Herr Kollege Kuhlwein, wir wissen alle — Sie sind genauso Fachmann wie ich —, daß es früher üblich war, wenn ein junger Mensch mit mittlerer Reife, der dann eine berufliche Fachschule mit Vollausbildung besucht hat, sofort in den Beruf ging und nicht etwa noch um eine betriebliche Lehre nachfragte. Dies geschieht heute aber aus Sorge, arbeitslos zu werden, und dies ist ein Weg, der zumindest nicht ganz normal ist.
Meine Damen und Herren, für 1984 sind nun allerdings jetzt — lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen — wieder die Pessimisten am Werk. Schon jetzt wird jungen Menschen Angst gemacht, wird ihnen ein Stück Hoffnung genommen, weil man jetzt schon wieder sagt: Es werden unlösbare Probleme vor uns stehen, die Wirtschaft wird überhaupt nicht in der Lage sein, mit den Problemen fertig zu werden.
Ich sage hier, daß die Wirtschaft gerade angesichts
der vorauszusehenden konjunkturellen Erholung,
die uns jetzt von allen Seiten prognostiziert wird, in
die Lage versetzt sein wird, ihre Ausbildungsanstrengungen von diesem Jahr zumindest zu wiederholen, wenn nicht sogar noch zu verstärken.
Ich erwarte auch von der Wirtschaft, daß sie angesichts der wirtschaftlichen Verbesserung insgesamt jetzt auch ihre Anstrengungen im nächsten Jahr bei der Ausbildung verstärkt.
Nach heutigen vorsichtigen Einschätzungen wird sich die Nachfrage etwa zwischen 720 000 und 730 000 Ausbildungsplätzen einpendeln. Die Zahl von 740 000, die jetzt auch von Journalisten kolportiert wird, ist nach allen Berechnungen der Fachleute wohl zu hoch.
— Sie wissen selbst, dies ist sehr, sehr hoch gegriffen. Sie haben die Aussagen in der Anhörung selbst gehört.
Es ist unbestritten, daß 1984 ein schweres Jahr wird. Aber — meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch schon hier für die Bundesregierung sagen — es geht überhaupt kein Weg daran vorbei: Auch die Ausbildungsprobleme des nächsten Jahres können nur von der Wirtschaft gelöst werden. Die Bundesregierung und die staatlichen Institutionen müssen alles tun, um die Ausbildungskraft der Wirtschaft zu stärken. Das Bundeskabinett wird sich noch vor Weihnachten mit dieser Frage befassen.
Lassen Sie mich hier deutlich darauf hinweisen, daß eine in der letzten Zeit mehrfach behauptete rechtliche Verpflichtung der Betriebe zur Ausbildung, insbesondere zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, nach Verfassung und Gesetz nicht besteht. Das in diesem Zusammenhang gern zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 1980 läßt sich zu dieser Problematik überhaupt nicht aus. Dieses Urteil beschreibt lediglich die historische Entwicklung des dualen Systems, und zwar im Zusammenhang mit der für die Entscheidung erheblichen Abgrenzung der Steuern von den Sonderausgaben.
Es besteht also weiterhin die politische Aufgabe, das freie Engagement der Wirtschaft zu ermutigen. Der Staat kann diese Ausbildungsleistung, die notwendig ist, so überhaupt nicht erbringen. Wer diese Position als Rückzug des Bundes aus der bildungspolitischen Verantwortung mißversteht, verkennt die Problemlage.
Ich finde, man macht es sich gelegentlich überhaupt zu einfach, vom angeblichen Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik zu reden. Ich denke, man will nicht sehen, daß diese Bundesregierung bewußt andere bildungspolitische Akzente setzt als frühere Bundesregierungen. Mit der Anmaßung bildungspolitischer Aktivitäten und Kompetenzen allein beim Bund sind auch die bildungspolitischen Probleme von heute und von morgen nicht zu lösen. Das gilt für die Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation ebenso wie für die Lösung der Hochschul-
2976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Bundesminister Frau Dr. Wilms
probleme oder auch der Begabtenförderung. Alle diese Aufgaben lassen sich nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik lösen.
Ich wiederhole, was ich schon früher immer gesagt habe: Die Bundesregierung vertritt einen kooperativen Föderalismus, in dem eine verfassungsgemäße und zielgerechte Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern angestrebt wird. Diesem Ziel dient auch die neue Organisationsform der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung.
Die Bundesregierung begrüßt, daß die BundLänder-Kommission wieder eine Plattform bietet, auf der bildungspolitische Fragen zwischen Bund und Ländern politisch gleichberechtigt erörtert und wichtige Entscheidungen auf politischer Ebene handlungsorientiert vorbereitet werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern an einigen wenigen Beispielen verdeutlichen.
Herr Kollege Vogelsang, Sie haben auf die 600 Millionen DM verwiesen, die in diesem Haushalt nicht mehr stehen, weil das Schüler-BAföG herausgenommen worden ist, schon durch Beschlüsse des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß im Bereich der Ausbildungsförderung für Schüler die generelle Schülerförderung zu den Aufgaben der Bundesländer gehört, da die Schülerförderung nur in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Schulsituation geregelt werden kann. Aufgabe des Bundes ist es hingegen, durch entsprechenden Umbau des Familienlastenausgleichs in den Familien die finanziellen Voraussetzungen für eine Förderung der Kinder zu legen und gezielte Sonderförderungen für Schüler einzurichten. Auf diesem Wege werden wir fortschreiten.
Die Förderung der Studenten dagegen ist Bundesangelegenheit. Durch die Umstellung des Studenten-BAföG auf leistungsorientierte Darlehensförderung wurden hier von der Bundesregierung neue Akzente gesetzt. Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu dem Prinzip, daß Leistung und Studienerfolg als wichtige Kriterien für eine Darlehenserlaß zu gelten haben.
Der Einführung der Leistungskomponente in das Förderungsrecht kommt eine Signalwirkung für den gesamten Hochschulbereich zu.
Ob die jetzt angestrebte Lösung instrumentell diesem Ziel gerecht wird, werden wir nach einer Erprobungsphase zu überprüfen haben.
Meine Damen und Herren, ich darf hier auch darauf hinweisen — es wurde davon gesprochen —, daß der Bund seiner Verpflichtung bei der Hochschulbauförderung erst jetzt wieder nachkommt, und zwar durch den Ansatz von 1 200 Millionen DM, während sich die frühere Bundesregierung aus genau dieser Bundesverpflichtung zurückgezogen hatte.
Damit sind neue Chancen für junge Menschen geschaffen worden.
Die Bundesregierung strebt auch eine Vielfalt in der Förderung begabter und tüchtiger junger Menschen an. So hat die Bundesregierung die Mittel für die Begabtenförderungswerke aufgestockt und bemüht sich darum, stärker als in der Vergangenheit Leistungswettbewerbe und die Begabtenförderungswerke zu unterstützen.
Aber die Begabtenförderung ist nicht auf intellektuelle Begabung beschränkt. Vielmehr wird die Bundesregierung die Förderung praktischer Begabungen entsprechend vorantreiben.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß wir auch die Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte, Auslandsstudien und Auslandsaustauschprogramme verstärken werden.
Mitverantwortung hat der Bund auch für die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher; dazu bekenne ich mich voll und ganz. Hier hat die Bundesregierung die Mittel für das Benachteiligtenprogramm auf 144 Millionen DM aufgestockt.
In der mittelfristigen Finanzplanung der alten Bundesregierung waren dafür nur 80 Millionen DM vorgesehen.
Der heute vorgelegte Antrag der SPD-Fraktion, meine Damen und Herren, erscheint mir vor diesem Hintergrund allerdings als wenig seriös.
Er ist ja, wie Sie genau wissen, auch nicht finanzierbar.
Meine Damen und Herren, der Bund setzt auch in der Modell- und Forschungspolitik neue Akzente. Einen Rückzug des Bundes gibt es allerdings in einem anderen Bereich, nämlich bei den Modellversuchen für den Schulbereich. Hier hat der Bund wenig zu suchen. Wir werden die Mittel vielmehr auf zukunftsorientierte Fragestellungen im Kompetenzbereich des Bundes konzentrieren. Ich nenne etwa: neue Technologien in der beruflichen Bildung, Medienpädagogik, Weiterbildung, Mädchenausbildung oder neue Berufe für Abiturienten.
Meine Damen und Herren, eine andere ganz wichtige Aufgabe des Bundes ist — mittelfristig gesehen — die Mitgestaltung der Struktur der beruflichen Bildung und der Hochschullandschaft. Hier
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hat der Bund eine sehr originäre Aufgabe, für die er auch heute bereits gefordert ist.
Sie wissen, daß ich für die Hochschulen in den letzten Wochen einen entsprechenden Rahmen abgesteckt habe.