Ich werde auf das Fremdkapital gleich noch im Zusammenhang mit der vom Herrn Bundesfinanzminister behaupteten Verschränkung von Staatsverschuldung und Zinshöhen eingehen.
— Hören Sie doch einmal zu, Herr Kollege Hinsken.
Ein vierter Zusammenhang, der für die Haushaltskonsolidierung ganz entscheidend ist: Herr Stoltenberg hat in der ersten Lesung behauptet, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
hoher Staatsverschuldung und der Zinshöhe und
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damit der übermäßigen Belastung der Unternehmensinvestitionen.
Dieser Zusammenhang ist empirisch falsch. Ich argumentiere nur mit empirischen Belegen, und die sind für Sie genauso zugänglich wie für mich. Wie erklären Sie sich, wenn das so sein sollte, daß im Jahre 1982 in der Bundesrepublik bei stark steigendem Haushaltsdefizit die Zinsen gesunken sind? Wie erklären Sie sich, daß im Jahre 1983 bei sinkendem Staatsdefizit — ein Ergebnis Ihrer Haushaltskonsolidierung — die Zinsen nicht gesunken, sondern konstant geblieben sind?
Wie erklären Sie sich, daß wir in den USA die gleiche Entwicklung zu verzeichnen haben, daß dort im Jahre 1982 bei einer rapiden Zunahme des Budgetdefizits die Zinsen gesunken sind und daß im Jahre 1983 bei einer weiteren Verschärfung des Budgetdefizits die Zinsen konstant geblieben sind? Es ist überall das gleiche Bild: Die empirischen Belege für Ihre Investitionsideologie — von Theorie kann man gar nicht mehr sprechen — sind falsch. Belege: bürgerliche wirtschaftswissenschaftliche Institute und wirtschaftswissenschaftliche Zeitschriften.
Es bleibt das Fazit zu ziehen: Wie ist es zu erklären, daß die Bundesregierung erstens konzeptionell eine rein ideologische Position — in sich widersprüchlich — vertritt und zweitens einem Aufschwungmythos huldigt, der zwar für die Jahre 1983 und 1984 unbestritten positive Indikatoren aufzeigen kann, der aber keineswegs zu einer nachhaltigen Verbesserung in der Wirtschaft und keineswegs zu einer nachhaltigen Verbesserung bei der Arbeitslosigkeit führen kann?
Unsere Einschätzung ist diese: Hinter dieser Politik und hinter diesen Konzeptionen steht ein kapitalorientiertes Gesellschaftsmodell.
Alle Einzelpolitiken — Originalton Lambsdorff, Haushaltsdebatte erste Lesung — sollen dem Investitionsinteresse des Kapitals untergeordnet werden. Die Bundesregierung erweist sich damit als geschäftsführender Ausschuß des Kapitals.
ARBED-Saarstahl wurde deutlich, was das praktisch auch für die betroffenen Kollegen heißt.
Herr Lambsdorff weiß ein Lied davon zu singen — und nicht nur er: auf der einen Seite Offenhandpolitik gegenüber dem Kapital,
auf der anderen Seite Brachialpolitik gegenüber den betroffenen Kollegen. Die marktwirtschaftlichen Grundsätze der Tarifautonomie wurden bei ARBED-Saarstahl ausgehebelt, die Gewerkschaft wurde erpreßt, auf Kosten der 50jährigen und älteren Kollegen wurden Massenentlassungen durchgesetzt, und dies alles unter dem Firmenschild „Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft".
Herr Lambsdorff und Herr Stoltenberg, diese kapitalfixierte Haushalts- und Wirtschaftspolitik lehnen wir GRÜNEN ab, dieses kapitalfixierte Gesellschaftsmodell lehnen wir ab, und sowieso lehnen wir diese sozialdarwinistische, diese asoziale Marktwirtschaft ab.
Unsere Alternative heißt — —
— Ach, hören Sie doch einmal zu! Bevor Sie überhaupt nur einen Deut von Stamokap verstanden haben, sollten Sie mir einen solchen Unsinn nicht vorwerfen.
Unsere Wirtschafts- und Haushaltspolitik orientiert sich an folgenden Leitgrößen — in der Folge will ich mich insbesondere mit der SPD auseinandersetzen —: ökologisches Gleichgewicht, sinnvolle Arbeit für alle und soziale Sicherheit.
Wir wollen dies auf drei Wegen erreichen:
Erstens. Was wir brauchen, ist eine wachstumsunabhängige Wirtschaftspolitik.
Zweitens bedarf es einer Umkehrung der Exportorientierung der Wirtschaft zu einer stärkeren binnenwirtschaftlichen Orientierung.
Drittens. Eine Politik für eine ökologische und soziale Produktion ist der beste Ansatzpunkt zur Haushaltskonsolidierung.
Ich werde alle diese drei Punkte im folgenden erläutern.
Zur wachstumsunabhängigen Politik: Wir haben es, wie in früheren Beiträgen ausgeführt worden ist und wie ich eben auch in meiner Kritik am Aufschwungmythos deutlich zu machen versucht habe,
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mit einer Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung zu tun. Über Wachstumspolitik bekommen wir die Probleme der Arbeitslosigkeit nicht in den Griff. Aus Kreisen der SPD hört man jetzt zunehmend — Herr Vogel hat es gestern wieder vorexerziert —: Was wir brauchen, ist qualitatives Wachstum. — Ich bedaure, daß Herr Vogel nicht da ist, möchte aber trotzdem einige Worte an ihn richten.
Herr Vogel hat sich wachstumskritisch geäußert und hat gesagt, wir brauchten qualitatives Wachstum. Er hat sich dazu in positiver Bezugnahme auf Herrn Biedenkopf ein sehr schönes Beispiel einfallen lassen, das ich noch einmal zitieren möchte. Er hat ausgeführt: Wir müssen unsere Volkswirtschaft mit einem Wald vergleichen, der sich bei gegebener Grundfläche und bei gegebener Höhe umfangmäßig nicht ausdehnt, aber dennoch wächst. — Unbezweifelbar! Das ist ein sehr gutes Beispiel von Herrn Biedenkopf; es könnte fast von uns GRÜNEN stammen.
Die wirtschaftspolitische Konsequenz daraus muß aber doch heißen: Wenn der Wald bei einem waldbaulichen Optimum, also gegebener Dichte, gegebener Höhe und gegebenem Umfang, trotzdem wächst, wächst nicht sein Umfang, wächst also, bezogen auf die Wirtschaft, nicht das Bruttosozialprodukt.
Hier liegt die Falle für die SPD. Die SPD versucht, sich mit ökologischen Tönen zu schmücken, indem sie mit verbalen Äußerungen vom quantitativen Wachstum wegkommt
und sich am qualitativen Wachstum orientiert. Sie meint aber nichts anderes als quantitatives Wachstum, Wachstum des Bruttosozialprodukts, mit ein paar ökologischen Einfärbungen.
Das will ich Ihnen belegen.
Herr Vogel hat als positives Beispiel für diese „qualitative Wachstumspolitik" Hessen — Landesregierung Börner — genannt.
Ich habe das Vergnügen gehabt, vor ca. vier Wochen mit dem hessischen Umweltminister Schneider zu sprechen, der mit dem hessischen Programm „Arbeit und Umwelt" durch die Gegend läuft und wer weiß wie ökologische Töne spuckt. Schneider hat sich auf dem Umweltforum '83 im nordrhein-westfälischen Landtag an die eigene Brust geklopft und hat gesagt: Wir Politiker haben in den letzten zehn Jahren den Fehler gemacht, jährlich soundso viele Hektar zuzubetonieren und damit zig Arten von Tieren und Pflanzen dem Aussterben preiszugeben. — Ich war tief gerührt und beeindruckt und habe ihn dann gefragt: Herr Schneider, wie verträgt es
sich denn mit dieser Ihrer Selbstkritik, daß Sie zur gleichen Zeit, zu der Sie das ökologische Programm „Arbeit und Umwelt" herausgeben, gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung unter Zuhilfenahme von massiven Polizeieinsätzen mit der Startbahn West die Landschaft zubetonieren?
Darauf die bezeichnende Antwort von Herrn Schneider: Herr Stratmann, sagte er, im Gegensatz zu den GRÜNEN sind wir eben für Wachstum. Hier zeigt sich eindeutig, welche Qualität dieses qualitative Wachstum der SPD hat.
Diese Formel bei der SPD gleicht der alten Dame, die ihr Altern mit Lifting, Öko-Schminke und Minirock zu kaschieren versucht.
Ein weiteres Beispiel: aktuelle Auseinandersetzungen in der hessischen Landesregierung. Da läuft doch der Börner herum und nimmt zum erstenmal das Wort „Kohlekraftwerke mit Wirbelschichtfeuerung" in den Mund — ich bin tief gerührt —
und spricht von dezentraler Energieversorgung. Da ist eine Einigung mit den GRÜNEN natürlich leicht möglich, auch in Hessen. Auf der einen Seite sagt Börner, wir brauchten dezentrale Energieversorgung,
auf der anderen Seite aber sagt er, wir brauchten Biblis A und B — energiemonströse Unternehmungen.
Zur Begründung für diese Energiemonstren fällt ihm nichts anderes ein als die SPD-Parteiprogramme von 1977 bis 1981. Hier zeigt sich die vollkommene ökologische Konzeptionslosigkeit und Widersprüchlichkeit der SPD.
Ich möchte dies gern noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen. — Ich habe noch eine Minute; kann ich noch zwei Minuten bekommen, damit ich das tun kann? —
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Die SPD in Nordrhein-Westfalen hat sich auf ihre Fahnen geschrieben, das Waldsterben und das Zechensterben gleichzeitig zu bekämpfen.
Das, was die SPD in Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht in den Griff kriegt, auch überhaupt nicht angehen und verstehen will, dies gilt für Herrn Wolfram und den SPD-Abgeordneten Adolf Schmidt, den Vorsitzenden der IG Bergbau und Atomenergie —, ist, daß der Ausbau der Atomenergie und der weitere Betrieb der bestehenden Atomkraftwerke der zukünftige Tod der Zechen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Saarland sind,
spätestens 1995, wenn der Jahrhundertvertrag ausläuft.
Der forcierte Ausbau der Atomenergie hindert die EVUs daran, die sofort notwendige Entschwefelung bei Kohlekraftwerken vorzunehmen.
Dieser innere Widerspruch kennzeichnet die nordrhein-westfälische SPD, kennzeichnet die SPD-Abgeordneten im Wirtschaftsausschuß, ihre absolut widersprüchliche Position,
3) und zwar sowohl hinsichtlich der Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau, Herr Wolfram, auch wenn Sie lachen, als auch hinsichtlich der Umstellung auf eine dezentrale Energieversorgung.
Ich bin mir dessen bewußt, daß der Streit innerhalb der SPD-Reihen begonnen hat, daß Herr Duve einen Vorstoß in Ihren eigenen Reihen vorgenommen hat; ich begrüße das.
Ich hoffe, daß der Umschwung bei der nordrhein-westfälischen SPD spätestens bis 1985, zur Landtagswahl, so weit gediehen ist, Herr Wolfram, daß auch wir dann einmal in ein wirklich ökologisches Gespräch eintreten können.
Danke schön.