Herr Abgeordneter Jahn, dies ist mir nicht entgangen. Es bestätigt mich in der Einschätzung des Bundesinnenministers, wie er sich verhält, wenn es um lebenswichtige Fragen der Bevölkerung geht; er taucht dann gern weg.
Sie, Herr Innenminister, und Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wissen, daß ein Atomkrieg in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland alles Leben zerstört. Sie wissen, Herr Kollege Waigel, daß die heutigen Nuklearwaffen ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Atombomben von Nagasaki und Hiroshima haben. Auch von daher, Herr Bundesinnenminister, verbietet sich der Vergleich, den Sie in der Stellungnahme zu einer Eingabe eines besorgten Bürgers gemacht haben.
Diese Schrecken, Herr Innenminister, dürfen auch nicht durch das Vorgaukeln von Sicherheitsillusionen relativiert oder abgeschwächt werden.
Ich höre schon den Vorwurf, Herr Kollege Miltner, ich machte Panik, ich triebe Angst. Ich sage Ihnen, daß das, was wir hier beschreiben,
im Ernstfall die Wirklichkeit ist. Das ist im Ernstfall die Realität. Das ist im Ernstfall die Wahrheit.
Das muß in Offenheit und Ehrlichkeit der Glaubwürdigkeit wegen auch den Bürgern unserer Bundesrepublik deutlich gemacht werden.
Ich sage noch einmal: Es gibt bei einem Atomkrieg in Mitteleuropa keine Überlebenschancen, auch nicht durch den Schutzraumbau. Auch deshalb, meine Damen und Herren, lehnt die Mehrheit der Bevölkerung die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen ab.
Auch deshalb bleibt die Politik der Entspannung und Abrüstung ohne Alternative. Mit Gustav Heinemann sagen wir: Der Frieden ist der Ernstfall.
Ich füge hinzu: Der Nuklearkrieg ist das Ende. — Sie sagen: Die Debatte hatten wir vor 14 Tagen. Ich sage zu Entspannungspolitik und Abrüstung: Das Wegbringen des atomaren Teufelszeugs ist für uns eine ständige Aufgabe. Das ist nicht vor 14 Tagen abgeschlossen worden.
Ich füge hinzu: Es wäre fatal, wenn durch Äußerungen, wie sie Herr Zimmermann getan hat, der Eindruck erweckt werden sollte, Atomkriege seien gar nicht so schlimm, man könne sich dagegen ja zumindest partiell schützen.
Wir Sozialdemokraten — ich sage es noch einmal selbstkritisch — haben die Zivilschutzkonzeption mitentwickelt und mitgetragen.
Wir finden, es ist an der Zeit, diese Konzeption auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Wir danken den vielen Bürgern, die uns in den letzten Wochen und Tagen dazu geschrieben haben. Wir würden es begrüßen, meine Damen und Herren auf allen Seiten dieses Hauses, wenn Sie sich ohne Selbstgerechtigkeit, ohne Besserwisserei
an der notwendigen, vorurteilsfreien und nüchternen Überprüfung der gültigen Sicherheitskonzeption Zivilschutz beteiligen würden.
In der deutschen Innenpolitik bewegen vor allem zwei Problemkreise — viele Umfragen belegen dies — die Bürger zu Recht: zum einen die steigende Arbeitslosigkeit, zum anderen die zunehmende Umweltzerstörung. Sie, die Bundesregierung — Sie insonderheit, Herr Bundesinnenminister —, müssen sich auch an der umwelt- und arbeitsmarktpoli-
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tischen Herausforderung messen lassen, in der wir stehen.
Fest steht: Die traditionelle Wirtschaftspolitik war nicht in der Lage,
Vollbeschäftigung einerseits und eine unversehrte Umwelt andererseits zu garantieren. Die Daten belegen es: Die Zahl der Arbeitslosen steigt trotz des milden Herbstwetters im November um mehr als 40 000 auf über 2,1 Millionen.
Die Umweltzerstörung nimmt rapide zu. Das Waldsterben hat sich während der letzten zwölf Monate in galoppierendem Tempo fortgesetzt.
— Das ist der Befund, lieber Kollege Fellner, den der Herr Bundesernährungsminister vorgelegt hat. In den letzten zwölf Monaten hat sich die Schadensfläche beim Waldsterben vervierfacht.
Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht mit neuen, alarmierenden Meldungen und Nachrichten erschreckt werden: Im Trinkwasser werden gesundheitsgefährdende Stoffe festgestellt; da wird sogar DDT in der Muttermilch entdeckt; da wird weiterhin Raubbau an wertvollem Boden betrieben.
Die Zahl der durch Umweltverschmutzung bedingten Erkrankungen steigt steil an.
Sie, Herr Innenminister, lassen sich gern als größter Umweltminister aller Zeiten feiern,
und doch klaffen Ihre Ankündigungen und Ihre tatsächliche Politik weit auseinander. Mir fällt zu Ihrer Politik ein Aphorismus des Polen Stanislaw Lec ein: „Und wieder zerschlug sich die Wirklichkeit an seinen Träumen".
Sie, Herr Bundesinnenminister, reden zwar permanent vom Kampf gegen das Waldsterben. Wenn es aber zur Sache geht, wenn es darum geht, wirksame Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung zu beschließen, erweisen sich Ihre Ankündigungen in der Tat als bloße Worthülsen. Wie anders ist es sonst zu
verstehen, daß Sie das klassische, bewährte und zudem noch marktwirtschaftliche Instrument der Abgabe, z. B. in Form einer Schadstoffabgabe, rundweg ablehnen?
Dabei wissen auch Sie, Herr Bundesinnenminister: Wenn die Verschmutzung unserer Luft nicht unverzüglich vermindert wird, wird das Waldsterben in unvermindertem Tempo weitergehen, wird Hilfe für große Teile unserer Wälder zu spät kommen.
Das von der Bundesregierung insgesamt vorgelegte Haushaltskonzept weist keinen klaren umweltpolitischen Akzent auf. Es fehlt die Verknüpfung von umwelt- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Dies ist aus umweltpolitischen Gründen verantwortungslos, aber dies ist auch aus wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Gründen nicht zu verantworten.
Sie, Herr Zimmermann, reden doch immer so gern davon, eine wachsende Umweltschutzgüter-Industrie könne Schrittmacher des technischen Fortschritts sein; Ökonomie und Ökologie ließen sich miteinander verbinden. Dies ist richtig, dem stimmen wir zu. Aber warum unterläßt es die Bundesregierung dann, diesen Aspekt im gesamten Bundeshaushalt angemessen zu berücksichtigen? Wo ist die umweltpolitisch orientierte Initiative für einen Wachstums- und Beschäftigungshaushalt? Warum lehnen Sie die Forderungen unserer Fraktion nach einem Programm „Arbeit und Umwelt" ab?
Sie wissen doch, daß Sie damit zwei Dinge gleichzeitig erreichen könnten: Arbeitsplätze schaffen und Umweltschutzmaßnahmen fördern.
Sie sagen, ein solches Programm sei nicht finanzierbar. Gleichzeitig verschleudern Sie Milliardenbeträge in sinnlosen Projekten wie Rhein-Main-Donau-Kanal, Schneller Brüter in Kalkar oder der Wiederaufarbeitungsanlage.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hängen leider immer noch der falschen Vorstellung von Umweltschutz nach, man könne sich Umweltschutz im Grunde erst dann leisten, wenn Wirtschaftswachstum dazu da sei. Ansonsten sei Umweltschutz einfach zu teuer.
Es ist wahr, Umweltschutz gibt es nicht zum NullTarif. Wahr ist aber auch: Unterlassender Umweltschutz kommt uns alle insgesamt viel teurer.
Es bleibt richtig: Das ökologisch Notwendige ist auf mittlere und längere Sicht auch das ökonomisch Sinnvolle. Ich will es an einem einzigen Beispiel, das eindrucksvoll ist, belegen. Im vergangenen
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Sommer mußte in der Region Athen ein Teil der Produktion wegen der Gesundheitsgefährdung der dortigen Bevölkerung eingestellt werden. Es war Smogalarm und Smoggefahr. Dies führte dazu, daß das Bruttosozialprodukt in Griechenland insgesamt um 30 % reduziert wurde. Das Beispiel macht — so denke ich — überdeutlich, meine Damen und Herren, daß fehlender Umweltschutz nicht nur Wohlstandsverlust ist, sondern insgesamt auch volkswirtschaftlich teuer zu bezahlen ist.
Diese Bundesregierung — dies zeigt in erster Linie der vorgelegte Haushalt des Bundesministers des Innern, aber nicht nur er — nimmt eine Spaltung der Gesellschaft bewußt in Kauf. Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierung, zielt auf Entsolidarisierung der Gesellschaft.
Ihre Strategie der Ausgrenzung macht nicht bei Randgruppen und Minderheiten halt — dies ist schon schlimm genug —, sie reicht tief ins Lager der Arbeitnehmerschaft hinein. Wir werden es bei den Beratungen insonderheit zum Einzelplan 11 des Bundesarbeits- und sogenannten Sozialministers deutlich machen. Sie, Herr Bundesinnenminister, stehen für den Bereich der Innenpolitik für diese Politik der Ausgrenzung.
Statt Integration betreiben Sie Konfrontation, statt Argumentation Diffamierung: Wer Bedenken gegen die Volkszählung hat, wird schlichtweg zum Systemfeind erklärt. Wer in der Friedensbewegung mitarbeitet, wird als kommunistisch gesteuert dargestellt. Wer für wirksamen Datenschutz auch bei den Organen der inneren Sicherheit ist, wird zum Gegner der inneren Sicherheit hochstilisiert. Die Beispiele, Herr Bundesinnenminister, ließen sich fortführen.
Sie zeigen sich auch unbeeindruckt davon, daß alle Datenschutzbeauftragten — auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, dem wir dafür ausdrücklich unsere Anerkennung aussprechen — Ihre Vorstellungen zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes als datenschutzfeindlich, als Rückfall im Datenschutzrecht qualifizieren. Es bleibt dabei, meine Damen und Herren: Wir Sozialdemokraten verteidigen gegen Zimmermann und Spranger den freiheitlichen Rechtsstaat.
Wir wollen keinen Zimmermann-Staat.
Ich darf noch einige Worte zur FDP sagen. Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, am 17. November stand in der „Welt der Arbeit":
So sieht es die FDP Zimmermann hat FDP enttäuscht
Dann, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, führen Sie auf einer Seite aus, wie schlimm doch der Zimmermann sei, wie sehr er doch rechtsstaatliche Freiheiten einschränken wolle. Ich kann Ihnen nur sagen, und zwar ganz gezielt an Ihre Adresse: Frau Kollegin Schwaetzer, wer tatkräftig mit betrieben hat, daß der Bundesinnenminister Baum durch den Bundesinnenminister Zimmermann ersetzt worden ist, der braucht sich anschließend nicht darüber zu beschweren, Zimmermann enttäusche die FDP, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer.
Zu den verehrten Kollegen Baum und Hirsch: Sie wissen, daß wir in gemeinsamer Verantwortung auf der Bundesebene in der Innenpolitik gemeinsam politische Handlungsfelder ausgefüllt haben. Sie bleiben Ihren Überzeugungen treu. Ich bestätige dies ausdrücklich. Wenn ich die Wirklichkeit der Innenpolitik ansehe, fällt mir manchmal das Wort von Herrn Pressesprecher Boenisch ein: Sie demonstrieren, wir regieren. Ich wandle es ab — und so könnte es auf die FDP in der Innenpolitik gemünzt sein —: Sie beschließen auf Parteitagen Grundsätze zur Innenpolitik, denen wir weitgehend folgen können; in der Praxis der Innenpolitik kommen Sie dann leider, meine Damen und Herren von der FDP, nicht zum Zuge. Es bleibt dabei: in der Praxis der Innenpolitik auf Bundesebene kann nur die Sozialdemokratische Partei tatkräftig das liberale Wächteramt ausfüllen.
Wir, meine Damen und Herren, stehen dazu.
Wir beantragen namentliche Abstimmung zur Ablehnung der Politik und damit zur Ablehnung des Haushaltes des Bundesinnenministers.