Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brück, wenn Sie den vorgelegten Haushalt zur Grundlage Ihrer Ausführungen machen, haben Sie nun wirklich, wie ich meine, keinen Anlaß zu ideologischem Schattenboxen. Ich bin sicher, Herr Brück, daß Sie das im Grunde auch so sehen, daß nämlich die von allen Fraktionen dieses Hauses formulierten Grundsätze zur Entwicklungspolitik vom 5. März 1982, die Sie j a auch angesprochen haben, noch immer Gültigkeit haben. Die Probleme, die im Rahmen des Einzelplans 23 zur Lösung anstehen, bedürfen, so meine ich, ohnehin intensiver gemeinsamer Anstrengungen.
Ähnlich wie Frau Gottwald möchte ich gerne einige grundsätzliche Ausführungen zur Entwicklungspolitik machen. Daß ich zu anderen Schlüssen kommen werde, wird Sie nicht überraschen. Frau Gottwald, daß Sie der Bundesregierung gern etwas ans Bein geben möchten, kann ich aus Ihrer Situation noch verstehen; aber das Wort vom „Kriegstreiber Israel" ist meines Erachtens ungezügelte Polemik.
Die wirtschaftliche Situation der Länder der Dritten Welt hat sich im vergangenen Jahr drastisch verschlechtert. Hohe Zinsen am Kapitalmarkt, der weiter steigende Dollarkurs, rückläufige Nachfrage nach ihren Produkten haben die Überschuldung der Länder der Dritten Welt in bedrückende Höhen getrieben. Der Umfang der mittel- und langfristigen Auslandsverbindlichkeit dieser Länder aus öffentlichen und privaten Quellen erreichte 1982 mehr als 600 Milliarden US-Dollar. Dieses ist mehr als besorgniserregend, da immer neue Schulden zum Begleichen der alten aufgenommen werden müssen, da immer mehr Zinsen fällig werden, bevor die eingeleiteten strukturellen Anpassungsmaßnahmen die Chance hätten, sich positiv auszuwirken.
Ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt auch heute noch in absoluter Armut und Not. Diese Zahl wird eher zunehmen, als daß man in absehbarer Zeit nachhaltige Verbesserungen erwarten könnte.
Der Entwicklungshilfeetat steigt auch 1984 wieder überproportional, und zwar auf 6,4 Milliarden DM. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen heute vor der Notwendigkeit, uns Rechenschaft darüber abzulegen, ob — und falls nicht, aus welchen Gründen — unsere Entwicklungspolitik ihr Ziel, die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in der Dritten Welt zu verbessern, erreicht hat oder überhaupt erreichen kann.
Lange Zeit hatte es zumindest in den westlichen Industrieländern als selbstverständlich gegolten, daß die Entwicklung der Länder der Dritten Welt durch die Herausbildung wirtschaftlicher und politischer Strukturen forciert werden könnte, die denen in den westlichen Industrieländern ähneln. Inzwischen stellen diese Länder zunehmend die Frage, ob wir Industrieländer tatsächlich ein erstrebenswertes Vorbild darstellen.
Die Entwicklungsländer bemühen sich immer stärker, Wege und Ziele ihres Entwicklungsprozesses
besser in Einklang mit den gewachsenen heimi-
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Frau Seiler-Albring
schen sozialen und kulturellen Traditionen zu bringen.
Es ist eine Ernüchterung im Hinblick auf die Zeiträume eingetreten, in denen Unterentwicklung überwunden werden kann.
Halten wir fest: In den klassischen Industrieländern vollzog sich der Prozeß der Industrialisierung über mehrere Generationen. In der entwicklungspolitischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte trifft man aber oft auf die Vorstellung, die Entwicklungsländer könnten vergleichbare Entwicklungserfolge, diese großen Sprünge, binnen einer oder zwei Generationen erzielen. Von einigen wenigen Entwicklungsländern abgesehen — auch hier muß man Fragezeichen setzen —, haben sich diese Erwartungen als gefährliche Illusion erwiesen. Dabei konnten die Entwicklungsländer seit 1950 bemerkenswerte Wachstumserfolge verzeichnen. Das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer war stärker als das der klassischen Industrieländer. Das Ausmaß der erzielten Fortschritte ist um so bemerkenswerter, als in den meisten Entwicklungsländern wichtige Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung, Ausbau der Infrastruktur, Ausbildung der Bevölkerung, die in den klassischen Industrieländern vor dieser Zeit geschaffen worden waren, nicht gegeben waren.
Trotz unbestreitbarer Erfolge haben sich die entwicklungspolitischen Probleme weltweit verschärft. Folgende Gesichtspunkte sind festzuhalten:
Entwicklungsländer haben um so geringere Fortschritte erzielen können, je ärmer sie waren. Die in traditioneller Manier auf die Finanzierung von Investitionsprojekten zielende Entwicklungshilfe wird natürlich von den Ländern leichter umgesetzt, die bereits über eine gute Wirtschafts- und Verwaltungsinfrastruktur verfügen und in denen eigene Konzepte die örtliche Entwicklung begünstigen. Gerade aber die Länder, die ihre Entwicklung sehr rasch haben vorantreiben können, überfordern durch die damit verbundenen tiefgreifenden Umwälzungen zunehmend die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Anpassungsfähigkeit und -bereit-schaft weiter Teile ihrer Bevölkerung.
Ein besonders gravierendes Problem bildet in diesem Zusammenhang das anhaltend rasche Wachstum der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt: Die Lebenserwartung ist dort seit Jahrzehnten stark gestiegen, die Geburtenraten beginnen sich dieser Entwicklung erst allmählich anzupassen.
Wenn man also davon ausgeht, daß Unterentwicklung durch eine Mehrzahl von Faktoren verursacht ist, müssen die komplexen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen, technologischen, sozialen, kulturellen, politischen und ökologischen Faktoren ermittelt werden und in die Konzeption unserer entwicklungspolitischen Zielvorstellungen Eingang finden.
Die Einführung z. B. neuer Technologien nützt nichts, wenn nicht auch institutionelle Reformen wie etwa eine Agrarreform durchgeführt werden. Wir müssen die Grundidee der Entwicklungshilfe, der Hilfe zur Selbsthilfe, neu überdenken.
Es mehren sich Anzeichen, daß die Gewöhnung an Entwicklungshilfe in manchen Empfängerländern auf längere Sicht gegenläufig wirken kann. Die Aktivität der einheimischen Bevölkerung ist auf Grund der umfangreichen Hilfsleistung in extremen Fällen rückläufig. Hier ist es wie auch sonst bei Subventionen: Wer auf Dauer alimentiert wird, gerät in die Versuchung, von eigenen notwendigen Anstrengungen abzulassen.
Lassen Sie mich abschließend einige Kriterien nennen, an denen sich die Entwicklungspolitik der Zukunft nach Meinung meiner Fraktion ausrichten muß. Dabei werden Sie feststellen, meine Damen und Herren, daß wir uns hier durchaus in der Kontinuität unserer Politik bewegen.
Wir lehnen weiterhin jeglichen Versuch ab, den West-Ost-Konflikt in die Nord-Süd-Politik hineinzutragen.
Die Einteilung in sogenannte gute und schlechte Entwicklungsländer ist untauglich. Die Mittelvergabe darf nicht zur Prämie für politisches Wohlverhalten degenerieren.
— Aber Herr Bindig, lassen Sie sich doch überraschen!
Die Mittelvergabe hat sich vielmehr primär an der Befriedigung von Grundbedürfnissen der Menschen in der betreffenden Region auszurichten. Nichts, meine Damen und Herren, darf uns daran hindern, auf Menschenrechtsverletzungen empfindlich zu reagieren.
Regelverletzungen einer Regierung dürfen aber nicht zu einer zusätzlichen Bestrafung der betroffenen Länder und Völker werden, indem man einem solchen Land und seiner Bevölkerung selbst eine grundbedürfnisorientierte Entwicklungshilfe verweigern würde.
Entwicklungshilfe und Außenpolitik dürfen nicht gegenläufig sein, sondern sollen sich in enger Abstimmung zwischen den Koalitionspartnern sinnvoll und kooperativ ergänzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang dem Minister ausdrücklich dafür danken, daß er hier heute mit seiner Zusage für
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Frau Seiler-Albring
Nicaragua ein Zeichen in diesem Sinne gesetzt hat.
Unsere Politik, meine Damen und Herren, muß die Selbständigkeit der Staaten der Dritten Welt fördern, die Blockfreiheit in diesen Ländern stärken. Weder sollten wir die Systeme der politischen Unterdrückung, gleich, welcher Provenienz — das bitte ich einmal eindeutig zu beachten —, stabilisieren noch versuchen, unser an westlichen Normen orientiertes Wertesystem anderen Ländern auf alle Fälle und um jeden Preis aufzupfropfen.
Auch in Zeiten angespannter Haushaltslage ist es im Interesse unserer Glaubwürdigkeit im NordSüd-Dialog unsere Pflicht, unsere entwicklungspolitischen Leistungen einzuhalten und den Rahmen nach Möglichkeit auszuweiten, wobei bei der Planung des Mitteleinsatzes verstärkt die jeweiligen sozialen, kulturellen und geographischen Bedingungen und Gegebenheiten der jeweiligen Entwicklungsländer stärker zu berücksichtigen sind.
Im Zielkonflikt, Frau Gottwald, zwischen dem Verzicht auf Lieferbindungen einerseits, für die es ja gute Gründe gibt — die langfristigen Interessen auch der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten, die Absage an protektionistische Tendenzen —, und dem Kriterium Beschäftigungswirksamkeit angesichts der hohen Arbeitslosigkeit bei uns zu Lande andererseits — was auch unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz unserer Entwicklungshilfepolitik in der Bevölkerung von Wichtigkeit ist — sollte man versuchen, einen Mittelweg zu beschreiten, der bei der Entscheidung über ein Projekt die Priorität des entwicklungspolitischen Nutzens für das Empfängerland betont, und erst dann eine Auswahl der Projekte mit Beschäftigungswirksamkeit auch für die Bundesrepublik treffen.
Dies dürfte angesichts des 1982 erreichten deutschen Auftragsanteils an entwicklungspolitischen Maßnahmen von 82 % im Grundsatz auch kein Problem sein.
Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik soll nach unserem Selbstverständnis die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Länder der Dritten Welt verbessern und das Nord-Süd-Gefälle mildern. Entwicklungspolitik ist aber nicht zuletzt auch Politik zur Stabilisierung und Sicherung des Friedens.
Deshalb muß es uns sehr nachdenklich stimmen, wenn wir hören, daß die Aufwendungen der Staaten der Dritten Welt für ihre militärischen Zwecke — oft zu Lasten ihrer Entwicklungsaufgaben — ständig ansteigen und daß der Anteil der Entwicklungsländer an den weltweiten Rüstungsausgaben, der 1965 noch bei 6 % lag, heute mehr als 15% beträgt.
— Frau Gottwald, wir haben Ihnen auch zugehört. Seien Sie doch so nett, auch zuzuhören; ich bin gleich fertig.
Meine Damen und Herren, wenn wir im Grundsatz übereinstimmen, daß Entwicklungspolitik der Sicherung des Friedens dient, muß es uns bedenklich stimmen, daß die Länder des Ostblocks Entwicklungspolitik offensichtlich nur im Zusammenhang mit Militärhilfe sehen.
Das steht im krassen Widerspruch zu den sonst bei jeder Gelegenheit auftauchenden Beteuerungen, daß die Staaten des Warschauer Paktes besonders friedensliebend seien.
Auch die Argumentation, die Staatshandelsländer seien für die Misere in den Entwicklungsländern nicht verantwortlich, überzeugt nicht. Es geht doch nicht um die Haftbarmachung von etwaigen Schuldigen, sondern um unmittelbare humanitäre und dann erst wirtschaftliche oder technologische Hilfe. Leider müssen wir feststellen, meine Damen und Herren, daß in manchen Regionen der Dritten Welt, in denen sich die Sowjetunion einmal besonders stark engagiert, Kalaschnikows in weit höherem Maße vorhanden sind als Schraubenschlüssel.
Nein, meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik, wie wir sie sehen, wie wir sie definieren, dient dem Ziel, das Verständnis für die Probleme der Dritten Welt bei uns zu fördern, die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Entwicklungsländern zu verbessern, Konflikte abzubauen und den Frieden in dieser Region sichern zu helfen.
Wir Freien Demokraten werden dem Einzelplan 23 unsere Zustimmung geben.
Ich danke Ihnen.