Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen in dieser Debatte möchte ich ein Wort des Dankes an den Kollegen Vogel für seine Gratulation zur Verleihung des Karl-Valentin-Ordens in München sagen. Ich habe mich über diese Ehrung sehr gefreut, und ich bin erfreut darüber, daß er das ebenso empfunden hat.
Nach seiner heutigen Rede ist mir allerdings klar, warum der Urmünchener Jochen Vogel den KarlValentin-Orden noch nicht erhalten hat.
Dieser Orden soll j a, wenn ich es recht verstanden habe, in der großen und bedeutenden Tradition Karl Valentins für Humor und Fröhlichkeit des Herzens verliehen werden.
Davon war heute in diesem Beitrag wirklich nichts zu spüren.
Das ist Ihnen in der SPD überhaupt abhanden gekommen. Deswegen sitzen Sie auch auf den Oppositionsbänken; um das einmal klar und deutlich zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich will auf die teilweise wilden Angriffe des Oppositionsführers nicht eingehen. Wenn ich den Text richtig gelesen habe, hat er es ja selbst so empfunden, denn ganz am Ende kam noch eine Bemerkung, die das Ganze etwas abschwächen sollte. Zu zwei Bemerkungen will ich aber doch eine kurze Anmerkung machen.
Herr Kollege Vogel, es mutet mich und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit eigenartig an, daß Sie überhaupt das Wort „Führungskraft" in den Mund nehmen.
Ich will Ihnen einmal aus dem Erlebnis der letzten Wochen ein Beispiel von Führungskraft nennen. Wir — diese Bundesregierung, diese Koalition, ich selbst als Bundeskanzler — haben das international gegebene Wort meines Amtsvorgängers und seiner Regierung, der seinerzeit auch Sie angehörten, eingelöst. Wir haben es zum versprochenen Zeitpunkt, auf den Tag, eingelöst. Das nenne ich Führungskraft.
Und jetzt frage ich Sie ganz einfach: Was haben Sie denn in diesen Monaten getan?
Ihre Haltung in dieser zentralen Frage der deutschen Politik war undurchsichtig. Wir hatten doch — und es lohnt sich, das Protokoll nachzulesen — am Donnerstag vor der Bundestagswahl am 6. März gemeinsam mit dem Kollegen Genscher und dem Kollegen Franz Josef Strauß die übliche Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten. Sie haben in dieser Debatte trotz intensiven Befragens Ihre Position nicht klargelegt. Diejenigen in der SPD und in der SPD-Wählerschaft, die glaubten, daß der Kurs Helmut Schmidts etwas gilt, konnten sich am Abend dieser Debatte mit dem Gefühl zum Schlaf niederlegen, die Partei, der sie in der Vergangenheit ihr Vertrauen gegeben hatten und vielleicht am kommenden Sonntag wieder geben würden, werde zum NATO-Doppelbeschluß stehen. Wenn Sie, der Sie jetzt dauernd von Klarheit, Offenheit und Redlichkeit reden, an diesem Abend dem deutschen Publikum und den Wählern gesagt hätten, am Vorabend der Bundestagswahl, was Sie in diesen Tagen auf Ihrem Parteitag beschließen würden, säßen Sie — dies ist meine Schätzung — mit wenigstens 40 Mandaten weniger in diesem Hause, als Sie das heute tun.
Herr Abgeordneter Vogel, ich mache diesen Vorwurf in der SPD nicht Herrn Bahr und Herrn Brandt. Deren Position war immer klar. Sie haben eine Position des Opportunismus eingenommen, die Ihnen jede Chance nimmt, über Führungskraft überhaupt nachzudenken.
Spüren Sie denn nicht selber, wie es auf die Deutschen, wie es auf unsere internationalen Partner, unsere Freunde und Gesprächspartner wirken muß, wenn Sie nach wenigen Monaten der Opposition
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mit nur noch 3 % der Delegierten Ihres Parteitages in einer zentralen deutschen politischen Frage, der der Sicherheitspolitik, der des NATO-Doppelbeschlusses, die Position Helmut Schmidts vertreten? Das zeigt doch, wie hier Veränderungen stattgefunden haben. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.
Zum zweiten: Herr Kollege Vogel, machen Sie sich bitte über die Stabilität dieser Bundesregierung gar keine Sorgen!
An Ihrer Stelle würde ich über die Zukunft der SPD nachdenken.
Dies hielte ich staatspolitisch und parteipolitisch gleichermaßen für nützlich. Sie haben doch die Chance, fast jede Woche hier in diesem Hause zu probieren, ob diese Regierung, ob die Koalition von FDP, CSU und CDU eine stabile Mehrheit hat. Ich lade Sie dazu ein. Sie probieren es doch auch immer wieder. Das Ergebnis ist Ihnen bekannt.
Wenn Sie nun an den Wähler appellieren: Herr Kollege Vogel, ich habe da keine Probleme. Ich habe weder Probleme mit der Demoskopie noch mit der öffentlichen Meinung noch mit anderem. Verehrter Herr Kollege Vogel, Sie können einen wahren Zitatenschatz hier bringen, und doch ist die Mehrheitssituation in diesem Lande für mich ganz klar. Wir probieren das bei nächster Gelegenheit gemeinsam wieder aus.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Diskussion um den Bundeswirtschaftsminister. Die Staatsanwaltschaft in Bonn hat im Februar 1982 gegen Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff und andere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsannahme im Zusammenhang mit dem sogenannten Flick-Verfahren eingeleitet. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat der Deutsche Bundestag am 2. Dezember, also vor wenigen Tagen, die Immunität des Abgeordneten und Bundesministers Graf Lambsdorff aufgehoben.
Bereits am 29. November hatte die Staatsanwaltschaft, vertreten durch sechs Staatsanwälte, in den Räumen der Bundespressekonferenz eine Pressekonferenz abgehalten, in der sie über Gegenstand und Beweismittel für die Erhebung der öffentlichen Klage berichtete. Der Bericht erstreckte sich auf das Ermittlungsverfahren gegen Graf Lambsdorff, obwohl die Immunität noch nicht aufgehoben und damit die Erhebung einer öffentlichen Klage gar nicht möglich war.
Keiner der Betroffenen war zu dieser Stunde der Pressekonferenz im Besitz der Anklageschrift.
Meine Damen und Herren, das muß man hier noch einmal deutlich aussprechen: Der Abgeordnete Graf Lambsdorff hat bis heute, bis zu dieser Stunde noch keine Anklageschrift erhalten.
Herr Abgeordneter Vogel, empfinden nicht auch Sie die Ungeheuerlichkeit
dieses Vorganges?
Da wird monatelang ein unbescholtener Mitbürger, ein um das Land verdienter Mann, der seine Pflicht getan hat, öffentlich heruntergezogen, und er hat nicht die geringste Chance, die Punkte aus dieser Anklage wirklich kennenzulernen.
Meine Damen und Herren, diese Pressekonferenz stellt ein ungewöhnliches Ereignis in der deutschen Prozeßgeschichte dar.
— Es ist schon ein erstaunlicher Vorgang, daß ein Professor der Rechte, Herr Professor Ehmke, das, was ich hier soeben gesagt habe — eine reine Darstellung von Tatsachen, die ich als ungewöhnlich und ungeheuerlich bezeichnet habe —, schon als „Justizschelte" qualifiziert. Wo sind wir eigentlich hingekommen, wenn man nicht mehr Tatbestände aussprechen darf?
Der oberste Ankläger des Bundeslandes Hessen — der Kollege Dregger hat mit Recht schon darauf hingewiesen —, Generalstaatsanwalt Horst Gauf, weist darauf hin, daß es eine Sache der Fairneß gewesen wäre, daß der Angeschuldigte Kenntnis von der Anklageschrift hat, bevor die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz gibt. Ich verstehe wirklich nicht, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, warum wir uns über diesen doch selbstverständlichen Ausdruck von Rechtskultur nicht einigen können. Das hat doch überhaupt nichts mit Personen zu tun.
Es ist doch ein ganz unerträglicher Vorgang. Die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof unterrichtet die Öffentlichkeit grundsätzlich erst nach Zustellung der Anklageschrift, und zwar in schriftlicher Form. Graf Lambsdorff hat nach seiner Erklä-
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rung erst im Zusammenhang mit der Pressekonferenz erfahren, daß er wegen eines Tatvorwurfs angeklagt werden soll, der im Ermittlungsverfahren nicht gegen ihn erhoben wurde.
Meine Damen und Herren, ich muß dies sagen: Diese Pressekonferenz reiht sich in die Vielzahl von Merkwürdigkeiten ein, welche bei diesem Verfahren zu beobachten waren.
Es gab zahlreiche Indiskretionen, die bis zur wörtlichen Veröffentlichung von Ermittlungsakten reichten.
Öffentliche Verdächtigungen, Vermutungen, Vorverurteilungen haben ein Klima geschaffen — das muß doch jeder erkennen —, das einen fairen Prozeß erschwert.
Der Untersuchungsausschuß des Landtages von Nordrhein-Westfalen — die Kollegen dort haben sich ja bei diesem Sachverhalt einige Mühe gemacht —, der die Indiskretionen aufklären sollte, hat in seinem Abschlußbericht vom 25. Oktober 1983 hierzu ausgeführt — ich zitiere —:
Die Veröffentlichungen stellen aber auch Eingriffe in vertraulich geführte Ermittlungen dar, die möglicherweise den Gang des Verfahrens selbst gefährden können und geeignet sind, Beschuldigte in der Öffentlichkeit bloßzustellen, obwohl bis zum Abschluß des Verfahrens die Vermutung ihrer Schuldlosigkeit für sie spricht.
Herr Kollege Ehmke, etwas anderes habe ich mit anderen Worten nicht gesagt. Wieso ist es dann eine Schelte der Justiz, was hier der Untersuchungsausschuß feststellt?
Meine Damen und Herren, es ist eine Errungenschaft der rechtsstaatlichen Strafrechtspflege, daß jemand als unschuldig gilt, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.
— Wissen Sie, Herr Abgeordneter, Ihr Beifall , an dieser Stelle bedeutet für mich das, was ich bei all Ihren Ausführungen bisher erlebt und gedacht habe.
Dieser Gedanke hat auch Eingang gefunden in
Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in
Art. 14 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der weltweit gilt.
— Schon allein, daß Sie Mitbürger mit dem Begriff Sorte belegen, zeigt Ihre Denkweise.
Es wird oft darauf hingewiesen, daß für eine Person, die herausragende öffentliche Verantwortung trägt, besondere Maßstäbe gelten. Dies kann jedoch nicht heißen, daß fundamentale Prinzipien des Rechts beeinträchtigt werden dürfen. Ein Bundesminister hat nicht mehr Rechte als jeder andere Bürger; er hat aber auch nicht weniger Rechte als jeder andere Bürger.
Diese Prinzipien enthalten nicht nur Regeln des Rechts, sie sind auch Ausdruck unserer Rechtskultur. In alten Demokratien wie in England haben der Schutz von strafgerichtlichen Verfahren und das Gefühl für einen fairen Prozeß stets eine besondere Rolle gespielt. Ich denke, wir sollten daraus lernen.
Ich verschweige nicht meine Betroffenheit, daß ich als Bundeskanzler einer Presseerklärung entnehmen muß, daß die Staatsanwaltschaft gegen einen Bundesminister schwere Vorwürfe erhebt. Ich habe erwartet, daß mich der zuständige Justizminister über die Absicht der Klageerhebung und ihre wesentlichen Gründe unterrichtet. Ich bin erstaunt, Herr Abgeordneter Dr. Vogel, daß Sie als früherer Bundesjustizminister, in besonderer Weise mit geltendem Recht und Rechtskultur unseres Landes vertraut, ohne daß Sie die Chance hatten, die Anklageschrift zu kennen, bereits öffentlich den Rücktritt verlangt haben.
Sie haben mit diesem Verhalten den vielen Verdächtigungen eine weitere schwerwiegende Vorverurteilung hinzugefügt.
Meine Damen und Herren, auf der gleichen Linie liegt auch Ihre Absicht, die Entlassung des Ministers zu verlangen. Ich sage ganz deutlich: Ich habe keinen Grund, an der Integrität des Bundeswirtschaftsministers zu zweifeln.
Die Erhebung der öffentlichen Klage ist unter den gegebenen Umständen ein schwerwiegender Vorgang. Ich muß jedoch darauf bestehen und fordern, daß sowohl der Bundeswirtschaftsminister als auch ich selbst die Gelegenheit erhalten, an Hand der Anklageschrift das Ergebnis des Ermittlungs-
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verfahrens zu würdigen. Vom Ergebnis dieser Würdigung werden dann selbstverständlich die weiteren Entscheidungen abhängig sein.
— Herr Kollege Vogel, wenn Sie sich noch einen Funken von Fairneß bewahrt haben: Das ist ein streng rechtsstaatliches Verhalten und nichts anderes.
Die Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers gibt dem Hohen Haus Gelegenheit, über die Wegstrecke zu diskutieren, die wir seit meiner Wahl zum Kanzler am 1. Oktober 1982 zurückgelegt haben. Ich stelle fest, daß wir das, was wir damals in meiner ersten Regierungserklärung ankündigten, wahrgemacht haben. Wir sind auf diesem Weg weiter gekommen, als wir selber zu hoffen wagten.
Wir haben das Vertrauen unserer Bündnispartner in die Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wiederhergestellt.
Wir haben am 22. November mit dieser Grundentscheidung im Blick auf den NATO-Doppelbeschluß eine wichtige Entscheidung, eine Entscheidung von historischer Tragweite getroffen.
Gleichzeitig haben wir die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn
und in besonderem Maß das Geflecht der Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands, zur DDR, ausgebaut und verbessert. Das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ist gewachsen. Sie ist der Aufgabe gerecht geworden, die an der Nahtstelle zwischen Ost und West in der Mitte Europas wahrzunehmen ist.
Ich will heute darauf verzichten, zur Außen- und Sicherheitspolitik erneut Stellung zu nehmen. Denn wir haben seit Mai dieses Jahres immerhin in acht großen Debatten Gelegenheit gehabt — auch ich selbst —, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Ich möchte mich aus diesem Grund vor allem den Fragen der Innen-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik zuwenden.
Die Bundesregierung hat, bestätigt durch das Wählervotum am 6. März, den ersten und entscheidenden Schritt einer politischen Wende vollzogen.
Wir haben in schwierigster Lage die Konsolidierung des Staatshaushalts eingeleitet. Erstmals mit dem Haushalt 1984 wird wieder das Gebot des Art. 115 des Grundgesetzes erfüllt werden. Die staatlichen Investitionen werden wieder höher sein als der Betrag der Neuverschuldung.
Das ist nicht irgendein finanztechnischer Vorgang. Wenn es richtig ist, daß wir die Verfassung und die Gesetze unseres Landes ernst zu nehmen und daß wir als Mitglieder der Bundesregierung — das gilt insonderheit für den Bundesfinanzminister und den Bundeskanzler — unseren Amtseid auch in bezug auf diesen Artikel unserer Verfassung geschworen haben, dann haben wir unser Versprechen eingelöst. Das, Herr Abgeordneter Vogel, ist ein Beweis für Zuverlässigkeit. Das ist auch ein Beweis dafür, daß wir gegebene Versprechen halten.
Das Regierungsprogramm der Koalition der Mitte hat in diesen wenigen Monaten die Herausforderung angenommen, die sich für die Bundesrepublik Deutschland für die vor uns liegenden Jahre ergibt. Wir wollen unseren Platz als eine der führenden Industrienationen der Welt behaupten. Wir wollen und müssen den Ausgleich zwischen Anspruch und Leistung und zwischen Gegenwart und Zukunft wiederherstellen. Wir wollen und müssen der jungen Generation unseres Landes eine lebenswerte Zukunft sichern.
Nun, meine Damen und Herren, was haben wir übernommen? Ich kann Ihnen nicht ersparen, auch das in Ihre Erinnerung zu rufen.
In diesen wenigen Monaten wurde vieles bewegt. Aber als wir vor 13 Monaten ins Amt kamen, befand sich das Land in der schwersten Krise seit der Nachkriegszeit.
— Der Abgrund ist vermieden worden, weil Sie von dieser Bank verschwunden sind. Das ist die Realität in der Bundesrepublik.
Weite Teile der Wirtschaft waren gelähmt, die Dynamik war zerstört. Wir liefen Gefahr, den Anschluß an die internationale Entwicklung der Märkte und der Technik zu verpassen.
Unser Bruttosozialprodukt stagnierte seit Jahren. Die Massenarbeitslosigkeit hatte sich strukturell verfestigt. Sie wuchs allein im Jahre 1982 um über 500 000. Die unerträgliche Steuer- und Abgabenlast hatte die Ertragskraft der Unternehmen geschwächt. Ein hohes Zins- und Inflationsniveau verhinderte notwendige Sachinvestitionen. Die Finanzgrundlagen der sozialen Sicherungssysteme waren zerrüttet, ihre Reserven aufgezehrt.
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Meine Damen und Herren, ich will es Ihnen wegen der Kürze der Zeit ersparen, zu wiederholen, was mein Amtsvorgänger in seiner mit Recht berühmt gewordenen Rede vor Ihrer Fraktion vor der Sommerpause des vergangenen Jahres Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, daß der Refrain seiner Ausführungen war: „Das ist aber mit euch nicht zu machen." Mit „euch" war die SPD-Fraktion gemeint, die die Hauptverantwortung für die Lage, die wir vorgefunden haben, zu übernehmen hat.
Der Staat war drauf und dran, handlungsunfähig zu werden. Und Sie fahren doch fort, Sie haben doch nichts dazugelernt. Sie haben 13 Jahre lang Ansprüche geweckt, Leistungen versprochen, die aus den Erträgen unserer Arbeit nicht zu finanzieren waren, und heute haben wir wiederum das gleiche gehört.
Das, was wirklich Erblast war, gefährlichste Erblast, kann man am besten mit dem Begriff des Zukunftspessimismus, ja, sogar der Zukunftsangst bezeichnen. Daß weite Teile der jungen Generation zutiefst verunsichert sind, geht doch auf diese Politik zurück, indem Sie den Jungen versprochen haben, was Sie niemals halten konnten.
In den letzten Wochen haben Sie einmal mehr deutlich gemacht, wohin die Reise mit Ihnen gegangen wäre. Nationalistische und neutralistische Strömungen, ein dumpfer Antiamerikanismus und die sich in der SPD entwickelnde Kritik am NATODoppelbeschluß hatten doch Zweifel überall in der Welt an unserer Bündnistreue und an unserer Bündnisfähigkeit geweckt.
Meine Damen und Herren, es war fünf Minuten vor zwölf, als die Koalition der Mitte vor 13 Monaten die Verantwortung übernahm. Es ging darum, die rasante Talfahrt des Landes aufzuhalten und in den entscheidenden Feldern der Außen-, der Innen-, der Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch Stabilität und politische Vernunft wieder Vertrauen und Zukunftsperspektive zurückzugewinnen.
— Ich würde als Sozialdemokrat in dieser Debatte das Wort Arbeitslosigkeit wirklich nicht in den Mund nehmen. Denn was haben Sie denn getan in den letzten 13 Jahren in der Strukturpolitik,
in Bremen,
in Dortmund und anderswo? Was haben Sie denn getan in Bonn und in diesen Ländern?