aufwendigen Rathäusern und Schwimmopern begangen wurden,
sollten doch wahrlich nicht wiederholt werden.
— Herr Oberbürgermeister, es muß sich nicht jeder angesprochen fühlen. Ich weiß ja nicht, ob das für Sie gilt. Aber es sieht so aus, nach Ihrer Reaktion zu urteilen.
Eine weitere zusätzliche Verschuldung des Staates hätte schließlich negative Auswirkungen auf den Wechselkurs und damit auf die mit viel Mühe erreichte Stabilisierung der Preise. Neue Inflationsschübe würden mit Sicherheit zu mehr und nicht zu weniger Arbeitslosigkeit führen. Nicht zu vergessen: Die Entwicklung des Wechselkurses bestimmt wesentlich mit, inwieweit es uns gelingt, uns vom Zins in den Vereinigten Staaten abzukoppeln.
Das Beispiel Frankreichs und der rapide Kursverfall des französischen Franc sollten eine eindrucksvolle Warnung sein. Diesen schmerzhaften und teuren Lernprozeß sollten wir nicht nachmachen. — Der Kurs ist in der Tat nicht gut. Ich komme nachher noch auf die Bemerkung zurück, Herr Kollege Spöri.
Fazit: Wie man es auch wendet, es hilft nichts, über staatliche Programme hohe Beschäftigungseffekte auszurechnen, aber die Arbeitsplätze zu ignorieren, die durch diese Politik über den Preis-, Zins-, Steuer- und Wechselkursmechanismus verdrängt bzw. vernichtet werden. Mit planwirtschaftlichen Methoden oder mit großangelegter Staatsbürokratie werden wir unsere Probleme nicht lösen können.
Hier liegt der grundlegend andere Ansatz, den die Bundesregierung wählt. — Herr Spöri, das Stichwort „Münchener Parteitag" haben Sie aufgebracht.
Ich hatte das gar nicht in meinem Manuskript.
Wir wollen eben nicht, um Stefan Heym zu zitieren, Vollbeschäftigung im Leerlauf der Bürokratie haben. Das wollen wir getrost den Wirtschaften des Ostblocks überlassen.
Ich weiß — und wir alle wissen das —, daß man
Arbeit nicht nur unter dem Aspekt des Geldverdienens sehen darf. Aber daß wir das Problem mit
Leerlaufarbeit abfangen, das wage ich sehr zu bezweifeln. Entscheidender ist: Am Ende dieses Prozesses werden noch mehr Leute stempeln gehen. Ich finde, man muß den Mut haben, das zu sagen.
Unser Konzept setzt deshalb auf die Kraft des einzelnen, auf die Leistungsfähigkeit unserer privaten Unternehmen, auf die Stärke der Marktwirtschaft, die den planwirtschaftlichen Methoden überlegen war, überlegen ist und es auch bleiben wird. Bei Betrachtung dieser Vorschläge, der ganzen Liste, die heute in Ihren Beschlußanträgen enthalten ist, fällt mir wahrlich Bertold Brecht ein:
„Mach' nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach' dann noch 'nen zweiten Plan, geh'n tun sie beide nicht!"
Meine Damen und Herren, sicherlich ist es bedauerlich — darüber besteht gar keine Meinungsverschiedenheit —, daß heute so viel Geld für Arbeitslosigkeit aufgewendet werden muß. Doch die Hoffnung, diese Gelder statt dessen für staatlich subventionierte Arbeitsplätze einzusetzen, hieße letztlich, sie zweimal ausgeben zu wollen, nämlich erstens für subventionierte Arbeitsplätze und zweitens für die dann an anderer Stelle neu entstehende Arbeitslosigkeit. Der Schaden wäre verdoppelt, und dies ist ein wirtschaftspolitisch falsches Konzept.
Es ist vielmehr erforderlich, die Voraussetzungen für mehr Investitionen und für sich selbst tragende rentable Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist und bleibt unsere Aufgabe Nr. 1 und die erste innenpolitische Verpflichtung, der sich diese Regierung stellt.
Nur so, nur auf diesem Wege wird die Verantwortung, die der Staat für die Beschäftigung hat, richtig wahrgenommen. Herr Stratmann, hier spielt nun in der Tat die Eigenkapitalsituation der Unternehmen, die Ertragserwartung der Unternehmen eine ganz entscheidende, eine ganz wichtige Rolle.
Wir erwarten von einem Unternehmer, daß er investiert, wir erwarten damit von ihm, daß er ein Risiko eingeht, daß er sein eigenes Geld riskiert.
Er wird ein Risiko nur eingehen können, wenn seine Reserven, seine Eigenkapitalposition groß genug ist, um auch einen Fehlschlag hinnehmen zu können, und nicht so klein ist, daß er mit einer fehlgegangenen Investition seinen ganzen Laden umwirft. Dann können Sie keine Investitionen erwarten, und dann werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen.
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