Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Das Tor zur Zukunft steht weit offen", sagte einmal ein berühmter Bundeskanzler in seiner berühmten Regierungserklärung. Das Ministerium für Forschung und Technologie dagegen, eigentlich mit zuständig für die Gestaltung unserer Zukunft, krebst an der Kellertür herum und versucht uns mit diesem Haushalt Dinosaurier als Zukunftsprogramm zu verkaufen, wie es übrigens auch die letzte Regierung gemacht hat.
— „Blöde Sprüche", das ist das, was Ihnen dazu einfällt.
Ich will nichts zur direkten und indirekten Förderung sagen. Bevor wir uns über das Wie unterhalten, sollten wir vielleicht über die Inhalte der Forschungspolitik reden.
Nach wie vor ist über ein Viertel der in diesem Haushalt insgesamt veranschlagten 7 Milliarden DM für die Atomenergie vorgesehen; in diesem Haushalt sollen es auch wieder über 2 Milliarden DM werden. Hauptbrocken — das ist nach den Vorstellungen des Ministeriums der Clou der Geschichte — sind der Hochtemperaturreaktor und der Schnelle Brüter als Motoren für die weitere Energiegewinnung. Jedem ist klar, daß diese beiden Reaktortypen angesichts der bestehenden Überkapazitäten für die Sicherung der Energieversorgung überflüssig sind. Sie sind nur noch gefährliche, teure Sackgassentechnologien.
Sie wissen genau, daß unser heutiger Energieverbrauch bei weitem nicht die Prognosen, die damals zu diesen Reaktortypen führten, erreicht hat; denn wir liegen heute wieder bei dem Verbrauch von 1975.
— Ich glaube auch nicht, daß der Energieverbrauch mit dem Wirtschaftswachstum — wenn es je eintreten sollte — steigen würde.
Die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors wird inzwischen weltweit kaum noch weiterverfolgt. Von den sechs Energieunternehmen, die ursprünglich beteiligt waren, sind inzwischen drei wieder ausgesteigen. Der Hochtemperaturreaktor weist spezifische Sicherheitsprobleme auf, z. B. durch die starke Werkstoffbelastung. Die sogenannte Entsorgung erfordert noch eine eigene, überhaupt nicht vorhandene Technologie. Daneben ist auch noch nicht klar, ob für die Prozeßwärme, die dieser Reaktortyp liefert, überhaupt ein Bedarf besteht. Trotzdem werden in dem Haushalt 260 Millionen DM dafür veranschlagt.
— Für diesen Reaktortyp.
Beim Schnellen Brüter werden die Probleme der Atomenergie noch auf die Spitze getrieben. Unfallauswirkungen, die beim Schnellen Brüter möglich sind, stellen das, was von den bisherigen Reaktortypen bekannt ist, noch weit in den Schatten. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß solche Unfälle passieren, ist völlig ungeklärt. In ökonomischer Hinsicht ist der Schnelle Brüter auch nicht mehr attraktiv. Die entsprechenden Unternehmen mußten von unserem Minister fast zur finanziellen Beteiligung geprügelt werden.
Aber aus militärischer Sicht ist der Brüter der ideale Zweitreaktor, da während der Stromerzeugung im Brutmantel erstklassiges waffenfähiges Plutonium produziert wird.
Weiterhin weist die Entsorgung des Brüters zusätzlich zu allgemein ungelösten Entsorgungsproblemen spezielle Risiken und technische Schwierigkeiten auf. Es entstehen Schwierigkeiten beim Hantieren mit den Brennelementen bei der Wiederaufarbeitung. Die radioaktiven Abfälle weisen gegenüber denen des Leichtwasserreaktors eine höhere Langzeitgefährlichkeit auf. Bisher wurden in der Bundesrepublik 6 Milliarden DM in dieses Projekt gesteckt. Das Ergebnis ist an Hand der formulierten Ziele jämmerlich. Abgesehen von einer kleinen Versuchsanlage steht nur die halbfertige und technisch bereits veraltete Ruine in Kalkar. Hier muß endgültig ein Schlußstrich gezogen werden. In dieses nutzlose, gefährliche Faß ohne Boden dürfen nicht noch weitere 400 Millionen DM, wie geplant, hineingeworfen werden.
Von allen vorgebrachten Gründen für den Schnellen Brüter bleibt für mich nur einer real: die Produktion von Plutonium. Ich möchte den Verteidigungsminister bitten, die Bundesregierung zu veranlassen, dieses Projekt nicht in den Forschungshaushalt einzustellen. Dieses Projekt gehört vielmehr, wenn überhaupt, in den Verteidigungshaushalt.
— Da werden wir ihn auch noch ablehnen.
Schließlich können wir auch die sogenannte Entsorgung, wie sie heute betrieben wird, nicht akzeptieren. Hinter den entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten steht überhaupt nicht die Sorge um eine sichere Behandlung und Lagerung des vorhandenen Atommüllmaterials, sondern es wird versucht, beim Bau von Wiederaufarbeitungsanlagen und riesigen Endlagern ein Vielfaches der bisher anfallenden Kapazitätsvorstellungen zugrunde zu legen, um so die Weichen für ein zukünftiges Atomprogramm zu stellen. Und dabei wird der Öffentlichkeit noch vorgegaukelt, diese Probleme seien gelöst, und Entsorgung stelle kein Hindernis mehr für den Ausbau dar.
2962 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Frau Dr. Bard
Der erste und wichtigste Schritt der Entsorgung muß die endgültige Stillegung der Atomkraftwerke sein.
Dann würden auch wir bereit sein, Forschungsvorhaben zur möglichst sicheren Behandlung und Lagerung bereits bestehenden Atommülls mitzutragen, auch wenn wir für das bisherige Desaster keine Verantwortung haben.
— Wir haben genügend Vorstellungen, wie wir Arbeitslose unterbringen könnten — und das mit lange nicht so kapitalintensiven Investitionen wie die Atomkraftwerke.
Auf eines möchte ich noch hinweisen, damit niemand von der Regierungskoalition auf den Gedanken kommt, mit durch Entscheidungen der alten Regierung hervorgerufenen Sachzwängen zu argumentieren. Der Minister Riesenhuber plant inzwischen einen neuen Riesenschritt in dieselbe Sackgasse. Anvisiert wird die Spallationsneutronenquelle in Jülich. Kosten: über 1 Milliarde DM. Die Spallationsneutronenquelle ist keinesfalls harmlose Grundlagenforschung. Das geht aus einer neueren Veröffentlichung von Professor Harms aus Kanada und Professor Heidler aus Graz hervor. Das können Sie nachlesen. Die beweisen genau das Gegenteil. Es geht um einen integrierten Baustein in dem Kernenergie-Brennstoff-Kreislauf. Die Spallationsneutronenquelle ist als Teilprojekt in der Plutoniumwirtschaft anzusehen. Leider ist die Atomenergie nicht der einzige Bereich, in dem riesige Summen für sinnlose, schädliche Projekte ausgegeben werden sollen. Ich kann jetzt nicht weiter darauf eingehen. Es gibt da noch einiges mehr.
Ich möchte nur noch eines erwähnen, was ich wichtig finde, nachdem Herr Stavenhagen offensichtlich Biotechnologie und Gentechnologie nicht auseinanderhalten kann. Es gibt zwar in diesem Haushalt nur einen auf den ersten Blick harmlos aussehenden Betrag von etwa 33 Millionen DM für die Gentechnologie, aber weil diese Technologie billig ist, bedeutet das einen massiven Schub in diese Richtung. Wir halten diese Technologie für mindestens ebenso gefährlich wie die Atomenergie. Sie ist technisch nicht beherrschbar, politisch nicht kontrollierbar. Sie hat gefährliche Konsequenzen, und es gibt ethische Bedenken. Das sollten Sie eigentlich wissen, falls Sie noch einige Christen in Ihren Reihen oder sonstwo treffen. Das harte Eingreifen in Erbsubstanzen bei Mensch, Tier und Pflanze stellt eine solche Möglichkeit dar, daß man politisch darüber diskutieren muß, daß die ethischen Bedenken auf den Tisch kommen müssen. Wir sind der Meinung, daß das nicht erlaubt gehört. Wir sind der Meinung, daß hier zumindest nicht klammheimlich durch wissenschaftliche Entwicklungen Fakten geschaffen werden dürfen, der Art, daß die Betroffenen nachher keine Chancen mehr haben, das zu verhindern.
Der vorliegende Haushalt ist in doppelter Weise schädlich: Er finanziert gefährliche Technologien, und er verhindert — und jetzt komme ich zu den Arbeitsplätzen — die Technologien, die fortschrittlich und zukunftweisend sind. Davon gibt es eine ganze Reihe. Wir haben eine Menge Vorschläge gemacht.
Wir werden dem Änderungsantrag der SPD unter der Maßgabe zustimmen, daß jede Technologie auf sozialökologische Vertretbarkeit hin entwickelt bzw. untersucht wird.
Wenn unter diesen Gesichtspunkten auch mit dem Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens verfahren wird, was bisher oft nicht der Fall gewesen ist, würden auch wir diesem Antrag zustimmen können. Wir stellen uns vor, daß mit den Ansätzen, die da sind, weiter gearbeitet wird. Allerdings können alternative Techniken — und das ist das Problem bei GROWIAN — nicht einfach von den bisherigen Großforschungseinrichtungen übernommen werden. Geschieht das, kommt eben so etwas Sinnloses wie GROWIAN heraus.
Es gibt aber genügend Ansätze, die zeigen, daß so etwas durchaus möglich ist. Wir wünschen uns eine Förderung in dieser Richtung.
Das, was hier vorliegt, ist ein Katastrophenweg, den wir nicht mitgehen können. Sie werden das auch nur gegen unsere Stimme verabschieden können.