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ID1002005800

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    Plenarprotokoll 10/20 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 20. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. September 1983 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des Schwedischen Reichstages 1370 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — Dr. Dregger CDU/CSU 1339 B Glombig SPD 1348 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 1354 D Reents GRÜNE 1357 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 1361 D Frau Huber SPD 1370 C Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 1376 C Frau Potthast GRÜNE 1380 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 1382 B Nächste Sitzung 1386 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1386 A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1983 1339 20. Sitzung Bonn, den 9. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Antretter * 9. 9. Dr. Czaja 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Haungs 9. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 9. 9. Hoffie 9. 9. Junghans 9. 9. Kretkowski 9. 9. Kroll-Schlüter 9. 9. Dr.-Ing. Laermann 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Link (Diepholz) 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Müller (Remscheid) 9. 9. Offergeld 9. 9. Reschke 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Rohde (Hannover) 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Schröer (Mülheim) 9. 9. Frau Verhülsdonk 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Voigt (Sonthofen) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. Frau Dr. Wisniewski 9. 9. Wissmann 9. 9. Wurbs 9. 9 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Antje Huber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, ob die Zuhörer draußen am Radio eigentlich gemerkt haben, welches Ressort Herr Blüm hier heute vertreten hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Jeder Abgeordnete kann heute in seinem Wahlkreis feststellen, mit welcher Furcht viele Gruppen unseres Volkes die sozialpolitische Situation verfolgen. Haben Sie, Herr Blüm, eigentlich einmal hingehorcht? Sie reden hier von Optimismus. Wenn Optimismus verbreitet werden soll, so schaffen Sie ihn, aber dann mit einem anderen Programm.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein knappes Jahr nach dem Ende der sozialliberalen Koalition — das gibt Herr Albrecht in der zweiten These seiner zehn Thesen ja auch zu — sind doch die Hoffnungen verraucht, die mit dem Regierungswechsel verbunden waren. In dieser Woche wird uns mit dem Haushaltsplan das größte sozialpolitische Sparprogramm vorgelegt, das wir in der Bundesrepublik je erlebt haben — und das ohne jeden Ausgleich und ohne jede Belastung auf der anderen Seite, nämlich bei den Leuten, die nicht so sehr auf soziale Leistungen angewiesen sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Blüm hat hier lustig vom Wasserrohrbruch im Keller gesprochen. Der Keller ist das Fundament. Es kann schon sein, daß hier ein Wasserrohr bricht. Die Frage ist, wer dort dann zuerst absaufen wird. Das ist unser Problem.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir müssen ja nun nicht etwa alle den Gürtel sehr viel enger schnallen. Diejenigen, die ohnedies keine dicken Bäuche haben, sollen den Gürtel enger schnallen. Ich muß es mir jetzt versagen, daran zu erinnern und breit auszuführen, welche Anträge Sie als Opposition hier in den vergangenen Jahren eingebracht haben, wenn es um die benachteiligten Gruppen ging. Sie wollten uns doch immer übertreffen. Aber nun sieht man, was daran wirklich war: Eine unverbindliche Liebedienerei war es, sonst gar nichts. Es sind nicht einmal alle Kürzungen, so schmerzlich diese auch im einzelnen sind, die uns hier so ärgerlich machen. Es ist vielmehr die einseitige, ungerechte, phantasielose und teilweise sogar



    Frau Huber
    grausame Art, in der sich Einschnitte vollziehen sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Sie lassen jene Solidarität vermissen, die wir uns als Wohlstandsgesellschaft sehr wohl auch heute noch erlauben könnten.
    Am schärfsten sind von den aktuellen Beschlüssen der neuen Bundesregierung die Frauen betroffen. Keiner hat je so viel über die Frauen und die Familie geredet wie Herr Bundeskanzler Kohl, keiner je so schön wie die Herren Minister Blüm und Geißler. Heute morgen hat Herr Dregger ja auch noch ein Gedicht angefügt. Jetzt nehmen aber doch viele voller Staunen zur Kenntnis, daß nun alles andere geschieht als das, was sie vor der Wahl erwartet haben. Ich rede hier heute nicht von einer Minderheit. Ich rede von der Mehrheit unseres Volkes, auch wenn sie sich als solche nicht in den Organisationen manifestiert. Im Zusammenhang mit den jetzigen Kürzungen rede ich nicht vom Abbau von Privilegien, obwohl das nötig wäre, sondern ich rede über das rigorose Ende eines Prozesses, der in den letzten Jahren mehr Gleichberechtigung gebracht hat. Gleichberechtigung heißt mehr Gleichheit aus Berechtigung. Dies war eine noch keineswegs abgeschlossene mühselige Entwicklung, die durchaus ihre Kritiker fand und findet, z. B. in der Frauenbewegung. Aber es war doch so, daß sich in Familie und Arbeitswelt real doch einiges in Recht und Praxis bewegt hat.
    Ich hatte mir immer gewünscht, zu diesem Thema einmal im Rahmen einer großen Debatte sprechen zu können. Daß das heute hier vor einem so negativen Hintergrund geschieht, macht mich nach 30jähriger politischer Tätigkeit sehr betroffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich bin viel zu lange hier, um noch in billiger Polemik zu schwelgen.
    Wir brauchen wahrscheinlich bald eine grundlegende Diskussion darüber, wie unser Sozialsystem, dessen Grundstruktur ja noch aus dem vorigen Jahrhundert stammt, auf neue Grundlagen gestellt werden kann, die den Veränderungen der Wirtschaft entsprechen und nicht am Lohn als einziger Größe anknüpfen. Bei abnehmender Zahl der Arbeitsplätze kann anhaltende Schmälerung von Sozialleistungen und die damit verbundene Unsicherheit, die ja nicht nur die Rentner empfinden, doch nicht über Jahre hinweg das Dauerkonzept sein. Ich wundere mich, wenn Herr Cronenberg hier heute so lapidar sagt, es handle sich schlicht um die Anpassung des Sozialsystems an die verschlechterten Bedingungen. Ich meine, etwas mehr wird man wohl nachdenken müssen.
    Meine Damen und Herren, soweit es sich nur um schlichte Kürzungen handelt, erwarten die Bürger zumindest ein erkennbares Bemühen um Gerechtigkeit. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit sparsamer Haushaltsführung: Dieser Generalangriff auf die Lebenschancen von Frauen, den wir jetzt erleben, wird Sie, wenn das Gefühl für Gerechtigkeit im Volke noch nicht ganz versiegt ist, politisch noch teuer zu stehen kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Rechtskoalition hat mühsam erreichte Fortschritte ausgelöscht und berechtigte Hoffnungen erstickt. Die Frau, der Sie als Berufstätiger und Hausfrau doch immer so gern den Hof machen, wobei Sie beide gleichzeitig gegeneinander ausnutzen, ist nun zum Aschenputtel der Politik geworden.
    Klingt es nicht wie Hohn, wenn die Minister der neuen Regierung 200 000 Geburten pro Jahr mehr fordern, während Sie gleichzeitig den Mutterschaftsurlaub um 40 % kürzen, d. h. um einen Monat Bezugsdauer und 150 DM alle vier Wochen? Das sind zusammen 1 200 DM pro Fall. Finanzieren Sie damit einen Teil der Vermögensteuersenkung?

    (Zustimmung bei der SPD)

    Diese Frage muß doch erlaubt sein. Minister Posser hat uns vorgetragen, wem diese Vermögensteuersenkung zugute kommt. Wie können Sie das vor den berufstätigen Müttern entschuldigen? Über 90 % der jungen Mütter haben vom Mutterschaftsurlaub Gebrauch gemacht. Ist Ihnen eigentlich gar keine andere Gruppe unseres Volkes eingefallen, bei der Sie den Rotstift eher ansetzen konnten? Es ist hier schon an die Vorschläge von Staatssekretär Vogel erinnert worden. Warum holen Sie Ihre Sparmilliarden ausgerechnet von denen, die schon am meisten belastet sind?
    Sogar Herr Dr. Haimo George meint in seinem bekannten Papier, wenn er von der unterlassenen Humaninvestition, d. h. von den fehlenden Geburten spricht, die Familienförderung dürfe ruhig etwas kosten und müsse sogar ausgebaut werden. Mit der letzten Kindergeld- und der jetzigen Mutterschaftsurlaubskürzung hat sich allerdings der Finanzminister durchgesetzt. Wir haben das so erwartet. Denn mit der CDU und mit der FDP kann man das eben machen.
    Nachdem ich Herrn Dr. George zitiert habe, muß ich nun leider auch anfügen, daß ihm vor allen Dingen der sogenannte Nebeneffekt von Familienförderung, nämlich die Entlastung des Arbeitsmarktes, wichtig ist. Wenn — so argumentiert er — vier Millionen Kinder seit 1970 mehr geboren worden wären, dann hätten ihre Mütter den Arbeitsmarkt weniger belastet. Aber während er beklagt, daß jüngere Frauen ihre Erwerbsarbeit zunehmend weniger unterbrechen, wobei — das sage ich — die Angst um den Arbeitsplatz natürlich eine Rolle spielt, teilt er keineswegs mit, welche Arbeitsplätze eigentlich den vier Millionen Kindern winken, die ihre Mütter vom Arbeitsmarkt fernhalten sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unglaublich widersprüchlich wird die Sache bei Herrn Dr. George aber erst, wenn er noch im selben Papier bemängelt, daß wegen bestimmter Beschäftigungsverbote und Arbeitszeitregelungen in den letzten Jahren nun auf einmal zu wenig Frauen tätig geworden seien; sonst hätte man sich nämlich die ausländischen Gastarbeiter sparen können.



    Frau Huber
    Hier tritt das alte konservative Denkschema zutage, wonach die Frauen als Arbeitsmarktreserve für alle — außer für sich selbst natürlich — die beste Lösung sind.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Nun haben Sie genug geschimpft; nun werden Sie mal alternativ!)

    — Ja, ja! Wir sind auch schon alternativ geworden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wann denn?)

    — Sie kennen ja unsere Vorschläge.
    George — muß ich Ihnen sagen — schreckt ja nicht mal vor dem Vorwurf zurück, die Frauen nähmen vor geplanter Mutterschaft Arbeit auf, nur um dann Leistungen zu kassieren. Das ist ja gerade so, als ob den Frauen jetzt massenhaft Arbeitsplätze angeboten würden.
    Andererseits gibt es kein Verständnis, kein kritisches Wort für die negative Einstellung von Firmenchefs, die junge Frauen wegen der Familienfrage nicht einstellen, andererseits außerbetrieblich natürlich immer den Geburtenmangel beklagen. Hier sollen offensichtlich Schutzbestimmungen weg. Das tut ja die neue Regierung auch.
    Einen Mann wie Dr. George, der solche Ansichten vertritt, leistet sich die CDU/CSU-Fraktion als Vorsitzenden ihrer Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales. Arbeit und Soziales! In dieser Funktion haben die Vorschläge einen hohen Stellenwert, auch wenn er sie als persönlich deklariert. Und die jetzige Regierung kann nach dem, was auf dem Tisch ist, sicher gut mit ihm leben. Da können wir mit den Familienverbänden, die Ihnen ja sonst immer die Stange gehalten haben, und den alleinerziehenden Müttern und Vätern nur sagen, daß die Diskrepanz zwischen den positiven Worten der Bundesregierung und ihren die Familie zunehmend belastenden Taten offensichtlich ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch die Ankündigung, daß ab 1987 an alle Mütter ein Mutterschaftsgeld gezahlt werden solle, tröstet nur noch einige Gutgläubige, Herr Blüm. Sie findet keinen Niederschlag in der mittelfristigen Finanzplanung. Darin ist ebenso kein Babyjahr zu finden. Die Milliarden, die das kosten würde, werden sicherlich anderswo gebraucht, und eine bloße Taschengeldlösung beim Mutterschaftsgeld können Sie sich schenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit all diesen Kürzungen, meine Damen und Herren, haben CDU, CSU und FDP den Familien mehr genommen — ich denke an Wohngeldkürzungen, BAföG, an all die Dinge, die noch dazu kommen —, als sie ihnen je durch das Erziehungsgeld in Aussicht gestellt haben, und Sie haben ihnen nicht mal dieses gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Käme es zum Familiensplitting, was ich bezweifle, dann würde dies das allgemeine gleiche Kindergeld aufzehren müssen; denn sonst ist es viel zu teuer. Wenn es das aber tut, wird es sozial ungerecht, und das sagen Ihnen die betroffenen Verbände ebenfalls schon jetzt. Hier sagt Herr Dregger — auch Herr Blüm hat es anklingen lassen —, daß die kinderreichen Familien sozial benachteiligt sind. Herr Dregger hat gesagt: Skandalös benachteiligt. Haben Sie denen etwa nicht das Wohngeld, die Sozialhilfe und das Kindergeld gekürzt?

    (Beifall bei der SPD)

    Arme Kinderreiche werden vom Splitting nichts haben. Ich frage Sie: Wem wollen Sie denn eigentlich helfen?

    (Beifall bei der SPD)

    Familiengründung und Mutterschaft, so sagt der Verband alleinerziehender Väter und Mütter, wird ein abenteuerliches Risiko, insbesondere wenn Sie dann auch noch das Scheidungsrecht mit der Wiedereinführung von Verschuldenskriterien, der Erschwerung von Unterhalt und Versorgungsausgleich novellieren.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Althammer [CDU/CSU]: Es ist sehr unbedarft, was Sie da von sich geben!)

    — Es ist nicht unbedarft, es ist leider eine Tatsache, falls Sie Ihre Ankündigungen wahr machen!

    (Dr. Althammer [CDU/CSU]: Natürlich, weil es notwendig ist!)

    — Wir streiten hier darüber, was notwendig ist und in welcher Form es notwendig ist, aber das muß man ganz seriös machen. Herr Althammer, wir sind eben anderer Auffassung und meinen, daß Sie nicht ausgerechnet immer bei den armen Familien und den Müttern ansetzen sollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Die meisten Familien leben von Erwerbsarbeit — das sagt Herr Dr. George, das ist heute morgen hier auch von Herrn Dregger gesagt worden —, sie ist die Quelle unseres Wohlstandes. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß Sie am meisten an die Menschen denken, die den Wohlstand erarbeiten, nämlich an die Arbeiter und die Frauen unter ihnen. Es heißt nämlich bei Herrn Dr. George und auch anderswo, daß die Arbeit billiger werden soll. Ich finde es beschämend, wenn Herr Dr. George schreibt, daß ausgerechnet die Löhne und Gehälter in den Niedriglohngruppen zu hoch sind. So reden nur Leute, die ein Vielfaches davon verdienen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Herr Dr. George widerspricht sich dann aber neun Seiten später selbst, indem er gleichzeitig meint — das werden wir festhalten —, die Arbeitszeitverkürzung könne nicht kommen, weil nämlich die Arbeitnehmer nur begrenzt zu Lohnverzichten bereit und — man denke! — auch fähig seien. Da meint er sicherlich die Niedriglohngruppen. Wen anders sollte er da wohl meinen? In den Niedriglohngruppen sind ganz überwiegend die Frauen, mit ihren Handikaps in Ausbildung, kontinuierlicher Arbeit und Aufstieg. Sieht die Regierung nicht, daß genau an ihnen die neuen schleichenden Formen von Arbeitszeitverkürzung ausprobiert wer-



    Frau Huber
    den, Jobsharing und kapazitätsorientierte Arbeitszeit?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr George fordert nach den überzogenen Erwartungen, die die SPD gezüchtet habe, eine neue Sicht. Wir fordern: Augen auf vor solchen Prozessen am Arbeitsplatz, die ganz besonders die Frauen bedrohen! Warum tun Sie eigentlich nichts dagegen, Herr Blüm? Sie wollen noch nicht einmal die Arbeitszeitordnung novellieren, und das ist wohl das mindeste.

    (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Haben Sie das Ergebnis nicht gehört? — Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er Ihnen vorhin erklärt! Haben Sie nicht zugehört?)

    — Ich habe schon gehört warum, aber ich bin trotzdem der Meinung, daß das geschehen sollte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Satz hätten Sie beim Zuhören streichen können!)

    — Ich habe zugehört. Wir sind für die Veränderung der Arbeitszeitordnung.
    Die Frauen haben keine überzogenen Erwartungen. Sie kennen ihre schwächere Position; sie läßt sie oft genug trotz Benachteiligung schweigen. Sie lernen sie schon bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz kennen, wo Mädchen trotz guter Zeugnisse schwerer zu vermitteln sind und noch zuhauf in Berufe kommen, wo sie lange nicht alle bleiben können: Friseusen, Arzthelferinnen, Bäckerinnen.
    Der Wahlkreis von Herrn Dr. Kohl ist ein Musterbeispiel für die Ausbildungsmisere in unserem Land. Und die hat er doch zu beheben versprochen.
    Ich muß Ihnen sagen: Bei uns in Essen sieht es etwas besser aus als in seinem Wahlkreis.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihr Wahlkreis!)

    — Nicht deswegen. — Eines will ich Ihnen aber sagen, wenn Herr Blüm so billig argumentiert mit den Jungen, die nicht an der Zeche erschienen sind zur Aufnahme ihrer Arbeit. Ihre Familien haben sie nicht dorthin gejagt wie vielleicht die Eltern früher, von denen Herr Blüm sprach, weil das Damoklesschwert der Zechenschließung über uns hängt — schon wieder einmal — und weil wir nicht wissen, wieviel Sie für die Kohle tun werden.

    (Beifall bei der SPD — Dolata [CDU/CSU]: Gestern war es das Beispiel Hoechst!)

    Es handelt sich um Arbeitsplätze, die unter ganz besonderen Schwierigkeiten stehen. Ich komme von der Ruhr.

    (Dolata [CDU/CSU]: Bei der Chemie?)

    — Bei der Chemie nicht, aber bei dem Beispiel von der Zeche. Das hat er als Hauptbeispiel hier angeführt. Reden Sie sich nicht heraus. Der Mehrzahl der jungen Leute, die keinen Arbeitsplatz haben, wird nicht damit geholfen, daß Sie sagen: Es gibt da
    eine Zeche, zu der nicht alle zur Arbeitsaufnahme gekommen sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Solange die Kohle so unsicher ist, wird das wohl auch noch weiter passieren, verständlicherweise passieren.
    CDU und FDP haben den jungen Leuten, Mädchen und Jungen, einen schweren Schlag versetzt durch den Kahlschlag beim BAföG. Viele Eltern werden angesichts mangelnder Unterstützung nun zur Praxis meiner Jugendzeit zurückkehren; das heißt hier, die Ausbildung für den Jungen hat Vorrang, Mädchen stehen wieder zurück.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: So ist es! Die „geistig-moralische Erneuerung"!)

    Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es selbst erlebt. Es haben gerade die Mädchen in den letzten 20 Jahren unsere weiterführenden Schulen erobert und gute Ergebnisse gebracht. Wir freuen uns darüber, denn wir wissen, daß auch die Mädchen für ihre Lebenssicherheit eine feste Grundlage brauchen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Aber diese Mädchen werden nun zum Teil, Herr Blüm, Opfer einer Krise, von der andere Leute gar nichts merken.
    Die Frauen brauchen keine amtliche Untersuchung, um zu wissen, daß sie mit ihrer geringeren Berufsbandbreite, mit ihren Familienpflichten die schlechteren Chancen bei der Arbeitssuche haben, obwohl keineswegs alle einen männlichen Familienernährer haben. Ca. 19 % der Familien in der Bundesrepublik werden von einer Frau durchs Leben gebracht. Aber das schützt sie auch nicht immer davor, zum wachsenden Heer der Arbeitslosen zu stoßen, in dem die Frauen die Mehrheit bilden. Da haben sie dann Zeit, sich bei gekürzter Unterstützung Gedanken über die gepriesene Wahlfreiheit zu machen. Offenbar auf lange. Denn Sie, Herr Blüm, haben ja heute kein Beschäftigungsprogramm vorgeführt, nur Rechentricks, die keinem etwas bringen.
    Tun Sie das mit der Arbeitslosigkeit der Frauen bitte nicht so leichtfertig ab. Es wird oft gesagt, die Frauen wollten alle nur teilzeitarbeiten, um einen höheren Lebensstandard zu befriedigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer tut das leichtfertig ab?)

    — Ja, es wird oft gesagt, das sind meist nur die Frauen, die haben einen Ernährer, die wollen nur teilzeitarbeiten.

    (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Ehrenberg arbeitete damals mit Tricks!)

    Ich habe diese Auffassung hier nie vertreten. Im Gegenteil werden diese Frauen viele ganz normale Ansprüche nicht mehr befriedigen können, wenn sich Herr Ministerpräsident Albrecht mit seiner These durchsetzt, wonach der einzelne Arbeitnehmer künftig den Arbeitgeberbeitrag und andere so-



    Frau Huber
    ziale Absicherungen über eine erhöhte Mehrwertsteuer selbst finanziert.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist nicht zu begreifen, daß die Autoren solcher Vorschläge in der CDU bei ohnedies wachsenden Mieten, gekürztem Wohngeld, gestrichener Ausbildungsförderung, sinkenden Sozialleistungen so drastische Einkommensbeschneidungen fordern und dann noch ihre Kinder- und Familienfreundlichkeit hervorheben. Zu Recht stellt der DGB fest, daß keine Gruppe in unserer Gesellschaft von den neuen Kürzungen so hart betroffen wird wie die berufstätigen Mütter. Wegen der allgemeinen Lage werden immer mehr Frauen Arbeit suchen. Aber ob sie sie bekommen, ist bei der Tatenlosigkeit, die wir jetzt erleben, sehr die Frage.
    Die DGB-Frauen werden Ihnen in ihrer großen Kundgebung am 18. September hier in Bonn ihre Enttäuschung über den beispiellosen Sozialabbau bescheinigen, den Sie j a kaum unter der sonst geschätzten Rubrik „christliche Politik" unterbringen können. Die DGB-Frauen haben sehr viel Praxis, meine Damen und Herren. Sie vertreten lauter Leute, die sich nicht auf Vermögen ausruhen können. Diese Frauen wollen für ihr Geld arbeiten — und Arbeit ist j a die Grundlage für unseren Wohlstand —, aber sie dürfen es oftmals nicht.
    Alle diese geschilderten Benachteiligungen haben aber noch einen gewaltigen Pferdefuß. Sie wirken sich im Alter rentenmindernd aus. Trotzdem war die Regierung keineswegs zurückhaltend mit den Beschlüssen, die besonders die Alterssicherung der Frau betreffen. Das fängt damit an, daß die Zeit des Bezuges von Mutterschafts „urlaubs" geld künftig nicht mehr Beitrags-, sondern Ausfallzeit ist.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Blüm.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Kollegin Huber, können Sie mir bestätigen, daß die Anrechnung als Ausfallzeit für die Mütter günstiger ist als die Anrechnung als Beitragszeit? Können Sie bestätigen, daß das für die Rentenversicherung in der Regel dreimal soviel ausmacht?

    (Zurufe von der SPD)