Rede von
Harald B.
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einige Bemerkungen zum Einzelplan 36, zivile Verteidigung, machen, der ebenfalls in die Kompetenz des Bundesministers des Innern fällt. Der Einzelplan 36 weist u. a. die Mittel und Maßnahmen für den Rettungsdienst und den Schutz vor Katastrophen, wie Hochwasser, Brände, schwere Unfälle und ähnliches im Friedensfalle aus. Wir Sozialdemokraten begrüßen ausdrücklich, daß dafür in diesem Haushalt mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung setzt in diesem Punkt unsere Politik fort. Es ist gut, meine Damen und Herren, daß in diesem Haus über die notwendige Vorsorge und über wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutze vor Katastrophen im Friedensfall keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede bestehen.
Stellvertretend für alle Organisationen mit ihren über 1,2 Millionen freiwilligen Helfern, die im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz tätig sind, dankt die SPD-Bundestagsfraktion dem Technischen Hilfswerk und seinen Mitarbeitern für ihren Einsatz und ihre Hilfe,
beispielsweise bei der Bewältigung der Hochwasserkatastrophe in einigen Bundesländern in diesem Jahr.
Ein anderer Schwerpunkt, meine Damen und Herren, im Einzelplan 36 gilt dem, was die Bundesregierung — ich zitiere — „die zivile Vorsorge des Staates sowie die Selbsthilfe der Bürger im Verteidigungsfall" nennt. Hier, meine Damen und Herren, ist Klarheit und Offenheit geboten. Ich will dies am Beispiel des Schutzraumbaus verdeutlichen. Ich sage es auch mit der gebotenen Selbstkritik an unsere eigene Adresse, was die Zeit unserer Regierungsverantwortung angeht.
Tatsache ist: Mit Mitteln des Bundes ist in den letzten Jahren der Bau von ungefähr 2,2 Millionen Schutzraumplätzen gefördert worden. Davon entfallen 98 % auf öffentliche Schutzräume, der Rest, etwa 44 000, sind Hausschutzräume, die im privaten Wohnungsbau errichtet worden sind.
Die Bestandsaufnahme zum Schutzraumbau ergibt: Lediglich für 3,5 % der Bundesbürger stehen Plätze im Schutzraumbau für den Ernstfall zur Verfügung.
Nur ein geringer Teil davon ist „atombombensicher". Im Klartext heißt dies: Im Verteidigungsfall gibt es „selbst" bei einem konventionellen Krieg nur für einen verschwindend geringen Teil der Bundesbürger den Schutz durch Schutzraumbau. Ehrlichkeit und Offenheit gebieten, in aller Öffentlichkeit festzustellen: Für einen Atomkrieg in der Bundesrepublik gibt es keinen Überlebensschutz.
Diese Feststellung mag zwar manchem unbequem erscheinen, aber sie ist die Wahrheit. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben am 3. August dieses Jahres zu der Petition eines Bürgers zu diesem Problem an den Deutschen Bundestag unter dem Aktenzeichen — ich zitiere dies, um möglichen Nachfragen zu begegnen — AZ 1 - 10 - 06 215 - 4160 folgendes ausgeführt — ich zitiere wörtlich und langsam —:
Schutzräume bieten zwar keinen Volltrefferschutz gegen Atomwaffen, außerhalb des Volltrefferbereichs werden jedoch die Überlebenschancen der Schutzrauminsassen wesentlich vergrößert.
In Hiroshima haben schon verhältnismäßig einfache Schutzvorkehrungen wie z. B. erdüberdeckte Unterstände das Überleben von Menschen ermöglicht.
Soweit Ihre Aussage, Herr Bundesinnenminister.
Wir, meine Damen und Herren, empfinden diese Feststellung des Herrn Bundesinnenministers — um es zurückhaltend zu formulieren;
2894 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Schäfer
Zurückhaltung ist das mindeste, Herr Kollege Schmidbauer, was auch den überlebenden Opfern von Hiroshima und Nagasaki angemessen ist — als eine unerträgliche, unverantwortliche Verharmlosung der Folgen eines Atomkriegs.
Ihnen, Herr Bundesinnenminister, empfehlen wir allen Ernstes, Sie sollten sich den Film „The Day after" anschauen. Am Tag danach sollten Sie dann diese beschwichtigende Aussage schleunigst aus der Welt schaffen, Herr Bundesinnenminister.
— Sie, Herr Miltner, wissen wie wir, daß ein Atomkrieg in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland alles Leben zerstört.