Verehrte Frau Kollegin, ich habe verstanden, daß Sie jedenfalls die Voraussetzung für meine Äußerung eigentlich noch einmal bestätigt haben.
Aber ich will jetzt von diesem Disput, den wir wahrlich nicht gleich wieder so tierisch ernst nehmen sollten, zu der Thematik des Tages kommen. Der gescheiterte europäische Gipfel liefert nicht gerade eine gute Einstimmung für den heutigen Tag der Haushaltsdebatte, aber es wäre fatal, wenn dieser Fehlschlag vermehrt Verdruß an Europa produzieren würde. Meine Damen und Herren, der Zug, der zur politischen Einheit Europas abgefahren und der böse ins Stocken geraten ist, darf nicht auf dem Abstellgleis landen.
Die Europäische Gemeinschaft hat sich nicht als so entscheidungsstark erwiesen, wie viele das erhofft hatten und wie es auch angesichts des Entscheidungsbedarfs in den Fragen der Agrar- und Finanzpolitik geboten gewesen wäre. Die unterschiedlichen nationalen Standpunkte blieben offensichtlich deshalb unvereinbar, weil die Kompromißfähigkeit unzureichend war. Nun gilt es, den Schaden zu begrenzen; denn die Probleme werden durch Zuwarten nicht geringer, sondern größer.
Die Europäische Gemeinschaft war mit den Ergebnissen von Stuttgart auf einem guten Weg. Wir haben in der Erklärung von Stuttgart jedenfalls nicht eine Deklaration von interpretierbarer Beliebigkeit gesehen, sondern eine von den Staats- und Regierungschefs eingegangene politische Verpflichtung, die es zu erfüllen gilt.
Denn die Gemeinschaft ist kein Abfallplatz für ungelöste nationale Probleme, auch keine Unternehmung zur Finanzierung von Überschüssen oder zur Erlangung tagespolitischer Vorteile für dieses oder jenes Land. Offensichtlich versteht sich die Europäische Gemeinschaft aber immer noch nicht als Schicksalsgemeinschaft. Jedenfalls hat es an dieser Einsicht und dem politischen Willen in Athen gefehlt. Hier hat die Bundesregierung mit ihren Partnern in Europa in den kommenden Wochen und Monaten eine entscheidende Bewährungsprobe zu bestehen.
Verehrter Herr Kollege Vogel, Ihre Rede hat besorgt gemacht, nicht wegen Ihrer Faszination und auch nicht wegen der toten Fliegen oder der toten Vögel, nein, sondern weil sie eigentlich deutlich zu erkennen gegeben hat, daß mit den Stichworten Ellbogengesellschaft und Umverteilung von unten nach oben weiter kultiviert Politik getrieben werden soll. Konfliktstrategie scheint unter uns zu kommen. Es sieht fast so aus, als sei die SPD auf dem Weg nach Kreuth. Genau das, meine Damen und Herren, ist in unserer augenblicklichen Situa-
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tion anstelle der Lösung der wirklich drängenden Probleme unseres Alltags ausgesprochen unbekömmlich.
Herr Vogel, die Passage über den Wirtschaftsminister war triefend, aber nicht von Fürsorge und Menschlichkeit. Die Unschuldsvermutung preisen und gleichzeitig die politische Verurteilung betreiben, ist entlarvend.
Die Freien Demokraten werden ihren Wirtschaftsminister nicht verurteilen, und sie verhalten sich so aus Anstand und nicht aus Kumpanei.
Nun ein Wort zum Rüstungsexport.
— Ich darf das ja wohl aufnehmen, was in der Debatte angesprochen wurde, verehrter Herr Kollege Kühbacher. Ich möchte nicht an den Diskussionsbeiträgen vorbeireden. Das erleben wir hier ja oft genug; das muß aber nicht sein. Deshalb sage ich: was hier zum Rüstungsexport an Besorgnis ausgedrückt worden ist, scheint mir unbegründet. Nach den Grundsätzen der Bundesregierung für den Rüstungsexport sind Entscheidungen über Rüstungsexporte in Länder außerhalb des NATO-Gebietes an folgende Kriterien gebunden. Sie sind nur zulässig, wenn es um vitale außen- und sicherheitspolitische Interessen unter Berücksichtigung von Bündnisinteressen geht; die innere Lage eines Landes dem nicht entgegensteht; die Lieferungen nicht zur Erhöhung von Spannungen führen, eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen nicht besteht und die zu liefernden Waffen für Verteidigungszwecke bestimmt sind. Nur unter diesen restriktiven Kriterien kann überhaupt in jedem Einzelfall über Rüstungsexport entschieden werden. Dies gilt selbstverständlich auch — oder vielleicht gerade — für mögliche Lieferungen nach Saudi-Arabien — dies besonders wohl auch deshalb, weil wir in dieser Region die Interessen des jüdischen Volkes berücksichtigen müssen und berücksichtigen wollen.
Wir sehen allerdings auch, daß Stabilität im Nahen Osten von großer Bedeutung für den Frieden in Europa und auch und gerade für die Sicherheit Israels sein kann. Aber, meine Damen und Herren, auch darüber sollte j a wohl Klarheit bestehen: daß Rüstungsexport bisher kein bestimmendes Mittel unserer Politik war und daß er schon gar nicht als Stabilisator für andere Länder und andere Regionen mißverstanden worden ist. Das, so hoffe ich, wird auch in Zukunft so bleiben.
Es ist aber, meine Damen und Herren, so finde ich, schon bemerkenswert, in welch sonderbarer
Weise wir, die Parteien und die Fraktionen im Deutschen Bundestag, unsere Auseinandersetzungen führen, und zwar auf allen Feldern der Politik: in der Sicherheitspolitik, der Innenpolitik oder beim Thema dieser Tage, nämlich der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mir drängt sich dabei dann immer die Erinnerung an einen Regieeinfall von Helmut Käutner auf, den er im „Hauptmann von Köpenick" wirkungsvoll eingesetzt hat. Als nämlich der Schuster Voigt in der Strafanstalt war und die Gefangenen zum Gottesdienst geführt wurden, erklang der schöne Choral: „Bis hierher hat uns Gott geführt in seiner großen Güte".
Auf die profane parlamentarische Ebene übertragen, frage ich mich in der Tat: Wer hat uns denn eigentlich hierher geführt, an die Probleme unserer Tage?
Meine Damen und Herren, in der Sicherheitspolitik war es ja wohl unbestreitbar die Crew Schmidt/Genscher/Apel. Aber wir alle fühlten uns dabei ganz offensichtlich nicht verführt, sondern — in richtiger Einschätzung der Lage — vor eine Entscheidung gestellt, der vom Parlament in großer Geschlossenheit zugestimmt wurde.
Und schließlich war ja wohl auch der NATO-Doppelbeschluß unbestreitbar ein bedeutsamer Wendepunkt in der internationalen Politik. Der politische Wille des Bündnisses, einer dramatischen sowjetischen Aufrüstung mit SS-20-Raketen nicht in trostloser Gesetzmäßigkeit mit Nachrüstung zu begegnen, sondern vielmehr Verhandlungen über Abrüstung anzubieten, war der sensationelle Versuch eines Ausstiegs aus der Rüstungsspirale.
Meine Damen und Herren, dieses Konzept hat der Westen in einem Augenblick entwickelt, in dem die Sowjetunion die gemeinsame Entspannungspolitik mit ihrer Rüstung diskreditiert hat.
Nun sind wir mit diesem Versuch leider im ersten Anlauf gescheitert. Aber wir würden die Fähigkeit, eine solche Umkehr in der Rüstungspolitik zu bewirken, auf Dauer verlieren, wenn wir jetzt, nach erfolglos geführten Verhandlungen, nicht unter Beweis stellen würden, daß wir zur Nachrüstung und damit überhaupt zum Handeln fähig sind;
denn wer den Frieden durch Verhandlungen und Abrüstung bewahren will, muß sich auch zum Handeln fähig zeigen. Nur dann wird er als Verhandlungspartner ernst genommen. Wer der Agitation erliegt und einer verständlichen, begreifbaren Friedenssehnsucht allein ohne Verhandlungsergebnis nachgibt, bringt den Rüstungswettlauf nicht aus der Welt, es sei denn durch Unterwerfung. Vor einer solchen Haltung sollte uns der Blick auf die unter
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kommunistischer Herrschaft lebenden Menschen bewahren.
Meine Damen und Herren, es geht doch wohl auch zugleich um das Gebot, seinen Grundsätzen und sich selbst treu zu bleiben. Ernst Wickert spricht in seinem Chinabuch in einem anderen Zusammenhang über den hohen sittlichen Wert der Treue:
In der zweiten Strophe eines heute weithin unbekannten Liedes ist von deutscher Treue die Rede. Deutsche Treue? Bei dem Verfall dieses Begriffs wird man sie in Zukunft nur noch beim deutschen Schäferhund antreffen.
Wenn wir nun schon eine Korrektur, Herr Kühbacher, in der politischen Position einer Partei erleben, die diesen Weg mitgegangen ist, ihn mitbestimmt hat, dann — nun komme ich zu Ihrem Beitrag, Sie brauchen sich gar nicht durch einen Zwischenruf in Erinnerung zu bringen —, sollte man dies nicht auch noch mit Stimmungsmache begleiten und so tun, als seien der neuen Regierung und den Koalitionsfraktionen Waffen lieb und teuer und als werde der Verteidigungshaushalt aufgestockt und die Sozialleistungen gekürzt.