Herr Kollege Kühbacher, wenn Sie das vorbedacht gesagt haben, ist es noch schlimmer.
Ich hatte gehofft, daß Sie sich lediglich hätten hinreißen lassen. Ich bleibe dabei: Sie sollten das hier in Ordnung bringen.
Zweite Vorbemerkung, Herr Kollege Kühbacher: Ich meine, Sie sollten auch einmal darüber nachdenken, ob Ihr Einsatz für die Beamten, für den öffentlichen Dienst so sehr glaubwürdig ist. Vielleicht darf ich Sie einmal daran erinnern, daß im Innenausschuß bei der Abstimmung über § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes, womit wir ein Gesetz aus Ihrer Regierungszeit, das einen enteignungsgleichen Eingriff gegenüber Versorgungsempfängern enthält, teilweise rückgängig machen wollten,
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Gerster
ausgerechnet Sie als einziger dagegengestimmt haben.
Hier fallen Worte und Taten auseinander.
Im übrigen hat die SPD ohnehin keinen Anlaß, sich in der Besoldungspolitik aufs hohe Roß zu setzen. Denn die seinerzeit von Ihnen geführte Regierung hat 1982 damit begonnen, die bis dahin gleichzeitig vorgenommene Besoldungsanpassung bei Arbeitern, Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst aufzugeben und die Besoldungserhöhung für Beamte erst drei Monate später durchzuführen, was wir zum Teil auch rückgängig gemacht haben, Sie haben mit der Ungleichbehandlung im öffentlichen Dienst begonnen. Wer damit begonnen hat. sitzt im Glashaus und sollte nicht mit Steinen werfen.
Wenn Sie sich heute zum Fürsprecher der Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst machen: Haben Sie denn wirklich vergessen, daß Sie die Arbeitsmarktabgabe einführen, daß Sie damit speziell auch den öffentlichen Dienst treffen wollten?
— Ich weiß, daß Sie das sehr nervös macht. — Haben Sie vergessen, wer — Arm in Arm mit der ÖTV, nämlich die SPD — jahrelang Hexenjagd gegen den öffentlichen Dienst betrieben hat?
— Natürlich! Ich darf in diesem Zusammenhang den früheren Bundesarbeitsminister Ehrenberg zitieren, so zu lesen am 24. Juli 1977 in der „Wilhelmshavener Zeitung". Ich habe dieses Zitat hier schon einmal gebracht. Herr Ehrenberg hat dem bis heute nicht widersprochen, obwohl es im Protokoll des Deutschen Bundestages steht.
Er sagte damals: „Die Väter des Grundgesetzes müssen bei der Einführung des Berufsbeamtentums geistig umnachtet gewesen sein."
Meine Damen, meine Herren, das ist die Beamtenfreundlichkeit der SPD, eines früheren Arbeitsministers, den diese Partei gestellt hat.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Kühbacher machen Wir haben, Herr Kollege Kühbacher, bei insgesamt 183 Titeln des Etats des Bundesinnenministers, so wie er im Regierungsentwurf vorgelegt worden ist Änderungen besprochen und gemeinsam beschlossen. Nur an acht Stellen, nur bei acht Titeln gab es zwischen dem Berichterstatter der Koalition — das war ich — und dem Berichterstatter der SPD — das sind Sie — überhaupt Abweichungen — bei acht
Titeln von 183 beratenen bei etwa 500 oder 600 Titeln insgesamt des Innenressorts. In der Schlußabrechnung weicht — bei einem Etat von mehr als 3,5 Milliarden DM — Ihr Mitberichterstattervorschlag von dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen um ganze 10 000 DM ab. Dann kommen Sie hierher und glauben der Regierung und den Koalitionsfraktionen vorwerfen zu können, sie wollten politisch — finanzpolitisch und damit sachpolitisch — eine ganz andere Welt. Herr Kollege Kühbacher, Sie haben hier ein bißchen zu weit Anlauf genommen und sind weiß Gott zu kurz gesprungen.
Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Muß die weitgehende Übereinstimmung in finanziellen Fragen beim Etat des Innenministers denn nicht Beleg dafür sein, daß wir auch weitgehend in sachpolitischen Fragen einig sind? Da bin ich bei der Rede des innenpolitischen Sprechers der SPD vor etwas mehr als einem Jahr, am 14. Oktober 1982. Er kündigte damals in Richtung Innenminister Zimmermann an: Erstens, er habe Zweifel an der verfassungsrechtlichen Durchsetzbarkeit der versprochenen vorgezogenen Neuwahl; zweitens, das Ende jedweder Innenpolitik unter Zimmermann werde kommen, es würde nichts geschehen, und drittens, das Ende der inneren Liberalität unseres Staates drohe wegen Zimmermann.
Von diesen drei Anwürfen hat sich nichts bestätigt, ist nichts übriggeblieben. — Meine Damen, meine Herren, wenn ich Beifall von den GRÜNEN und Roten sehe: Ich rate Ihnen dringend, über die innere Liberalität nachzudenken. Gerade die GRÜNEN haben keinerlei Veranlassung, aufzumucken. Wer — wie Sie — das imperative Mandat praktiziert, wer Abgeordnete, die frei gewählt sind, unmittelbar nach einer Wahl zwingt, das Mandat niederzulegen,
der sollte besser nicht von innerer Liberalität reden.
Meine Damen, meine Herren, erinnern Sie sich — —
— Ich verstehe Ihren Zwischenruf leider nicht.
— Nein, nein, ich gehe gerne darauf ein. Herr Schily, Sie sollten nicht von innerer Liberalität reden. Sie sind eine Fraktion, die frei gewählte Abgeordnete — ich sage es noch einmal — zwingt, ihr Mandat niederzulegen, wohl unter dem Stichwort „Basisdemokratie". Leute an irgendwelchen Stellen beschließen, was Sie hier abzustimmen haben.
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Sie sind doch die Hampelmänner Ihrer Basis. Sie sind doch nicht freie Abgeordnete. Sie sind Vollzugsorgane.
— Lesen Sie das Protokoll vom 20. November nach.
— Ich nehme den Ausdruck nicht zurück. Lesen Sie in Ihrem Fraktions-Protokoll vom 20. November nach, wie Sie miteinander umgehen, wie Sie hier im Hause umgehen wollen, wie Sie eine doppelte Strategie führen, wie wir es in diesem Jahrhundert leider Gottes schon einmal bei einer Partei in Deutschland hatten,
wo man versuchte, den Kampf im Parlament als Fraktion zu führen und dieselben Leute glaubten, bei Mehrheitsentscheidungen des Parlaments über die Straße Druck ausüben zu können. Sie sprechen von innerer Liberalität gegenüber einem Parlament, das nur unter Polizeischutz frei beraten konnte. Sie wollten vor einer Woche die Beratungen dieses Bundestags unter Druck setzen. Ich muß Ihnen sagen: Ich schäme mich, weil ich aus den 30 Jahren der Geschichte der Republik keinen Fall kenne, wo die frei gewählten Abgeordneten des Bundestages nur durch Kontrollen in den Bundestag hineinkonnten und dem Druck der Straße ausgesetzt werden sollten. Sie sollten das erst einmal seinlassen und danach über Liberalität in diesem Lande reden, meine Damen, meine Herren von den GRÜNEN.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich, nachdem ich das in aller Deutlichkeit gesagt habe, zu dem Thema der Beratungen dieser vier Tage kommen. Ihre Nervosität ist doch darauf zurückzuführen
— Herr Kollege Kühbacher, aufgeregter als Sie hier konnte man kaum reden —,
daß die Menschen in diesem Lande zunehmend spüren, daß die Talfahrt dieses Landes beendet ist, daß es wieder aufwärts geht.
Von der Bundesbank über die fünf Weisen bis hin zu sämtlichen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten belegen uns alle — was wir auch an Zahlen erkennen können —, daß sämtliche Rahmendaten der Wirtschafts- und Finanzpolitik nach oben weisen. Lassen Sie mich hier vier Beispiele nennen.
Erstens. Der Schrumpfungsprozeß unserer Wirtschaft ist gestoppt. Wir haben in diesem Jahr wieder Wirtschaftswachstum und werden im nächsten Jahr ein noch stärkeres Wirtschaftswachstum haben.
Zweitens. Vor einem Jahr betrug die Preissteigerungsrate noch 5,6 %. Wir haben sie heute mehr als halbiert. Wir liegen bei 2,5 %. Dies bedeutet, daß die Mark heute stabiler ist als die letzten fünf Jahre.
Drittens. Bis in dieses Frühjahr rasten wir in eine immer höhere Massenarbeitslosigkeit hinein. Heute bestätigen uns alle Sachverständigen bis hin zur Bundesanstalt für Arbeit, daß wir eine Trendwende feststellen können, daß zwar in diesem Winter aus saisonalen Gründen die Arbeitslosigkeit noch einmal zunimmt, daß aber auf Grund konjunktureller Daten mit einer Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen im nächsten Jahr zu rechnen ist.
Ein vierter Punkt. Unter einer SPD-Regierung, so sie heute noch bestehen würde, hätte nach den realistischen Zahlen des Jahres 1982 die Neuverschuldung in diesem Jahr 56 Milliarden DM betragen,
und im nächsten Jahr wären es weit über 60 Milliarden DM gewesen.
Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, in nur einem Jahr wurde unter dieser Bundesregierung mit Hilfe der Beschlüsse in den Haushaltsberatungen des Parlaments das Jahresdefizit im nächsten Jahr auf 33,6 Milliarden DM reduziert. Das ist weniger als die Hälfte der Neuverschuldung, die wir im nächsten Jahr zu verspüren hätten, wenn Sie noch an der Regierung wären.
Meine Damen, meine Herren, auch das sollten Sie sehen: wir werden im nächsten Jahr
— da können Sie so laut schreien, wie Sie wollen — erstmals seit Jahren wieder das Verfassungsgebot des Art. 115 des Grundgesetzes beachten können, daß nicht mehr Schulden gemacht werden,
als der Bund selbst oder durch nachgeordnete Behörden investieren kann.
Hier möchte ich dem Bundesfinanzminister und seinen Beamten ausdrücklich danken. Ihre Angriffe, meine Damen, meine Herren, Ihre Angriffe auf Herrn Stoltenberg beruhen j a nicht auf mangelnder Leistung, sondern darauf, daß er Ihrer Meinung nach zu gut ist. Wir sollten ihm heute für seine
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großartige Leistung im letzten Jahr ein herzliches Dankeschön sagen.