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ID1002000200

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    Plenarprotokoll 10/20 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 20. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. September 1983 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des Schwedischen Reichstages 1370 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — Dr. Dregger CDU/CSU 1339 B Glombig SPD 1348 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 1354 D Reents GRÜNE 1357 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 1361 D Frau Huber SPD 1370 C Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 1376 C Frau Potthast GRÜNE 1380 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 1382 B Nächste Sitzung 1386 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1386 A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1983 1339 20. Sitzung Bonn, den 9. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Antretter * 9. 9. Dr. Czaja 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Haungs 9. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 9. 9. Hoffie 9. 9. Junghans 9. 9. Kretkowski 9. 9. Kroll-Schlüter 9. 9. Dr.-Ing. Laermann 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Link (Diepholz) 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Müller (Remscheid) 9. 9. Offergeld 9. 9. Reschke 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Rohde (Hannover) 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Schröer (Mülheim) 9. 9. Frau Verhülsdonk 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Voigt (Sonthofen) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. Frau Dr. Wisniewski 9. 9. Wissmann 9. 9. Wurbs 9. 9 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte bietet die Möglichkeit einer Generalaussprache mit unbegrenzter Themenwahl. Davon hat das Haus vor allem gestern Gebrauch gemacht.
    Dabei ist eine Äußerung gefallen, die leider vom Präsidium ungerügt geblieben ist. Ein Abgeordneter der GRÜNEN hat einem ehrenwerten Kollegen menschliche Verkommenheit vorgeworfen.

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU)

    Das wird ein Nachspiel im Ältestenrat haben.

    (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Ich will heute nur folgendes sagen. Wer dem anderen in der politischen Auseinandersetzung menschliche Verkommenheit — —

    (Weitere Zurufe des Abg. Schily [GRÜNE])

    — Schweigen Sie und hören Sie mal zu, Herr Schily, wenn Sie sich parlamentarisch verhalten wollen! —

    (Schily [GRÜNE]: Ihre Fraktion soll sich entschuldigen!)

    Wer in der politischen Auseinandersetzung dem anderen menschliche Verkommenheit vorwirft

    (Weiterer Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    und wer einen anderen Menschen mit Blut besudelt,

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    dem fehlt die Achtung vor der Menschenwürde,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    dem fehlen die demokratische Gesinnung und die demokratische Haltung, die für den Parlamentarismus notwendig sind,

    (Fortgesetzte Zurufe von den GRÜNEN)

    und der erinnert in schlimmer Weise an eine schlimme Zeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich möchte die Debatte heute auf ihren eigentlichen Gegenstand zurückführen: auf den Haushalt 1984 und damit auf die schlimme Wirtschafts- und Finanzkrise, die es zu überwinden gilt.
    1340 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn; Freitag, den 9. September 1983
    Dr. Dregger
    Die Opposition hat dazu vorgestern und gestern keinen weiterführenden Gedanken beigetragen. Ihre Beiträge gipfelten in zwei simplen Aussagen. Erstens. Die Regierung Kohl ist nun schon elf Monate im Amt, und die Krise ist noch immer nicht gemeistert.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Das war vorwurfsvoll gedacht. Zweitens. Zur Therapie: Macht das, was auch wir in der Regierungsverantwortung gemacht haben; dann wird schon alles wieder gut. Zur Krisenbewältigung wurden im Grund dieselben Rezepte vorgetragen, die in die Krise geführt haben. Es sind immer dieselben Schemata: Was die Wirtschaft angeht, mehr Steuern und Abgaben, und was den Staat angeht, keine Konsolidierung der zerrütteten Staatsfinanzen, sondern immer mehr Schulden, Fortsetzung der ungebremsten Schuldenpolitik. Das Ganze wurde dann noch etwas eingerahmt mit Klassenkampfpolemik: die Reichen gegen die Armen, die Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeber; und natürlich mit einer gehörigen Portion Unionsbeschimpfung.
    Das war weder geistreich noch überzeugend. Sie können doch nicht einfach verdrängen, daß Sie erst vor elf Monaten uns nicht einen intakten Staat hinterlassen haben, den Sie 1969 von uns übernommen hatten, sondern einen restlos überschuldeten Staat, der seine finanzielle Handlungsfähigkeit weitgehend verloren hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist der Kern des Übels!)

    Sie können doch auch nicht verdrängen, daß die Wirtschaft nicht mehr blüht wie 1969, daß sie in wichtigen Teilbereichen, Zukunftsbereichen angeschlagen ist, daß ihre finanziellen Grundlagen geschwächt sind, daß sie an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Die Folge von alldem ist Massenarbeitslosigkeit.
    In der Tat, die Krise ist noch nicht gemeistert. Nur ein Narr konnte glauben, daß das in elf Monaten möglich sei. Aber zwei Dinge hat die neue Regierung in wenigen Monaten geschafft.
    Erstens. Die sausende Fahrt in den finanziellen Abgrund ist gestoppt. 1984 zeigt die seit Jahren steil ansteigende Kurve des Schuldenzuwachses wieder nach unten. Außerdem brauchen wir für 1983 keinen Nachtragshaushalt. Die von Bundesfinanzminister Stoltenberg dem Haushalt zugrunde gelegten Zahlen waren realistisch und wahrhaftig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch das erscheint im Rückblick auf die von sozialdemokratischen Finanzministern vorgelegten Haushaltspläne als ein geradezu revolutionärer Wandel zu mehr Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    Ein Zweites hat die neue Regierung in wenigen Monaten erreicht. Die wirtschaftliche Talfahrt ist beendet. Das „Minuswachstum", wie es beschönigend hieß, hat sich in ein wirkliches, ein positives, wenn auch noch bescheidenes Wachstum gewandelt. Selbst auf dem Arbeitsmarkt, dem letzten Indikator, der den Aufschwung anzeigt, wird die wirtschaftliche Erholung in ersten Ansätzen sichtbar. Die Augustergebnisse zeigen es.

    (Schily [GRÜNE]: Gibt es den Aufschwung schon, Herr Dr. Dregger?)

    Der gröbste Schutt, ist damit weggeräumt, den Sie hinterlassen haben.

    (Schily [GRÜNE]: Sie machen doch Reklame damit: Damit endlich der Aufschwung kommt — CDU! Er scheint noch nicht gekommen zu sein!)

    Aber die größere Aufgabe steht noch vor uns. Es ist nur natürlich, daß die Diskussion über den jetzt einzuschlagenden Kurs voll entbrannt ist und daß nicht nur die Opposition, sondern auch die verschiedenen Interessengruppen in einem lauten, zum Teil mißtönenenden Chor den Kurs der neuen Regierung begleiten. Die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl wird sich dadurch nicht beirren lassen; denn ihr Kurs ist richtig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da gibt es Kritiker, die von sozialer Unausgewogenheit oder gar sozialer Demontage reden

    (Zuruf von der SPD: Das ist ja nicht unbegründet!)

    und in alter Klassenkampfmanier Arbeitnehmer-gegen Arbeitgeberinteressen ins Feld führen. Ich will nicht behaupten, daß beider Interessen identisch seien; aber ich behaupte, daß gerade in einer Krise die gemeinsamen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gegenüber den abweichenden bei weitem überwiegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß die Arbeitnehmer das wissen, zeigt das Verhalten ihrer Betriebsräte, die sich um den Erfolg ihrer Firma nicht weniger bemühen als die Unternehmensleitungen. Ich behaupte ferner, daß wir die Krise nur meistern können, wenn Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften die gemeinsamen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Maßstab ihrer Politik machen.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Das gemeinsame Interesse besteht vor allem darin, die Beschäftigungsmöglichkeiten der deutschen Wirtschaft zu erweitern. Das geht nicht mit kreditfinanzierten staatlichen Beschäftigungsprogrammen, aus zwei Gründen nicht. Erstens sind diese Programme auf Dauer wirkungslos, wie die Erfahrungen der 70er und des Anfangs der 80er Jahre gezeigt haben.

    (Schily [GRÜNE]: Wie ist es denn mit Ihrem staatlichen Investitionsprogramm des Schnellen Brüters in Kalkar?)

    Zweitens können diese Programme auch nicht mehr finanziert werden, nachdem der Staat durch die unverantwortliche Schuldenpolitik der 70er und des Anfangs der 80er Jahre seinen finanziellen



    Dr. Dregger
    Handlungsspielraum auf nahezu Null reduziert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Helfen kann in dieser Lage nur die Gesundung der Unternehmen selbst. Die Unternehmen und nicht der Staat sind die Grundlage unserer ökonomischen Kraft. Es liegt daher im gemeinsamen Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Unternehmen von übermäßigen Kosten- und Bürokratiebelastungen zu befreien, ihre Investitionsspielräume zu erweitern und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auch auf den Gebieten wieder herzustellen, auf denen sie in den 70er Jahren verlorengegangen ist. Das gilt vor allem für die Mikroelektronik, die Kommunikationstechniken und andere Zukunftstechnologien,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Kernenergie!)

    die aus ideologischer Verblendung heraus bei uns weniger gefördert als behindert worden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Kurs des neuen Bundesforschungsministers Heinz Riesenhuber ist richtig und wird von uns voll unterstützt.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Das sehen wir bei der Broschüre, die Sie herausgegeben haben!)

    Wir werden, meine Damen und Herren, die krisengeschüttelten Branchen und Regionen — ich denke vor allem an Stahl und Werften und das heißt zugleich an Bremen und die Saar — selbstverständlich nicht im Stich lassen.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Das machen Sie einmal konkret, Herr Dregger!)

    Der Bundeskanzler hat dazu klare Aussagen gemacht. Hilfen kann es aber nur auf Zeit geben. Hilfen sind nur gerechtfertigt, wenn sie zu neuen Strukturen führen, die aus sich selbst heraus lebensfähig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Peter [Kassel] [SPD]: Das glauben Sie doch gar nicht!)

    Wir erwarten, daß die neue Bundesregierung mehr als die vorausgegangene Verstöße anderer Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft gegen die Wettbewerbsregeln der Europäischen Gemeinschaft zu Lasten unserer Stahlindustrie zurückweist.
    Etwas Besonderes kann nur für die Landwirtschaft und den Bergbau gelten, da wir in der menschlichen Ernährung und in der Energieversorgung eine leistungsfähige Eigenversorgung auf jeden Fall aufrechterhalten müssen und weil in beiden Bereichen naturbedingt die Produktionsbedingungen schlechter sind als bei unserer ausländischen Konkurrenz. Aber auch in diesen Bereichen müssen den Subventionslasten Grenzen gesetzt werden.
    Wichtiger sind Investitionen in die Zukunft, in Wirtschaftsbereiche also, in denen neue Märkte entstehen. Nicht konservieren, sondern innovieren schafft und erhält Arbeitsplätze.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich nenne drei Beispiele. Erstens: Umweltschutz. Wirksamer Umweltschutz wird durch moderne Technologien erst möglich. Es sind technisch hoch komplizierte Entschwefelungsanlagen, die den Schadstoffausstoß auf ein erträgliches Maß herabdrücken. Die Katalysatoren, die den reibungslosen Betrieb eines Kraftfahrzeugs mit bleifreiem Benzin ermöglichen, mußten erst einmal erfunden werden, und sie müssen weiterentwickelt werden.

    (Schily [GRÜNE]: Ach nein!)

    Diese modernen Technologien schützen die Umwelt und schaffen, wenn wir technische Spitzenleistungen erbringen, Arbeitsplätze, auch für den Export, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweites Beispiel: Hunger in der Welt. Der Hunger in der Dritten Welt kann nicht dadurch beseitigt werden, daß Überschußprodukte der EG zu den Bedürftigen befördert werden. Er muß in der Dritten Welt selbst überwunden werden. Auch das kann nur mit Hilfe moderner Technologien gelingen,

    (Schily [GRÜNE]: AKWs!)

    die uns hier eine zweifache Chance bieten: die Armut in der Dritten Welt zu bekämpfen und unserer Industrie neue Absatzmärkte zu erschließen. Auch das bedeutet neue Arbeitsplätze für uns.

    (Schwenninger [GRÜNE]: Sechs U-Boote nach Peru und zwei nach Chile!)

    Drittens: Dezentralisierung. Die technische Anbindung kleiner Außenstellen in Teilgemeinden an die Zentralverwaltung einer Großgemeinde macht lange Verwaltungswege vermeidbar. Moderne Techniken werden bei Weiterentwicklung auch für Klein- und Mittelbetriebe einsetzbar. Auch das ist ein Schritt zur Dezentralisation und Wiederherstellung der Chancengleichheit. Mit wachsender Dezentralisierung der Dienstleistungsunternehmen können Straßen vom Pendel- und Stoßverkehr entlastet und kann vergeudete Freizeit verfügbar gemacht werden.

    (Schily [GRÜNE]: Sieh an!)

    Meine Damen und Herren, die Technik ist nicht unser Feind. Wir müssen sie beherrschen und in den Dienst der Menschen stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Sie machen eine Technik, die den Menschen beherrscht!)

    Wie notwendig das ist, zeigt folgender Vergleich. Über ein Drittel der heute in den Vereinigten Staaten von Amerika außerhalb der Landwirtschaft bestehenden Arbeitsplätze — über ein Drittel! — sind in den letzten 20 Jahren neu entstanden, nämlich 36 Millionen von 90 Millionen. Bei uns sind nur ein Achtel, nicht ein Drittel der bestehenden Arbeitsplätze neueren Datums: 3,1 Millionen von 23,6 Millionen. Das zeugt nicht gerade von Vitalität, von



    Dr. Dregger
    Wandel, von technischem Fortschritt, sondern eher von Lähmung und Erstarrung.

    (Zuruf von der SPD: Und wer ist daran schuld?)

    Das zu ändern, meine Damen und Herren, liegt im allgemeinen Interesse. Ich kann dieses Interesse jedenfalls nicht fein säuberlich in die Kästchen „Arbeitnehmerinteresse" und „Arbeitgeberinteresse" aufteilen.
    Unser Ziel muß es ohnehin sein, die Arbeitnehmer mehr noch als bisher zu Eigentümern zu machen, auch am Produktivvermögen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung mit dem Entwurf des Vermögensbildungsgesetzes hierzu einen entscheidenden Schritt unternommen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie knüpft damit nach zehnjähriger Pause bewußt an die Politik an, wie sie von den Regierungen Adenauer und Ludwig Erhard betrieben worden ist. Nur auf diese Weise lassen sich zwei Ziele auf einen Nenner bringen, nämlich die Wirtschaft zu stärken und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In dieselbe Richtung weist eine Politik, die es Arbeitnehmern erleichtert, sich selbständig zu machen. Die Zukunft unserer arbeitsteiligen Wirtschaft gehört nicht den Giganten, von denen heute manche auf tönernen Füßen stehen und sich nicht selten weniger am Markt als an staatlicher Hilfe orientieren. Die Zukunft gehört neben einigen Großen vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen, auch denen, die in den kommenden Jahren in größerer Zahl als bisher neu entstehen müssen.

    (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Es ist ermutigend, daß sich die diesjährigen Anträge auf Existenzgründungsdarlehen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben.
    Beides macht deutlich, meine Damen und Herren: Kapital und Arbeit sind bei uns nicht mehr besonderen Klassen vorbehalten. Die Grenzen zwischen beiden sind längst überschritten, und sie verwischen sich immer mehr — Gott sei Dank.

    (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Wer sich dieser Tatsache und dieser Notwendigkeit, Herr Schily, widersetzt, verstellt sich den Blick und den Weg in die Zukunft. Erfolg für die Tüchtigen, Hilfe für die Bedürftigen, gleiche Chancen für alle — das ist unsere Philosophie.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Der Baron Thyssen scheint auch arbeitslos geworden zu sein!)

    Sie liegt auch unserer Haushalts- und Finanzpolitik zugrunde. Trotz der schwierigen konjunkturellen Lage und trotz der Kürzung des Staatsdefizits gelingt es der neuen Regierung im Haushalt 1984, die schon 1983 eingeschlagene strategische Linie fortzuführen, nämlich die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern und durch eine Reihe von steuerlichen Entlastungen im Unternehmensbereich die Investitions- und Innovationskraft zu stärken.

    (Gobrecht [SPD]: Und die für die Familien zu verschlechtern!)

    Nachdem für 1983 schon Entlastungen bei der Gewerbesteuer vorgenommen waren, enthalten der Bundeshaushalt 1984 und seine Begleitgesetze eine Entlastung im Bereich der Vermögenssteuer und werden überdies Abschreibungserleichterungen für die investierende, insbesondere für die mittelständische Wirtschaft vorgesehen.

    (Zuruf von der SPD: Abschreibungsgesellschaften!)

    Das hat mit sozialer Asymmetrie, wie die Opposition polemisch behauptet, nicht das geringste zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Man nimmt den Armen das Geld weg, damit es irgendwo investiert wird!)

    Es war die unabhängige Deutsche Bundesbank, die seit Jahren davor gewarnt hat, daß die Ertragslage der Unternehmen und ihre Eigenkapitalquote auf einen erschreckenden Tiefstand gesunken sind. Unternehmen, meine Damen und Herren, die keine Gewinne machen, schaffen keine Arbeitsplätze; Unternehmen, die Verluste machen, gehen in Konkurs und setzen Arbeitskräfte frei. Der Volksmund sagt: Eine Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten, man darf sie auch nicht verhungern lassen. Was für die Kuh gilt, gilt auch für die Wirtschaft, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Das gilt für den Ochsen! — Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

    Es gehört ein hohes Maß an ideologischer Verblendung dazu, diese Tatsache aus den Augen zu verlieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist die Rückkehr zur Viehund Weidewirtschaft, was Sie hier propagieren! Sie werden grün in Ihrer Argumentation!)

    Das Klassenkampfsyndrom darf uns auch nicht daran hindern, nach Wegen zu suchen, die geeignet sind, die Steuer- und Abgabenlast der Unternehmen zu begrenzen und, wenn möglich, zu vermindern. Die voll mit Steuern und Abgaben belastete Arbeit ist so teuer geworden, daß das Ausweichen in die Schwarzarbeit, in die Schattenwirtschaft ein schlimmes Ausmaß angenommen hat.

    (Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

    Daß die Unternehmensbesteuerung bei uns höher ist als bei allen unseren Konkurrenten und daß die Lohnnebenkosten inzwischen die Lohnkosten übersteigen, liegt nicht im Interesse unserer Arbeitnehmer und erst recht nicht im Interesse der Arbeitsuchenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Trotzdem halte ich die Anregung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht, die Steuerent-



    Dr. Dregger
    lastung auf die Unternehmensbesteuerung zu konzentrieren, vorerst nicht für realisierbar.

    (Zuruf von der SPD: Vorerst?)

    Als nächstes streben wir jedenfalls Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer an. Sie liegen im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse der Unternehmen, die von der Einkommensteuer erfaßt werden. Auch das ist eine Entlastung der Unternehmensbesteuerung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ebenso dringlich ist die Steuerentlastung kinderreicher Familien; Stichwort Familiensplitting. Darüber hinaus wird es in dieser Legislaturperiode keinen finanziellen Spielraum für Steuerentlastungen geben, selbst wenn die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und die wirtschaftliche Erholung schnellere Fortschritte machen sollten, als wir es bisher zu hoffen wagten. Aber als Zukunftsperspektive bleibt die Aufgabe bestehen, die Belastung der Unternehmen mit Steuern und Abgaben zu verringern, um auch auf diese Weise Arbeit, und zwar legale Arbeit, für alle wieder möglich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das System, das immer mit dem Namen von Ludwig Erhard verbunden bleiben wird, heißt nicht Marktwirtschaft, sondern Soziale Marktwirtschaft. Bei all unseren Sparbemühungen darf daher der Kern unseres Systems der sozialen Sicherheit nicht angetastet werden.

    (Zuruf von der SPD: Was ist der Kern?)

    Das geschieht auch nicht. Im Gegenteil: Er wird gefestigt und zukunftssicher gemacht.
    Auch 1984 wird das Rentenniveau nicht nur der absoluten Höhe nach, sondern auch relativ, d. h. gemessen am verfügbaren Einkommen der beschäftigten Arbeitnehmer, höher sein als im Durchschnitt der 70er Jahre.

    (Peter [Kassel] [SPD]: 0,7 %!)

    Das Rentenniveau wird nach einem vollen Arbeitsleben bei Rentenbeginn 65% des verfügbaren Einkommens betragen. Das ist eine Altersversorgung, die es so in keinem anderen sozialen System der Welt gibt. Ein solches Alterssicherungssystem kann nicht das Ergebnis von sozialer Demontage sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch das Netz der Sozialhilfe bleibt erhalten. Allerdings gebietet es nicht nur die schlechte Finanzlage der Träger — der Landkreise und der Städte —, sondern auch die Wahrung einer angemessenen Relation zwischen den unteren Lohngruppen und den Sozialhilfeempfängern, hier Veränderungen vorzunehmen.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Wollen Sie die Löhne senken oder was?)

    Zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden werden wir prüfen, ob die dazu gemachten Vorschläge des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit den besten Weg aufzeigen.
    Wie die Lage der Rentner ist auch die der beschäftigten Arbeitnehmer positiv einzuschätzen. Schon in diesem Jahre, 1983, wird dank des stark gebremsten Preisanstiegs von zunächst unter 3% — jetzt 3% — der Reallohn in der Regel kaum sinken. Und er soll auch nicht sinken, auch aus Nachfragegründen soll er nicht sinken.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sagen Sie das Herrn George!)

    Nur im öffentlichen Dienst gibt es geringe Einbußen, die zum Teil in der Sicherheit des Arbeitsplatzes ein Äquivalent haben. Das ist allerdings auf Dauer kein akzeptabler Weg. Nur zur Überwindung der Krise ist er auf Zeit gangbar. Dabei muß die Gleichbehandlung der einzelnen Gruppen des öffentlichen Dienstes gewahrt werden.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Geringfügige Verschiebungen müssen bei geeigneter Gelegenheit ausgeglichen werden.
    Was die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte angeht, stehen sich zwei Richtungen gegenüber. Die einen lehnen den Sparkurs prinzipiell ab und sprechen vom „Kaputtsparen". Den anderen geht der Sparkurs nicht weit genug, sie sprechen von „mangelnder Konsequenz". Beide Vorwürfe sind unbegründet. Wer vom „Kaputtsparen" spricht, stellt die Tatsachen auf den Kopf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zwar wird die Nettoneuverschuldung, d. h. der Schuldenzuwachs, im Vergleich zum Vorjahr unter großen Anstrengungen um einige Milliarden zurückgenommen, aber mit 37 Milliarden DM ist diese Nettoneuverschuldung noch immer 50 mal höher als die Nettoneuverschuldung im Jahresdurchschnitt zwischen 1949 und 1969. Diese veranschlagte Nettoneuverschuldung von 37 Milliarden DM übersteigt immer noch die Schuldengrenze des Art. 115 des Grundgesetzes. Aber ich bin hier noch nicht, lieber Herr Carstens, ohne Hoffnung. Wir können mit einem höheren Bundesbankgewinn rechnen als veranschlagt, und ich erkläre: wenn das der Fall sein sollte, dann wird er auschließlich zur Defizitabsenkung verwandt und zu nichts anderem.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vielleicht finden auch die Haushälter noch etwas.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Mit Sicherheit!)

    Es wäre jedenfalls schön und unser Ziel, wieder eine verfassungsmäßige Finanzwirtschaft betreiben zu können, die es in den letzten Jahren nicht mehr gegeben hat.
    Aber wie dem auch sei: zur Neuverschuldung des Bundes von zirka 37 Milliarden DM kommt eine hohe Neuverschuldung der Gemeinden, der Länder, der Bundesbahn und anderer Träger öffentlicher Aufgaben hinzu. All das wirkt gewiß nicht deflatorisch.
    Wie notwendig unser Sparkurs ist, zeigt folgende Betrachtung.





Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck? — Bitte schön, Frau Blunck.

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    Rede von Lieselott Blunck


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Dregger, ich habe eine Frage. Welche der Sparmaßnahmen, die jetzt von Ihrer Regierungspartei in Augenschein genommen worden sind, trifft eigentlich Sie oder mich?