Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen hier zur Beratung des Einzelplans 07. Wir haben soeben den Einzelplan 06 abgeschlossen, und mir ist von dem Redner unserer Fraktion, der zum Einzelplan 06 gesprochen hat, dem Herrn Abgeordneten Gerster, gerade mitgeteilt worden, daß eventuell zum Einzelplan 06 ein „Nachtragshaushalt" erforderlich werden wird
— Sie können mich ausreden lassen, dann werden Sie den Humor verstehen, der darin steckt, Herr Gerster —, und zwar im Rahmen der Kulturförderung. Soeben ist in den Nachrichten die Mitteilung gekommen, daß das Evangeliar Heinrichs des Löwen in London von der Bundesrepublik ersteigert worden ist.
Meine Damen und Herren, kommen wir zur Rechtspolitik. Die letzte rechtspolitische Debatte hatten wir am 5. Mai dieses Jahres im Anschluß an die Regierungserklärung. Wir haben damals von Herrn Emmerlich eine große Zahl von vorweggenommenen Vorwürfen gegen unsere Rechtspolitik gehört. Wir haben vom Zurückdrehen von Reformen gehört. Wir haben außerdem von Frau Schoppe von den GRÜNEN die Sexismustirade gehört. Es ging in dieser Debatte hoch her. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die jetzige Debatte über den Justizhaushalt und über die Rechtspolitik in ruhigeren Bahnen verläuft, denn gerade die Rechtspolitik ist kaum geeignet, in Aufregung und in Hektik
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betrieben zu werden. Ich möchte in drei Handlungsbereichen das zusammenfassen, was wir seit dem Regierungswechsel getan haben und was wir zu tun gedenken, und zwar in einem ersten Handlungsbereich, den ich bezeichne als Bereinigung von Fehlentwicklungen und Rechtsunsicherheiten, die sich ergeben haben, zweitens in einem Bereich, wo wir handeln auf Grund von internationalen Verträgen und Abkommen, und in einem dritten Bereich, wo wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen einen Handlungsbedarf ergeben.
Ich komme zum ersten Bereich: Bereinigung von Fehlentwicklungen und Beseitigung von entstandenen Rechtsunsicherheiten. Hier haben wir nach dem Regierungswechsel im letzten Herbst auch besonders schnell gehandelt. Hierher gehören das Grunderwerbsteuerrecht, das Mietrecht, der Ausgleich von Härtefällen im Versorgungsausgleich. Ich erinnere an diese Dinge noch einmal, weil ich glaube, daß manche Vorgänge, die rechtspolitisch von größerer Bedeutung sind, im allgemeinen Tagesgeschäft doch leicht untergehen.
Ich habe noch einmal das Protokoll der Anhörung der Verbände zum Grunderwerbsteuerrecht gelesen. Ich halte das, obwohl es wenig Aufmerksamkeit erreicht hat, doch für ein rechtspolitisch wichtiges Dokument, einfach aus dem Grunde, weil hier eine größere Zahl von Verbänden ihre Eigeninteressen zurückgestellt hat und sich bereit erklärt hat, im Sinne der Einheitlichkeit unseres Rechts Lasten, nämlich damals 2 % Grunderwerbsteuer, von denen sie bisher befreit waren, hinzunehmen, und zwar — ich kann da vor allem den Deutschen Sportbund nennen — im gesamtstaatlichen Interesse. Das ist übrigens ein Gesetzeswerk, zu dem Sie durch die Verfassungsänderung von 1971 einen Auftrag hatten, den Sie aber im Laufe von zwölf Jahren nicht haben erledigen können.
Wir sind in der Lage gewesen, im Einvernehmen mit den Ländern sehr schnell zu handeln.
Beim Mietrecht darf ich daran erinnern, daß dieses Gesetz hieß: Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen. Wir können heute nach einem Jahr sagen, daß das Ergebnis eindeutig für uns spricht und für diese Änderung, die Sie hartnäckig bekämpft haben. Ich sage das deshalb, weil an diesem Beispiel deutlich wird, daß die Rechtspolitik nicht in den Fehler verfallen darf, sich von anderen Politikbereichen abzukoppeln. Jahrelang haben Sie Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Rechtspolitik als völlig selbständige und eigenständige Rechtsgebiete behandelt. Wir können heute sagen, daß wir mit Hilfe dieses Änderungsgesetzes aus dem Rechtsbereich beim Neubau von Wohnungen wesentlich weitergekommen sind. Die Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen ist uns gelungen.
— Nicht Wohnungsbau, ich weise darauf hin, daß die Rechtspolitik kein von den anderen Politiken losgelöster Raum ist. — Im Zusammenhang mit anderen Politikbereichen ist mit der Rechtspolitik erreicht worden, auch Arbeitsplätze zu stabilisieren. Es sind — das macht einen Teil des Aufschwungs aus, den wir bis jetzt erreicht haben — anders als bei Ihnen in diesem Jahr mehr als 120 000 Wohnungseinheiten mehr gebaut worden.
In diesen Bereich der Bereinigung von Fehlentwicklungen gehört auch die Änderung des § 125 des Strafgesetzbuchs: „Landfriedensbruch". Hier haben wir inzwischen die Formulierung vorgelegt, der Bundesrat hat auch inzwischen dazu Stellung genommen.
Ferner gehört in diesen Bereich, daß wir vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag haben, im Scheidungsrecht, sowohl im materiellen als auch im Scheidungsfolgenrecht, einiges wieder geradezubiegen. Ich nenne besonders, daß wir den Versuch machen werden, die Selbstregulierung der Scheidungsfolgen wieder verstärkt von den Betroffenen vornehmen zu lassen. Die Betroffenen, die sich scheiden lassen, wissen oft besser, was ihnen frommt und was ihnen nutzt, als der Gesetzgeber oder der Staat sich anmaßen.
Im Unterhaltsrecht müssen wir die als grob unbillig erkannten Fälle klarer umschreiben, und der Unterhaltsanspruch darf in keinem Falle zum Ausbeutungs- oder gar Racheinstrument werden. Im Versorgungsausgleichsbereich wird es darauf ankommen, durch eine Änderung des Gesetzes für die Zukunft auszuschließen, daß es eine beachtliche Zahl von Fällen gibt, in denen trotz des bestehenden Versorgungsausgleichs die geschiedene Witwe ohne jede Versorgung bleibt.
In gewissem Sinn gehört hierher auch die Juristenausbildung. Die alte Regierung war über Jahre nicht in der Lage, kompromißfähige Vorschläge vorzulegen. Das Bundeskabinett hat hierzu einen konsensfähigen Kompromiß in der letzten Woche verabschiedet. Wir werden ihn demnächst hier auf dem Tisch des Hauses haben und beraten können. Wir haben dort sowohl die Phase der Vertiefung in der Referendarzeit als auch, was ich für ganz wesentlich halte, eine Hilfe für die Studenten, wenn sie bereits im 4. Semester eine Zwischenprüfung oder, wenn Sie so wollen, Leistungskontrolle ablegen müssen.
Ich komme zum Bereich der internationalen Verpflichtungen, Verträge und Abkommen. Wir haben inzwischen zwei Haager Abkommen verabschiedet. Die EG-Gesetzgebung macht uns nicht unerhebliche Sorgen, einfach deshalb, weil die Entscheidungsmechanismen in Brüssel, wie wir auch in diesen Tagen wieder sehen, in dieser Form nicht mehr unsere volle Zustimmung finden können.
In Brüssel liegen heute etwa 400 Verordnungen, über die die Ministerräte bisher nicht entschieden haben.
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Auch das, was über unseren engeren Rechtsbereich im Inland hinausgeht, ist ein Teil der Rechtspolitik. Es waren zwei CDU-Abgeordnete im Europaparlament, Luster und Gero Pfennig, die dort jetzt einen kompletten Vorschlag für eine Änderung von Zuständigkeiten und Kompetenzen der europäischen Institutionen vorgelegt haben.
Wir werden im nächsten Jahr am 17. Juni Europawahl haben. Ich frage Sie: Was werden wir, wenn wir abtreten, der nächsten Generation für ein Europa hinterlassen, wenn wir bei dem Zusammenschluß Europas nicht zu einer Perspektive kommen, die es uns ermöglicht, daß Europa entscheidungs- und handlungsfähiger wird?
Ich komme zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich, wo neue Entwicklungen einen Handlungsbedarf ergeben. Hier geht es in erster Linie um Anpassungen, die den Charakter von Ergänzungen haben, mit denen neue Entwicklungen berücksichtigt und abgefangen werden. Hierher gehören die Vorschriften über den Computer-Betrug, bei dem neue Sachverhalte mit einem erkannten Unrechtsgehalt durch die alten Betrugstatbestandsmerkmale nicht mehr erfaßt werden. Hier muß modernisiert werden. Hierher gehört auch das Urheberrecht, die Änderung unserer Vergleichs- und Konkursordnungen, auch etwaige Vorschriften des Verbraucherschutzes und eine UWG-Novelle.
Ferner haben wir uns mit einer großen Zahl von Gesetzen zu befassen, die der Vereinfachung und der Erleichterung von Problemlösungen dienen. Sie dienen zum Teil der Entlastung der Gerichte und der Beschleunigung der Verfahren. Als erstes ist die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu nennen. Sie war wegen der Verstärkung des internationalen Reiseverkehrs erforderlich. Zu nennen ist auch das internationale Privatrecht, das dringend einer Überarbeitung bedarf, weil die Zahl der Ausländer in unserem Land sehr gestiegen ist. Darüber hinaus dienen der Entlastung und Beschleunigung das Strafverfahrensänderungsgesetz, das Entlastungsgesetz für die Verwaltungsgerichte und die Vereinfachung des Bußgeldverfahrens. Besonders in diesem Haushalt wirkt sich die Einrichtung eines zusätzlichen Senats beim Bundesfinanzhof aus. Dort sind heute mehr als 4 000 unerledigte Verfahren anhängig, eine größere Zahl als damals, als Sie im Jahre 1974 die Beschleunigungsnovelle gebracht haben. Das im Streit befangene Steuervolumen beläuft sich auf etwa 4 Milliarden DM. Meine Damen und Herren von der Opposition, hier hätte schon eher als jetzt durch uns etwas geschehen müssen.
Rechtspolitik erschöpft sich nicht im Neuschaffen und im Ändern von Gesetzen. Auch die Pflege des Rechts- und Unrechtsempfindens gehört dazu. Lassen Sie mich einen Satz von Savigny in Erinnerung rufen, der in den Familien- und Ehebereich hineinpaßt, wo einiges an Gesetzen vor uns steht. Er hat gesagt: „Die Ehe gehört nur zur Hälfte dem Recht an, zur Hälfte aber der Sitte. Jedes Eherecht ist unverständlich, welches nicht in Verbindung mit dieser seiner notwendigen Ergänzung betrachtet wird." Im gleichen Sinne hat sich etwa 30 Jahre später Tocqueville geäußert. Er hat gesagt, daß er beim Zusammenhalt und dem Funktionieren einer Demokratie — ich will gerne in diesem Zusammenlang auch zu dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, etwas sagen — in größerem Maße den Sitten Bedeutung beimißt als den Gesetzen.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier von Sitten spreche, mag das ein altmodisches Wort sein. Sie mögen mir sagen, in einer pluralistischen Geellschaft käme es darauf nicht an.
Wir tun nicht gut daran, unser Rechtsbewußtsein auf das und auf nur das zu verkürzen, was gesetzlich positiv geregelt ist. Als Beispiel — da mögen die GRÜNEN besonders zuhören — nehmen Sie einmal die Zustände in Berlin. Der Regierende Bürgermeister in Berlin hat es geschafft — —
— Ich kann nur sagen: noch nicht. Aber er hat es geschafft, eine Rechtsberuhigung und eine Klimaverbesserung in Berlin hervorzurufen, die Ihrem Herrn Fraktionsvorsitzenden, der sein Vorgänger war, nicht gelungen ist.
Meine Damen und Herren, Rechtspolitik hat auch damit zu tun, die Festigung von Rechtsüberzeugungen und die Klärung von verschwommenen Rechtsvorstellungen herbeizuführen.
— Herr Schröder, Sie mögen sich sicher auf Emotionalität verstehen. — In Berlin ist das Ja-Sagen zu dieser Stadt, zu seinem Senat gelungen. Ich kann nur hoffen — um auf Ihr Schaffen zurückzukommen —, daß sich, wenn Herr Weizsäcker es geschafft hat und Bundespräsident sein sollte, diese Wirkung, die er in Berlin erzeugt hat, in der ganzen Bundesrepublik auswirken wird. Das meine ich, wenn ich sage, daß zur Rechtspolitik mehr gehört als nur das, was wir in die Gesetze hineinschreiben.
Danke sehr.