Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß mich schon wundern, Herr Stavenhagen, wie ruhig
Sie geworden sind. Dabei frage ich mich, ob das daran liegt, daß Sie jetzt ein paar Jahre älter sind als zu dem Zeitpunkt, als wir uns das letzte Mal hier ein bißchen unterhalten haben, oder ob das daran liegt, daß Sie jetzt die Regierung stellen. Es scheint doch wohl an letzterem zu liegen. Denn das letzte Mal waren Sie noch in der Opposition, und da war alles schlecht. Jetzt sind Sie in der Regierung, und da scheint alles gut zu sein, so daß Sie sich deswegen nicht mehr zu erregen brauchen.
Aber ich will nun versuchen, Ihnen das eine oder andere zu erklären, was Sie in einer gewißen Betriebsblindheit vielleicht nicht sehen und was vielleicht doch nicht so gut ist.
Ein Punkt, den ich nun direkt ansprechen möchte, ist wohl auch ein ideologischer Punkt, den Sie wohl auch in Ihren Parteiprogrammen haben, nämlich die Frage der direkten und indirekten Förderung von Forschung. Sie haben in Ihren Reden die direkte Forschungsförderung überall als etwas Negatives dargestellt, und die indirekte Forschungsförderung soll wohl der Stein des Weisen sein.
— Ja, richtig. Aber Sie betonen — Sie haben die Mittel ja auch entsprechend umgeschichtet —, daß die indirekte Förderung wohl der bessere Part sei.
Ich will Ihnen einmal kurz und klar vor Augen führen, weshalb wir die indirekte Forschungsförderung nicht gut finden, für die Sie die Mittel um 45 % auf insgesamt 1,7 Milliarden DM gesteigert haben. Wir finden sie deshalb nicht gut, weil wir glauben, daß kleine und mittlere Unternehmen, also wenn Sie so wollen, kapitalschwache Unternehmen, bei diesen indirekten Förderungsmöglichkeiten und -maßnahmen zu kurz kommen. Wir glauben, daß die Großindustrie hier mehr profitiert als die kleinere Industrie.
— Dazu kann ich Ihnen gleich etwas sagen. — Wir befürchten, daß wir erhebliche Mitnahmeeffekte erleben werden. Wenn Sie einmal ordentlich nachgeguckt hätten, dann hätten Sie festgestellt, daß es dazu schon seit Jahren, seit Mitte der 70er Jahre, Gutachten gibt,
die klar zu dem Ergebnis gekommen sind, daß Mitnahmeeffekte bei der indirekten Forschungsförderung in hohem Maße vorhanden sind. Ich glaube also, hier machen Sie ein Programm — wie vieles von dem, was Sie tun — zur Förderung des Großka-
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pitals und der Großindustrie in der Bundesrepublik Deutschland
und zu Lasten der kleinen Leute in diesem Staat wie auch der mittleren und kleinen Unternehmen.
— Herr Bugl, Sie sind ja in der Großindustrie beschäftigt, aber ich glaube nicht, daß das aus Ihrer Feder stammt. Ich traue das Ihnen, Ihnen persönlich, nicht zu.
Nun zum nächsten Punkt, zur direkten Förderung, die Sie mies machen: Einer, der da federführend tätig ist, ist ja wohl der Bundeskanzler. Herr Bundeskanzler Kohl hat sich dieser Tage der direkten Forschungsförderung intensiv bedient. Er konnte mit Spacelab ja nur telefonieren — auch Minister Riesenhuber —, weil Sozialdemokraten diese Projekte rechtzeitig mit direkter Forschungsförderung auf den Weg gebracht haben.
Minister Riesenhuber versteht es nun, die Popularität dieser Sache für sich in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für den Bundeskanzler. Es war übrigens sehr wenig, was er gesagt hat: Wie geht's Ihnen und Ihrer Familie? Mehr ist dabei inhaltlich nicht herausgekommen; dieses Gespräch hätte man ja auch ein bißchen mit Inhalt füllen können. Aber die Popularität nutzt man halt, um auf der anderen Seite die direkte Forschungsförderung mies zu machen. Ich hätte an des Bundeskanzlers und des Ministers Stelle gleichzeitig mal gesagt — ich meine, das gehört da nicht hin, ich gebe das zu, aber dann an anderer Stelle —, daß die direkte Forschungsförderung ihm in der jüngsten Zeit doch sehr viel Popularität gebracht hat. Das gleiche gilt für die Inbetriebnahme des Hochtemperaturreaktors, wo es sich der Minister natürlich nicht nehmen läßt, auf den Knopf zu drücken, oder beim Growian, wo er auch die Inbetriebnahme vornimmt — alles öffentlichkeitswirksam!
— Die GRÜNEN wollen ja den Wind gern nutzen. Sie machen j a hier auch sehr viel Wind. Deswegen dachte ich, das mit der Growian würde sie erfreuen. Das alles sind Dinge, die in direkter Forschungsförderung gefördert wurden.
Ich meine also, Sie sollten nicht nur Kritik üben, sondern auch einmal positiv anerkennen, daß die direkte Forschungsförderung auch ihr Gutes hat.
Nun gibt es noch eine dritte Art der Förderung, nämlich die spezifisch indirekte Förderung. Davon ist hier gar nicht die Rede gewesen.
— Oder indirekt spezifisch, gut! Das alles haben Sie eingepackt in die indirekte Förderung. Diese Forschungsförderung wird von Ihnen — auch von uns
— befürwortet. Man sagt, man könne hier für die Mikroelektronik etwas tun, Sonderprogramme, Programme zur Entwicklung von Industrierobotern, Fertigungsrobotern. Dies alles machen Sie mit indirekter spezifischer Forschungsförderung.
Wenn man nun schon im Rahmen dieser Programme in den vergangenen und zukünftigen Jahren zusammen 800 Milliarden DM ausgeben wird, so gehört für uns als Sozialdemokraten dazu, daß man dabei die Humanisierung des Arbeitslebens nicht zu kurz kommen läßt. Wenn Sie schon alles mit Robotern, mit Mikroelektronik machen — wir wissen, wir müssen das, damit wir wettbewerbsfähig bleiben —, dann müssen Sie die Arbeitsplätze, die in dem Zusammenhang im Prinzip menschenunfreundlicher werden, ein wenig human gestalten.
Deswegen stellen wir unseren Antrag, eben dieses Programm von 100 Millionen DM um 24 Millionen DM auf 124 Millionen DM aufzustocken.
Wir glauben, daß die Humanisierung des Arbeitslebens dringend dazugehört und nicht ohne die betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt werden kann. Ich glaube, die Arbeitnehmer, die Betriebsräte, aber auch die Unternehmer müssen da zusammenarbeiten. Hier handelt es sich nicht, wie Sie, Herr Stavenhagen, hier vorgetragen haben, um modischen Schnickschnack, sondern um eine wirklich dringend notwendige Sache. Erklären Sie doch bitte mal den Gewerkschaften draußen im Lande, daß Humanisierung des Arbeitslebens modischer Schnickschnack ist! Ich glaube, da werden Sie eine Menge Schwierigkeiten kriegen.
Wir haben zu dem Antrag, über den hier gleich abgestimmt werden wird, die entsprechenden Dekkungsvorschläge gemacht. Wir glauben, daß diese Deckungsvorschläge solide sind und daß Sie, wenn Sie wollten, Ihr Wort vom Schnickschnack korrigieren könnten, indem Sie unserem Erhöhungsantrag zustimmen.
Nun gibt es auch etwas für den Mittelstand. Sie sind ja so für die Förderung des Mittelstandes. Das geben Sie vor. Ich habe eben schon gesagt: Sie machen das für die Großindustrie. Kommen wir mal zum Personalkostenzuschußprogramm, welches ja auch ein indirektes spezifisches Programm ist. Hier sollen vor allem Forschungsvorhaben mittelständi-
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scher Betriebe personalmäßig gefördert werden. Sie haben dieses Programm förmlich storniert. Sie haben ein paar Mark draufgelegt, aber das ist nicht der Rede wert.
1979 hatten wir 300 Millionen DM im Haushalt bei 4 800 Anträgen. Wir haben heute 8 200 Anträge, also fast eine Verdoppelung. Sie aber haben das Programm nur um insgesamt 20 Millionen DM ansteigen lassen. Den fast verdoppelten Anträgen steht also ein nur gering gewachsenes Volumen an Finanzmasse gegenüber. Dadurch schiebt man eine Riesenbugwelle vor sich her. Die mittelständische Wirtschaft kann also nur bedingt in den Genuß dieses Personalkostenzuschußprogramms kommen. Wir haben für die Aufstockung dieses Programms plädiert. Wir haben auch dafür plädiert, daß dieses Programm in die Zuständigkeit des Bundesforschungsministers kommen und nicht beim Bundeswirtschaftsminister bleiben soll. Daher wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie, Herr Minister, sich da einmal mit Ihrem Ministerkollegen Lambsdorff anlegten.
Allerdings müssen Sie sich da, glaube ich, beeilen, sonst ist er nicht mehr da, so wie die Sache aussieht. Vielleicht regelt es sich von alleine in der Übergangszeit. Insgesamt wäre es aber gut, wenn wir dieses Programm der Förderung von mittelständischen Betrieben zur Forschung in das Programm des Bundesforschungsministers hineinbekommen könnten. Es bleibt festzuhalten, daß Lambsdorff z. B. in Sonntagsreden die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe verlangt, in Wirklichkeit aber den Versprechungen dieses Programms geldmäßig nicht gerecht wird.
Jetzt will ich noch ein paar Sachen zum Investitionsstau sagen. Es war ja wohl eine der größten Unwahrheiten, will ich mal sagen — man kann sogar sagen: Lügen —, daß auch im Wahlkampf von Investitionsstau gesprochen worden ist. Ich habe mich mit Vertretern von Kraftwerksbetreibern, mit Kraftwerkserbauern unterhalten. Seit zwei Jahren gibt es nachweislich in dieser Republik keinen Investitionsstau mehr. Alles das, was mal in den Ländern als Investitionsstau vorhanden war, ist seit zwei Jahren vorbei, zu unseren SPD-Zeiten, Herr Lenzer. Das Problem ist, daß Sie in die Schwierigkeit kommen werden, überhaupt noch neue Kernkraftwerke genehmigen zu können, weil die Elektrizitätsversorgungsunternehmen keines mehr bauen wollen, und zwar deswegen, weil die gar nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Strom. Deswegen wird aus der Sache Investitionsstau im Grunde genommen ein Vakuum. Da ist nichts mehr. Im Gegenteil. Die Industrie klagt und fragt: Was passiert nach 1989, wenn wir dort ohne jede Aufträge stehen und keine Kraftwerke mehr bauen können?
— Ihre Wachstumsraten leihen Sie sich mit 2 % aus Amerika, während die USA das Wachstum von 4 % mit 200 Milliarden US-Dollar kreditfinanziert haben. Den Amerikanern geht mit ihren Raketen finanziell bald die Puste aus, und dann befürchte ich für uns wirtschaftspolitisch allerdings Schlimmes.
— Ich glaube, die Sache in Brokdorf ist genehmigungsrechtlich abgefahren. Wir wollen nicht nachkarten. Die Sache ist, wenn Sie so wollen, planungstechnisch und bautechnisch und von der Finanzierungsseite her abgefahren. Da ist also mit einem Baustopp nichts mehr. Ich glaube, alles andere ist Sache der Betreiber und der Stromkunden, wie es da weitergeht.
Ich will noch eines sagen. Daß Sie zur Zeit Investitionsstau betreiben, will ich mal belegen. Sie haben eine Reihe von Techniken zur Verfügung, die die alte Bundesregierung noch mit finanziert hat, nämlich NOx-Techniken, Schwefeldioxidtechniken, entwickelte Techniken, die heute eingebaut werden könnten. Diese Techniken werden aber deswegen nicht eingebaut in die alten Kraftwerke, weil Ihre Haltung zu den Emissionswerten bei Schwefeldioxid und bei Stickoxiden unklar ist. Ich kann Ihnen sagen, daß die gesamte Kraftwerksindustrie mindestens bis Mitte nächsten Jahres gar nichts tun wird, um auf diesem Wege voranzukommen, weil die entsprechenden Vorschriften von Ihnen nicht gemacht worden sind.
Das hat Nachteile für die Arbeitsplätze, das hat Nachteile für die Umweltindustrie. Tausende von Arbeitsplätzen könnten dort geschaffen werden. Das hat Nachteile für das Ruhrgebiet, in dem j a viele Kraftwerke stehen; es ist eine alte Industrieregion. Sie machen neuerdings Investitionsstau. Bringen Sie Ihren Herrn Innenminister mal dazu, ein bißchen flotter zu arbeiten, aber nicht nur da, wo es darum geht, Bürgerrechte einzuschränken, sondern da, wo es darum geht, den Umweltschutz zu fördern. Da ist er sehr zurückhaltend. Auf diesem Gebiet sollten Sie mal ruhig ein bißchen Druck machen.
Außerdem, muß man ja auch mal sagen, fördern Sie das Ruhrgebiet in bezug auf Kohle und Stahl nicht mehr in diesem Maße. Sie nehmen dort mittelfristig 264 Milliarden, Entschuldigung: 264 Millionen DM zurück.
— Ich kann das schon mit den Nullen. Ich komme gleich noch einmal auf eine Null zurück, Herr Stavenhagen.
Das kann man auch personifizieren. Passen Sie da
auf. Es sind, das will ich noch einmal sagen, in der
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mittelfristigen Finanzplanung 264 Millionen DM, die Sie für Kohle und Stahl zurücknehmen. Dazu sollten Sie sich bekennen. Sie können es j a durch den Minister gleich richtigstellen lassen. Der kommt ja noch und wird hier versuchen, das eine oder andere geradezubiegen.
Jetzt komme ich mal zu Ihrem Minister, wenn mir die Zeit noch bleibt. Ihr Minister hat da so einige Sachen zur Bewertung von Technologie und zur Technologiefolgenabschätzung gesagt. Er hat bei der Staatsbürgerlichen Vereinigung — das ist eine CDU-Bildungsgemeinschaft — im Dezember 1981 zur parlamentarischen Kontrolle von Forschungspolitik gesagt — ich darf es mal zitieren —:
Das Problem liegt darin, daß der Bundestag bis heute nicht imstande war, sich Instrumente zu schaffen, die auch nur einigermaßen angemessen sind. Die Instrumente des Parlaments sind aber geradezu grotesk und ungenügend. Der Forschungsausschuß hat seinen Sekretär, das Parlament insgesamt den Wissenschaftlichen Dienst. Fünf Mitarbeiter sind dort für das gesamte Parlament zuständig.
Das haben Sie in der Opposition beklagt. Nun werden Sie sagen: Das hättet ihr ja ändern können, als ihr an der Regierung wart.
— Herr Lenzer, einverstanden. Ich habe es bedauert, daß wir da nicht gemeinsam vorangekommen sind. Aber jetzt ändern Sie es doch mal. Wir warten auf Ihre Initiative.
Zur Mikroelektronik will ich noch eines sagen, da wird ja auch manches gefordert. Ich fordere den Minister auf, einmal Farbe zu bekennen und sich bei seinen konservativen Kollegen im Parlament einmal unbeliebt zu machen. Er weiß doch als Forschungsminister, wie negativ die Beschäftigungseffekte durch die Einführung neuer moderner Techniken, Mikroelektronik, Automaten und vielem anderen mehr sind. Wenn er es nicht aus der Prognose weiß, dann müßte er es aus der Vergangenheit, aus der empirischen Entwicklung wissen. Herr Riesenhuber, ich fordere Sie auf, Farbe zu bekennen. Sie wissen, das zwischen 500 000 und 2 Millionen Arbeitsplätze flöten gehen bis 1990. Alles andere ist Augenwischerei. Irgendwo dazwischen liegt es.
Sagen Sie das dem Parlament, und plädieren Sie letztlich und endlich auch für die Verkürzung der Arbeitszeit. Unterstützen Sie einmal die Arbeitnehmer und nicht nur die Unternehmer.
Ich komme zum Ende, hier leuchtet es auf. Ich habe hier zwei Zitate des Herrn Ministers. Ich zitiere — mit Genehmigung —:
Forschungspolitik muß daher ohne Dogmatik betrieben werden als ein Prozeß, der sich auf der Suche nach Fortschritt immer wieder selbst kontrolliert.
Ein zweites Zitat:
Grundlagenforschung braucht auch den Platz für den genialen Spinner.
Zu den beiden Zitaten, die aus den erwähnten Reden stammen, möchte ich zwei Ermahnungen geben. Zum ersten Zitat: Machen Sie aus indirekter, direkter und spezifisch indirekter Forschungsförderung kein Dogma. Seien Sie kein Dogmatiker. Zum zweiten Zitat — „Grundlagenforschung braucht auch den Platz für den genialen Spinner" —: Stoppen Sie den genialen Spinner, der Sie zur Herausgabe eines Interviews beraten hat, auf Staatskosten, 24 Seiten, auf denen zwölfmal Riesenhuber im Bild erscheint.