Sehen Sie das genauso? Wenn j a, dann bleibt nur zu fragen: Doppelstrategie — wie herum? So, daß die pragmatische Politik der Prinzipientreue nicht im Wege steht? Oder so, daß die Prinzipientreue der pragmatischen Politik nicht im Wege steht?
Wenn Adenauer wirklich Ihr großer unbestrittener Lehrmeister ist, wird es wohl so bleiben wie bisher: die Prinzipien, die großen und starken Worte für den bayerischen Hausgebrauch, fürs Gemüt und für die ferne Zukunft, die pragmatische Politik für den konkreten Erfolg hier und heute. Solange Sie fern von Bonn in den sitzungsfreien Wochen und an Wochenenden das Fortbestehen des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 beschwören
2998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Heimann
und die Mißlichkeit des deutsch-polnischen Vertrages beklagen, mag der Schaden ja noch begrenzbar sein.
— Doch, das habe ich sehr gut gelesen.
Aber diese Frage bleibt Ihnen nicht erspart: Wie stehen Sie wirklich zum zweiten deutschen Staat? Sie werden ja wohl nicht im Ernst glauben, Sie könnten mit der DDR als Partner auf Dauer gutnachbarliche Beziehungen pflegen und entwickeln, wenn Sie gleichzeitig zumindest in der Theorie alles daransetzen, diesen Staat zu destabilisieren und grundsätzlich in Frage zu stellen.
Wer dies glaubt, muß überzeugt sein, alles sei käuflich. Er wird sich irren und sehr bald an die Grenzen seiner Politik stoßen. Vielleicht stößt er, wenn wir nicht mehr über den ersten, sondern wie jetzt schon über den zweiten und eines Tages über den dritten Milliardenkredit sprechen, auch an die Grenzen einer vernünftigen monetären Politik.
Meine Damen und Herren, meine feste Überzeugung ist: Deutschlandpolitik auf der Grundlage einer Krämerseelenmentalität reicht nicht so weit, wie Sie glauben, reicht vor allem nicht weit genug; denn wenn wir von der Überwindung der Teilung nicht nur reden, sondern sie wirklich wollen — in vielen einzelnen Schritten, und zwar in einem historischen Prozeß —, dann liegt noch unendlich viel vor uns.
Was Sie offenbar bis heute nicht wahrgenommen haben oder nicht wahrhaben wollen,
ist, daß es in grundlegenden Fragen der Sicherheitspolitik ein gemeinsames Interesse beider deutscher Staaten gibt. Ich verstehe allerdings, daß Sie dies nicht wahrhaben wollen; denn die Konsequenz wäre, daß Sie endlich anfangen, deutsche Interessen im westlichen Bündnis zu vertreten,
statt jedem Winkelzug der derzeitigen amerikanischen Administration zu folgen, die die Entspannungspolitik für tot erklärt hat.
Weil Sie auf diesem Auge blind sind, besonders Sie, Herr Reddemann,
sind Sie unfähig, zu verstehen, was es bedeutet, daß es zum erstenmal in der Nachkriegsgeschichte ein gemeinsames Interesse beider deutscher Staaten — Sie wollen das offenbar wirklich nicht hören —, nicht nur der Regierenden, sondern auch der Regierten gibt, wenn man es nur erkennt.
Es ist nämlich das Interesse, nicht in eine neue politische, wirtschaftliche, ideologische oder gar militärische Konfrontation der Weltmächte hineingezogen zu werden. Positiv gesagt: Es ist ein Interesse an der Fortsetzung und der Entwicklung der Entspannungspolitik hier in der Mitte Europas, auch und gerade dann, wenn sich in anderen Teilen der Welt die Konflikte zuspitzen.
Die maßvolle Reaktion Erich Honeckers — vielleicht hören Sie jetzt zu — auf dem letzten Plenum des ZK, seine Erklärung, daß die Entspannungspolitik alternativlos sei und daß man den Schaden des Stationierungsbeschlusses begrenzt halten solle,
das alles ist doch nur Ausdruck des tiefen Wunsches der Menschen in der DDR und auch aller Völker Osteuropas, nicht erneut in einen Kalten Krieg hineinmanövriert zu werden.
Das zeigt, Herr Reddemann, wie stark das Geflecht gegenseitiger Beziehungen und wechselseitiger Interdependenzen bereits geworden ist und daß beide Seiten Nutzen davon haben.
Aber noch wichtiger ist: In Europa wächst das Bewußtsein, daß ein Krieg den deutschen und den gesamten europäischen Kulturkreis dies- oder jenseits der militär- und Blockgrenze auslöschen würde
und daß Sicherheit nicht mehr gegeneinander, sondern nur miteinander zu haben ist.
Der Satz vom Werbellinsee, die Beschwörung der gemeinsamen Verantwortung beider deutscher Staaten für den Frieden, die Wiederverwendung des Begriffes „deutsches Volk" und die substantiell noch wichtigere Feststellung von der Verantwortungsgemeinschaft von BRD und DDR —
alle diese Formulierungen zeigen, daß wir in Ost und West begonnen haben, in den Kategorien einer Partnerschaft zur Sicherheit zu denken.
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— Ja, ich höre sehr gut, daß Sie sagen: Deutschland ist mehr als DDR und Bundesrepublik;
ich höre das sehr gut. Das gehört in den Kreis dieser Sonntagsreden. — Die Bündnisse sind deshalb nicht überflüssig. Sicherheit ist ohne sie jedenfalls noch nicht zu haben. Aber daß die Deutschen in ihren jeweiligen Bündnissen anfangen, eine Politik zu formulieren, die Europa nicht weiter auseinander-, sondern zueinanderführt, ist die Botschaft, die von der Mitte Europas ausgehen könnte, ausgehen muß, weil hier auch die historische Schuld an der Teilung Europas am größten ist.
— Ich habe gerade gesagt: in den Bündnissen; Sie haben nicht hingehört.
Deutsch-deutsche Politik, meine Damen und Herren, so formuliert, würde wirklich weitertragen, würde am Ende möglich machen, was heute trotz Milliardenkredits noch nicht möglich ist. Dazu gehört allerdings, daß man deutsch-deutsche Politik nicht nur als eine Funktion von Wirtschafts- und Handelsinteressen, sondern von Sicherheitspolitik begreift. Davon ist die Koalition offensichtlich noch weit entfernt, wie ja auch die Zwischenrufe zeigen.
Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß wir dem Einzelplan 27, solange Meinungsverschiedenheiten so grundsätzlicher Art weiterbestehen, nicht zustimmen,
obwohl wir die meisten Einzelpositionen — j a, ich will es sagen, ich will darauf kommen —, in denen wir, soweit das durch Finanzmittel überhaupt darstellbar ist, Kontinuität erkennen, mittragen können.
Danke schön.