Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat im Mai dieses Jahres stolz verkündet, die Bundesregierung wolle ihre Entwicklungshilfe überdurchschnittlich steigern, obwohl sie im Gesamthaushalt zu schmerzhaften Sparmaßnahmen gezwungen sei. Und siehe da — Herr Brück hat darauf hingewiesen —: Die Baransätze des Einzelplans 23 steigen tatsächlich überproportional. Hat er also Wort gehalten, der Minister?
Nein, meine Damen und Herren.
2988 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Dr. Hauchler
Er führt uns ein Täuschungsmanöver vor.
Denn der Maßstab zur Beurteilung des entwicklungspolitischen Engagements — das wissen Sie ganz genau — ist ja nicht das, was 1984 von den Mitteln, die die sozialliberale Regierung zugesagt hat, abfließt. Maßstab ist vielmehr das, was diese neue Regierung 1984 an neuen Zusagen an Entwicklungsländer gibt. Und da wird, wie in kaum einem anderen Ressort, gekürzt, was die Sohle hält.
— Das kann ich nicht zurücknehmen, weil es die Wahrheit ist.
Die Bundesregierung will mit der Steigerung des Baransatzes die Tatsache verstecken, daß sie die Entwicklungshilfe mit dem Haushalt 1984 tatsächlich massiv einschränkt. Was scheinbar als Wohltätigkeit daherkommt, entpuppt sich bei näherem Zusehen als Propagandatrick. Was als Kontinuität verkauft wird, bedeutet in Wahrheit den Bruch mit der bisherigen Entwicklungspolitik. Herr Schröder, es ist einfach nicht wahr, wenn Sie sagen, daß die Entwicklungspolitik der Bundesregierung auf der gemeinsamen Entschließung aller Parteien dieses Hauses beruht; das ist nicht zu halten.
Meine Damen und Herren, wir werden beweisen und in der Öffentlichkeit klarmachen, daß die Entwicklungspolitik der neuen Regierung eine Abkehr von globaler Verantwortung und eine Hinwendung zu einer realpolitisch verbrämter, skrupelloser Politik des Eigeninteresses ist.
Wir werden zeigen, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter diesem Bundeskanzler zur Marketing-Agentur deutscher Wirtschaftsinteressen degeneriert.
Die Koalitionsfraktionen steigen mit diesem Haushalt aus dem Konsens aus, der zwischen allen Parteien dieses Hauses in der Entwicklungspolitik bestanden hat.
Als Sie am 5. März mit uns gemeinsame entwicklungspolitische Grundsätze beschlossen, waren Sie noch mit uns einig, daß die ärmsten Länder, die Deckung der Grundbedürfnisse und die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit Vorrang genießen. Damals hoben Sie noch die Bedeutung multilateraler Hilfe hervor, betonten noch, daß die Länder der Dritten Welt ihren eigenen Entwicklungsweg gehen müßten.
Damals waren auch für Sie die sozialen Auswirkungen von Entwicklungsprojekten und die Verwirklichung der Menschenrechte noch zentrale Kriterien für die deutsche Entwicklungshilfe.
Damals noch wollten Sie sich im Internationalen Währungsfonds dafür einsetzen, daß bei der Kreditvergabe entwicklungspolitische Ziele nicht außer acht gelassen werden.
Das war vor eineinhalb Jahren.
Und was tun Sie jetzt? Ich will Ihnen sagen, was Sie jetzt tun:
Erstens. Sie fahren die Entwicklungshilfe insgesamt drastisch herunter.
Herr Schröder sprach von der besonderen Nähe, von neuer Qualität. Das ist alles richtig. Da stimmen wir Ihnen zu. Da muß einiges verbessert werden. Aber, wissen Sie, ohne Geld geht es auch nicht.
Zweitens. Sie kürzen am meisten bei den ärmsten Ländern.
Deren Anteil an den Mitteln für finanzielle Zusammenarbeit sinkt von 31,1 % im letzten Jahr auf, sage und schreibe, 18,5 % bei den Verpflichtungsermächtigungen.
Dafür steigt der Anteil der bessergestellten Entwicklungsländer: Ägypten, Indien, Indonesien, Israel. Dies schlägt jeder Menschlichkeit ins Gesicht.
Drittens. Sie scheren sich nicht mehr darum, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Oder wie können Sie es rechtfertigen, daß der Staat der Todesschwadronen, El Salvador, 1984 ganz neu in den Kreis der Empfängerländer aufgenommen wird, daß bei Diktatur- und Folterregimen wie den Philippinen und der Türkei nicht gekürzt wird? Wie erklären Sie sich das?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2989
Dr. Hauchler
Herr Bundesminister, Sie sagten kürzlich: „Wir werden Freunde wie Freunde behandeln." Sind Marcos und die türkischen Generäle Ihre Freunde?
Viertens. Sie vermindern den Anteil der multilateralen Hilfe der UNO und erhöhen den Anteil der bilateralen Hilfe. Geschieht das allein aus Effizienzgründen?
Steckt dahinter nicht eine ganz neue Innovation, Ihre Innovation, die Absicht nämlich, die Entwicklungsländer direkter zu politischem Wohlverhalten zu zwingen?
Fünftens. Sie kürzen dort, wo Entwicklungsländer einen eigenständigen wirtschaftlichen und sozialen Weg beschreiten. Bei Nicaragua sperren Sie die zugesagten 40 Millionen DM.
In Tansania betreiben Sie den ganz großen Kahlschlag; Sie streichen 70 % der bisherigen Zusagen.
Ist Ihnen eigentlich alles verdächtig, was nicht am Wesen der westlichen Kapitalkultur genesen will?
Hat das nicht mit Ideologie zu tun? Hat das nicht damit zu tun, daß Sie den gemeinsamen Weg verlassen und ideologischen Ballast aufbauen?
Und dafür gibt's reichlich dort, wo multinationale Konzerne ein geeignetes Feld für Profit und Rohstoffausbeutung finden, etwa in Zaire.
Sind Sie, Herr Kollege Warnke, bei Zaire so spendabel, weil Ihr bayerischer Sponsor den Herrn Mobutu so sehr sympathisch findet, den afrikanischen Staatspräsidenten, der die dicksten Schweizer Konten unterhält?
Sechstens. Sie haben entgegen Ihrer früheren Erklärung keine Hemmungen, sich in das Boot des Internationalen Währungsfonds zu setzen. Sie machen also die Politik mit, bei der sich eine von den internationalen Großbanken gesteuerte Behörde zur Supermacht der Dritten Welt aufwirft.
und ohne Rücksicht auf soziale Belange oder politische Destabilisierungen über Wohl und Wehe der
Entwicklungsländer entscheidet. Wenn Sie die bila-
terale deutsche Hilfe zuerst versteckt und dann kürzlich offen durch eine Weisung im Ministerium von der Gefügigkeit gegenüber dem IWF abhängig machen, geht dies nach dem Motto „Wer nicht pariert, den Bankerott riskiert."
Siebtens. Sie billigen, daß der IWF für das reichste Land Afrikas, die sogenannte Republik Südafrika binnen kurzer Zeit 3 Milliarden Kredit lokkermacht, während für Tansania eine halbe Milliarde nach vierjährigen Verhandlungen noch zu viel ist.
Steht das rassistische Südafrika der Bundesregierung so viel näher als Tansania,
das in ganz Afrika am meisten für die Gesundheit, Ernährung und Bildung der Masse seiner Bevölkerung getan hat?
Ist es denn wirklich wahr, was die „Wirtschaftswoche" schreibt, daß nämlich das Entwicklungsministerium „Straußens heimliches Außenministerium" ist? Wann, Herr Kollege Warnke, müssen Sie selbst auch offiziell räumen?
Achtens. Sie können nicht genug tun, um die aus Steuergeldern finanzierte staatliche Entwicklungshilfe zum Zugpferd für ausländische Privatinvestitionen zu machen und so den Akzent zu verlagern von langfristiger struktureller Wirtschaftsförderung in den Entwicklungsländern hin zu kurzfristigem Interesse der Kapitalländer an hohen Privatrenditen und schnellem Rücktransfer von Kapital. Warum ziehen Sie eigentlich nicht die Konsequenzen daraus, daß ein Entwicklungsweg, der einseitig auf das Spiel der Marktkräfte setzt, in vielen Ländern gescheitert ist: in Brasilien, in Mexiko, in Venezuela, in Argentinien, in Chile? Warum ziehen Sie die Konsequenzen nicht?
Schließlich: Sie binden die staatliche Entwicklungshilfe zunehmend daran, daß deutsche Unternehmen daran verdienen. Wenn wir als SPD auch grundsätzlich begrüßen, daß deutsche Firmen bei Lieferungen berücksichtigt werden — —
— Das begrüßen wir selbstverständlich. Das haben wir immer getan. Aber das darf nicht zur Folge haben, daß führende Konzerne sich den Markt der Entwicklungsländer aufteilen und dann hohe Renditen und Preise einstreichen. Das darf nicht dazu führen, daß wir Technologien exportieren, die in den Entwicklungsländern nicht gehandhabt werden
2990 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Dr. Hauchler
können und zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit führen?
Und wie stark wirkt seit der Regierungsübernahme der Rechtskoalition die deutsche Industrie eigentlich selbst ein auf die Auswahl der Entwicklungsprojekte? Wie stark ist dieser Einfluß?
Und wie souverän ist eigentlich Herr Minister Warnke in dieser Frage noch? Kollege Warnke, sind Sie noch unabhängiger Entwicklungsminister? Oder sind Sie in erster Linie Handlungsreisender im Auftrag der deutschen Industrie?
Ich will nicht verkennen, daß auch Mitglieder der Regierungskoalition nach wie vor an dem alten Konsens in der Entwicklungspolitik festhalten, daß auch viele von ihnen Bauchschmerzen haben, wenn sich das Entwicklungsministerium zur Außenhandelsstelle des Lambsdorff-Ministeriums mausert.
Ich will auch zugeben, daß manches, was die sozialliberale Koalition an Vernünftigem auf den Weg gebracht hat, weiterhin in Ihren Reden propagiert wird: Grundbedürfnis zuerst, Akzent auf ländliche Entwicklung, Förderung von regenerierbaren Energiequellen usw. Aber die Fakten, die von der neuen Regierung gesetzt werden, beweisen leider, daß alle diese Gesichtspunkte von zwei neuen beherrschenden Akzenten überlagert werden.
Erstens, die Entwicklungspolitik wird in den Händen der neuen Regierung zum Instrument einer neuen Handels- und Investitionsoffensive der westlichen Industriestaaten. Entwicklungshilfe wird zum Transport-, Lock- und Drohmittel für „Freiheit und Ordnung", wie Sie sie, aber nicht wir meinen. Da gibt es wenig Rücksicht auf einen eigenständigen Weg afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer Staaten, keine Beachtung kultureller Identitäten.
Glauben Sie ja nicht, daß sich die SPD hier zu Ihrem Komplizen macht.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, wer souveränen Staaten seine ordnungspolitischen Vorstellungen aufdrängen und sie über Hilfe von sich abhängig machen will: handelt der nicht nach wie vor kolonialistisch?
Wollen Sie wirklich, daß am Ende die ganze Welt unseren Tanz ums goldene Kalb mittanzt?
Sagen Sie also nicht Freiheit, wenn Sie Profitchancen meinen. Sagen Sie nicht Dialog, wenn erpreßt
wird. Und sprechen Sie nicht von Hilfe, wenn Abhängigkeit erreicht werden soll.
Sie treiben sonst Schindluder mit der Wahrheit.
Zweitens: Die Entwicklungshilfe wird in den Händen der neuen Regierung doch tatsächlich, Frau Seiler-Albring, auch zum Instrument veränderter und verschärfter Ost-West-Beziehungen und -Konfrontation. Der Nord-Süd-Dialog verdampft hier in antikommunistischer Besessenheit.
Was jüngst der Rüstungsfrage offenbar geworden ist, gilt nun auch in der Entwicklungspolitik: Vasallentreue zur westlichen Supermacht bestimmt das Handeln und nicht die selbstbewußte Nutzung eigener internationaler Spielräume.
Wie nahe diese Vermutung liegt, beweist die Tatsache, daß die neue Bundesregierung auch in der Entwicklungspolitik Schritt für Schritt den Direktiven der Reagan-Administration folgt, die die Menschenrechtspolitik Carters verächtlich durch eine Politik der Stärke in ihren Vor- und Hinterhöfen ersetzt, die ihre Militärhilfe zu Lasten echter Entwicklungshilfe erhöht und die unverfroren den Ost-West-Konflikt globalisiert.
Warum spricht der Bundeskanzler nicht endlich ein klärendes Wort, daß die Reise der deutschen Entwicklungshilfe nicht in diese Richtung geht?
Die Probleme der Entwicklungsländer, Herr Hüsch, sind zu bedeutsam, als daß sie dem geopolitischen Strategen aus München als Spielwiese überlassen werden dürften,
jenem Geostrategen, der sich selbst ernannt hat und der Pinochet — passen Sie gut auf —, Marcos, Botha und Mobuto seine engen Freunde nennt.