Herr Gansel, ich weiß, daß es Ihnen immer ein besonderes Anliegen gewesen ist, daß keine Waffen geliefert werden. Aber davon habe ich nicht gesprochen, sondern ich habe davon gesprochen, welchen Eindruck der frühere Bundeskanzler bei seinem Besuch in Saudi-Arabien erweckt hat. — Ihre zweite Behauptung kann ich nicht bestätigen. Das ist eine Falschinterpretation, die Sie da ausgeführt haben, jedenfalls wenn Sie mich meinen.
Ich fahre fort. Ich beschäftige mich zur Zeit mit der Sowjetunion und nicht mit Saudi-Arabien. — Wir sind bereit, der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung beizustehen. Das Erdgas-Röhren-Geschäft erschließt der Sowjetunion zur Zeit unter deutscher Mitwirkung eine ständig sprudelnde Devisenquelle, die für sie von höchstem Wert ist. Der von uns der DDR gewährte Milliarden-Kredit erleichtert es ihr, finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden. Wir sind auch in Zukunft zur Zusammenarbeit bereit, zu beiderseitigem Nutzen selbstverständlich. Aber auf Gleichgewicht werden wir nicht verzichten.
Einer Unterwerfungsstrategie werden wir uns nicht beugen. Das von der Sowjetunion beanspruchte Raketenmonopol im Mittelstreckenbereich war und ist nicht akzeptabel.
Aber wir wollen keine Konfrontation und auch kein Wettrüsten. Deshalb begnügen wir uns mit einem nur annähernden Gleichgewicht.
Im Hinblick auf Moskauer Kommentare rufe ich in Erinnerung, daß das gesamte Nachrüstungsprogramm des Westens nach der Zahl der Sprengköpfe nur die Hälfte dessen umfaßt, was die Sowjetunion jetzt schon im Mittelstreckenbereich besitzt.
Die Reichweite der Pershing II und der Marschflugkörper ist nur halb so groß wie die der SS 20. Hinsichtlich ihrer in Asien stationierten Raketen hatte der Westen der Sowjetunion Zugeständnisse angeboten, die ihr im Ergebnis faktische Überlegenheit auch in Europa eingeräumt hätten.
Meine Damen und Herren, mehr geht nicht. Die Sowjetunion weiß: Wir bleiben verhandlungsbereit. Wir drängen jetzt nicht. Die Sowjetunion braucht Zeit, um sich auf eine Kompromißstrategie umzustellen, die auch in ihrem Interesse liegt. Wir sind mit unseren Verbündeten bereit, jedes Waffensystem zu verschrotten, das abzubauen auch die Sowjetunion bereit ist.
Wir Deutschen werden alles unterstützen, was einen fairen Ausgleich der Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen von Ost und West ermöglicht.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, neben der Atlantischen Allianz ist die Europäische Gemeinschaft Grundlage unserer freiheitlichen Exi-
3026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
Dr. Dregger
stenz. Die Wirtschaftskrise, vor allem im Agrar- und Montanbereich, stellt die Gemeinschaft vor immer neue Herausforderungen. Darauf ist sie wenig vorbereitet. Ihre äußere Erweiterung ist schneller vorangegangen als ihre innere Konsolidierung. Es fehlt an Gemeinschaftsbewußtsein. Das zur Integration berufene Europäische Parlament hat zuwenige Kompetenzen. Die nationalen Interessen und die unterschiedlichen politischen Konzepte prallen daher in der Gemeinschaft ungebremst aufeinander.
Eine solche Gemeinschaft, die nur die miteinander verbundene Summe ihrer Glieder ist, aber noch kein neues Ganzes, kann nicht glanzvoll sein. Sie kann nur mit immer neuen Kompromissen und immer neuen Ärgerlichkeiten überleben. Entscheidend ist, daß sie überlebt. Und ich glaube fest daran, denn der Fortbestand der Gemeinschaft liegt im Interesse aller ihrer Mitglieder und derer, die es noch werden wollen. Deswegen sage ich: In Athen ist eine Konferenz gescheitert, in Athen ist aber nicht die Europäische Gemeinschaft gescheitert.
Diese Gemeinschaft liegt auch in unserem deutschen Interesse. Sie bietet unserer Exportwirtschaft eine sichere Grundlage. Sie gibt uns Rückhalt in unseren Beziehungen zu Osteuropa. Sie hat früher verfeindete Länder in einer Weise zusammengeführt, die vorher nicht denkbar gewesen wäre. All das darf nicht verlorengehen. Notwendig sind jetzt Besonnenheit und Entschlossenheit, keine Aufgeregtheit. Es ist nicht so wichtig, ob die nächste Konferenz bald stattfindet oder sehr bald. Entscheidend ist, daß sie gelingt, und dafür muß sie weiter vorbereitet werden.
Das Konzept von Stuttgart, die verschiedenen Anliegen der Mitgliedsländer miteinander zu verknüpfen, um sie einer Gesamtlösung zuzuführen, war jedenfalls richtig. Denn in einer solchen Gemeinschaft müssen bei einem Abschluß alle Beteiligten einen Erfolg mit nach Hause bringen können, damit eine Gesamtlösung überhaupt möglich ist. Deswegen beglückwünsche ich den Bundeskanzler noch einmal dazu, daß unter seiner Ratspräsidentschaft
dieses Gesamtkonzept erarbeitet worden ist. Es bleibt gültig, und ich bin überzeugt, daß der neue Ratspräsident, der französische Staatspräsident, vor dem wir großen Respekt empfinden, diese Sache jetzt in die Hand nehmen wird. Die Tatsache, daß dieser französische Staatspräsident ein besonders enges Vertrauensverhältnis zum deutschen Bundeskanzler unterhält, wird es erleichtern, daß diese beiden Kernländer Europas mit aufeinander abgestimmten Konzepten zur Überwindung der gegenwärtigen Krise der EG beitragen.
Meine Damen und Herren, unsere außenpolitischen Möglichkeiten in Europa und in der Welt sind um so größer, je mehr es uns gelingt, unser eigenes Land in Ordnung zu bringen. Die Wirtschaft, die Staatsfinanzen und die soziale Sicherheit sind zudem Themen, die unseren Mitbürgern auf den Nägeln brennen. Wir werden daher diese Themen in den Mittelpunkt der Haushaltsdebatte stellen.
Als Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 zum Bundeskanzler gewählt wurde, war die Lage bedrohlich. Finanziell befand sich unser Land auf sausender Fahrt in den Abgrund. Steigende Massenarbeitslosigkeit kennzeichnete den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit in Teilbereichen.
Das Gebäude der Sozialversicherung stand vor dem Einsturz. Mit schnell wirkenden Notmaßnahmen und mit mittelfristigen Konzepten wurde die Umkehr eingeleitet. Schon 14 Monate nach dem Regierungswechsel sind erste erstaunliche Ergebnisse sichtbar.
Ich werde dazu jetzt zehn Punkte nennen. Das mag manchem als nicht besonders interessant erscheinen, aber es ist sehr interessant, denn es sind zehn Punkte einer Leistungsbilanz, die zu Optimismus Anlaß geben und die den Aufschwung nachweisen.
Erstens. Das Bruttosozialprodukt, die volkswirtschaftliche Gesamtleistung, steigt wieder: in diesem Jahr um 1%, im nächsten Jahr zwischen 2,5% und 3%.
Zweitens. Die Zahl der Baugenehmigungen ist 1983 um rund 25% höher als im Vorjahr.
Drittens. Die Industrie verbuchte in den letzten drei Monaten gut 6 % mehr Aufträge als vor Jahresfrist.
Viertens. 1981 gingen die Anschaffungen für Maschinen und Ausrüstungen noch um 3,5 % zurück, 1982 sogar um 6,5 %. In diesem Jahr wird es wieder ein Plus zwischen 4 % und 5% geben, meine Damen und Herren.
Fünftens. Die Preissteigerungsrate wurde in nur 15 Monaten von 5,6 % auf 2,5%, also auf weniger als die Hälfte zurückgeführt — ein großartiger Erfolg für Rentner und Arbeitnehmer.
Die Preise gewerblicher Erzeugnisse übertrafen den Vorjahreswert im Oktober nur noch um 1 %.
Sechstens. Die Reallöhne der deutschen Arbeitnehmer, die in den beiden vorangegangenen Jahren gesunken waren, steigen wieder. Wegen der drastisch verringerten Geldentwertungsrate wird den Arbeitnehmern in diesem Jahr ein wenn auch nur
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bescheidenes Plus bleiben. Das ist ein ungeheurer Fortschritt im Vergleich zu den Jahren zuvor.
Siebtens. Das Angstsparen ist zu Ende. Auch die Verbraucher fassen wieder Mut, wie die Unternehmer. Die Sparquote fiel binnen Jahresfrist um 1,5 Prozentpunkte auf 13 %. Unsere Kürzungen haben also nicht zu einer Verringerung des Verbrauchs geführt. Wir waren angebots- wie nachfrageorientiert.
Achtens. Die Leistungsbilanz, die noch 1980 ein Minus von 28,5 Milliarden DM hatte, wird in diesem Jahr wieder mit über 10 Milliarden DM im Plus sein.
— Sie müssen alles hören. Wenn Sie alles gehört haben, wissen Sie alles.
Neuntens. Die Zinsen in Deutschland sind gefallen. Niedrige Zinsen sind Ausdruck des wiedererwachenden Vertrauens in den Wert der D-Mark. Das deutsche Zinsniveau liegt heute um gut 3 Prozentpunkte oder um 40 % unter dem amerikanischen. Meine Damen und Herren, das ist ein gemeinsamer großartiger Erfolg unserer Stabilitätspolitik und der klugen Politik der Deutschen Bundesbank, der wir Dank und Anerkennung aussprechen.
Zehntens. Auch auf dem Arbeitsmarkt, der immer ein Spätindikator war und beiben wird, kündet sich der Aufschwung an. Erstmals seit dreieinhalb Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt zurückgegangen. Während sie im September/Oktober des Vorjahres noch um 150 000 angestiegen war, sank sie in diesem Jahr im gleichen Zeitraum um 30 000. Im November hat sich diese günstige Entwicklung fortgesetzt. Der im November ausschließlich saisonale Zuwachs war der niedrigste seit 1948.
— Sie scheinen sich für die Arbeitnehmer nicht so sehr zu interessieren. Sonst würden Sie besser zuhören.
Die Kurzarbeit verringerte sich zwischen November 1982 und November 1983 von 1 033 000 auf 494 000, also um mehr als eine halbe Million. Die Bundesbank rechnet damit, daß das Jahr 1984 seit
vielen Jahren das erste sein wird, in dem die Erwerbslosenzahl im Jahresmittel zurückgeht.
Meine Damen und Herren, das sind Tatsachen. Die Lage ist verändert. Der Aufschwung ist eingeleitet. Für eine Volkswirtschaft mit über 22 Millionen Arbeitnehmern, mit über 2 Millionen Unternehmern und Selbständigen, mit einem Bruttosozialprodukt von 1,6 Billionen DM und, das wollen wir nicht vergessen, mit nach wie vor ungelösten großen Strukturproblemen ist Tempo und Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung erstaunlich.