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ID1004305600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 Inhalt: Verzicht des Abg. Haase (Kassel) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . 3009A Eintritt des Abg. Stockhausen in den Deut- schen Bundestag 3009A Bestimmung der Abg. Dr. Miltner und Dr Unland als stellvertretende Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuß 3009 B Gedenkworte für die Opfer des Flugzeugunglücks in Madrid 3099 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/634, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 10/635, 10/659 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 3009D, 3043 A Dr. Vogel SPD 3012 B, 3053 D Dr. Dregger CDU/CSU 3023 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 3034 A Hoppe FDP 3039 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 3055 A Dr. Bötsch CDU/CSU (zur GO) 3055 C Wischnewski SPD 3056 B Genscher, Bundesminister AA 3062 B Reents GRÜNE 3069 A Dr. Althammer CDU/CSU 3071 A Dr. Mitzscherling SPD 3076 A Präsident Dr. Barzel 3023 D Namentliche Abstimmung 3079C, D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/644, 10/659 — II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 und Art. 20c des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/655 — Frau Traupe SPD 3082 A Dr. Stavenhagen CDU/CSU 3086 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 3089 B Dr. Weng FDP 3091 B Leonhart SPD 3094 B Löher CDU/CSU 3097B Voigt (Sonthofen) fraktionslos 3098 C Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3099 B Namentliche Abstimmung . . . . 3102D, 3103A Nächste Sitzung 3104 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3105*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3009 43. Sitzung Bonn, den 7. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Büchner (Speyer) * 7. 12. Cronenberg (Arnsberg) 9. 12. Fischer (Frankfurt) 9. 12. Gilges 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Haehser 9. 12. Frau Dr. Hartenstein 9. 12. Immer (Altenkirchen) 9. 12. Jaunich 7. 12. Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Reddemann* 9. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. Schreiner 9. 12. Schulte (Unna)* 8. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Stratmann 7. 12. Verheyen 9. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Jürgen Wischnewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, im Vormittagsteil der heutigen Sitzung des Hohen Hauses war von Karl Valentin die Rede. Wir freuen uns alle über die Auszeichnung, die Sie erhalten. Aber Sie haben bei dieser Gelegenheit meinem Fraktionsvorsitzenden einen Mangel an Fröhlichkeit zugesprochen.

    (Lenzer [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen! Wenn der lacht, geht er in den Keller!)

    Dazu möchte ich Ihnen folgendes sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
    Bei über zwei Millionen Arbeitslosen, beim Abbau sozialer Leistungen,

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Ach, du lieber Gott!)

    bei zusätzlichen atomaren Waffen in Ost und West kann einem in der Tat das Lachen vergehen. Und das kann auch hier bei einer Rede zum Ausdruck kommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch billige Polemik! — Dr. Hackel [CDU/CSU]: Sie haben das verursacht! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Die SPD hat keine Phantasie!)

    Das zweite. Herr Bundeskanzler, Sie haben hier Ihre Sorge über meine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, zum Ausdruck gebracht. Ich empfehle Ihnen dringend, diese Sorgen uns zu überlassen. Wenn Sie keine anderen Sorgen hätten als die, dann würde es Ihnen in der Tat außerordentlich gut gehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Geht es ihm auch!)

    Die Voraussetzungen waren in den Fragen, um die es ging, von der ersten Stunde an klar und eindeutig:
    Die Sozialdemokratische Partei hat zu keiner Zeit gesagt, daß sie in jedem Falle für die Stationierung eintritt. Sie hält sich in dieser Hinsicht an das, was im NATO-Doppelbeschluß steht, nämlich Verhandlungsergebnisse zu prüfen, danach Entscheidungen zu fällen. Wir haben in diesem Hause immer wieder gesagt, daß irgendeine Art von Automatismus für uns überhaupt nicht in Frage kommen kann. Deswegen sollte Sie das Ergebnis nicht so wundern.
    Das dritte. Sie, Herr Bundeskanzler, insbesondere aber der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU haben viel über Wirtschaftsdaten gesprochen. Darüber wird es sicher morgen noch eine sehr ausführliche Debatte geben. Sie haben aber eine Zahl, die wir für ganz besonders bedeutsam halten, in keiner Ihrer Zahlenreihen genannt. Sie haben vergessen, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit natürlich überhaupt keine Rede sein kann, sondern daß während Ihrer Amtszeit innerhalb eines Jahres die Zahl der Arbeitslosen nach der Statistik der Bundesanstalt genau um 227 754 zusätzlich angestiegen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies ist die einzige Zahl, die von entscheidender Bedeutung ist. Hier also ist eine entscheidende Verschlechterung eingetreten.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Aber ihr habt doch von 3 Millionen gesprochen!)

    — Freuen Sie sich nicht zu früh. Seien Sie vorsichtig mit den Zahlen, die Sie nennen, sonst haben Sie sie bald.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Bilanz gezogen wird: Seit dem Amtsantritt des Herrn Bundeskanzlers haben vier wichtige internationale Konferenzen stattgefunden, haben Verhandlungen stattgefunden, die für unser Land, für die Bundesrepublik Deutschland von lebenswichtiger Bedeutung sind. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben dort die Bundesrepublik direkt oder indirekt vertreten; denn ich gebe gerne zu, in Genf ist das selbstverständlich nur indirekt möglich gewesen. Das war erstens der Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg im Mai dieses Jahres. Das war zweitens der Europäische Rat in Stuttgart während der Zeit der deutschen Präsidentschaft, also während der Monate, als diese Bundesregierung für die Europäische Gemeinschaft ganz besondere Verantwortung zu tragen hatte. Das waren drittens die Genfer Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen. Diese Verhandlungen sind mit Sicherheit — das wird niemand hier im Hause bestreiten — für kein Land in der Welt wichtiger als für die Bundesrepublik Deutschland. Die vierte
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    Wischnewski
    wichtige internationale Konferenz, der Europäische Rat in Athen von Sonntag bis gestern, fand statt zur Zeit der größten Krise der Gemeinschaft seit ihrem Bestehen.
    Lassen Sie mich bitte für diese vier internationalen Konferenzen zusammenhängend meine Bilanz ziehen:
    Erstens: Williamsburg. Williamsburg war für Europa und für die Bundesrepublik Deutschland ohne jegliches Ergebnis. Es ging um ökonomische Fragen. Irgendeine Bewegung im Interesse Europas ist nicht erreicht worden.
    Zweitens: der Europäische Rat in Stuttgart. Zuerst war er nur ohne Ergebnis. Jetzt, nachdem das von Ihnen geschnürte Paket — Sie haben von diesem geschnürten Paket gesprochen — geplatzt ist, jetzt ist auch der Stuttgarter Gipfel noch nachträglich gescheitert.
    Drittens: Die Genfer Verhandlungen sind gescheitert. Es wird mehr atomare Waffen statt weniger in Europa geben.
    Viertens: Der Europäische Rat in Athen ist gescheitert. Die Europäische Gemeinschaft befindet sich in der tiefsten Krise — sicher nicht in der einzigen, aber mit Sicherheit in der tiefsten —, die es jemals in der Gemeinschaft gegeben hat.
    Herr Bundeskanzler, aus diesem Grunde muß ich eine völlig andere Auffassung vertreten als Sie. Dies alles bedeutet nämlich: Seit dem 1. Oktober 1982 ist der außenpolitische Einfluß der Bundesrepublik Deutschland zurückgegangen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Das politische Gewicht unseres Landes hat abgenommen, denn sonst müßte j a der Einfluß im Rahmen dieser vier wichtigen internationalen Konferenzen spürbar gewesen sein.

    (Lenzer [CDU/CSU]: Ist das eine Logik!)

    Eine Bemerkung zu Athen: Der Bundesregierung kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie schon in Stuttgart die Lage falsch eingeschätzt hat. So, wie die Situation heute ist, wird die Finanzkrise der Gemeinschaft weiter schwelen. Unter diesen Umständen wird das Europäische Parlament den Haushalt 1984 nicht verabschieden, denn das Europäische Parlament muß und wird daran interessiert sein, in dieser Situation ein deutliches Zeichen zu setzen.
    In der Frage der Agrarreform ist nichts erfolgt.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Die Überproduktion geht weiter. Gemeinsame Politiken sind, obwohl es interessante französische Vorschläge gibt, nicht vereinbart worden. So kann in der Tat Europa gegenüber der technologischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten und in Japan nicht bestehen.

    (Hinsken [CDU/CSU]: Warum auf einmal so kurzatmig?)

    Die Enttäuschung an Europa wächst, so muß man heute sagen, in Spanien und Portugal von Stunde zu Stunde.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und ihr helft nach!)

    Wir müssen wissen, daß sich diese Enttäuschung auch negativ auf das Bündnis auswirken kann. Die Aussagen dazu sind deutlich genug.
    Wir — ich denke, wir alle — haben auf eine demokratische Entwicklung in Spanien und in Portugal gedrängt, und wir haben, soweit wir dazu in der Lage waren, auch helfen können. Die Spanier und die Portugiesen haben die Demokratie erreicht. Dies war eine großartige Leistung, und wir alle haben sie dazu beglückwünscht. Heute wird in erster Linie über Oliven und Tomaten gesprochen. Wer so handelt, hat — das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf an die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit — die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ist schuld an dieser Entwicklung, wer trägt die Verantwortung für die tiefste europäische Krise seit dem Bestehen der Gemeinschaft? Ich bin der Auffassung: Alle Zehn tragen Verantwortung, allerdings die einen mehr, die anderen weniger.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Welche?) Die Bundesregierung gehört zu denjenigen,


    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Die am allermeisten Schuld haben!)

    die mehr Verantwortung tragen, und zwar aus folgenden vier Gründen:

    (Hinsken [CDU/CSU]: Weil das Geld weg ist!)

    Die Bundesrepublik ist das wirtschaftlich stärkste Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft. Unser materieller Beitrag ist größer und muß auch größer sein als der der anderen.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Wer hat denn immer vom Zahlmeister geredet?)

    Wir hatten in diesem Jahr sechs Monate dadurch ganz besondere Verantwortung, daß die Bundesregierung die Präsidentschaft hatte,

    (Zuruf von der SPD: Das hat nur keiner gemerkt!)

    und wir haben wie kein anderes Land der Europäischen Gemeinschaft ein Instrument, um mit Frankreich eine besonders enge Zusammenarbeit zu haben. Aber ich habe erheblichen Zweifel, ob dieses Instrument auch wirklich in dem notwendigen Maße genutzt worden ist. Die besonders enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankeich hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von europäischen Problemen läsen helfen. Ich wäre in der Lage, hier eine Vielzahl von Beispielen zu nennen.
    In dieser dramatischen Stunde für Europa — anders kann man das nicht bezeichnen — rufen wir unsere französischen Nachbarn, Partner und
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    Wischnewski
    Freunde. Denn sie übernehmen am 1. Januar 1984 die Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Sie übernehmen damit für alle Europäer besondere Verantwortung. Wir bitten sie von ganzem Herzen um eine große französische Leistung zur Überwindung der europäischen Krise.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir schauen in dieser Stunde voller Vertrauen auf den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Dabei wissen wir, daß nur etwas zu erreichen ist, wenn man bereit ist, auch über den eigenen Schatten zu springen. Das gilt selbstverständlich auch für diejenigen, über die ich jetzt eben gesprochen habe.
    Mit der üblichen europäischen Routine ist diese Krise nicht zu lösen. Zu glauben, daß man die ganzen unerledigten Angelegenheiten nun wie bisher immer an den Ministerrat überweisen könnte, hat überhaupt keinen Wert; denn vor dem Athener Gipfel hat sich der Ministerrat fleißig mit allen Fragen beschäftigt und ist dabei zu keinem Ergebnis gekommen.
    Aber Frankreich sollte daran denken, daß in einer anderen europäischen Krise — sicher nicht von gleichem Ausmaß — Jean Monnet, der Mann, der unser aller Respekt hat, damals durch Gespräche mit den Mitgliedstaaten, mit allen Beteiligten, ohne jegliche Publizität, sich darum bemüht hat, einen für Europa unvergeßlichen Beitrag zu leisten. Ich glaube, in dieser Krise muß die Europäische Gemeinschaft darum bemüht sein, wieder einen vergleichbaren Weg zu gehen, denn die Routine ist der Tod der Europäischen Gemeinschaft.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    In den letzten Jahren hat es zuviel Routine gegeben. Ohne Dynamik kann die Europäische Gemeinschaft nicht bestehen.
    Wir haben die Bundesregierung zu kritisieren wegen falscher Einschätzung der Lage in Stuttgart, wegen mangelnder Anstrengungen, insbesondere während der Zeit der deutschen Präsidentschaft. Diese kritische Haltung wird uns nicht davon abhalten, unseren Beitrag für die Überwindung der Krise zu leisten in Zusammenarbeit mit unseren politischen Freunden in den übrigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Europa ist nicht nur ohne Alternative, Europa ist unser aller Schicksal.
    Nun möchte ich gern einige Bemerkungen zu Genf machen, ohne daß ich die Debatte, die wir hier gehabt haben, nachvollziehen will. Aber der Herr Bundesaußenminister hat im Bulletin der Bundesregierung gestern einen interessanten Namensartikel, auf den Dr. Jochen Vogel schon hingewiesen hat, veröffentlicht — gestern, nachdem Genf gescheitert war. In diesem Beitrag heißt es u. a.:
    Wir müssen alles tun, um in der Bundesrepublik Deutschland den außenpolitischen Konsens soweit wie möglich wiederherzustellen, ..

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ausgerechnet Genscher!)

    Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Erstens. Der von allen Steuerzahlern unseres Landes bezahlte Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, hat von seinen Beleidigungen bis heute nicht ein einziges Wort zurückgenommen, und der Bundeskanzler hat die Angelegenheit nicht in Ordnung gebracht. Auf dieser Basis kann man keinen Konsens erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wer unser Verhältnis zum Bündnis in Zweifel zieht, will nicht „deutlich ... machen, was uns eint"; ich übernehme hier wörtlich die Formel aus dem Beitrag des Bundesaußenministers.
    Auf dieser Basis, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Konsens nicht möglich. Schaffen Sie diese beiden Probleme aus der Welt! Dann sind wir bereit, über alle Fragen miteinander zu reden, in denen Übereinstimmung möglich ist. Aber, bitte, rufen Sie nicht zuerst nach dem Konsens, sondern bringen Sie die Vergangenheit bitte in Ordnung.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Unser Hauptgeschäft!)

    Nachdem Genf gescheitert ist, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, sprechen Sie jetzt wieder von „konsequenter Fortsetzung der Friedens-und Entspannungspolitik"; so heißt nämlich die Überschrift des Beitrags, den der Herr Bundesaußenminister geschrieben hat und den ich sehr interessant finde.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Den hat München noch gar nicht genehmigt!)

    Das Wort „Entspannung" war lange nicht zu hören.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Hier sitzen eine ganze Reihe von Kollegen auf den Regierungsbänken und auf seiten der Koalition, die sich dagegen gewehrt haben, daß dieses Wort gebraucht wurde. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, jetzt wird dieses Wort auf einmal wieder nach oben gezogen.

    (Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Es geht um richtige und falsche Entscheidungen! Für Entspannung waren wir immer! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Es geht um den Inhalt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine verehrten Damen und Herren, Aufsätze und ständige Erklärungen darüber, daß man ganz sicher sei, daß die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zurückkehren werde, helfen nicht. Wir brauchen keinerlei Spekulationen, sondern wir brauchen konkrete Maßnahmen der Entspannung, der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung. Herr Bundesaußenminister, heben Sie die Wiener Verhandlungen auf die Ministerebene! Gehen Sie nach Wien, beenden Sie die ewig lange dauernde Zahlendiskussion in Wien und machen Sie einen konkreten Vorschlag zum begrenzten Abbau der Stationierungsstreitkräfte auf der einen und der nationalen Streitkräfte auf der ande-
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    ren Seite — unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangsbasis auf beiden Seiten!
    Nach der Stationierungsdebatte und der großen Auseinandersetzung in unserem Lande um die atomare Nachrüstung gab es gestern neue Informationen aus Brüssel über mehr konventionelle Waffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr atomare Waffen auf beiden Seiten, neue Beschlüsse über mehr konventionelle Waffen, dieses zerstört die Glaubwürdigkeit unseres Bündnisses.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sind bald so weit, daß keinem Politiker in unserem Land mehr geglaubt wird, der über Fragen der Abrüstung und der Rüstungsbegrenzung spricht,

    (Beifall bei der SPD)

    und dieses ist auch für die politische Situation in unserem Lande gefährlich. Wir müssen darum bemüht sein, in dieser Frage Glaubwürdigkeit zu haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen!)

    Herr Bundesaußenminister, gehen Sie mit weitreichenden Vorschlägen für vertrauensbildende Maßnahmen und für wirkliche Abrüstung nach Stockholm, und verbinden Sie das eine mit dem anderen zum frühestmöglichen Zeitpunkt! Bemühen Sie sich, gerade bei diesen beiden Konferenzen unsere Verbündeten entsprechend zu beeinflussen; denn auch der gestrige Tag hat gezeigt, daß nicht alle Verbündeten über diese wichtige Frage gleich denken! Wenn Sie über Entspannungspolitik reden, dann seien Sie bitte bereit, einen mutigen Schritt nach vorn zu tun und die Sanktionen gegen Polen aufzuheben!

    (Beifall bei der SPD)

    Gebrauchen Sie bitte keine solchen Formulierungen, das richte sich nicht gegen das polnische Volk, sondern nur gegen die polnische Führung! Wer die Situation kennt,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]:... weiß, daß die Führung dem Volk alles vorenthält! Das weiß man!)

    weiß, daß man darüber anders denken muß. Seien Sie darum bemüht, das für 25 Jahre abgeschlossene Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ernstlich auszufüllen, nicht nur Aufsätze über Entspannungspolitik und die Notwendigkeit ihrer Fortsetzung zu schreiben, sondern wirklich in der Tat etwas Praktisches zu tun, um die Entwicklung voranbringen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Schadensbegrenzung ist ein Wort, das in der Außen- und Sicherheitspolitik eine immer größere Rolle spielt. Schadensbegrenzung reicht nicht aus, sondern wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie Ihren Beitrag leisten, die Ursachen des entstandenen Schadens aus der Welt zu schaffen.
    Unser Verhältnis zu den Staaten der Dritten Welt hat sich verschlechtert.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich werde Ihnen ein paar praktische Beispiele bringen, keine Sorge. Wir haben dort in den letzten Monaten an Ansehen verloren, weil wir eine bewährte Politik in wesentlichen Punkten geändert haben. Wie in der Politik gegenüber dem Osten, kann auch hier von Kontinuität keine Rede sein. Besonders deutlich ist das an dem Beispiel Zentralamerika, aber nicht nur da allein.
    Eine Große Anfrage der SPD vom 2. August zu Zentralamerika haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wir waren selbstverständlich damit einverstanden, als Sie uns gesagt haben, Sie wollten erst die Botschafterkonferenz in San José in Costa Rica abwarten. Wir haben das selbstverständlich abgewartet. Seitdem sind wieder zwei Monate vergangen. Die Große Anfrage ist immer noch nicht beantwortet. Warum haben Sie solche Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage? Stimmen das Auswärtige Amt und das BMZ nicht überein, wie immer wieder behauptet wird, oder müssen neuerdings solche Texte vorher in München abgestimmt werden?

    (Lenzer [CDU/CSU]: Die Platitüde hätten Sie sich sparen können!)

    — Leider muß ich noch öfter darauf zurückkommen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU])

    Mit der Mehrheit der Mitgliedsländer in der Europäischen Gemeinschaft stimmt Ihre veränderte Politik gegenüber Zentralamerika nicht mehr überein.

    (Zuruf von der SPD: Z. B. mit der Frankreichs!)

    Der Innenminister von Nicaragua war auf seiner Europareise auch in Bonn. Vorher war er in Frankreich, in Spanien, in Portugal, in Italien, in Griechenland und in den Niederlanden, alles Länder, die Mitglieder unseres Bündnisses sind. Überall hat es kritische Gespräche gegeben, aber überall hat man diese Gespräche in freundlicher Form geführt. Eine Reihe von Ländern haben dem Minister Zusagen gemacht, was die Hilfe im Zusammenhang mit der Entwicklung des Landes angeht. Aber in Bonn hat der Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, wieder in vollem Umfange zugeschlagen.

    (Glos [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich!)

    Er hat den Innenminister von Nicaragua beleidigt. Wir haben Thomas Borge getröstet.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir haben ihm gesagt — das fällt uns doch sehr leicht —, daß dieser Minister das gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in unserem Lande so am laufenden Band tut. Daraufhin hat der Innenmini-
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    Wischnewski
    ster gesagt, nun könne er die Situation wesentlich besser verstehen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Über die Entwicklungshilfe an Nicaragua ist gestern schon gesprochen worden. Aber eins ist mir unerklärlich. Die verehrte Kollegin der FDP, die dazu gesprochen hat, hat sich dafür bedankt, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Haltung in dieser Frage nun geändert habe. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat dazu gestern jedoch nicht ein einziges Wort gesagt, so daß ich nicht weiß, wieso in diesem Zusammenhang ein Dank ausgesprochen werden konnte.
    Die Bundesregierung hat durch ihre Politik gegenüber Nicaragua bisher nichts zur Entwicklung des inneren Pluralismus in Nicaragua beigetragen;

    (Zustimmung bei der SPD)

    denn die Entwicklung des inneren Pluralismus hängt auch vom äußeren Pluralismus gegenüber Nicaragua ab. Eine andere Möglichkeit ist nicht gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen, Herr Bundesminister, habe ich den Eindruck, daß die FDP-Fraktion mit dieser Politik auch nicht einverstanden ist; denn wenn ich eine Reihe von Erklärungen vor allen Dingen von solchen Kollegen lese, die die Chance hatten, sich vor Ort zu informieren, dann sehe ich, daß man auch dort einen anderen Weg wünscht. Vielleicht sollten wir im Deutschen Bundestag einmal darüber abstimmen und sehen, ob es dazu nicht eine andere Mehrheit gibt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ein kurzes Wort zu El Salvador. Sie wollen dorthin wieder einen Botschafter schicken.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Hoffentlich bald!) Ich habe keine Einwendungen dagegen.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber toll!)

    Der Abzug eines Botschafters ist keine Bestrafung, und die Entsendung eines Botschafters ist keine Wohltat.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Aber Sie wollen auch wieder Entwicklungshilfe gewähren. Dazu muß ein sehr ernstes Wort gesagt werden.
    Meine Freunde und ich haben Respekt vor den Christdemokraten in El Salvador, die sich redlich darum bemühen, den Weg zur Demokratie, zu mehr Menschenrechten und auch zum Dialog zu finden.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage hier ausdrücklich unseren Respekt.
    Aber es gibt nicht nur die Christdemokraten, sondern es gibt in diesem Land auch die Todesschwadronen, die nach überzeugender Aussage der katholischen Kirche Hunderte, ja Tausende von Menschen umbringen: Gewerkschafter, politisch Andersdenkende, katholische Geistliche. Das, was hier passiert, ist politischer Mord. Dort, wo der politische Mord herrscht, sollte deutsche Entwicklungshilfe, meine sehr verehrten Damen und Herren, keinen Platz haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Wie ist es denn mit Syrien? — Dr. Marx [CDU/CSU]: Die Moral ist sehr selektiv!)

    In dem Stuttgarter Dokument wird von der Unterstützung der Contadora-Gruppe gesprochen. Ich hoffe, wir sind uns hier im Hause alle einig, daß diese Unterstützung von entscheidender Bedeutung ist. Aber geschehen ist seitdem nicht das geringste, um etwas zu unternehmen.
    Ich stimme voll mit dem überein, was vor einigen Tagen der Kollege Schäfer von der FDP dazu als Erklärung veröffentlicht hat: Die Contadora zu unterstützen bedeutet, den Frieden in Zentralamerika zu fördern und einen der gefährlichsten Punkte in der Welt einer Chance für den Frieden näherzubringen.
    Heute war schon die Rede davon, daß Sie eine entscheidende Veränderung in bezug auf die Nahostpolitik vornehmen. Da hier nicht alles klar war, habe ich die Aufgabe, noch einige Klarheiten herbeizuführen.
    Der Nahe Osten ist zur Zeit für den Frieden in der Welt die gefährlichste Region überhaupt, die es gibt. Die täglichen Explosionen können durchaus zu einer großen Explosion werden; ein Hexenkessel. Wir hatten in der Zeit unserer Regierungsverantwortung und haben auch heute sehr gute Beziehungen zu Saudi-Arabien. Wir sind an der Stabilität und Sicherheit dieses Staates interessiert. Wir haben Respekt vor den großen Anstrengungen des Königreichs Saudi-Arabien für einen Waffenstillstand und den Frieden im Libanon. Aber wir haben zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein gemeinsames Kommunique mit einem Land außerhalb des Bündnisses, in dem von der Zusammenarbeit im militärischen Bereich die Rede ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das Echo auf dieses Kommunique sieht und insbesondere hört, der weiß, daß wir dabei sind, daß die schlimme deutsche Vergangenheit uns wieder einholen kann. Wir sind in diesen Fragen nicht die Vereinigten Staaten, wir sind in diesen Fragen nicht Frankreich, und wir sind in diesen Fragen nicht das Vereinigte Königreich.
    Bald, Herr Bundeskanzler, reisen Sie nach Israel. In unser aller Interesse wünschen wir Ihnen für diese Reise viel Erfolg. Aber schon werden in aller Deutlichkeit und in aller Öffentlichkeit aus Israel ähnliche Forderungen an Sie gerichtet. Wollen wir uns denn auf beiden Seiten mit Waffen engagieren?
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind dafür, daß wir uns auf beiden Seiten dafür
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    Wischnewski
    engagieren, dem Frieden ein Stückchen näherzukommen. Aber wir wollen weder auf einer Seite noch auf beiden Seiten mit Waffen engagiert sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieses ist ein gefährlicher Weg. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich vor diesem Wege warnen. Wer diesen Weg geht, sollte daran denken, was unserem Land passiert ist, als es schon einmal Waffenlieferungen in diese Region gegeben hat.
    Auch gegenüber Südafrika gibt es eine veränderte Politik. Franz Josef Strauß verlangt weitere Veränderungen.

    (Glos [CDU/CSU]: Mit Recht!) — Sehr gut, daß Sie das zugeben.


    (Glos [CDU/CSU]: Ein guter Mann!)

    Der Außenminister wird sich sehr darüber freuen, daß hier für die notwendigen Veränderungen aus der Sicht der CSU so viel Verständnis gegeben ist. Wir haben hier j a schon neulich bei der kurzen Debatte erlebt, wie diejenigen behandelt werden, die sich dem Rassismus widersetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rassismus ist Unmenschlichkeit. Christentum und Rassismus sind unüberbrückbare Gegensätze. Das sollten sich Christdemokraten in bezug auf die Änderungen merken.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das brauchen sie uns doch nicht zu sagen!)

    Die sogenannte Verfassungsreform in der Republik Südafrika schafft mehr Rassismus. Ministerpräsident Botha hat erklärt, daß auch seine Kinder das Wahlrecht der schwarzen Bevölkerung nicht erleben werden. Deshalb war das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen entweder falsch oder feige.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken, daß die Mehrheit der Partner in unserem Bündnis anders gestimmt hat als die Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie auf so hervorragende Zusammenarbeit im Bündnis Wert legen, sollten Sie eigentlich bei der Gelegenheit auch an diese Fragen denken.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es besteht Anlaß, ein Wort über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres auswärtigen Dienstes zu sagen. Wiederum aus der bayerischen Staatskanzlei hat es einen unverantwortlichen und unverschämten Angriff gegen Botschafter unseres Landes gegeben. Der Bundesaußenminister hat so reagiert, wie er reagieren muß. Obwohl es eigentlich selbstverständlich ist, möchte ich ihm ausdrücklich dafür danken. Eines müssen wir aber hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist unerträglich, daß Koalitionsquerelen zwischen CSU und FDP auf dem Buckel von Beamten ausgetragen werden, die ihre Pflicht und Schuldigkeit für unser Land draußen in der Welt tun.

    (Beifall bei der SPD) Ich möchte deshalb allen Angehörigen unseres auswärtigen Dienstes für ihre Arbeit in nahezu allen Ländern der Welt danken. Viele müssen ihre Aufgaben unter Gefahren und schwierigen Umständen erfüllen. Wer wie ich die Chance hatte, in diesem Jahr in Beirut und in Zentralamerika zu sein, weiß sehr genau, wovon ich rede.

    In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Mitarbeiter des Goethe-Instituts in aller Welt und natürlich auch hier im Lande mit einbeziehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort soll die Wende eintreten.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das würde nicht schaden!)

    Dort soll Liberalität abgebaut werden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Liberalität soll hereinkommen! — Weil Sie die Kultur bestimmen wollen!)

    Es sollen mehr Musikveranstaltungen statt Vorträge stattfinden, weil es mit Musik weniger Ärger geben kann.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wollen Sie mehr Arger? — Zuruf von der SPD: Rose als Kulturpäpstlein!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wollen Sie mehr Ärger? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — keine Aufregung —, wahrhafte Darstellung unserer Gesellschaft — das kann natürlich nicht ohne Ärger abgehen. So ist das nun einmal mit der Vielfalt unserer Gesellschaft. Und der „Bayernkurier" kann und darf nicht der Maßstab unserer auswärtigen Kulturpolitik sein.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hackel [CDU/CSU]: So wird es aber auch nichts!)

    Das Goethe-Institut kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn es die ganze Breite unserer Gesellschaft

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Richtig!) in der Kultur darstellen kann.


    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Genau das tut es nicht! — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Mehr Trachtengruppen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Es kommt nicht darauf an, daß mir alles gefällt, es kommt darauf an, daß die kulturelle Glaubwürdigkeit unserer Goethe-Institute nicht zerstört wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Und nun sage ich Ihnen folgendes: Bei 12 000 Veranstaltungen im Jahr in der Welt kann in der Tat schon mal hie und da eine Panne passieren.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: „mal" ist gut!)

    3062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
    Wischnewski
    Wer von uns ist so erhaben, hier zu sagen, daß ihm noch niemals eine Panne passiert sei? Ich gestehe, daß das bei mir des öfteren der Fall ist.

    (Glos [CDU/CSU]: Ihre Rede ist zum Beispiel eine!)

    Aber ich habe den Eindruck, daß man sich bemüht.
    Eines bereitet mir allerdings sehr große Sorgen: Mit dem Weggang der Kollegin Dr. Hamm-Brücher aus dem Auswärtigen Amt habe ich Sorge, ob die Liberalität in der auswärtigen Kulturpolitik bei uns so gewährleistet ist, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Rose [CDU/CSU]: Ihre Sorge ist nicht so wichtig!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ihnen nach der ersten Regierungserklärung gesagt: Überall dort, wo es Kontinuität gibt, haben Sie unsere Unterstützung. Dort, wo es entscheidende Veränderungen gibt, die wir für falsch halten,

    (Glos [CDU/CSU]: Brauchen wir den Wähler, nicht Sie!)

    werden wir sie bekämpfen. Dieses Jahr Revue zeigt, daß es in vielen Punkten keine Kontinuität mehr gibt,

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    sondern entscheidende Veränderungen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das war dringend notwendig!)

    Wir werden deshalb dem Haushalt nicht zustimmen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache über den Haushalt, insonderheit die Aussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers und, wie sich versteht, auch seines Stellvertreters, ist die Gelegenheit, die Regierung auf den Prüfstand zu bringen. Aber die Opposition, insonderheit der Oppositionsführer, muß dabei immer beachten, daß sie sich dabei selber auf den Prüfstand stellt.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Was Sie, Herr Kollege Dr. Vogel, heute an Perspektiven und an Führungskraft gefordert haben, fällt als Kritik und Forderung auf Sie selber zurück.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Soell [SPD]: Ganz billige Retourkutsche!)

    Sie fordern Perspektiven für die Wirtschaftspolitik, und Sie bieten als Alternative nichts anderes als einen Gefälligkeitskatalog, wo in Wahrheit klare Entscheidungen erforderlich sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was Sie als Außenpolitik bieten, ist in Wahrheit ein Konzept der Zwiespältigkeit; es ist die Selbstdarstellung einer Partei, die heute in wesentlichen Fragen das verleugnet, was sie noch vor wenig mehr als einem Jahr als sozialdemokratische Friedenspolitik verkauft hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Herr Kollege Dr. Vogel, Sie fordern Führungskraft vom Bundeskanzler. Sie nennen sich selbst Oppositionsführer: Ich kann nicht glauben, daß Sie es sind, der Ihre Partei auf dem Bundesparteitag in Köln weg vom Doppelbeschluß geführt hat, denn Sie selbst haben ihn doch im Kabinett als notwendige Entscheidung mit beschlossen.
    . (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Kollege Dr. Vogel, Sie laufen einer inneren Entwicklung Ihrer Partei nach, wo Führungskraft geboten wäre.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Billiger geht es nicht mehr!)

    Das gilt genauso in der Wirtschaftspolitik.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie stehen nicht zu einer Politik, wie der frühere Bundeskanzler das im Sommer 1982 in Ihrer Fraktion angemahnt hat, sondern Sie folgen denjenigen in Ihrer Partei, die wie in Hessen auch in der Wirtschaftspolitik die opportunistische Annäherung an die GRÜNEN betreiben. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lambinus [SPD]: Ihre Partei war es doch, die sich der CDU/CSU genähert hat! Zuruf von der SPD: Der Oberopportunist! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD)

    — Hören Sie doch einmal zu. Das können Sie mir nicht sagen. Ich weiß, wie schwierig politische Führung ist.

    (Beifall bei der FDP — Lachen bei der SPD)

    Ich weiß aber auch — auch wenn Ihnen das nicht paßt —, daß Entschlossenheit dazu führt, daß die gesetzten Ziele erreicht werden. Das ist unser Konzept.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Das war ein bitterer Weg, es war ein notwendiger Weg, und er ist von den Wählern bestätigt worden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Sie liefern den letzten Beweis, daß dieser Weg innen- und außenpolitisch ein dringendes Erfordernis war.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Herr Dr. Vogel, Sie haben es für notwendig gehalten, zweimal an das Rednerpult zu kommen, um etwas zu meinem Kollegen und Freund Otto Graf
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3063
    Bundesminister Genscher
    Lambsdorff zu sagen. Sie haben auch dabei Ihre Aufgabe verfehlt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!)

    Sie haben nicht zu dem Kern der Dinge gesprochen. Sie haben einen Satz in Ihrer Rede, den ich sehr wohl respektiere. Sie sagen: Es ist wahr, in Spendendingen hat sich keine der Parteien, die schon länger dem Bundestag angehören, mit Ruhm bedeckt, auch die meine nicht. — Diese Feststellung ehrt Sie. Ich schließe mich dem für meine Partei an.

    (Dr. Soell [SPD]: So leicht?)

    Aber Herr Dr. Vogel, wenn wir schon über Spendenpraxis reden, dann haben wir auch die Verpflichtung, hier vor der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Die Parteien sind vom Grundgesetz aufgerufen, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.

    (Jungmann [SPD]: Aber ohne Bestechung! — Duve [SPD]: Ohne Flick! — Schily [GRÜNE]: Wir leben doch nicht in der Flickokratie!)

    Meine Damen und Herren, das Grundgesetz untersagt es aus guten Gründen, daß sich die Parteien ausschließlich auf Staatszuwendungen stützen dürfen. Sie sind auf Beiträge, sie sind auf Spenden angewiesen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Die wissen das doch!)

    Spenden an Parteien sind nichts Schädliches, nichts Unredliches an sich. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben doch gerade vor wenigen Tagen mit uns ein Gesetz beschlossen, in dem die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden anerkannt wird. Bitte machen wir daraus keinen Fall zwischen den Parteien, sondern klären wir die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit unserer demokratischen Parteien auf!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Jungmann [SPD]: Nun kommen Sie mal zur Außenpolitik! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Dann haben Sie zu Recht gesagt, das gegen meinen Kollegen Dr. Lambsdorff eingeleitete Strafverfahren sei etwas ganz anderes.

    (Zuruf des Abg. Duve [SPD])

    — Das ist wohl wahr, Herr Kollege Duve. Dazu sagt der Abgeordnete Dr. Vogel: Selbstverständlich streitet auch für ihn die Unschuldsvermutung. — Herr Kollege Dr. Vogel, stellen Sie das nicht nur fest, sondern handeln Sie auch danach! Verhalten Sie sich ihm gegenüber auch so!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Haben Sie kein Gespür dafür, was es für einen Mann bedeuten muß — für ihn selbst, für seine Familie —, wenn am Dienstag der letzten Woche die Erhebung einer Anklage gegen ihn wegen Bestechlichkeit öffentlich angekündigt worden ist, und er sich heute — acht Tage später —

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    noch nicht im Besitz der Anklage befindet, um dazu Stellung nehmen zu können?

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich rüge überhaupt niemanden. Ich rüge im Augenblick denjenigen, der mir hier gegenübersitzt, den Abgeordneten Dr. Vogel, daß er meinem Kollegen Lambsdorff nicht wenigstens solange Fairneß geboten hat, solange dieser nicht in der Lage ist, zu den dort erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Die Anklage steht doch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Können Sie es nicht ertragen, wenn eine andere Meinung als die Ihre hier vorgetragen wird?

    (Lambinus [SPD]: Immer haarscharf an der Sache vorbeireden!)

    Wenn Sie schon nicht der Meinung sind, daß mein Kollege Lambsdorff, bevor Sie ihn angreifen, wenigstens öffentlich nicht rechtliches, aber politisches Gehör haben sollte, dann ertragen Sie doch wenigstens, daß ich an seiner Stelle die Gründe darlege, warum er zu diesem Zeitpunkt zur Anklage nicht Stellung nehmen kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Soll er ja gar nicht! — Jungmann [SPD]: Er soll zurücktreten! — Schily [GRÜNE]: Nehmen Sie einmal zu Tandler Stellung! — Reents [GRÜNE]: Sind Sie Außenminister, oder was?)

    Ein Grundsatz unseres freiheitlichen Rechtsstaates ist auch der Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör ist vor dem Gericht einzuräumen. Hier geht es um das politische Gehör.

    (Schily [GRÜNE]: Sehr wahr!)

    Dieses Recht auf politisches Gehör kann nur derjenige ausüben, der in Kenntnis dessen ist, was als Vorwurf gegen ihn erhoben wird.

    (Schily [GRÜNE]: Reden wir lieber über politische Verantwortlichkeiten!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, mich hat sehr beeindruckt, was Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Schmude, gesagt hat:
    In diesen konkreten Fällen übrigens — ich beziehe ausdrücklich den Grafen Lambsdorff mit ein — bin ich nach meiner Einschätzung der Dinge überzeugt, daß sich die Unschuld herausstellen wird. Den Grafen Lambsdorff kenne ich recht gut. Ich halte ihn für einen hochanständigen und hochintelligenten Mann. Beides schließt nach meiner Einschätzung aus, daß die Vorwürfe stimmen.
    3064 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
    Bundesminister Genscher
    So hat sich Herr Kollege Dr. Schmude am 27. November 1983 in einer Fernsehsendung geäußert.

    (Duve [SPD]: Ist das die berühmte Vorverurteilung? — Abg. Dr. Schmude [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich würde gern meinen Gedankengang weiterführen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich füge hinzu: Ich persönlich bin von der Unschuld meines Freundes und Kollegen Graf Lambsdorff überzeugt. Das wird mein Verhalten, das wird die Haltung, die ich persönlich ihm gegenüber einnehme, das wird aber auch die Haltung meiner Partei und Fraktion bestimmen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist doch lächerlich!)

    Wir werden nichts tun, meine Damen und Herren, was die Unabhängigkeit der Gerichte beeinflußt. Aber wir werden auch nicht zulassen, daß Nichtberufene außerhalb der Justiz zu einer politischen Vorverurteilung eines Mannes kommen, den wir für persönlich unschuldig halten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie machen Vorfreisprüche! — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Stundenlange Debatten über Lambsdorff, weil er nicht zurücktritt! Über Politik wird nicht mehr geredet! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)