Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus guten Gründen hat der Gesetzgeber eine Bestimmung geschaffen, die die Unbefangenheit der am Verfahren Beteiligten durch Geheimschutz für die Dinge, die für das Strafverfahren erheblich sind, erhalten soll. Ich glaube, wir alle sind dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, daß diese Grundsätze nicht verletzt werden. Denn auch derjenige, gegen den eine Anklage erhoben oder angekündigt ist, hat in der Tat Anspruch auf unbefangene, d. h. nicht befangen gemachte, möglicherweise gegen ihren eigenen Willen befangen gemachte Richter, Berufsrichter und Laienrichter. Hier haben wir alle eine Verantwortung, damit die jetzt erstmalig damit befaßten unabhängigen Richter in voller Unabhängigkeit meinem Kollegen Graf Lambsdorff Gerechtigkeit angedeihen lassen.
Dann können sie alle Ihr Urteil selbst fällen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute eine Darbietung über die Vorstellungen der sozialdemokratischen Opposition zu den Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik bekommen. Ich hätte Ihnen geraten, Herr Abgeordneter Dr. Vogel, daß Sie sich vor Abfassung Ihrer Rede mit dem vertraut gemacht hätten, was eben das Sachverständigengutachten über die Lage und die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat. Es ist bezeichnend, daß Sie bei den Antworten, die Sie auf die wirtschaftlichen Herausforderungen geben — und die sind groß genug, die sind drückend genug angesichts einer Millionenzahl von Arbeitslosen, wo bei jedem einzelnen die Arbeitslosigkeit ein Einzelschicksal ist —, als erstes „Arbeitszeitverkürzung" sagen und daß Sie sich zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit bekennen.
Herr Kollege Dr. Vogel, wir werden die strukturellen Probleme unserer Wirtschaft, die konjunkturellen Probleme, die Probleme unserer Konkurrenzfähigkeit nur lösen können, wenn wir die Produkte, die in diesem Land hergestellt werden, die exportiert werden müssen, die im eigenen Land mit den Importen aus anderen Ländern konkurrieren müssen, in der Qualität und im Preis konkurrenzfähig halten und dort, wo das verlorengegangen ist, konkurrenzfähig machen. Wer jetzt Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich verlangt, verteuert unsere Produktion, gefährdet Arbeitsplätze. Das sagen wir in aller Offenheit.
Wir wollen uns nicht in die Tarifhoheit einmischen. Aber wenn das Gegenstand der wirtschaftspolitischen Diskussion ist,
dann ist es notwendig, daß wir den Bürgern unseres Landes offen sagen: Wer die Lohnstückkosten erhöht, indem er Arbeitszeitverkürzung mit. vollem Lohnausgleich verlangt, der gefährdet vorhandene Arbeitsplätze
und die sich abzeichnende Erholung unserer Volkswirtschaft.
Darüber müssen wir unsere Mitbürger informieren.
Denn politische Führung, die Sie vermissen, Herr Dr. Vogel, heißt auch: die Kraft, das Notwendige zu sagen, auch dort dafür zu werben,
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wo es nicht bei der ersten Darlegung eingesehen und akzeptiert wird. Das ist ein ständiger offener Meinungsbildungsprozeß. Und da stellen wir uns unserer wirtschaftspolitischen Verantwortung.
Sie sprechen von der Notwendigkeit, die Mittel-und Kleinbetriebe zu fördern. Da haben Sie recht, Herr Kollege Dr. Vogel. Nur, gehen Sie mal in die Mittel- und Kleinbetriebe hinein, vor allem in die lohnintensiven Betriebe. Da werden Sie hören, wie dort über Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gedacht wird.
Sie kritisieren, Herr Kollege, daß wir mit Begleitgesetzen dabei sind, zusätzliche, sicher für manchen belastende Maßnahmen vorzunehmen.
Wir müssen sie vornehmen, weil es dringend geboten ist, die Lohnstückkosten nicht noch stärker steigen zu lassen, weil wir erkennen müssen, daß neben den Lohnkosten die Lohnnebenkosten eine drückende Last sind, wenn wir darangehen wollen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich empfehle Ihnen, wenn Sie unsere Sparpolitik kritisieren, folgendes. Da sagen Sie in Ihrer zweiten Forderung: Pfleglicher Umgang mit der Massenkaufkraft. „Ihre Wirtschaftspolitik", werfen Sie dem Bundeskanzler vor, „vernachlässigt konstant die Nachfrageseite." Meine verehrten Kollegen von der SPD, lesen Sie einmal, was dazu das Wirtschaftsgutachten sagt.
Dort heißt es:
In der Bundesrepublik Deutschland hat die Wirtschaft 1983 ein Stück des Weges aus der Talsohle zurückgelegt.
Die Inflation ist eingedämmt, wenn auch nicht überwunden. Die unerwartet starke Senkung der Inflationsrate hat für die Umkehr zum Besseren eine zentrale Rolle gespielt, und zwar über den günstigen Einfluß auf die Entwicklung der Kaufkraft des Geldes. Eine wichtige Stütze erwuchs der Wirtschaft aus dem veränderten Verhalten der Konsumenten.
Wissen Sie, was das bedeutet, wenn sich Konsumenten wieder zum Verbrauch entschließen, wenn sich Investoren wieder zu Investitionen entschließen? Das heißt, sie bringen der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung Vertrauen entgegen. Das ist das Echo in der Öffentlichkeit.
Sie haben monatelang die Öffentlichkeit mit der Behauptung verunsichert, wir wollten uns totsparen, kaputtsparen. Gehen Sie einmal hin, erkundigen Sie sich einmal im Einzelhandel, was jetzt im Weihnachtsgeschäft geschieht. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine breite Vertrauenskundgebung der
Bürger dieses Landes für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik.
— Zur Außenpolitik werden Sie auch noch voll informiert werden.
Das Gutachten der Sachverständigen sagt weiter:
Die hohe Kaufbereitschaft der Verbraucher wird auch im kommenden Jahr eine der Stützen für die konjunkturelle Erholung sein.
An anderer Stelle wird gerühmt, daß die Verbraucher sogar bereit seien, Ersparnisse aufzulösen, um wieder in den Verbrauch zu gehen. Es gibt überhaupt keine bessere Vertrauenskundgebung für eine Wirtschaftspolitik als den Willen des Investors zu investieren, als die Entschlossenheit des Verbrauchers zu verbrauchen. Das haben wir geschafft, weil wir den notwendigen harten Entscheidungen, denen Sie sich in der alten Regierung und in der Opposition versagt haben, nicht ausgewichen sind, sondern weil wir sie getroffen haben. Monat für Monat werden Sie erleben, wie die wirtschaftliche Entwicklung uns und unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik bestätigt.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ja — und da ist es etwas ruhiger geworden — sich in der Vergangenheit sehr kritisch mit der Wirtschaftspolitik in anderen Ländern auseinandergesetzt, z. B. in England, z. B. in den Vereinigten Staaten. Auch wir sind mit der amerikanischen Hochzinspolitik gar nicht einverstanden. Das hat gestern abend noch eine große Rolle gespielt. Ich kann Ihnen aber sagen: eine Reihe von Staaten, die mehr eine Wirtschaftspolitik machen, so wie Sie sie möchten, wären sehr froh, wenn bei ihnen ein solcher Konsumentenaufbruch da wäre wie in den Vereinigten Staaten und hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Nein, Ihre wirtschaftspolitischen Konzepte enthalten keine Perspektiven. Sie gehen damit in die Vergangenheit zurück. Sie kommen zu alten Konzepten, die längst als überholt anerkannt sind. Wir aber werden einen Kurs solider Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen. Wir werden dabei auch im Sinne der Ausführungen, die der Bundeskanzler heute zur notwendigen technologischen Entwicklung gemacht hat, dafür sorgen, daß wir mit den Möglichkeiten einer freien Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch im technologischen Bereich die Entwicklungen begünstigen, die wir brauchen, damit wir auch von der technologischen Seite her unsere Probleme, die unverkennbar sind, überwinden. Es würde sich für Sie lohnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, sich doch einmal mit dem vertraut zu machen, was Ihnen Sachverständige von allen Seiten sagen, denn auch eine Opposition kann ja die Kraft haben,
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anzuerkennen, daß die Regierung auf dem richtigen Wege ist. Ihre Forderungen von heute, Herr Kollege Dr. Vogel, das ist ein Marsch in die Vergangenheit, das ist ein Marsch in die Sackgasse. Unser Weg führt nach oben, und die breite Öffentlichkeit unseres Landes unterstützt uns auf diesem Wege.
— Ich sehe, meine sehr verehrten Kollegen, daß Ihr Erwartungshorizont hochgespannt ist. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, sondern möchte nun zu den Fragen der europäischen Politik kommen.
— Ich finde das wirklich nett! Herr Kollege Schily, Ihre Ausführungen und auch Ihre Zwischenrufe sind immer belebend.
Es wird für uns schwer sein, Sie hier nach Ablauf Ihrer zwei Jahre Rotationszeit vermissen zu müssen.
Denn ich gehe ja davon aus, Herr Kollege Schily, daß Sie zu Ihren Erklärungen, die Sie Ihren Wählern gegeben haben, stehen, obwohl ich sehe, daß hier bei den GRÜNEN eine innere Entwicklung vorhanden ist.
So schlecht scheint es im Deutschen Bundestag also doch nicht zu sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute morgen schon über den Europäischen Rat in Athen berichtet, und ich glaube, daß wir alle die jetzt entstandene Lage zum Anlaß nehmen müssen, Bilanz über die Bemühungen der letzten Monate bei der Vorbereitung dieses wichtigen Europäischen Rates zu ziehen.
Diejenigen, die die Ergebnisse von Stuttgart kritisiert haben, erkennen heute, daß in Stuttgart eine bedeutsame politische Entscheidung gefallen war. Der Herr Kollege Wischnewski hat das heute ungewollt anerkannt, als er den Vorwurf erhoben hat, das Paket von Stuttgart sei aufgelöst worden. Genau das war es, Herr Kollege Wischnewski. In Stuttgart wurde ein Paket geschnürt, in dem die Notwendigkeiten der europäischen Politik in dieser Zeit zusammengefaßt waren. Aber bitte werfen Sie von der sozialdemokratischen Seite uns nicht vor, wir hätten unsere Rolle als wirtschaftlich stärkstes Land der Gemeinschaft stärker wahrnehmen müssen. Waren Sie es nicht, die immer wieder das Wort vom „Zahlmeister Europas" gebraucht haben?
Waren Sie es nicht, die glaubten, man könne unseren Gewinn aus der Europäischen Gemeinschaft nur nach der Nettozahler-Position bewerten? Dabei wissen wir doch, daß wir Vorteile aus der Europäischen Gemeinschaft haben: durch den Gemeinsamen Markt,
durch die gemeinsame Agrarpolitik, durch unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit.
Trotzdem hat die Bundesregierung alles getan, um die Einsicht unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft zu fördern, die Einsicht nämlich, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler in der Europäischen Gemeinschaft sein können. Auch wenn in der Gesamtheit kein Ergebnis erzielt wurde, kann ich Ihnen sagen, daß die Einsicht, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler sein können, heute bei allen Mitgliedstaaten vorhanden ist. Deshalb wird es zu einer Regelung kommen, die unkalkulierbare Risiken von unserem Bundeshaushalt abwendet.
Wir haben uns mit klaren Vorstellungen darum bemüht, die Gegensätze auszuräumen, die es im Agrarbereich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gibt. Ich stimme dem Herrn Kollegen Wischnewski zu: Für Fortschritte in der europäischen Einigung, für europäische Reformbestrebungen ist es dringend geboten, daß Deutschland und Frankreich zusammengehen können. Da ist die Frage der Währungsausgleichsbeträge, ein Problem, das zwischen Frankreich und uns steht. Da wird niemand erwarten, daß wir eine Regelung suchen, die um den Preis einer Einigung die Existenzgrundlage unserer bäuerlichen Familienbetriebe gefährdet.
Wir haben in Athen in Gesprächen mit dem französischen Präsidenten und seinem Außenminister eine so weitgehende Annäherung in dieser Frage erreichen können, daß ich davon ausgehe, daß dieses Problem den Europäischen Rat, der sich das nächste Mal mit dem Gesamtproblem befaßt, nicht mehr entscheidend behindern wird. Ich halte das für einen bedeutsamen Fortschritt. Dazu müssen wir auch Beiträge leisten, aber wir werden sie nicht auf dem Rücken unserer bäuerlichen Familienbetriebe leisten.
Meine Damen und Herren, da wir eine Einigung wollen, werde auch ich wie der Bundeskanzler der Versuchung widerstehen, mit dem Finger auf diesen und jenen Partner zu zeigen. Aber wir haben uns dafür eingesetzt, daß in der Überproduktion, die weder finanziell tragbar noch gegenüber den Bürgern vertretbar ist, maßgebliche Einschnitte erfolgen. Wir glauben, daß wir auch zunehmendes Verständnis — und hier sind wir von Frankreich besonders unterstützt — dafür bekommen, daß es nicht
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Sinn einer gemeinsamen Agrarpolitik sein kann, die Überproduktion von solchen Milchfabriken zu fördern, die nun wirklich mit Landwirtschaft nichts und mit Geldverdienen alles zu tun haben.
Wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb fördern, aber nicht die industriell betriebene Landwirtschaft.
Meine Damen und Herren, da müssen wir erkennen, es gibt Staaten, für die die Landwirtschaft eine volkswirtschaftlich noch größere Bedeutung hat als für unsere Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Grund, warum wir bereit gewesen wären, bei bestimmten Einschränkungen zum Beispiel eine Ausnahme für Irland zu machen. Was aber nicht gehen kann, ist, daß wir bei der Milcherzeugung und bei der Getreideproduktion Garantieschwellen einrichten, die eine Überproduktion verhindern und abbauen sollen, und daß gleichzeitig die Gefahren von Überproduktion bei anderen Produkten, vor allen Dingen den Mittelmeerprodukten, entstehen. Es wird also notwendig sein, hier auch ein inneres Gleichgewicht zwischen den Süd- und den Nordprodukten zu schaffen. Niemandem ist im Süden geholfen, wenn im Norden bäuerliche Existenzen gefährdet werden. Das zeigt die ganze Breite der Aufgaben, die hier zu lösen sind.
Mit Recht ist schon von verschiedenen Rednern die Frage des Beitritts Spaniens und Portugals erwähnt worden. Als ich am Freitag — vor dem Europäischen Rat — in Spanien war, hat die dortige Regierung u. a. an unserer Haltung anerkannt, daß wir die Erhöhung der Eigenmittel mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft verbunden haben. Das heißt, wir sind realistisch genug, zu sagen, die Erweiterung durch den Beitritt von Spanien und Portugal ist nicht möglich ohne Erhöhung der Eigenmittel; aber wir sind auch fest genug, zu sagen, nur wenn diese beiden Staaten Mitglieder der Gemeinschaft werden, werden wir uns zur Erhöhung der Eigenmittel bereit finden.
Das ist eine bedeutsame Garantie für diese beiden Länder. Das ist für sie mehr wert als politische Erklärungen, in denen steht: Es ist beabsichtigt, schnellstmöglich Ihren Beitritt herbeizuführen. Sie wissen jetzt, zur gleichen Zeit werden die Eigenmittelerhöhung und der Beitritt in Kraft treten.
Es hat ja manche öffentlichen Erklärungen und Vermutungen gegeben, es könne Frankreich sein, das sich diesem Beitritt entgegenstellt. Es war für uns eine Bestätigung dessen, was wir wußten, daß der französische Staatspräsident erklärt hat, daß er nicht nur das Ziel habe, in seiner Präsidentschaft die Beitrittsverhandlungen zu Ende zu führen, sondern daß er möchte, daß das schon in den ersten Monaten der französischen Präsidentschaft geschieht. Er kann sich dabei auf unsere Unterstützung verlassen, wie wir überhaupt dazu beitragen wollen, daß die französische Präsidentschaft mit der großen Erfahrung dieses Landes und seiner tiefen europäischen Gesinnung das große Werk der Agrar- und Finanzreform der Europäischen Gemeinschaft bewältigen kann, denn das wäre ein französischer Erfolg genauso wie ein europäischer und dàmit auch ein deutscher Erfolg.
Für uns, meine Damen und Herren, ist die europäische Einigung und sind die Anstrengungen dafür ein Eckpfeiler unserer Außenpolitik. Wir wissen dabei, daß diese europäische Einigung ein Gewinn für den ganzen Westen ist. Für uns ist europäische Einigung Interessenwahrnehmung der Europäer und auch Stärkung der Gemeinschaft der westlichen Demokratien. Für uns ist europäische Einigung nicht das Mittel, sich von den Vereinigten Staaten abzusetzen, sondern mit den Vereinigten Staaten zusammen das Gewicht der Demokratien in der Welt zu verstärken für die Ziele, die uns verbinden.
Wir werden dieses Zusammenwirken brauchen. Wir werden es für die Phase der internationalen Politik brauchen, die vor uns liegt. Der Artikel, Herr Kollege Wischnewski, auf den Sie abgehoben haben, formuliert, mit welchen Erwartungen wir in die Konferenz des westlichen Bündnisses gehen, wie sich unsere Politik darstellt. Diese Politik wird unter Beweis stellen, daß die gefundene Geschlossenheit des westlichen Bündnisses sowie seine Fähigkeit, das in die Tat umzusetzen, was sicherheitspolitisch als notwendig erkannt wird, der Beginn neuer Bemühungen um Zusammenarbeit und Ausgleich sind und daß es nicht eine Politik der Stärke ist, die einen neuen Kalten Krieg einläuten soll.
Wir werden durch die Art unserer Politik zeigen, daß diese Entscheidung, die wir — gegen Ihren Widerstand — im Deutschen Bundestag bekräftigt haben, richtig war. Entgegen Ihrer Darstellung, Herr Kollege Wischnewski, war im November nicht über die Stationierung zu entscheiden. In der Regierungserklärung vom Dezember 1979 habe ich — unwidersprochen, von Ihnen unterstützt — sinngemäß gesagt: Drei Länder, das Vereinigte Königreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland, haben sich jetzt schon zur Stationierung bereit erklärt; „jetzt", d. h. im Dezember 1979. Wir haben doch lange darüber diskutiert, was dieser Beschluß bedeutet. Wir waren uns einig, daß er unter der auflösenden Bedingung gefaßt worden ist, daß von der Stationierung nur dann abgegangen werden kann, wenn ein Verhandlungsergebnis vorliegt, das es rechtfertigt, von der Stationierung ganz oder teilweise abzugehen.
Wir haben diese Entscheidung im November dieses Jahres deshalb nicht getroffen, aber wir haben sie bestätigt. Diese Bestätigung der Entscheidung ist eine Bestätigung der Einheit und Geschlossenheit unseres westlichen Bündnisses. Das gibt uns Selbstvertrauen und Gelassenheit, es gibt uns aber auch die Verantwortung, angesichts dieser sicherheitspolitisch gewonnenen Festigkeit im Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Mitgliedern des Warschauer Pakts deutlich zu machen, daß die Offerte zur vertrauensvollen Zusammenarbeit in allen Be-
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reichen — politisch, wirtschaftlich, kulturell — steht, daß wir in dieser Zusammenarbeit bereit sind, daß wir dazu bereit sind, auch in allen Abrüstungsverhandlungen zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Aber, meine Damen und Herren, die Voraussetzung für konkrete Ergebnisse ist die Mitwirkung beider Seiten. Und fest steht auch: Wir wollen keine Überlegenheit über die andere Seite, aber wir werden auch keine Überlegenheit der anderen Seite hinnehmen — im Interesse des Friedens in Europa und nicht aus Rechthaberei.
Aus vielen Reaktionen ist deutlich erkennbar, wieviel Nachdenklichkeit auch in anderen politischen Lagern und anderen Teilen Europas hinsichtlich der Ziele, die wir vertreten, vorhanden ist. Ich bin der Auffassung, daß es jetzt notwendig ist, die gewonnene und bestätigte Einheit des westlichen Bündnisses als Grundlage für eine entschlossene Politik zu bewahren: entschlossen, das für die Sicherheit Notwendige auch zukünftig zu tun, entschlossen aber auch, alles zu tun, damit Abrüstung, Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit Wirklichkeit werden.
Da hilft es nichts, Herr Kollege Dr. Vogel, wenn Sie — wie neulich in der Debatte und auch bei anderen Gelegenheiten — den Bundeskanzler rügen, er vertrete unsere Interessen gegenüber den Amerikanern nicht; da sind böse Worte gefallen, die Sie sich einmal sehr genau überlegen sollten. Sie sollten vielleicht beachten, daß der kontinuierliche Meinungsaustausch zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten zu einem Maß an Abstimmung führt, das weit über die Verhandlungsposition in Genf hinausgeht. War es nicht so, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bedeutung der europäischen Abrüstungskonferenz in Stockholm unterstrichen haben, und können wir es nicht begrüßen, daß der amerikanische Außenminister eben diese Bedeutung auch unterstreicht, daß er heute vor der Presse gesagt hat: Wenn man sich im westlichen Bündnis darauf verständigt, daß die Eröffnung der Konferenz wegen dieser Bedeutung auf der Ebene der Außenminister stattfindet, dann wird er nicht fehlen, dann wird er auch dort sein. Wenn Herr Gromyko dort sein wird, dann wird er ihn auch treffen. Meine Damen und Herren, sagen Sie doch dazu einmal etwas! Das ist auch ein Ergebnis gemeinsamer Willensbildung.
Es ist eben nicht so, daß sich die Entwicklung der Verhandlungen gegen unseren Willen vollzogen hat, sondern die Verhandlungen sind von uns maßgeblich beeinflußt worden.
Nun werden wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben, nicht nur im deutsch-deutschen Verhältnis, sondern auch — ich wiederhole es -- im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, zur Sowjetunion, zu ihren Verbündeten darum bemühen, daß nicht nur der Dialog weitergeht, sondern daß immer wieder verständlich gemacht wird: Wir sind es nicht, die vom Verhandlungstisch aufgestanden sind; es ist die Sowjetunion, die an diesen oder einen anderen Verhandlungstisch zurückkommen muß.
Entscheidend ist jetzt, daß wir durch die Klarheit unserer Positionen und durch die genaue Definition unserer politischen Strategie verständlich machen, daß der Westen geschlossen darum bemüht ist, durch Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung die Sorgen von den Menschen in West und Ost, aber auch die Rüstungslasten von ihren Schultern zu nehmen.
Dabei wird nur derjenige langfristig Erfolg haben können, bei dem Berechenbarkeit seiner politischen Ziele, Absichten und Handlungen garantiert ist. Hier liegt der eigentliche Ansatzpunkt, meine Kollegen von der SPD, für Ihr Aussteigen aus dem NATO-Doppelbeschluß. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Kritik. Niemand sollte sich dagegen stemmen, zu besseren Einsichten zu kommen, aber er muß beachten, was es für ein Land von der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland heißt, wenn in einer als zentral erkannten außen- und sicherheitspolitischen Frage eine wichtige Partei eine Kehrtwendung vollzieht.
Nun wird man sehen, ob es bei der Kehrtwendung aus dem Doppelbeschluß bleibt, oder ob das nur eine Zwischenstufe zu mehr ist. Wir können das nicht wünschen; denn wir meinen es aufrichtig mit unserer Feststellung: Es wird notwendig sein, alles zu tun, um den sicherheitspolitischen Konsens wiederherzustellen. Es hat solche Phasen in der deutschen Außenpolitik immer wieder gegeben, wo man in konkreten Fragen unterschiedliche Punkte hatte und sich hinterher doch wieder vereint hat, um gemeinsam die außenpolitischen und damit nationalen Interessen des Landes wahrzunehmen. Sie werden selbst darüber entscheiden müssen, ob Sie denen in Ihrer Partei Gehör schenken, für die der Ausstieg aus dem Doppelbeschluß nur die Stufe zum nächsten Schritt, dem Ausstieg aus dem Bündnis, ist ober ob sich diejenigen durchsetzen, die zum westlichen Bündnis stehen.
— Verehrter Herr Kollege Ehmke, Sie sagen: Und das mit den 25 % auf Ihrem Parteitag? Ich fand, daß wir nach einer leidenschaftlichen Diskussion eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Außen- und Sicherheitspolitik gefunden haben. Aber keiner derjenigen, die auf unserem Parteitag eine andere Position über Zeitpunkt der Verwirklichung des Doppelbeschlusses oder die Art der Verwirklichung hatte, hat wie ein Landesvorsitzender Ihrer Partei den Ratschlag gegeben, den Austritt aus der NATO zu wagen. Das ist der fundamentale Unterschied.
Ich kann Ihnen sagen, daß die Freie Demokratische Partei, nachdem die Entscheidungen getroffen sind, die Außen- und Sicherheitspolitik geschlossen tragen wird. Wir werden zusammen mit unserem Koalitionspartner nicht nur diesen Teil der gemein-
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Samen Politik verantwortlich tragen, sondern die gesamte Regierungspolitik, weil wir fest davon überzeugt sind, daß die Politik dieser Bundesregierung, die am 6. März 1983 den Auftrag bekommen hat, die Außen- und Innenpolitik unseres Landes zu gestalten, auf dem richtigen Wege ist, daß sie Erfolg haben wird und daß sie auch in Zukunft die Bestätigung durch die Bürger unseres Landes erfahren wird.
Ich danke Ihnen.