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ID1002005600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/20 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 20. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. September 1983 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des Schwedischen Reichstages 1370 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — Dr. Dregger CDU/CSU 1339 B Glombig SPD 1348 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 1354 D Reents GRÜNE 1357 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 1361 D Frau Huber SPD 1370 C Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 1376 C Frau Potthast GRÜNE 1380 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 1382 B Nächste Sitzung 1386 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1386 A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1983 1339 20. Sitzung Bonn, den 9. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Antretter * 9. 9. Dr. Czaja 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Haungs 9. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 9. 9. Hoffie 9. 9. Junghans 9. 9. Kretkowski 9. 9. Kroll-Schlüter 9. 9. Dr.-Ing. Laermann 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Link (Diepholz) 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Müller (Remscheid) 9. 9. Offergeld 9. 9. Reschke 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Rohde (Hannover) 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Schröer (Mülheim) 9. 9. Frau Verhülsdonk 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Voigt (Sonthofen) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. Frau Dr. Wisniewski 9. 9. Wissmann 9. 9. Wurbs 9. 9 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, wir sparen auch jetzt, um Geld zu haben, um Krisenbranchen zu unterstützen. Wir sparen für die Werftunterstützung, für die Stahlunterstützung, für die Kohle. Der Finanzminister ermöglicht mit hohen Bürgschaften Exporte. Würden wir sie nicht ermöglichen, wären Arbeitsplätze gefährdet. Wir haben die Unterstützung, die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht auf übermorgen verschoben, sondern wir leisten mehr als je zuvor auch in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
    Hier habe ich eine Anzeige der SPD „Die CDU ist gegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" aus dem



    Bundesminister Dr. Blüm
    hessischen Wahlkampf; „die CDU ist gegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen"!

    (Demonstrative Zustimmung bei der SPD)

    1980 41 250 Plätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 1981 38 460 Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 1982 29 200 Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese drei Jahre, 1980, 1981, 1982, waren Regierungsjahre der SPD. Um Ihnen noch einmal die Zahl des letzten Jahres langsam vorzulesen: 29 200. Und wie viele in diesem Jahr unter CDU/CSU-Verantwortung? 56 000. Das ist doppelt soviel an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie das, was Sie uns hinterlassen haben. Wer halb soviel gemacht hat, kann sich nicht beschweren, daß wir zuwenig machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    2,37 Milliarden DM stehen an Haushaltsmitteln und Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaushalt. Das ist die höchste Summe seit Bestehen des Arbeitsförderungsgesetzes — die höchste Summe! —, die wir für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgeben. Auch das Sonderprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit hat im nächsten Jahr 205 Millionen DM zur Verfügung. Sie hatten in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung genau 35 Millionen DM eingesetzt. Sechsmal soviel, und dann beschweren Sie sich darüber, daß wir zuwenig machen würden, lassen Anzeigen verbreiten, die mit der Wahrheit nicht in Übereinstimmung stehen. Wie haben Sie in Ihrem Wahlprogramm in Hessen gesagt? Ein freiheitliches Toleranzklima wollten Sie in Hessen erzeugen. Sie erzeugen einen dümmlichen Ignoranz-mief in Hessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Lassen Sie mich auch zu dem Lehrstellenproblem etwas sagen. Wissen Sie, ich fürchte, manche unserer jungen Mitbürger werden sich durch diesen Streit um Zahlen nicht sehr beeindrucken lassen, zumal die Zahlen im September gar nicht verläßlich sein können. Sie waren es in keinem September irgendeines Jahres. Wirklichkeit und Statistik jeden Jahres kamen erst im Dezember des Jahres zur Übereinstimmung. Dennoch, Ihre ganze Kraft investieren Sie in statistische Buchhalterübungen.

    (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

    Ist es nicht wichtiger, daß wir uns gemeinsam darüber unterhalten, wie jeder zu einem Arbeitsplatz kommt? Außer Ideologie und Nörgelei haben Sie nicht sehr viel geboten.
    Ich danke jedem, der mitgewirkt hat, einen Ausbildungsplatz mehr zu schaffen.

    (Abg. Zander [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Nein. — Ich danke jedem Handwerker, ich danke jedem Unternehmer, ich danke den Betriebsräten, die mitgewirkt haben, und, Herr Vogel, ich danke auch ausdrücklich den Gewerkschaften, die mitgewirkt haben, besonders denjenigen Gewerkschaften, die in ihren Hauptverwaltungen junge Menschen ausbilden, und weniger den Gewerkschaften, die keinen ausbilden, sich aber an Demonstrationen beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da lese ich: „200 000 junge Leute ohne Ausbildungsplatz. Das ist die CDU-Politik." Vor acht Tagen den Wählern in Hessen in einer Anzeige verkündet; vor acht Tagen! Vorgestern höre ich von Herrn Apel, 100 000 Lehrstellen fehlten. Wenn sich der Preisverfall Ihrer Voraussagen so fortsetzt — innerhalb von acht Tagen ist die Zahl um 100 000 reduziert worden —, dann haben wir ja nach der Hochrechnung in 14 Tagen alle Lehrlinge untergebracht. Nur, so leicht machen wir es uns nicht.
    Ich appelliere noch einmal an alle. Eine Seilschaft, die sich an einem schwierigen Berg befindet und in der einer dauernd sagt: Wir schaffen es nicht, laßt uns aufhören!, wird nie den Gipfel erreichen. Deshalb, meine Damen und Herren: Wir brauche nicht mehr Miesmacher, wir brauchen mehr Mutmacher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auf den Tribünen sitzen und pfeifen — das waren nie die besten Sportler. Und Politiker, die nur kritisieren, aber nicht mitmachen, bewegen die Welt auch nicht.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Was tun Sie denn?)

    Ich will die Gelegenheit auch nutzen, mich an die jungen Mitbürger zu wenden, die einen Ausbildungsplatz haben: Suchen Sie keinen zweiten, und wenn Sie einen zweiten haben, dann lassen Sie den ersten frei. Wer in dieser Situation Ausbildungsplätze hamstert, versündigt sich an seinen Alterskameraden.

    (Zurufe von der SPD)

    Das gilt auch für diejenigen — die Zahl nimmt offenbar zu —, die Ausbildungsverträge haben, aber die Ausbildung nicht antreten. Ich lese hier von einer Zeche: von 260 Lehrlingen kamen 80 Lehrlinge nicht zum vereinbarten Termin. Ich will die Jugendarbeitslosigkeit jetzt nicht privatisieren; damit wir uns nicht falsch verstehen. Das Problem bleibt, Ausbildungsplätze zu schaffen. Aber auch das andere Problem bleibt, in der jungen Generation ein Gefühl, eine Sensibilität für Solidarität, für Gemeinschaftspflichten zu erzeugen. Mein Vater hätte es mir nie gestattet, einen Ausbildungsvertrag zu schließen, aber die Ausbildung nicht anzutreten. Das wäre nie möglich gewesen in unserer Familie.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Ich sagte: Wir brauchen Investitionen. Wenn ich sage: Investitionen, die auch durch eine vernünftige Lohnpolitik ermöglicht werden, dann ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, daß die Arbeitnehmer an diesen Investitionen beteiligt werden. Deshalb treten wir für Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ein.

    (Zurufe von der SPD)




    Bundesminister Dr. Blüm
    Sie ist wirtschaftspolitisch notwendig und gesellschaftspolitisch erwünscht. — Meine Damen und Herren, ich kann das Kontrastprogramm bringen. Wenn Sie es wünschen, wenn Sie darauf bestehen, nenne ich Ihnen zu jedem Punkt das Kontrastprogramm aus Ihrer Regierungszeit. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand! Ihre letzte vermögenspolitische Maßnahme war innerhalb der Operation 1982. Da haben Sie die Vermögensbildung um 900 Millionen zurückgenommen. Unsere erste vermögenspolitische Maßnahme war, daß wir in dieser Legislaturperiode die Vermögensbildung trotz harter Sparzwänge um 1,4 Milliarden ausdehnen. Sie 900 Millionen weniger, wir 1,4 Milliarden mehr. Auch das ist ein Kontrastprogramm.

    (Zuruf von der SPD: Vermögensteuer!)

    Wir brauchen viele neue Ideen. Mit Ladenhütern werden wir das Jahr 2000 nicht erreichen. Ich meine nicht nur neue Ideen in Sachen Produkte, nicht nur neue Ideen in Sachen Technologie. Der Weg führt nicht zurück in den Schrebergarten. Der Weg führt vorwärts in eine moderne Industriegesellschaft.

    (Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

    Dafür brauchen wir Wachstum, in der Tat, dafür brauchen wir Wachstum. Auch dafür das Kontrastprogramm. Sie haben sich verabschiedet mit Minuswachstum, wir treten in diesem Jahr mit Pluswachstum an. Auch das ist ein Unterschied.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir brauchen neue Ideen. Wir brauchen eine Offensive, eine Weltmeisterschaft der neuen Ideen in Sachen Produkte, auch in Sachen neue soziale Ideen.

    (Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

    Ich denke, daß uns auch zum Thema Arbeitszeit mehr einfallen muß, als uns bisher eingefallen ist. Das Nein der Arbeitgeber ist zwar eine Antwort, aber keine Lösung. Ich verstehe auch nicht diejenigen Unternehmen, die in ihren Betrieben mit Hilfe von Sozialplänen eine Lebensarbeitszeitverkürzung durchführen und gleichzeitig ihre Verbände gegen Lebensarbeitszeitverkürzung Sturm laufen lassen. Ich denke, daß wir Arbeitszeitverkürzungen nicht defensiv, nicht als Mangelverwaltung betreiben sollten, sondern auch als Angebot, mehr Wahlmöglichkeiten in das Leben zu befördern, auszusteigen aus diesem harten Zeitkorsett, in das wir uns seit 200 Jahren begeben haben. Der Mikroprozessor bietet ja auch Möglichkeiten der Individualisierung der Arbeitszeit. Ich habe nie verstanden, wieso die einen null arbeiten müssen, weil sie arbeitslos sind, und die anderen acht Stunden, obwohl sie mit vier Stunden zufrieden wären. Wir haben 250 000 Arbeitslose, die nur Teilzeitarbeitsplätze suchen. Über zwei Millionen Arbeitnehmer wären mit Teilzeitarbeit zufrieden, die vollerwerbstätig sind. Welche bornierte Gesellschaft, daß diese beiden Königskinder nicht zusammenkommen können! Es muß uns doch möglich sein, aus den kollektivistischen Gewohnheiten einer Kolonnengesellschaft auszusteigen und das Leben wieder vielfältiger zu machen. Ich glaube, daß die Arbeitszeit dazu eine Gelegenheit bietet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da Arbeitszeitpolitik und Einkommenspolitik unter einem Dach versammelt sein müssen — denn wir können den Kuchen nicht zweimal essen; was an Arbeitszeit verzehrt ist, kann nicht mehr in der Lohntüte landen —, deshalb muß das Programm der Arbeitszeitverkürzung auch vorrangig von den Sozialpartnern betrieben werden. Der Gesetzgeber kann bestenfalls Geburtshelfer sein, aber er hat keine Elternschaft. Arbeitszeit und Einkommen müssen zusammenbleiben. Wir sind bereit, unsere Hilfsdienste zu leisten. Nur, was die Sozialdemokraten an Arbeitszeitgesetzgebung vorgelegt haben — jetzt wieder durch den neuen Vorschlag aus Hessen —: Ich fürchte, da werden Hoffnungen geweckt, die die Stabilität einer Seifenblase haben. Sie können nicht erfüllt werden. Auch ich glaube, daß das Arbeitszeitgesetz überholt ist. Die Sprache der Zeit, in der das Arbeitszeitgesetz formuliert wurde, ist nicht mehr unsere Sprache. Die Arbeitnehmer sind Gott sei Dank keine Gefolgschaftsmitglieder mehr, und ich bin auch nicht der Reichstreuhänder der Arbeit; da hatte ich auch nie Ehrgeiz. Aber zu glauben, mit Arbeitszeitgesetzgebung — staatlich reglementiert — das Problem der Arbeitszeitverkürzung lösen zu können, das scheint mir eine Illusion zu sein.
    Sie verkünden als großen arbeitspolitischen Durchbruch in diesem Gesetz die 40-Stunden-Woche.

    (Zuruf von der SPD: Sie wären doch froh, wenn Sie das in Ihrer Partei durchsetzen könnten!)

    97 % der Arbeitnehmer haben bereits mit Hilfe von Tarifverträgen die 40-Stunden-Woche.

    (Dr. Vogel [SPD]: Also lassen Sie die 48Stunden-Woche im Gesetz stehen!)

    Hauptsächlich die Bereiche Landwirtschaft und Gaststätten sind davon noch nicht erfaßt. Dort wurden jetzt aber Tarifverträge abgeschlossen, so daß ab 1. Januar 1984 auch dort die 40-Stunden-Woche gilt. So steigt der Anteil von 97 auf 99%. Es bleibt genau 1 % der Arbeitnehmer übrig. Die Rechnung, mit diesem einen Prozent den arbeitsmarktpolitischen Durchbruch zu schaffen, müssen Sie mir erst einmal aufmachen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich formuliere, ich interpretiere ja Ihr Gesetz sehr wohlwollend. Ich bin ja noch gar nicht fertig.
    Das zweite: Überstunden. Zwei Überstunden sollen genehmigungsfrei sein. Meine Damen und Herren, wir wollen doch einmal die Praxis vorführen. Die nächsten zwei müssen, wenn kein entsprechender Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geschlossen wurde, bei einer Aufsichtsbehörde beantragt werden, die Aufsichtsbehörde muß das Arbeitsamt einschalten, und dann dürfen Sie mit der 43. Stunde beginnen. Ich stelle mir das so vor: Freitag abend, in meinem Keller bricht das Wasserrohr — ein Alltagsfall. Ich rufe den Installateur an. Das



    Bundesminister Dr. Blüm
    Wasser steigt. Der Installateur hat seine genehmigungsfreien Stunden bereits verbraucht, die anderen auch. Es bleibt uns nur die Wahl, bis Montag zu warten — dann beginnt ja die Zählung der Woche neu — oder das Arbeitsamt über das Wochenende zu mobilisieren. Ich entscheide mich für die Wochenendlösung. Das Wasser steigt weiter.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    So wie ich unsere Bürokratie kenne, muß der Installateur den Antrag mindestens in dreifacher Ausfertigung stellen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Zum Lachen ist das gar nicht. — Dann wird das Arbeitsamt eingeschaltet. Der Installateur ist bestenfalls Samstagabend am Ort der Handlung. Meine Kinder fahren inzwischen mit dem Schlauchboot im Wohnzimmer herum. —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine solche Vorstellung ist der Ausfluß einer bürokratischen Borniertheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie schreiben dann noch in die Begründung — Herr Börner hat das Gesetz hier vorgestellt —, mit Hilfe dieses Gesetzes würden 380 000 Arbeitslose wieder in Arbeit kommen. Ich sehe nicht, wie Sie zu dieser Rechnung kommen. Wenn ich sagte, das sei eine Milchmädchenrechnung, würde ich die Milchmädchen beleidigen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bleibe dabei, daß wir das Thema Arbeitszeit nicht tabuisieren können. Ich appelliere gerade auch an die Sozialpartner. Das Erfolgsgeheimnis der Nachkriegszeit war die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, war Kompromißbereitschaft, war soziale Partnerschaft. Dafür stehen auch Namen, die ich mit großem Respekt nenne, wie Böckler und Konrad Adenauer. Ich glaube, daß wir diese Tugenden, aufeinander zuzugehen, sich an einen Tisch zu setzen, wie auch die Bereitschaft, gemeinsam — Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber — nach Lösungen zu suchen, wieder mobilisieren müssen, und zwar nicht im Sinne eines unverbindlichen Meinungsaustausches, sondern im Sinne ergebnisorientierter Gespräche.
    Für mich gehört zu dieser Konsenspolitik auch die Mitbestimmung. Sie ist eine der größten Erfindungen in der Sozialgeschichte.

    (Dr. Vogel [SPD]: Albrecht!)

    Sie ist ein Institut des sozialen Friedens. Wenn ich recht sehe, haben unsere europäischen Nachbarn ohne Mitbestimmung ihren Strukturwandel nur mit mehr Streit und Streik zustande gebracht. Der Heizer auf der Diesellok, das ist nicht eine Figur mitbestimmter Unternehmen, das ist eine Figur aus klassenkampfbestimmten Gewerkschaften. Wenn ich recht verstehe, basiert auch der japanische Erfolg nicht auf einer Konfliktstrategie, sondern auf
    einer Konsenspolitik, den Japanern freilich nicht mit dem Institut der Mitbestimmung verständlich, sondern in einer Tradition, die ich nicht nachvollziehen kann, die einem anderen Kulturkreis entspringt, einer geradezu patriarchalischen Kultur, die manchmal auch Familie und Betrieb verwechselt. Ich bin für partnerschaftliche Familie und partnerschaftlichen Betrieb. Aber immerhin: Der Erfolg der Japaner liegt auf der gleichen Ebene, auf der auch die Mitbestimmung angesiedelt ist: nicht Klassenkampf, sondern Zusammenarbeit. Ich halte den sozialen Frieden für den größten Produktionsfaktor unserer hochtechnisierten, hochzivilisierten Industriegesellschaft. Deshalb will ich hier noch einmal für jedermann in Erinnerung bringen, daß der Bundeskanzler klargestellt hat: Diese Regierung rührt die Mitbestimmung nicht an. Das ist eine Klarstellung, die Sie zur Kenntnis nehmen sollten und die Sie auch im Wahlkampf verbreiten sollten.
    Meine Damen und Herren, zur Sozialpolitik im engeren Sinne, einer Sozialpolitik, die ja nicht unabhängig ist von dem, was ich vorgetragen habe: Ohne Überwindung der Arbeitslosigkeit gibt es keine Rentenversicherung auf Dauer. Es gibt keine soziale Sicherheit, die aus himmlichen Quellen finanziert wäre; es gibt sie nur auf Grund der Arbeit der jetzt Tätigen.
    Zur Sozialpolitik will ich für die Regierung festhalten: Es sind zwei Maximen, die wichtig sind: Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können; da sind wir für absolute Parität. Wenn uns einer fragt, was der Unterschied zwischen der Rentenpolitik der alten und der Rentenpolitik der neuen Regierung sei, dann kann ich ihm leicht ohne jede Formel erklären: Die alte Regierung hat die Rentenanpassung vor der Wahl versprochen und sie nach der Wahl verschoben. Wir haben umgekehrt gehandelt: Wir haben die Rentenanpassung vor der Wahl verschoben, und nach der Wahl zahlen wir Jahr für Jahr pünktlich die Renten; das ist der Unterschied.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Ein Weiteres: Ich glaube, wir brauchen in der Sozialpolitik, meine Damen und Herren, auch eine Verdoppelung der Perspektiven. Wir können die Qualität der Sozialpolitik, ihre Leistungen nicht allein davon abhängig machen, wie hoch die Leistung ist, die der Empfänger erhält. Die zweite Perspektive ist ebenso wichtig: Wer bezahlt die Sozialleistungen? Das ist die Perspektive der Beitragszahler; auch das sind Arbeitnehmer. Ich halte es für einen Erfolg, daß es uns gelungen ist, die Krankenversicherungsbeiträge zu senken. Eine Milliarde DM wird auf diesem Wege mehr in die Wirtschaft fließen. Wir haben die Konsolidierung auf alle Schultern verteilt: auf die der Rentner und auch auf die der Beitragszahler.
    Noch eine Klarstellung, meine Damen und Herren: Beiträge zur Rentenversicherung für Sonderzahlungen belasten die kleinen Einkommensbezieher überhaupt nicht. Das ist der Unterschied zur Alternative Beitragserhöhung. Die Beitragspflicht der Sonderzahlungen, die wir vorschlagen, verän-



    Bundesminister Dr. Blüm
    dern die Lage der kleinen Einkommensbezieher überhaupt nicht.

    (Egert [SPD]: Der großen auch nicht!)

    — Der großen auch nicht. Allerdings: Die großen erhalten dafür auch keine Gegenleistung; sie sind nicht in der Solidarität drin. Sie belasten die mittleren und höheren Vermögen allerdings unter dem Solidaritätsgesichtspunkt, daß man durch die Zufälligkeit eines Zahlungstermines nicht darüber entscheiden kann, ob man in öffentlichen Beitragspflichten ist oder nicht. Das müßte für Sie mit Ih. rem Solidaritätsdenken doch verständlich sein.
    Nun, meine Damen und Herren, ich will für unsere Rentenversicherung festhalten: Es gibt keine Maßnahme — keine einzige! —, die ordnungspolitisch nicht begründbar wäre. Und es gibt keinen Beitrag, der nicht einen strukturpolitischen Aspekt hätte.

    (Egert [SPD]: Das ist nun toll! Das sind Verschiebebahnhöfe ersten Ranges!)

    Ich will das gegen alle Zweifler feststellen. Die größte Leistung — auch für die Rentner — ist, daß es uns gelungen ist, die Preissteigerungsrate zu drücken. Die Tatsache, daß wir von 6 % auf 3 % heruntergekommen sind, ist so viel wert, als hätten die Rentner 3 % mehr Rente erhalten. Das haben Sie ganz vergessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Inflation ist der größte Feind der Rentner. Wenn wir die Preise zurückdrängen, dann machen wir auch eine altenfreundliche, eine rentenfreundliche Politik.
    Meine Damen und Herren, wenn wir die Renten so konsolidieren wollen, daß sie nicht nur bis zum nächsten Wahltag konsolidiert sind, wenn wir nicht eine Rentenpolitik von Wahltag zu Wahltag, sondern eine Rentenpolitik machen wollen, die die Generationen überdauert, die das Jahr 2000 unversehrt erreicht, dann gibt es intellektuell nur drei Möglichkeiten: Entweder die Beiträge werden erhöht — nötig wäre dann eine Beitragsverdoppelung — oder die Renten werden gesenkt — nötig wäre dann eine Halbierung — oder die Rentenversicherung wird schlanker und konzentriert sich auf ihre eigentliche Aufgabe.
    Die erste Möglichkeit — Beitragserhöhung — halte ich für illusionär. Die zweite Möglichkeit — Rentensenkung — halte ich für unsozial. Es bleibt uns nur die dritte Möglichkeit, zu fragen: Für was ist die Rentenversicherung gedacht? Ist sie eine soziale Einrichtung, die für alles zuständig ist, was sozial nützlich und wichtig ist? Ich weiß viele Ziele, ich weiß viele Aufgaben der Sozialpolitik. Den Behinderten muß mehr geholfen werden, der Familie muß mehr geholfen werden. Aber nicht alles kann die Rentenversicherung erledigen. Der Hoesch-Arbeiter oder der Opel-Arbeiter ist nicht dafür zuständig, sich als Staatsersatz um alle sozialen Probleme dieses Landes zu kümmern und die Leistungen mit seinen Groschen zu finanzieren. Wir brauchen eine saubere Trennung zwischen den Aufgaben der Alterssicherung und den Aufgaben der allgemeinen Sozialpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der wunde Punkt der Rentenversicherung — Sie können auch „Achillessehne" sagen — ist die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente. Hier ist die Rentenversicherung verwundbar. Von den 630 000 Rentenneuzugängen des Jahres 1982 waren 51,3 % Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Über die Hälfte der Rentenneuzugänge erfolgen wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit!
    Damit kein Zweifel entsteht: Dem, der gesundheitlich ausgelaugt ist, der sich kaputt fühlt, soll der Zugang zur Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente unverändert offenstehen. Aber es darf doch die Frage gestellt werden, ob es richtig ist, daß über 51 % nicht in die normale Altersrente, sondern in die vorzeitige Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente gehen, ob es richtig ist, daß das, was einmal als Ausnahme gedacht war, nun plötzlich zur Regel geworden ist, ob es richtig ist, daß das, was einmal der Seiteneingang war, nun plötzlich das Hauptportal ist, oder ob sich nicht auf diese Weise manche arbeitsmarktpolitisch entlastet haben. Vorgezogene Altersgrenze mit relativ niedrigen Beiträgen

    (Zustimmung bei der FDP)

    und mit relativ kurzen Versicherungszeiten — das ist die Umgehung der Möglichkeiten, zur flexiblen Altersgrenze zu kommen. Zur flexiblen Altersgrenze — um mit 63 in die Rente zu kommen — braucht man 35 Beitragsjahre, für die Erwerbsunfähigkeitsrente nur 5 Jahre. Es darf doch die Vermutung geäußert werden, daß die Erwerbsunfähigkeitsrente zu einem Ersatz für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu herabgesetzten Preisen geworden ist. Hier sage ich Ihnen: Wir machen keine Sozialpolitik für die Cleveren, wir machen eine Sozialpolitik für jedermann, nicht nur für diejenigen, die alle Möglichkeiten kennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, Erwerbsunfähigkeitsrente kann — wie schon der Name nach meiner Definition sagt — nur derjenige erhalten, der erwerbstätig ist. Wer nicht erwerbstätig ist, kann qua Logik kaum Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente erheben. Die Erwerbsunfähigkeitsrente hat eine Lohnersatzfunktion. In ihr steckt ein hoher sozialer Ausgleich, finanziert von den Arbeitern, die
    40 oder 50 Jahre arbeiten. Den Lohnersatz durch die Erwerbsunfähigkeitsrente kann nur jemand in Anspruch nehmen, der auch Lohn bezieht. Wer keinen Lohn bezieht, kann auch keinen Ersatz dafür bekommen. Ich kann nicht Null ersetzen!

    (Zurufe von der SPD)

    Stringenz, Klarheit in unserer Politik, das müssen wir mit unseren Sparmaßnahmen verbinden. Es geht nicht um eine Zurücknahme; es geht um mehr Plausibilität in unserer Rentenversicherung.
    41 % derjenigen, die — mit Erwerbsunfähigkeitsrenten — früher in die Rente gegangen sind, hatten



    Bundesminister Dr. Blüm
    in den letzten fünf Jahren vor diesem Zeitpunkt überhaupt keine Pflichtversicherungsbeiträge mehr gezahlt; sie hatten vor vielen, vielen Jahren zum letztenmal Beitrag gezahlt. Meine Damen und Herren, wenn Sie das nicht ändern, bezahlen es die Arbeitnehmer. Ich meine, die Rentenversicherung müßte wieder die klassische Alters- und Invaliditätssicherung der Arbeitnehmer sein. Das ist ihre eigentliche Aufgabe. Wer auf diesen Karren alles lädt, der trägt dazu bei, daß dieser Karren zusammenbricht. Das wäre nicht im Interesse unserer Mitbürger.
    Es ist auch der Vorwurf erhoben worden, unsere Rentenpolitik sei frauenfeindlich.

    (Egert [SPD]: Das trifft zu!)

    — Hören Sie mich doch erst einmal an, und sprechen Sie dann Ihr Urteil! Ich hatte auch Lehrer nicht gern, die mir die Note schon geschrieben hatten, als ich den Aufsatz noch gar nicht zu Ende gebracht hatte. Warten Sie doch erst einmal ab!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die frauenfreundlichste Maßnahme in der Rentenversicherung ist die, daß man als Voraussetzung für die Altersrente nicht mehr 15 Jahre lang Beitrag zahlen muß, sondern nur 5 Jahre. An dieser 15-Jahre-Grenze sind viele Frauen gescheitert. Die haben vor der Ehe gearbeitet, Beitrag gezahlt, in der Ehe vielleicht noch ein paar Jahre: 10, 11, 12 Jahre. Die haben die 15 Jahre nicht zustande gebracht. Wenn wir von 15 auf 5 Jahre heruntergehen, dann ist das eine Maßnahme, die gerade Frauen begünstigt. Wir haben es nachgerechnet. Von 100, die diese Rente in Anspruch nehmen, werden 85 Frauen sein, darunter 69 Arbeiterinnen.
    Wir haben auch festgestellt, daß viele von denjenigen, die über 65 hinaus gearbeitet haben, Arbeiterinnen waren. Ich vermute, daß darunter eine große Zahl war, deren Rente möglicherweise klein war, aber auch eine große Zahl von Frauen, die die 15 Jahre nicht zustande gebracht haben und die nicht wußten, daß man sich über den Seiteneingang Erwerbsunfähigkeit auch einen Zugang verschaffen kann.
    Die zweite Maßnahme: Bei der Anrechnung auf den Zugang zur Erwerbsunfähigkeitsrente, daß man nämlich in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre pflichtversichert gewesen sein muß, zählen Arbeitslosigkeit und Krankheit positiv mit — und Kindererziehungszeiten. Sie haben immer darüber geredet, gemacht haben Sie nichts. Es ist das erstemal, daß Kindererziehungszeiten im Rentenrecht eine Rolle spielen. Das ist der Spalt in der Tür für eine weitergehende Regelung, denn nach meiner Überzeugung gehören zur Alterssicherung nicht zwei, sondern drei Generationen. Die Kinder von heute sind die Beitragszahler von morgen. Deshalb muß es eine Rolle spielen, ob Kinder erzogen werden oder ob keine Kinder erzogen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich will nur noch ein paar Dinge klarstellen. Es ist davon gesprochen worden, die Kürzung des Arbeitslosengeldes würde zu einem Massenandrang in der Sozialhilfe führen. Ich will hinzufügen, daß uns die Kürzung des Arbeitslosengeldes nicht leichtgefallen ist, daß wir sie insofern sozial gestaltet haben, als von ihr nur die Arbeitslosen betroffen sind, die keine Kinder haben. Ganz so neu ist das nicht. Bis zum Jahre 1974 gab es in der Arbeitslosenversicherung unterschiedliche Beträge je nachdem, ob der Arbeitslose Kinder hatte oder nicht. Nur, gegenüber jener Darstellung, als würden jetzt alle in die Sozialhilfe abgedrängt, will ich doch mitteilen, daß ein Lediger ohne Kinder weniger als 1300 DM als Arbeitnehmer verdient haben muß, um als Arbeitsloser in die Sozialhilfe zu kommen. Die niedrigste Tariflohngruppe in der Bekleidungsindustrie — das ist eine Industrie, die nicht an der Spitze der Tariflohnentwicklung liegt — erhält 1540 DM.

    (Zuruf des Abg. Egert [SPD])

    Meine Damen und Herren von der SPD, ich bitte, daß Sie mit Ihren Zahlen nicht die Arbeitslosen verwirren. Uns sind die Opfer schwergefallen. Aber es ist nicht so, wie Sie das darstellen; in diesem Ausmaße muten wir den Arbeitslosen keine Opfer zu.
    Es ist davon gesprochen worden, daß es unsozial sei, vom Krankengeld Beitrag zur Rentenversicherung zu zahlen. Lassen Sie mich noch in diese Einzelheit gehen, weil darin auch ein Prinzip unserer Sozialpolitik deutlich werden könnte. Neu ist das auch nicht. Das Krankengeld ist jetzt schon ab 13. Monat beitragspflichtig; wir ziehen das nur an das Ende des Lohnfortzahlungstermis vor. Heute ist es so: Das Krankengeld beträgt 80% des Bruttoverdienstes. Das ist in der Mehrzahl der Fälle identisch mit dem Nettoverdienst. Denn wer hat nur 20% Abzüge?! Man kann also sagen, das Krankengeld ist genauso hoch wie der Nettoverdienst. Und jetzt sage ich Ihnen — ob das nun populär oder nicht populär ist —: wir werden in der Sozialpolitik keine Lohnersatzleistungen durchhalten, die genauso hoch sind wie der Lohn, von dem sie abhängen. Das werden wir nicht durchhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich will diese Betrachtungen an Hand von Beispielen zur Sozialpolitik zusammenfassen in das Ziel unserer Sozialpolitik: Sie soll menschlich und freiheitlich sein. Wenn ich „menschlich" sage, dann meine ich nicht eine Sozialpolitik, die nur den Profis überlassen bleibt, nur dem Gesetzgeber. Es geht um eine soziale Gesellschaft, in der Gemeinschaft wieder gilt, in der Nachbarschaft, in der Familie einen Ort hat. Wenn wir ein Programm der Entstaatlichung vertreten, vertreten wir nicht das Programm der Privatisierung, vertreten wir nicht das Programm, jeden einzelnen sich selbst zu überlassen. Subsidiarität verlangt von uns, die kleineren Gemeinschaften zu stärken — Selbstverwaltung, Familie, nicht diese anonyme Gesellschaft, die auch gegen Mißbrauch weniger gewappnet ist als die personengebundenen Gemeinschaften. Gegenüber anonymen Computern ist die Hemmschwelle niedrig; gegenüber dem Kollegen, mit dem ich in einer Solidargemeinschaft bin, ist die Hemmung, diese Solidargemeinschaft zu mißbrauchen, viel größer.



    Bundesminister Dr. Blüm
    Wir betreiben eine Politik für die Familie. Eine Politik für die Familie hängt nicht nur vom Geld ab. Das ist ein materialistisches Mißverständnis. Ein öffentliches Bewußtsein, das die Familie wie eine nostalgische Gegebenheit behandelt, wie ein Zweckbündnis aus dem man ein- und aussteigen kann, wie man in einen Schützenverein ein- und aussteigt, hat eine Gesellschaft zur Folge, der alle Treue, Liebe und Verläßlichkeit schwindet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn wir beim Mutterschaftsurlaub einen Monat zurückgegangen sind, so ist mir das auch schwergefallen. Ich verkünde dies hier doch nicht mit Freude und Genuß. Nur, meine Damen und Herren, das Mutterschaftsurlaubsgesetz war — da verrate ich Ihnen nichts Neues — nie mein Wunschgesetz, mein Traumgesetz; denn in dieses Gesetz ist eine Diskriminierung eingebaut, nämlich die Diskriminierung der nichterwerbstätigen Mutter. Wir wollen doch nicht die eine gegen die andere ausspielen. Aber wir kämpfen nicht nur für die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Erwerbsleben, wir kämpfen auch für die Gleichberechtigung der nichterwerbstätigen Mutter mit der erwerbstätigen Mutter. Und diese Gleichberechtigung haben Sie ganz vergessen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir nehmen einen Anlauf zu einem großen Sprung. Deshalb muß man möglicherweise einen Schritt zurückgehen.
    Das zweite Prinzip: freiheitliche Sozialpolitik. Sozialpolitik hat es nicht nur mit Fürsorge zu tun, hat es nicht nur mit Zuteilung zu tun. Sozialpolitik, wie wir sie wollen, ist solidarische Selbsthilfe. Nicht der behandelte Mensch ist das Ziel der Sozialpolitik, sondern der handelnde. Freiheitliche Sozialpolitik hat also unterstützenden Charakter.
    Meine Damen und Herren, ich sehe auch im Leistungsprinzip ein emanzipatorisches Prinzip. Nicht danke schön sagen zu müssen für eine Sozialleistung, sondern sie selber erworben zu haben, das verändert den Charakter der Sozialversicherung. Und deshalb bestehen wir darauf, daß die Sozialversicherung lohnbezogen bleibt, weil der Lohn das Kriterium für die Leistung ist. Wir wollen nicht den Versorgungsstaat. Wir wollen nicht die sozialistische Gulaschkanone, aus der jeder den gleichen Schlag bekommt. Wir wollen ein leistungsbezogenes Renten- und Sozialversicherungssystem.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren von der SPD, ich danke Ihnen für die Beruhigung, die sich inzwischen bei Ihnen eingestellt hat.
    Ich bin sicher, wir werden die Krise meistern.

    (Zuruf von der SPD: Platitüden!)

    Dazu wird uns nicht Pessimismus helfen. Ich finde, „Krise" ist geradezu zum Lieblingswort der Zeit geworden. Es wird gebraucht wie die Hostie einer Pseudoreligion. Ich finde, dieser Untergangston mobilisiert keine Kräfte. Wir brauche Optimismus, daß wir es schaffen. Wir haben in der Nachkriegszeit
    schwierigere Situationen überwunden. Warum sollte es uns nicht gelingen, mit Mut, Zuversicht und Ausdauer, diese Krise zu meistern, sie zu beenden?

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation des Schwedischen Reichstages unter Vorsitz von Rune Carstein Platz genommen. Ich begrüße die Mitglieder des Schwedischen Reichstages bei uns im Bundestag recht herzlich und wünsche einen angenehmen und ersprießlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Antje Huber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, ob die Zuhörer draußen am Radio eigentlich gemerkt haben, welches Ressort Herr Blüm hier heute vertreten hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Jeder Abgeordnete kann heute in seinem Wahlkreis feststellen, mit welcher Furcht viele Gruppen unseres Volkes die sozialpolitische Situation verfolgen. Haben Sie, Herr Blüm, eigentlich einmal hingehorcht? Sie reden hier von Optimismus. Wenn Optimismus verbreitet werden soll, so schaffen Sie ihn, aber dann mit einem anderen Programm.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein knappes Jahr nach dem Ende der sozialliberalen Koalition — das gibt Herr Albrecht in der zweiten These seiner zehn Thesen ja auch zu — sind doch die Hoffnungen verraucht, die mit dem Regierungswechsel verbunden waren. In dieser Woche wird uns mit dem Haushaltsplan das größte sozialpolitische Sparprogramm vorgelegt, das wir in der Bundesrepublik je erlebt haben — und das ohne jeden Ausgleich und ohne jede Belastung auf der anderen Seite, nämlich bei den Leuten, die nicht so sehr auf soziale Leistungen angewiesen sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Blüm hat hier lustig vom Wasserrohrbruch im Keller gesprochen. Der Keller ist das Fundament. Es kann schon sein, daß hier ein Wasserrohr bricht. Die Frage ist, wer dort dann zuerst absaufen wird. Das ist unser Problem.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir müssen ja nun nicht etwa alle den Gürtel sehr viel enger schnallen. Diejenigen, die ohnedies keine dicken Bäuche haben, sollen den Gürtel enger schnallen. Ich muß es mir jetzt versagen, daran zu erinnern und breit auszuführen, welche Anträge Sie als Opposition hier in den vergangenen Jahren eingebracht haben, wenn es um die benachteiligten Gruppen ging. Sie wollten uns doch immer übertreffen. Aber nun sieht man, was daran wirklich war: Eine unverbindliche Liebedienerei war es, sonst gar nichts. Es sind nicht einmal alle Kürzungen, so schmerzlich diese auch im einzelnen sind, die uns hier so ärgerlich machen. Es ist vielmehr die einseitige, ungerechte, phantasielose und teilweise sogar



    Frau Huber
    grausame Art, in der sich Einschnitte vollziehen sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Sie lassen jene Solidarität vermissen, die wir uns als Wohlstandsgesellschaft sehr wohl auch heute noch erlauben könnten.
    Am schärfsten sind von den aktuellen Beschlüssen der neuen Bundesregierung die Frauen betroffen. Keiner hat je so viel über die Frauen und die Familie geredet wie Herr Bundeskanzler Kohl, keiner je so schön wie die Herren Minister Blüm und Geißler. Heute morgen hat Herr Dregger ja auch noch ein Gedicht angefügt. Jetzt nehmen aber doch viele voller Staunen zur Kenntnis, daß nun alles andere geschieht als das, was sie vor der Wahl erwartet haben. Ich rede hier heute nicht von einer Minderheit. Ich rede von der Mehrheit unseres Volkes, auch wenn sie sich als solche nicht in den Organisationen manifestiert. Im Zusammenhang mit den jetzigen Kürzungen rede ich nicht vom Abbau von Privilegien, obwohl das nötig wäre, sondern ich rede über das rigorose Ende eines Prozesses, der in den letzten Jahren mehr Gleichberechtigung gebracht hat. Gleichberechtigung heißt mehr Gleichheit aus Berechtigung. Dies war eine noch keineswegs abgeschlossene mühselige Entwicklung, die durchaus ihre Kritiker fand und findet, z. B. in der Frauenbewegung. Aber es war doch so, daß sich in Familie und Arbeitswelt real doch einiges in Recht und Praxis bewegt hat.
    Ich hatte mir immer gewünscht, zu diesem Thema einmal im Rahmen einer großen Debatte sprechen zu können. Daß das heute hier vor einem so negativen Hintergrund geschieht, macht mich nach 30jähriger politischer Tätigkeit sehr betroffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich bin viel zu lange hier, um noch in billiger Polemik zu schwelgen.
    Wir brauchen wahrscheinlich bald eine grundlegende Diskussion darüber, wie unser Sozialsystem, dessen Grundstruktur ja noch aus dem vorigen Jahrhundert stammt, auf neue Grundlagen gestellt werden kann, die den Veränderungen der Wirtschaft entsprechen und nicht am Lohn als einziger Größe anknüpfen. Bei abnehmender Zahl der Arbeitsplätze kann anhaltende Schmälerung von Sozialleistungen und die damit verbundene Unsicherheit, die ja nicht nur die Rentner empfinden, doch nicht über Jahre hinweg das Dauerkonzept sein. Ich wundere mich, wenn Herr Cronenberg hier heute so lapidar sagt, es handle sich schlicht um die Anpassung des Sozialsystems an die verschlechterten Bedingungen. Ich meine, etwas mehr wird man wohl nachdenken müssen.
    Meine Damen und Herren, soweit es sich nur um schlichte Kürzungen handelt, erwarten die Bürger zumindest ein erkennbares Bemühen um Gerechtigkeit. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit sparsamer Haushaltsführung: Dieser Generalangriff auf die Lebenschancen von Frauen, den wir jetzt erleben, wird Sie, wenn das Gefühl für Gerechtigkeit im Volke noch nicht ganz versiegt ist, politisch noch teuer zu stehen kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Rechtskoalition hat mühsam erreichte Fortschritte ausgelöscht und berechtigte Hoffnungen erstickt. Die Frau, der Sie als Berufstätiger und Hausfrau doch immer so gern den Hof machen, wobei Sie beide gleichzeitig gegeneinander ausnutzen, ist nun zum Aschenputtel der Politik geworden.
    Klingt es nicht wie Hohn, wenn die Minister der neuen Regierung 200 000 Geburten pro Jahr mehr fordern, während Sie gleichzeitig den Mutterschaftsurlaub um 40 % kürzen, d. h. um einen Monat Bezugsdauer und 150 DM alle vier Wochen? Das sind zusammen 1 200 DM pro Fall. Finanzieren Sie damit einen Teil der Vermögensteuersenkung?

    (Zustimmung bei der SPD)

    Diese Frage muß doch erlaubt sein. Minister Posser hat uns vorgetragen, wem diese Vermögensteuersenkung zugute kommt. Wie können Sie das vor den berufstätigen Müttern entschuldigen? Über 90 % der jungen Mütter haben vom Mutterschaftsurlaub Gebrauch gemacht. Ist Ihnen eigentlich gar keine andere Gruppe unseres Volkes eingefallen, bei der Sie den Rotstift eher ansetzen konnten? Es ist hier schon an die Vorschläge von Staatssekretär Vogel erinnert worden. Warum holen Sie Ihre Sparmilliarden ausgerechnet von denen, die schon am meisten belastet sind?
    Sogar Herr Dr. Haimo George meint in seinem bekannten Papier, wenn er von der unterlassenen Humaninvestition, d. h. von den fehlenden Geburten spricht, die Familienförderung dürfe ruhig etwas kosten und müsse sogar ausgebaut werden. Mit der letzten Kindergeld- und der jetzigen Mutterschaftsurlaubskürzung hat sich allerdings der Finanzminister durchgesetzt. Wir haben das so erwartet. Denn mit der CDU und mit der FDP kann man das eben machen.
    Nachdem ich Herrn Dr. George zitiert habe, muß ich nun leider auch anfügen, daß ihm vor allen Dingen der sogenannte Nebeneffekt von Familienförderung, nämlich die Entlastung des Arbeitsmarktes, wichtig ist. Wenn — so argumentiert er — vier Millionen Kinder seit 1970 mehr geboren worden wären, dann hätten ihre Mütter den Arbeitsmarkt weniger belastet. Aber während er beklagt, daß jüngere Frauen ihre Erwerbsarbeit zunehmend weniger unterbrechen, wobei — das sage ich — die Angst um den Arbeitsplatz natürlich eine Rolle spielt, teilt er keineswegs mit, welche Arbeitsplätze eigentlich den vier Millionen Kindern winken, die ihre Mütter vom Arbeitsmarkt fernhalten sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unglaublich widersprüchlich wird die Sache bei Herrn Dr. George aber erst, wenn er noch im selben Papier bemängelt, daß wegen bestimmter Beschäftigungsverbote und Arbeitszeitregelungen in den letzten Jahren nun auf einmal zu wenig Frauen tätig geworden seien; sonst hätte man sich nämlich die ausländischen Gastarbeiter sparen können.



    Frau Huber
    Hier tritt das alte konservative Denkschema zutage, wonach die Frauen als Arbeitsmarktreserve für alle — außer für sich selbst natürlich — die beste Lösung sind.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Nun haben Sie genug geschimpft; nun werden Sie mal alternativ!)

    — Ja, ja! Wir sind auch schon alternativ geworden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wann denn?)

    — Sie kennen ja unsere Vorschläge.
    George — muß ich Ihnen sagen — schreckt ja nicht mal vor dem Vorwurf zurück, die Frauen nähmen vor geplanter Mutterschaft Arbeit auf, nur um dann Leistungen zu kassieren. Das ist ja gerade so, als ob den Frauen jetzt massenhaft Arbeitsplätze angeboten würden.
    Andererseits gibt es kein Verständnis, kein kritisches Wort für die negative Einstellung von Firmenchefs, die junge Frauen wegen der Familienfrage nicht einstellen, andererseits außerbetrieblich natürlich immer den Geburtenmangel beklagen. Hier sollen offensichtlich Schutzbestimmungen weg. Das tut ja die neue Regierung auch.
    Einen Mann wie Dr. George, der solche Ansichten vertritt, leistet sich die CDU/CSU-Fraktion als Vorsitzenden ihrer Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales. Arbeit und Soziales! In dieser Funktion haben die Vorschläge einen hohen Stellenwert, auch wenn er sie als persönlich deklariert. Und die jetzige Regierung kann nach dem, was auf dem Tisch ist, sicher gut mit ihm leben. Da können wir mit den Familienverbänden, die Ihnen ja sonst immer die Stange gehalten haben, und den alleinerziehenden Müttern und Vätern nur sagen, daß die Diskrepanz zwischen den positiven Worten der Bundesregierung und ihren die Familie zunehmend belastenden Taten offensichtlich ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch die Ankündigung, daß ab 1987 an alle Mütter ein Mutterschaftsgeld gezahlt werden solle, tröstet nur noch einige Gutgläubige, Herr Blüm. Sie findet keinen Niederschlag in der mittelfristigen Finanzplanung. Darin ist ebenso kein Babyjahr zu finden. Die Milliarden, die das kosten würde, werden sicherlich anderswo gebraucht, und eine bloße Taschengeldlösung beim Mutterschaftsgeld können Sie sich schenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit all diesen Kürzungen, meine Damen und Herren, haben CDU, CSU und FDP den Familien mehr genommen — ich denke an Wohngeldkürzungen, BAföG, an all die Dinge, die noch dazu kommen —, als sie ihnen je durch das Erziehungsgeld in Aussicht gestellt haben, und Sie haben ihnen nicht mal dieses gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Käme es zum Familiensplitting, was ich bezweifle, dann würde dies das allgemeine gleiche Kindergeld aufzehren müssen; denn sonst ist es viel zu teuer. Wenn es das aber tut, wird es sozial ungerecht, und das sagen Ihnen die betroffenen Verbände ebenfalls schon jetzt. Hier sagt Herr Dregger — auch Herr Blüm hat es anklingen lassen —, daß die kinderreichen Familien sozial benachteiligt sind. Herr Dregger hat gesagt: Skandalös benachteiligt. Haben Sie denen etwa nicht das Wohngeld, die Sozialhilfe und das Kindergeld gekürzt?

    (Beifall bei der SPD)

    Arme Kinderreiche werden vom Splitting nichts haben. Ich frage Sie: Wem wollen Sie denn eigentlich helfen?

    (Beifall bei der SPD)

    Familiengründung und Mutterschaft, so sagt der Verband alleinerziehender Väter und Mütter, wird ein abenteuerliches Risiko, insbesondere wenn Sie dann auch noch das Scheidungsrecht mit der Wiedereinführung von Verschuldenskriterien, der Erschwerung von Unterhalt und Versorgungsausgleich novellieren.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Althammer [CDU/CSU]: Es ist sehr unbedarft, was Sie da von sich geben!)

    — Es ist nicht unbedarft, es ist leider eine Tatsache, falls Sie Ihre Ankündigungen wahr machen!

    (Dr. Althammer [CDU/CSU]: Natürlich, weil es notwendig ist!)

    — Wir streiten hier darüber, was notwendig ist und in welcher Form es notwendig ist, aber das muß man ganz seriös machen. Herr Althammer, wir sind eben anderer Auffassung und meinen, daß Sie nicht ausgerechnet immer bei den armen Familien und den Müttern ansetzen sollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Die meisten Familien leben von Erwerbsarbeit — das sagt Herr Dr. George, das ist heute morgen hier auch von Herrn Dregger gesagt worden —, sie ist die Quelle unseres Wohlstandes. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß Sie am meisten an die Menschen denken, die den Wohlstand erarbeiten, nämlich an die Arbeiter und die Frauen unter ihnen. Es heißt nämlich bei Herrn Dr. George und auch anderswo, daß die Arbeit billiger werden soll. Ich finde es beschämend, wenn Herr Dr. George schreibt, daß ausgerechnet die Löhne und Gehälter in den Niedriglohngruppen zu hoch sind. So reden nur Leute, die ein Vielfaches davon verdienen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Herr Dr. George widerspricht sich dann aber neun Seiten später selbst, indem er gleichzeitig meint — das werden wir festhalten —, die Arbeitszeitverkürzung könne nicht kommen, weil nämlich die Arbeitnehmer nur begrenzt zu Lohnverzichten bereit und — man denke! — auch fähig seien. Da meint er sicherlich die Niedriglohngruppen. Wen anders sollte er da wohl meinen? In den Niedriglohngruppen sind ganz überwiegend die Frauen, mit ihren Handikaps in Ausbildung, kontinuierlicher Arbeit und Aufstieg. Sieht die Regierung nicht, daß genau an ihnen die neuen schleichenden Formen von Arbeitszeitverkürzung ausprobiert wer-



    Frau Huber
    den, Jobsharing und kapazitätsorientierte Arbeitszeit?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr George fordert nach den überzogenen Erwartungen, die die SPD gezüchtet habe, eine neue Sicht. Wir fordern: Augen auf vor solchen Prozessen am Arbeitsplatz, die ganz besonders die Frauen bedrohen! Warum tun Sie eigentlich nichts dagegen, Herr Blüm? Sie wollen noch nicht einmal die Arbeitszeitordnung novellieren, und das ist wohl das mindeste.

    (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Haben Sie das Ergebnis nicht gehört? — Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er Ihnen vorhin erklärt! Haben Sie nicht zugehört?)

    — Ich habe schon gehört warum, aber ich bin trotzdem der Meinung, daß das geschehen sollte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Satz hätten Sie beim Zuhören streichen können!)

    — Ich habe zugehört. Wir sind für die Veränderung der Arbeitszeitordnung.
    Die Frauen haben keine überzogenen Erwartungen. Sie kennen ihre schwächere Position; sie läßt sie oft genug trotz Benachteiligung schweigen. Sie lernen sie schon bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz kennen, wo Mädchen trotz guter Zeugnisse schwerer zu vermitteln sind und noch zuhauf in Berufe kommen, wo sie lange nicht alle bleiben können: Friseusen, Arzthelferinnen, Bäckerinnen.
    Der Wahlkreis von Herrn Dr. Kohl ist ein Musterbeispiel für die Ausbildungsmisere in unserem Land. Und die hat er doch zu beheben versprochen.
    Ich muß Ihnen sagen: Bei uns in Essen sieht es etwas besser aus als in seinem Wahlkreis.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihr Wahlkreis!)

    — Nicht deswegen. — Eines will ich Ihnen aber sagen, wenn Herr Blüm so billig argumentiert mit den Jungen, die nicht an der Zeche erschienen sind zur Aufnahme ihrer Arbeit. Ihre Familien haben sie nicht dorthin gejagt wie vielleicht die Eltern früher, von denen Herr Blüm sprach, weil das Damoklesschwert der Zechenschließung über uns hängt — schon wieder einmal — und weil wir nicht wissen, wieviel Sie für die Kohle tun werden.

    (Beifall bei der SPD — Dolata [CDU/CSU]: Gestern war es das Beispiel Hoechst!)

    Es handelt sich um Arbeitsplätze, die unter ganz besonderen Schwierigkeiten stehen. Ich komme von der Ruhr.

    (Dolata [CDU/CSU]: Bei der Chemie?)

    — Bei der Chemie nicht, aber bei dem Beispiel von der Zeche. Das hat er als Hauptbeispiel hier angeführt. Reden Sie sich nicht heraus. Der Mehrzahl der jungen Leute, die keinen Arbeitsplatz haben, wird nicht damit geholfen, daß Sie sagen: Es gibt da
    eine Zeche, zu der nicht alle zur Arbeitsaufnahme gekommen sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Solange die Kohle so unsicher ist, wird das wohl auch noch weiter passieren, verständlicherweise passieren.
    CDU und FDP haben den jungen Leuten, Mädchen und Jungen, einen schweren Schlag versetzt durch den Kahlschlag beim BAföG. Viele Eltern werden angesichts mangelnder Unterstützung nun zur Praxis meiner Jugendzeit zurückkehren; das heißt hier, die Ausbildung für den Jungen hat Vorrang, Mädchen stehen wieder zurück.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: So ist es! Die „geistig-moralische Erneuerung"!)

    Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es selbst erlebt. Es haben gerade die Mädchen in den letzten 20 Jahren unsere weiterführenden Schulen erobert und gute Ergebnisse gebracht. Wir freuen uns darüber, denn wir wissen, daß auch die Mädchen für ihre Lebenssicherheit eine feste Grundlage brauchen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Aber diese Mädchen werden nun zum Teil, Herr Blüm, Opfer einer Krise, von der andere Leute gar nichts merken.
    Die Frauen brauchen keine amtliche Untersuchung, um zu wissen, daß sie mit ihrer geringeren Berufsbandbreite, mit ihren Familienpflichten die schlechteren Chancen bei der Arbeitssuche haben, obwohl keineswegs alle einen männlichen Familienernährer haben. Ca. 19 % der Familien in der Bundesrepublik werden von einer Frau durchs Leben gebracht. Aber das schützt sie auch nicht immer davor, zum wachsenden Heer der Arbeitslosen zu stoßen, in dem die Frauen die Mehrheit bilden. Da haben sie dann Zeit, sich bei gekürzter Unterstützung Gedanken über die gepriesene Wahlfreiheit zu machen. Offenbar auf lange. Denn Sie, Herr Blüm, haben ja heute kein Beschäftigungsprogramm vorgeführt, nur Rechentricks, die keinem etwas bringen.
    Tun Sie das mit der Arbeitslosigkeit der Frauen bitte nicht so leichtfertig ab. Es wird oft gesagt, die Frauen wollten alle nur teilzeitarbeiten, um einen höheren Lebensstandard zu befriedigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer tut das leichtfertig ab?)

    — Ja, es wird oft gesagt, das sind meist nur die Frauen, die haben einen Ernährer, die wollen nur teilzeitarbeiten.

    (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Ehrenberg arbeitete damals mit Tricks!)

    Ich habe diese Auffassung hier nie vertreten. Im Gegenteil werden diese Frauen viele ganz normale Ansprüche nicht mehr befriedigen können, wenn sich Herr Ministerpräsident Albrecht mit seiner These durchsetzt, wonach der einzelne Arbeitnehmer künftig den Arbeitgeberbeitrag und andere so-



    Frau Huber
    ziale Absicherungen über eine erhöhte Mehrwertsteuer selbst finanziert.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist nicht zu begreifen, daß die Autoren solcher Vorschläge in der CDU bei ohnedies wachsenden Mieten, gekürztem Wohngeld, gestrichener Ausbildungsförderung, sinkenden Sozialleistungen so drastische Einkommensbeschneidungen fordern und dann noch ihre Kinder- und Familienfreundlichkeit hervorheben. Zu Recht stellt der DGB fest, daß keine Gruppe in unserer Gesellschaft von den neuen Kürzungen so hart betroffen wird wie die berufstätigen Mütter. Wegen der allgemeinen Lage werden immer mehr Frauen Arbeit suchen. Aber ob sie sie bekommen, ist bei der Tatenlosigkeit, die wir jetzt erleben, sehr die Frage.
    Die DGB-Frauen werden Ihnen in ihrer großen Kundgebung am 18. September hier in Bonn ihre Enttäuschung über den beispiellosen Sozialabbau bescheinigen, den Sie j a kaum unter der sonst geschätzten Rubrik „christliche Politik" unterbringen können. Die DGB-Frauen haben sehr viel Praxis, meine Damen und Herren. Sie vertreten lauter Leute, die sich nicht auf Vermögen ausruhen können. Diese Frauen wollen für ihr Geld arbeiten — und Arbeit ist j a die Grundlage für unseren Wohlstand —, aber sie dürfen es oftmals nicht.
    Alle diese geschilderten Benachteiligungen haben aber noch einen gewaltigen Pferdefuß. Sie wirken sich im Alter rentenmindernd aus. Trotzdem war die Regierung keineswegs zurückhaltend mit den Beschlüssen, die besonders die Alterssicherung der Frau betreffen. Das fängt damit an, daß die Zeit des Bezuges von Mutterschafts „urlaubs" geld künftig nicht mehr Beitrags-, sondern Ausfallzeit ist.