Rede von
Günther
Tietjen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Vizepräsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Ja, es findet gerade der Wechsel statt. — Für die Einbringung dieses Antrages steht nur eine kurze Redezeit zur Verfügung. Ich will deshalb zu Anfang gleich auf die Begründung unseres Antrages verweisen. Dabei wären weder der Antrag noch die Debatte heute morgen vor ziemlich leerem Hause notwendig gewesen, wenn man dem damaligen Bundesverteidigungsminister Dr. Hans Apel gefolgt wäre, der mir im April 1982 mitgeteilt hat, daß die Bundeswehr bereit sei, ein Gelände von 5 000 qm in Esterwegen zur Einrichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Verfügung zu stellen.
Dafür noch einmal, Herr Minister a. D., herzlichen Dank.
Antrag und Debatte sind aber notwendig geworden, weil nur ein Jahr später der Nachfolger von Dr. Apel, Herr Wörner, diese Zusage von Dr. Apel rückgängig gemacht hat.
— Der fehlt. Er läßt sich durch den Staatssekretär vertreten, wie das den ganzen Morgen schon gewesen ist.
Die Minister sind sehr angespannt.
Nur ein Jahr später wird die Zusage zurückgezogen, und zwar mit einer Begründung, die ich nicht ganz verstehe. Jetzt sollen auf dem Gelände, das zur Verfügung gestellt werden sollte, Bundeswehrlazarette errichtet werden. Dabei gibt es in dem Teil des westlichen Niedersachsens genügend Bundeswehrgelände, z. B. in Haren an der Ems, auf dem durchaus die Möglichkeit bestünde, diese Lazarette zu errichten.
— Das kann man durchaus so sagen, Herr Kollege. Das ist richtig. Dies geschieht gerade 50 Jahre nach dem schrecklichen Jahr 1933, als das Hitlersche nationalsozialistische Regime begann und Deutschland über lange Jahre in große Not gebracht hat. 50 Jahre danach wird diese Zusage zur Errichtung eines solchen Zentrums zurückgezogen.
Dabei haben sich gerade junge Leute in den zurückliegenden Jahren in dem Aktionskomitee zur Errichtung eines solchen Zentrums die große Mühe gemacht, in der Bevölkerung, bei den politischen Parteien, bei den Kirchen, bei den Gewerkschaften für die Errichtung eines solchen Zentrums zu werben. Ich meine, die jungen Leute im Aktionskomitee haben mit ihrem Bemühen recht gehabt. Sie sollten, Herr Bundesverteidigungsminister, vertreten durch den Herrn Staatssekretär, ihre Entscheidung in aller Eindeutigkeit, in aller Entschiedenheit dadurch ändern, daß Sie sich auf das zurückbegeben, was 1982 Verteidigungsminister Dr. Apel entschieden hat. Das sage ich in aller Eindringlichkeit.
Denn, meine Damen und Herren, durch die Waffenfunde in der Lüneburger Heide, durch den Terroranschlag in München und viele weitere neofaschistische Gewalttaten hat sich die Aktualität, die Bedeutung und die Notwendigkeit des Einsatzes für Demokratie und Freiheit, gegen den Ungeist des Faschismus gezeigt.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir von den Medien nicht mit neuen Meldungen über neufaschistische Aktivitäten, Waffenfunde oder internationale neofaschistische Zusammenarbeit konfrontiert werden. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, daß diese Enthüllungen nicht Folge davon sind, daß nach München neofaschistische Aktivitäten plötzlich und explosionsartig zugenommen hätten. Nein, all das gab es auch vorher schon. Aber es wurde von den etablierten Medien beflissen verdrängt und minimalisiert. Es bedurfte der Bombentoten, um den Verschleierungsvorhang etwas zu lüften.
Der Neofaschismus, meine Damen und Herren, darf für uns kein Thema kurzlebiger Aktualität
2846 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1983
Tietjen
sein. Der Neofaschismus ist eine Gefahr für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland.
Wir müssen ihn aktiv bekämpfen. Wir in Deutschland haben aus leidvoller historischer Erfahrung allen Grund und auch den grundgesetzlichen Auftrag, wachsam zu sein. Wir dürfen uns nicht von internationalen Antifaschisten beschämen lassen, die z. B. in Bologna und Paris sehr empfindsam auf faschistischen Terror reagieren. Wachsam reagieren können wir aber nur, wenn wir unsere eigene Geschichte aufarbeiten, die Ursachen und Auswirkungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch kennen.
Man muß Kriterien entwickeln, um auf die neofaschistischen Gefahren reagieren zu können. Dem Erhalt wichtiger Zeugnisse und Dokumente kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Deshalb ist, meine Damen und Herren, die Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Geschichte der 15 Emslandlager von zwingender Notwendigkeit.
Die niedersächsische Landesregierung hat dankenswerterweise eine Gedenkstätte in Form eines Rundbaues auf diesem Gelände errichtet. Ich halte diese architektonische Bewältigung eines historischen Problems für unzulänglich. Das sage ich dazu.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Emslandlager bleibt damit nämlich auf das stille Lesen der 15 Lagernamen und eines kurzen Informationstextes beschränkt. Dies kann keine wirksame Aufklärungsarbeit ersetzen, meine Damen und Herren.
Notwendig ist eine unter wissenschaftlichen und didaktischen Gesichtspunkten ausgestattete und von Fachkräften betreute Einrichtung. Dieses Dokumentations- und Informationszentrum soll den Besuchern nicht nur ein Gedenkstättenerlebnis, sondern die Einleitung demokratischer Lernprozesse ermöglichen.
Lernen bedeutet eben nicht nur, Zahlen zur Kenntnis zu nehmen, Bücher zu lesen oder einen Friedhof auf sich wirken zu lassen. Die Besucher — hierunter sicherlich gerade Jugendliche und Schulklassen — sollen angeregt werden, sich mit den undemokratischen Entwicklungen und den neofaschistischen Gefahren der Gegenwart auseinanderzusetzen. Dazu ist neben der Erzeugung emotionaler Betroffenheit auch das lebendige Gespräch, der Austausch mit sachkundigen Gesprächspartnern, die Beschäftigung mit historischen Dokumenten und Informationsmaterialien unter gezielter Anleitung, ein wirkliches Abarbeiten an der eigenen Geschichte notwendig. Hierdurch könnte das DIZ eine wertvolle Unterstützung des Geschichtsunterrichts besonders in dieser Region darstellen.
Meine Damen und Herren, es wird jetzt möglicherweise gleich der Einwand kommen, man habe schon mit dem Bau begonnen. Das stimmt allerdings. Ich habe mich gestern akut informieren lassen. Man hat vor drei Wochen mit den ersten Baumaßnahmen auf dem Gelände begonnen. Damals war der Antrag der SPD-Fraktion der Opposition auch der Regierung bekannt. Vor drei Wochen haben die ersten Erdarbeiten begonnen; das finde ich nicht gut.
— Das müssen Sie so finden; das ist Ihr Geschichtsbewußtsein.
Herr Staatssekretär, Sie werden Stellung nehmen müssen, ob es richtig ist, daß das Bundeswehrgelände dort so groß ist, daß neben diesen Bundeswehrlazaretten zusätzlich die Errichtung von Gebäuden möglich ist. Man hat mir von verantwortlicher kommunaler Seite gesagt, da sei genügend Gelände vorhanden. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, wenn schon das Bundeswehrlazarett ohnehin auf diesem Gelände installiert werden muß — wo übrigens auch schon ein Depot installiert ist —, alle Anstrengungen zu unternehmen, um es möglich zu machen, daß ein solches Dokumentations- und Informationszentrum dort gebaut werden kann.
Es mag auch der Einwand kommen, man schaffe in dieser Region mit dem Bundeswehrlazarett Arbeitsplätze. Die Gemeinde Esterwegen hat eine Arbeitslosenquote von 35%. Es wird gesagt werden können, man schaffe Arbeitsplätze. Sieben oder acht, steht in den Papieren drin. Ich sage Ihnen, man schafft auch mit der Errichtung eines Dokumentations- und Informationszentrums Arbeitsplätze. Man treibt diese Region mit diesem Zentrum nach oben, so bitter es ist, daß man mit einer solchen Darstellung eine Region positiv nach oben treiben muß.
Meine Damen und Herren, wir werden die Ausschußberatung begleiten mit dem Wollen, daß dieses Zentrum eingerichtet wird. Wir werden bei den Beratungen immer wieder das Lied von den Moorsoldaten in den Ohren haben: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor." Darum bitte ich Sie, das Gelände für die Errichtung eines solchen Zentrums freizugeben.