Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Dr. Schneider, als Sie vor rund 14 Monaten das Amt des Bundesbauministers übernahmen und kurzfristig das Sonderprogramm zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus und der Baunachfrage in Gang setzten, haben einige von uns vermutet, dahinter könnte vielleicht doch ein wohlgeordnetes Konzept stecken, das Sie in den Jahren der Opposition entwickelt hätten. Wir haben uns damals gewundert, daß Sie die zusätzliche hohe Verschuldung in Kauf nahmen — etwas, wofür Sie uns immer gerügt hatten. Wir haben uns gewundert und uns dagegen gewehrt, daß dieses Programm mit einer fragwürdigen rückzahlbaren Zwangsanleihe statt mit einer sauberen Ergänzungsabgabe finanziert wurde. Wir haben auch fachliche Zweifel wegen der Kumulationswirkung der verschiedenen Maßnahmen und der hohen Mitnehmereffekte geäußert. Insgesamt aber, Herr Dr. Schneider, haben wir Ihnen den Respekt für diese wohnungspolitische Initiative nicht versagt.
Heute, nach 14 Monaten, müssen wir sagen: Wir haben uns geirrt.
Da hat kein kluger Fachminister einen Eckpfeiler für eine Wohnungs- und Städtebaupolitik der 80er Jahre gesetzt, auf dem er seine Politik absichern und entwickeln kann. Die Wahrheit ist: Da haben es die Minister Stoltenberg und Lambsdorff zugelassen, daß der Bauminister — publikumswirksam rechtzeitig vor der Bundestagswahl — das Gaspedal einmal kräftig durchtreten durfte. Das war es dann auch.
Seitdem ist der Bauminister in dieser Bundesregierung das fünfte Rad am Wagen. Mal süßsauer, mal stumm, mal mit verhaltenem Zorn und mal ergeben läßt er die bewährten Instrumente des Wohnungs- und Städtebaus zerfasern, ohne gleichzeitig gleichwertiges Neues an deren Stelle zu setzen. Das läuft jetzt seit gut einem Jahr. Die Negativliste ist inzwischen lang geworden.
Diese Koalition behauptet, eigenheimfreundlich zu sein, aber sie zwingt auch die kleinen Eigenheimer, 2 % Grunderwerbsteuer zu zahlen. Für viele Betroffene sind das zusätzliche 1 000 DM und mehr. Gleichzeitig werden die entlastet, die Villen bauen oder kaufen. Der Bauminister rechtfertigt dies.
CDU/CSU und FDP kürzen am Wohngeld der Behinderten und der Alleinerziehenden. 50 bis 60 Millionen DM bekommen Alleinerziehende — das sind meist Frauen mit Kindern — weniger an Wohngeld, weil die Koalition ihnen die Freibeträge für Kinder zusammengestrichen hat. Der Bauminister schweigt dazu. Da zeigt sich die Rolle des Wohnungsbauministers in dieser Regierung: 7 bis 8 Milliarden DM geliehenes Geld ins Land pumpen und Neubau anregen ist eines, aber wenn es darum geht, das Wohngeld für Alleinstehende mit Kindern zu sichern, dann versagt der Bauminister jämmerlich.
Wir haben Ihr Wort, Herr Minister, daß zum 1. Janura 1985 eine Wohngeldnovelle in Kraft tritt. Wenn das mit dem erforderlichen Vorlauf stimmen soll, muß sie zum 1. Juli des nächsten Jahres hier beschlossen sein. Wir sind gespannt und fordern Sie heute noch einmal eindringlich auf: Legen Sie die Wohngeldnovelle als Entwurf möglichst bald auf den Tisch.
Achten Sie darauf, daß die unsozialen Einschnitte korrigiert und daß der dringliche Nachholbedarf damit gedeckt wird.
Zum Mietrecht! Da genehmigten sich CDU/CSU und FDP zunächst einmal die Verwirklichung eines Herzensanliegens. Das soziale Mietrecht wurde zusammengestrichen. Der Bauminister hatte zwei Argumente parat. Erstens, alles ist halb so schlimm, die Mieter brauchen keine Angst zu haben. Zweitens, die Änderungen im Mietrecht führen zu Neubauten im Mietwohnungsbau. Heute wissen wir:
2940 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Müntefering
Beide Argumente waren und sind falsch. Die Mieter haben Grund, Angst vor exorbitanten Mieterhöhungen zu haben, und der Mietwohnungsbau hat durch die Mietrechtsänderungen natürlich keine neuen Impulse bekommen.
Ich fordere Sie auf, Herr Minister, den Mißerfolg der Mietrechtsänderungen einzugestehen und sobald wie möglich einen Entwurf auf den Tisch zu legen, mit dem wir diesem neuen Schneiderschen Mietrecht die Giftzähne ziehen können.
Noch in dieser Woche soll die Situation im Mietwohnungsbereich erneut verschärft werden. Im Steuerentlastungsgesetz ist eine neue Regelung zum Bauherrenmodell vorgesehen, die die große Gefahr in sich birgt, daß zukünftig spekulatives Geld vielleicht nicht mehr so stark in den Neubau, wohl aber in den Bestand fließt, Stichwort: Erwerbermodelle. Die Konsequenzen kennen wir alle: Aufkauf von Mietwohnungen, Supermodernisierung, Umwandlung in Einzeleigentum, Mieterverdrängung. Der Bauminister sagt ja dazu. Unbegreiflich!
Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition im Wohnungsbauausschuß haben wohl gemerkt, daß da etwas nicht stimmen kann und waren einverstanden, mit uns zusammen eine Entschließung zu verabschieden, in der die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert wird, über die Konsequenzen dieser Gesetzgebung für die Erwerbermodelle, für die Bauherrenmodelle und damit für die Mieter im nächsten Jahr Rechenschaft abzulegen. Übrigens ist es für die Vereinbarung dieses neuen Gesetzes noch nicht zu spät. Man könnte dieses noch in dieser Woche mit unserer Hilfe verhindern.
Der Posten Modernisierung, Herr Dr. Schneider, kommt in Ihrem Etat nicht mehr vor. Das zweite Standbein der Wohnungs- und Städtebaupolitik, die Bestandspolitik, wird sträflich vernachlässigt. Die leichte Aufstockung bei den Sanierungsmitteln macht eine Verknüpfung mit der behutsamen Stadterneuerung und mit der Modernisierung und dem Energiesparen am Bau nicht überflüssig. Im Gegenteil: Wohnungen erhalten ist wichtig und meist sogar billiger als neue Wohnungen zu bauen.
An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie konzeptionslos das Sonderprogramm im letzten Jahr gewesen ist: Ohne jede Flankierung, zu Lasten der Bestände und keineswegs mit optimalem Arbeitsmarkteffekt; denn, Herr Dr. Schneider, wir alle wissen, daß der Anstoß für die Arbeitsplatzschaffung nirgendwo höher ist als bei der Modernisierung und der behutsamen Stadterneuerung. Der Bauminister läßt die Bestandspolitik im Stich.
Der Bauminister äußert sich auch nicht dazu, daß seine Regierung eine Verbesserung der Gemeindefinanzen, von der SPD vorgeschlagen, ablehnt. Müßte nicht der Bauminister in die Bresche springen und seinen Kollegen im Kabinett deutlich machen, daß es ein Nullsummenspiel ist, wenn er teure Sonderprogramme finanziert, gleichzeitig aber die Investitionskraft der Gemeinden immer weiter wegschrumpft? Ist es denn nicht bekannt, Herr Minister Dr. Schneider, daß trotz des Sonderprogramms die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter fast unverändert hoch geblieben ist? Da müßte sich doch der Wohnungsbauminister zu Wort melden.
Zum Bausparen: Da gibt es einen neuen Höhepunkt Schneiderscher Wirkungslosigkeit; denn wir sollen in dieser Woche im Rahmen einer Änderung des Vermögensbildungsgesetzes beschließen, daß im Bereich Bausparen die 624 DM übersteigenden Beträge nicht als begünstigt anzusehen sind. Damit würde das Bausparen negativ betroffen. Die Wartezeiten bis zur Zuteilungsreife von Bausparverträgen würde für viele Bauwillige noch länger. Die Kollegen der CDU/CSU im Ausschuß zeigten wieder einmal guten Willen, aber auch Ohnmacht. Das gilt übrigens auch für die Rücknahme der Sperrfrist für Bausparverträge von zehn auf sieben Jahre. Diese Forderung ist deckungsgleich mit der Ihren, Herr Minister. Trotzdem wird sie von dieser Regierung, von dieser Koalition abgelehnt. Ich stelle fest: Der Bauminister kann sich nicht durchsetzen.
Die Konzeptionslosigkeit dieser Regierung in Sachen Wohnungs- und Städtebau steigerte sich heute vor zehn Tagen auf wirklich einmalige Weise. Die Runde der Bauminister aller Länder — aller Länder! — verweigerte dem Bundesbauminister die Zustimmung zur Zweiten Berechnungsverordnung, interessanterweise genau mit dem Argument, das auch schon die Sozialdemokraten im Bauausschuß des Deutschen Bundestages in Antragsform vorgebracht hatten. Die Länderminister fanden nämlich wie wir, daß die Instandhaltungskosten für die jüngeren Baujahrgänge nicht so stark angehoben werden dürften, wie von der Regierung vorgeschlagen, nämlich von 6,90 DM/qm im Jahr auf 11 DM/qm im Jahr für die Baujahrgänge ab 1970. Anders ausgedrückt: Zusätzliche 35 Pfennig je qm im Monat sind für diese ohnehin teuren Wohnungen zuviel. Wir fordern Sie auf, Herr Minister, heute hier zu erklären, daß Sie die Bedenken der Länderminister und unsere nunmehr aufnehmen und eine geänderte Fassung der Berechnungsverordnung vorlegen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2941
Müntefering
Hier will ich mir einen Einschub im Rückgriff auf die Debatte von soeben erlauben. Herr Minister, in dieser Zweiten Berechnungsverordnung gibt es erste Ansatzpunkte dafür, Breitbandkabelanschlüsse in den Wohnungen als Modernisierungstatbestand zu akzeptieren. In der Zweiten Berechnungsverordnung ist zwar nur von den Betriebskosten die Rede, aber es ist ein Wort des Bauministers fällig, das eindeutig klarstellt, daß Sie nicht wollen, daß Breitbandverkabelung als Modernisierung akzeptiert und vielen Millionen Mietern aufgezwungen wird; denn dies kostet doch auch wieder Geld.
Da muß der Bauminister endlich einmal ein deutliches Wort sagen.
Die Bauminister der Länder haben Sie übrigens an einem zweiten Punkt auflaufen lassen, nämlich da, wo es um die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ging. Die Länderminister haben gemeint, daß die Vorlage der ARGEBAU eine gute Grundlage für die fällige Gesetzgebung sei und Sie aufgefordert, aus wohnungspolitischer Sicht am Prinzip der Gemeinnützigkeit festzuhalten und den sozialen Auftrag dieser Unternehmen im Gesetz deutlicher als bisher zu fassen. Wörtlich formulierten die Länderminister dann:
Die Ministerkonferenz hält es nicht für zweckmäßig, daß die Bundesregierung eine weitere Kommission, die sich mit dieser Frage befaßt, einberuft, weil dies das Verfahren nur unnötig verzögern würde.
Herr Minister, dies ist eine Hilfe für Sie. Geben Sie dies an den Finanzminister weiter, damit in dessen Haus endlich aufgehört wird, im Bereich der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen noch weiter herumzuschnippeln.
Die Wohnungseigentumspolitik hat sich schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als wichtiger Faktor des Wohnungsbaus gezeigt und wird auch weiterhin der entscheidende Ansatzpunkt bei der Verbesserung der Wohnungsversorgung sein. Weshalb man dieses Ja zum Eigenheim und zur Eigentumswohnung immer wieder mit einer Attacke gegen den sozialen Mietwohnungsbau verbinden muß, wie durch Kollege Echternach kürzlich geschehen — er wird gleich Gelegenheit haben, sich hier zu äußern —, ist mir allerdings unerfindlich. Öffentlich geförderter Sozialmietwohnungsbau ist in weiten Teilen des Landes nicht mehr erforderlich — da sind wir uns einig —, wohl aber in einigen Bedarfsschwerpunkten. Und das sind im wesentlichen die großen Städte. Die dürfen wir nicht mit diesem Problem allein lassen.
Gleichzeitig sind und bleiben Eigenheime und Eigentumswohnungen im Bereich des Neubaus der
wichtigste Ansatzpunkt zur Verbesserung der Wohnungsversorgung; übrigens auch der Ansatzpunkt, der die öffentliche Hand am wenigsten kostet. Eigennutzende Eigenheimer bekommen ein Fünftel oder ein Siebtel dessen von der öffentlichen Hand, was beispielsweise Bauherrenmodelle den Staat kosten. Es ist wichtig — wir sind bereit, daran mitzuwirken —, den Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen zu stabilisieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit er auch mittelfristig stetig fortgeführt werden kann.
Schlaglochpolitik an dieser Stelle ist falsch. Sonderprogramme, die zu einer künstlichen Konjunktur führen und das nächste Tal schon programmiert haben, sind falsch. Wir brauchen eine Konzeption, die dafür sorgt, daß auch der Eigenheimbau in den 80er und 90er Jahren mit Stetigkeit fortgeführt werden kann.
Sie hatten für November dieses Jahres das Konzept versprochen. Gesehen worden ist es bisher noch nicht.
Ich will Ihnen mit einigen wenigen Stichworten andeuten, wo wir Sozialdemokraten Handlungsbedarf sehen und was wir fordern:
Erstens. Abzug von der Steuerschuld statt der bisherigen 7-b-Regelung, die sozialpolitisch ungerecht ist.
Zweitens. Neuregelung im Bereich der Nutzungswertbesteuerung, die bisher eine vergleichsweise ungünstige Regelung für eigennutzende Eigenheimer ist.
Drittens. Verstärkte Förderung des Vorsparens — des Bausparens —, denn eine angemessene Eigenfinanzierungsquote ist für viele potentielle Bauherren Voraussetzung für die endgültige Bauentscheidung.
Viertens. Förderung des kosten- und flächensparenden Bauens.
Wir müssen die knappen Mittel mit Vorrang an die lenken, die bewußt sparen und flächensparend bauen.
Fünftens nenne ich die Initiative im Bereich des Bau- und Bodenrechts. Bisher sind der Mangel an Bauplätzen und die explosionsartig gestiegenen Bodenpreise das entscheidende Hemmnis für viele Bauwillige.
Wir fordern Sie auf, Herr Minister: Legen Sie Ihr Konzept für die verbesserte Förderung des Eigenheim- und Eigentumswohnungsbaus endlich auf den Tisch, und ziehen Sie die Konsequenzen aus dem Wirkungsbericht, der 1982 von Ihrem Vorgänger, Herrn Dr. Haack, vorgelegt worden ist und der
2942 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Müntefering
uns alle verpflichtet und ermutigt, dem Eigenheimbau neue Impulse zu geben.
Das wird die wichtigste wohnungspolitische Aufgabe der nächsten Monate sein.
Heute können wir dem Einzelplan 25 keine Zustimmung geben, denn er dokumentiert wohnungs- und städtebaupolitische Konzeptionslosigkeit.