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ID1001906200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/19 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 19. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion die GRÜNEN betr. Änderung der Auslieferungspraxis der Bundesregierung und Staatenbeschwerde gegen die Türkei — Drucksache 10/357 — Burgmann GRÜNE 1243 B Dr. Schäuble CDU/CSU 1244A Porzner SPD 1244 B Burgmann GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 1245 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion die GRÜNEN Entlassung der Bundesminister des Innern und der Justiz — Drucksache 10/333 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entlassung des Bundesministers der Justiz und des Bundesministers des Innern — Drucksache 10/342 — Roth SPD 1245C Dr. Althammer CDU/CSU 1253 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 1257A, 1307 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 1263 B Mischnick FDP 1268 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 1273 C Dr. Vogel SPD 1282 D Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 1295 B Koschnick, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1298 B Metz CDU/CSU 1303 B Dr. Emmerlich SPD 1310 C Fischer (Frankfurt) GRÜNE 1313 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU 1317 D Kleinert (Hannover) FDP 1322 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 1325 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 1328 B Kuhlwein SPD 1330 D Neuhausen FDP 1334 B Dr. Jannsen GRÜNE 1335A Namentliche Abstimmung 1326 C Nächste Sitzung 1335 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1337* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1337* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 1243 19. Sitzung Bonn, den 8. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 1337* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 8. 9. Kretkowski 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Möglichkeiten für eine Gemeinschaftsbeihilfe zur Finanzierung einer festen Ärmelkanalverbindung (Drucksache 10/207) zuständig: Ausschuß für Verkehr Entschließung des Europäischen Parlaments zur Höhe der Einkommen in der Landwirtschaft (Drucksache 10/208) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Raumordnungsbericht 1982 (Drucksache 10/210) zuständig: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend) Innenausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Drittmittelforschung im Rahmen der Grundlagenforschung (Drucksachen 10/225, 10/332) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1981/1982 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (§ 50 GWB) (Drucksache 10/243) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den ersten Teil der 29. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 6. bis 8. Juni 1983 (Drucksache 10/246) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Einwilligung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 1502 Tit. 642 07 des Haushaltsjahres 1983 (Ausgaben nach § 8 Abs. 2 des Unterhaltsvorschußgesetzes) (Drucksache 10/316 [neu]) zuständig: Haushaltsausschuß Anlagen zum Stenographischen Bericht Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 2. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1983 (Drucksache 10/292) zuständig: Haushaltsausschuß Fünfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) (Drucksache 9/2386) zuständig: Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Entschließung des Europäischen Parlaments zur Diskriminierung von unverheirateten Müttern gegenüber verheirateten Frauen im Bereich des Eltern- bzw. Kindesverhältnisses in bestimmten Mitgliedstaaten (Drucksache 9/2417) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Rechtsausschuß Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Drucksache 9/2421) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Entschließung des Europäischen Parlaments zu den türkischen Auslieferungsersuchen (Drucksache 9/2413) zuständig: Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 9/83 — Erhöhung des Zollkontingents 1983 für Bananen) (Drucksache 10/315) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 8. Dezember 1983 vorzulegen Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 24. August 1983 mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung über die nachstehende Vorlage absieht: Bericht der Bundesregierung zu dem Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung (Drucksache 9/2423) Die in Drucksache 10/92 unter Nummer 73 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag für eine Europäische Strategie auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technik Rahmenprogramm 1984 bis 1987 ist als Drucksache 10/217 verteilt. Die in Drucksache 10/133 unter Nummer 12 aufgeführte EG-Vorlage Mitteilung der Kommission an den Rat über die Strukturen und Verfahren der Gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie ist als Drucksache 10/221 verteilt. Die in Drucksache 10/92 unter Nummer 26 aufgeführte EG-Vorlage 1338* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament betreffend eine bessere Nutzung der Ergebnisse Gemeinschaftsgeförderter F&E-Aktivitäten ist als Drucksache 10/222 verteilt. Die in Drucksache 10/168 unter Nummer 3 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag eines Beschlusses des Rates über das Rahmenprogramm der wissenschaftlichen und technischen Tätigkeiten der Gemeinschaft 1984-1987ist als Drucksache 10/295 verteilt. Die in Drucksache 10/133 unter Nummer 11 aufgeführte EG-Vorlage Die künftige Finanzierung der Gemeinschaft Vorschlag für einen Beschluß über die eigenen Mittel ist als Drucksache 10/329 verteilt.
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    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich wollte Sie nicht in die peinliche Situation bringen, DIE GRÜNEN zu beklatschen. Noch sind Sie ja wohl nicht so weit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Noch" — das ist gut!)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gerade die Friedensbewegung gewesen, die ihre Empörung über den Flugzeugabschuß vor einigen Tagen sofort zum Ausdruck gebracht hat; denn gerade sie nimmt die Charta der Vereinten Nationen sehr ernst,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Wo war die Demonstration?)

    nach der jegliche Androhung oder Anwendung von Gewalt verboten ist. Nur darf dieser Vorfall jetzt nicht ausgenutzt werden, um wiederum eine Politik zu begründen und zu rechtfertigen, die auf dem Gedanken der Drohung aufbaut.
    Es ist j a gerade die Politik der Abschreckung, die Politik der Stärke, die auf diesem Gedanken der Drohung basiert. In diesem Zusammenhang, Herr Vogel, möchte ich mich auch an die SPD wenden. Das, was Sie eben zu der Nachrüstung gesagt haben, ist j a auch ein Politikkonstrukt, das auf diesem Drohungsgedanken basiert. Auch dem Verhandlungsangebot liegt ein Drohungsgedanke zugrunde. Sie haben sich bis zum heutigen Tage von diesem Gedanken nicht klar distanziert.
    Wenn Herr Kohl hier von der Politik des Dialogs und von Friedensliebe spricht, aber gleichzeitig wieder begründet, daß man von dem Doppelbeschluß nicht abrücken könne, weil wir auf diesen Druck nicht verzichten könnten, hat er damit auch eine Politik der Drohung formuliert. Insofern ist das einfach eine Heuchelei.
    Seit 34 Tagen fasten in mehreren Ländern zwölf Menschen, weil sie sich dieser Politik der Drohung und der tödlichen Gefahr, die von ihr ausgeht, entgegenstellen wollen. Sie sind bereit, ihre ganze eigene Existenz dafür einzusetzen. Sie setzen sich selbst gegen diese Politik des Drucks, weil sie sagen, daß sie kommen sehen, daß diese Welt in einen Feuerball verwandelt wird, weil sie verzweifelt sind und weil sie dies als das letzte Mittel ansehen.
    Diese Art von Friedenssicherung, die nun auch dieses Land in große Auseinandersetzungen geführt hat, schlägt sich aber auch in ganz anderen Dingen nieder, auch in dem, was sich hinter diesem Haushalt verbirgt. Was bedeutet denn diese Art von sogenannter Friedenssicherung schon heute? Ich bin vor einiger Zeit in dem vielbeschworenen Vorbild USA gewesen. Herr Bundeskanzler, Herr Finanzminister, Sie sollten auf einer Ihrer vielen Reisen nach New York einmal nicht ins RockefellerCenter, sondern nach South Bronx gehen. Das dort kann unsere Zukunft sein. Schauen Sie sich die Ruinen dort einmal an, die verfallene Infrastruktur, die es dort schon gibt. Herr Apel hat gestern davon gesprochen. Dort sieht es doch schon so aus, als sei der Krieg ausgebrochen, als sei die Bombe schon gefallen. Dort wird gehungert, dort sind das menschliche Elend, die Armut, die Arbeitslosigkeit schon kaum mehr zu begreifen — und das im reichsten Land der Erde. Amerika entscheidet sich, lieber Bunker und Raketen zu bezahlen, als vielen seiner Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

    (Eigen [CDU/CSU]: Was machen die Russen?)




    Frau Beck-Oberdorf
    Auch diese Bundesregierung entscheidet sich, große Teile ihres Haushalts in die Aufrüstung zu stecken, die uns in tödliche Unsicherheit bringt.
    Gestern wurde von einem Ihrer Kollegen über unseren Vorschlag gespottet, den Kriegshaushalt um ein Drittel zu kürzen: Wir seien mit solchen utopischen Forderungen schon „losgelöst von der Erde". Wer in South Bronx steht, dem drängt sich auf, daß es rationale und einfache Lösungen für dieses Elend gäbe. Denn wieviel bräuchte es, um Handwerker zu bezahlen, dort die Häuser instand zu setzen und gleichzeitig Menschen Arbeit und Hoffnung zu geben? Wie wenig ist das im Vergleich zu den zig Milliarden, die diese Tötungsmaschinen, z. B. die neue MX, oder das, was bei uns im Haushalt steht, kosten.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Auch bei uns wachsen Armut und Elend, das Elend von Menschen ohne Arbeitsplatz, von hoffnungslosen Jugendlichen, von gedemütigten Sozialhilfeempfängern. Dazu vollzieht sich das lautlose Sterben der Wälder. Das ist keine apokalyptische Drohung, sondern eine traurige Realität.
    Mein Kollege Verheyen hat hier gestern ein soziales und ökologisches Sofortprogramm dargestellt. Wir benennen mit diesem Programm die Richtung, in die es unserer Meinung nach gehen soll. Jetzt wäre es Ihre Aufgabe, in diese Richtung zu gehen. Sie sind doch die Regierung. Sie haben doch Hunderte von Beamten und Rechenkapazitäten. Lassen Sie doch unsere Anregungen einmal prüfen und durchrechnen, greifen Sie doch einmal etwas auf, was aus der Debatte dieses Parlaments kommt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ihre Regierung erscheint mir wie ein Hamster, der aus dem Laufrad nicht mehr herausfindet. Das Laufrad heißt: Arbeitslosigkeit, Forderung nach mehr Wachstum, nach mehr Investitionen mit der Folge von Rationalisierungen und mehr Arbeitslosen. Obwohl der Herr Wirtschaftsminister heute früh gezeigt hat, daß er um das joblose Wachstum weiß, rennt diese Regierung trotzdem globalen Wachstumszielen hinterher.
    Herr Kohl, wenn Sie heute morgen von Lehrstellen gesprochen haben, dann müssen Sie dazu sagen, daß gerade viele junge Mädchen jetzt in Lehrstellen geschickt werden, z. B. in kaufmännische Berufe, von denen man ganz genau weiß, daß sie in der nächsten großen Rationalisierungswelle zur Streichung anstehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wie wollen Sie denn die hohen Produktivitätszuwächse auffangen, wenn Sie wissen, daß Sie so viel Wachstum gar nicht erreichen können? Also nehmen Sie doch die Arbeitslosigkeit in Kauf. So machen Sie uns und sich weiterhin von Atom-, Chemie-, Stahl- und Automobilgiganten und von der Rüstungsindustrie abhängig. Wenn dort an Mensch und Natur gedacht wird, dann deshalb, weil man Material für seine Unternehmenszwecke sucht. Sie
    wollen das Laufrad laufenlassen, weil sie heute daran verdienen. Dieser Trend wird sich nicht durch das umkehren, was sich in diesem Haushalt manifestiert; er wird sich nicht umkehren, weil Sie entschlossen sind, Maschinen statt Menschen zu fördern. Dieser Haushalt hält Geld für den Abbau von Überkapazitäten und Rationalisierungen bereit, wobei Menschen ihre Arbeit verlieren. Dieser Haushalt hält gleichzeitig schon wieder Geld für den Aufbau neuer Überkapazitäten bereit. Auch die Automobilindustrie wird von dem Steuererleichterungsgesetz des Herrn Bundesfinanzministers Gebrauch machen. Haben Sie in Ihrer „weitsichtigen" Finanzplanung auch schon vorgesehen, welche Gelder in diese Industrie dann, wenn sie — wie jetzt die Werft- und die Stahlindustrie — zusammenkracht, hineingepumpt werden sollen?

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Was für eine Welt malen Sie bloß aus?)

    Wir lehnen Ihren Haushalt nicht nur deswegen ab, weil wir den von Ihnen behaupteten Zusammenhang von Haushaltskonsolidierung, Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen für eine Irrlehre halten. Wir lehnen ihn auch nicht nur deshalb ab, weil wir einen großen Teil der Investitionen, die möglicherweise getätigt werden, für ökologisch und sozial unvertretbar halten. Wir lehnen diesen Haushalt auch deshalb ab, weil wir die Fortführung einer Wachstumspolitik, die auf riesige technische Innovationsschübe setzt, für eine Gefahr für die Demokratie halten.
    Meine Damen und Herren von der Mehrheit, haben Sie sich schon einmal Rechenschaft darüber abgelegt, was an demokratischer Substanz bei den Versuchen, das Atomprogramm durchzusetzen, zerstört worden ist? Haben Sie sich schon einmal verdeutlicht, welche Folgen die riesigen Datenbänke und Informationssysteme, die jetzt mit neuen Technologien aufgebaut werden, in den Händen von Bürokratie und mächtigen Wirtschaftsgruppen haben? Haben Sie sich eigentlich einmal die Folgen der neuen Medien für die politische Kultur in diesem Land klargemacht?
    Haben Sie sich übrigens auch einmal klargemacht, was es eigentlich für die Demokratie bedeutet, wenn ein Minister in einem Presseinterview äußert, daß er amerikanische Raketen auch gegen die Mehrheit der Bevölkerung stationiert sehen will? So hat er sich nämlich geäußert, der Herr Familienminister, der bekanntlich in dieser Regierung für historische und politische Umdeutungen zuständig ist.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Als Begründung, warum sich an der Haltung der Bundesregierung, die Raketen zu stationieren, auch dann nichts ändern wird, wenn eine Mehrheit dagegen ist, hat er folgendes abgeliefert:

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wofür haben denn Sie eine Mehrheit?)




    Frau Beck-Oberdorf
    „Demokratie bedeutet auch Führung, kontrollierte Führung."

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sicher!)

    Diese autoritäre Umdeutung des Demokratiebegriffs entmündigt die Bürger.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Demokratie ist Herrschaft auf Zeit, Frau Beck-Oberdorf!)

    Wenn ich Herrn Geißler so höre, verstehe ich auch die Jugendlichen, die nicht mehr begreifen können, daß es noch Sinn macht, sich an demokratische Spielregeln zu halten. Wie sollten sie denn auch, wenn ein Minister ihnen sagt, daß die deutlich sichtbare Mehrheit gegen die Raketenstationierung nicht zählt?

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Das habe ich ja nicht gesagt! Sie müssen richtig zitieren!)

    Können Sie sich nicht vorstellen, daß die wiederholt geäußerte staatliche Forderung nach Gewaltlosigkeit diesen Jugendlichen immer fragwürdiger erscheint, wenn — wie in Krefeld — die Schützer der Verfassung Provokateure in die erste Reihe von Nachrüstungsgegnern stellen?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Statt über irreales Wachstum sollte man im Zusammenhang mit Massenarbeitslosigkeit und Massenentlassungen mehr über Demokratie reden. Wo war die Chance für eine demokratische Beteiligung der Menschen, die nun die Folgen der Schließung der Werften zu tragen haben? Wo sind die Menschen beteiligt, die die kurzsichtige Wachstumspolitik der Stahlkonzerne mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bezahlen müssen?
    In diesem Land beginnt ein neuer Darwinismus einzukehren. Während Sie sich bemühen, immer und immer wieder das Werfen eines Pflastersteins oder das Blockieren eines Zaunes zum Thema zu machen und über Gewalt zu klagen, werden sehr gewalttätige, sehr unmenschliche Entscheidungen durchgezogen.
    Diese Regierung bezieht die Mehrheit der Bürger in ihre angeblichen Problemlösungen vor allem als Objekte, als Financiers von Zwangsabgaben ein, oder sie sieht die Bürger überhaupt nur als Störenfriede, die mit angeblich überzogenen Ansprüchen an das Sozialsystem ein an und für sich funktionierendes Staatssystem gefährden.
    Natürlich wissen wir, daß der Staat, daß Politik, auch die Ihrer Regierung, weder an allem schuld ist noch alles bewirken kann. Aber Aufgabe staatlichen Handelns wäre es, eine Reihe von Rahmenbedingungen für eine neue, ökologisch orientierte und ökologisch sinnvolle Gesellschaft zu schaffen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Politische Gestaltung hieße Zukunftsaufgaben wahrnehmen, von denen hier immer gesprochen wird. Ein Teil dieser Zukunftsaufgaben wäre eine grundlegende Änderung dieses Industriesystems, eine Reorganisation bis hin zu einer solidarisch abgefederten und gesellschaftlich getragenen
    Schrumpfung von Industrieanlagen, die der heutigen Zeit nicht mehr angemessen sind.
    Umbau der Gesellschaft — das wird eben nicht allein von oben gehen, nicht allein durch Zahlenwerke, die von Bürokraten erstellt, von Ministern präsentiert und durch Gesetz verordnet oder zwischen Konzernspitzen und Senatsvertretern — wie jetzt in Bremen — ausgehandelt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Umbau braucht Demokratie, braucht Einverständnis und Mitwirkungswillen von Menschen. Für uns bedeutet das Ausdehnung der Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten auf allen politischen Ebenen. Wir sind für die Stärkung der Bürger gegenüber den Parlamenten und für die Stärkung der Parlamente gegenüber den Regierungen.
    Der Hinweis auf die Möglichkeit einer demokratischen Erneuerung gilt selbstverständlich auch für den Bereich der Wirtschaft. Ihre Wachstumspolitik, technische Innovationen und Massenentlassungen berühren das Leben von Millionen von Arbeitnehmern. Sie müssen deshalb über ihr Schicksal mitreden können, und zwar nicht nur paritätisch in Aufsichtsräten, sondern auf allen Ebenen der betrieblichen Entscheidungen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich füge hinzu: Produktionsumstellungen, öffentlich finanzierte Programme für sinnvolle Arbeit oder die 35-Stunden-Woche sind ohne den Ausbau der betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitenden über Organisation, Formen und Ziele ihrer Arbeit nicht denkbar.
    Politische Umorientierung — das hieße mit den Arbeitern aus den Werften zu überlegen, wie sie ihr Know-how, ihre Maschinen für neue nützliche Güter verwenden können. Es gibt in diesem Bereich Pläne. Solidarische Politik hieße den Betrieben, die eigene Initiativen entfaltet haben, steuerliche Erleichterungen zu geben, damit sie mithalten können, eine Chance haben, eine Chance in diesem unerbittlichen Konkurrenzkampf. Das hieße auch, den Konzernen unsere Luft, unsere Erde und unser Wasser nicht zu Billigtarifen zu überlassen, während die Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Herr Finanzminister hat in seiner Rede folgenden löblichen Satz gesagt:
    Wir dürfen nicht weiter unsere Tagesaufgaben auf Kosten der Generation unserer Kinder lösen wollen.
    Ihre wachsweiche Umweltpolitik, die vor notwendigen Lösungen — auch in der Frage des Waldsterbens — bis heute zurückweicht, Ihre Förderung risikoreicher Technologien mit unübersehbaren Folgen, Ihre Förderung des Wachstums auf Kosten ökologischer Kreisläufe werden noch unsere Kinder und Kindeskinder beschäftigen. Damit belasten Sie doch die kommenden Generationen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Beck-Oberdorf
    Haben Sie schon einmal von Ihren Beamten ausrechnen lassen, was die Bewachungsheere für die strahlenden Atomruinen, für die Plutoniumanlagen und die Datenfestungen kosten werden? Haben Sie schon einmal berechnen lassen, was die Beseitigung der Folgeschäden der heutigen Industrialisierung kosten wird, über welche Zeiträume diese Kosten in zukünftigen Haushalten auftauchen werden? Haben Sie schon berechnen lassen, was es kosten wird, die umkippende Nordsee wieder zu einem Gewässer zu machen, nur weil Sie heute nicht einmal durchsetzen können und wollen, daß die Verklappung von Dünnsäure aufhört?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn Sie 1990 noch einen Haushalt zu machen haben, werden Sie wahrscheinlich überlegen müssen, ob genug Geld da ist, um den Import von Trinkwasser in dieses Land zu subventionieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Solange Sie nicht die allgemeine Richtung Ihrer Politik, die Qualität Ihrer Ausgaben grundlegend ändern, grenzt die Sorge um die nachfolgende Generation an Demagogie.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir haben versucht, ein Sofortprogramm vorzulegen, aber solange Sie mit Ihrem Haushalt die Politik Ihrer Regierung — wie vor einem halben Jahr vorgestellt — fortsetzen wollen und nicht bereit sind, die Richtung zu ändern, haben wir die Pflicht, unsere Oppositionsrolle durch eine systematische Kritik sowohl der finanziellen Details als auch der geistigen Grundlagen Ihrer Politik auszufüllen.

    (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es mag die Gefahr bestehen, daß Sie meinen, ich spreche nur, weil am 25. September in Bremen eine Wahl ist.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Überhaupt nicht!)

    Ich schlage vor, daß Sie diese Position erst am Ende beurteilen, weil ich hier eine vom Wahlkampf abgesetzte Position zu vertreten habe. Diese Position halte ich auch in Bremen durch. Es geht nämlich im Augenblick darum, über die Strukturfragen zu sprechen und nach Lösungen für schwierigste Industriefragen zu suchen — wenn die Probleme überhaupt einvernehmlich lösbar sind — sowie nach Wegen zu suchen, wie man betroffenen Menschen, Arbeitnehmern und ihren Familien, neue Chancen gibt.
    Niemand mehr als ein Regierungschef von der Küste würde es begrüßen, wenn der seit Jahresanfang beschworene Aufschwung käme und wenn sich die Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden so konsolidieren würden, daß nicht jede neue
    Haushaltsrunde nur von Kürzungen und Einsparungen diktiert wird.
    Ich habe Verständnis für das Streben des Bundes, seinen Haushalt zu entlasten, und gleichzeitig für das Bemühen, Mittel freizusetzen, die als Initialzündung für neue Investitionen gedacht sind. Allerdings bin ich höchst unsicher, ob die von der Bundesregierung konzipierte Form der Steuererleichterungen tatsächlich zu einem Investitionsschub führt. Ich vermute vielmehr, daß sie als Steuergeschenk von denjenigen mitgenommen wird, die sowieso Investitionsvorhaben realisiert hätten. Da dies heute in der Regel Modernisierungsinvestitionen sind, wird unter dem Strich die Ausbeute an Arbeitsplätzen nur höchst mager ausfallen. Hier hätte ich ein gezieltes Beschäftigungsprogramm für wirkungsvoller gehalten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich hier heute zu Ihnen als Mitglied des Bundesrates spreche, so tue ich dies nicht in erster Linie, um Ihnen meine Skepsis im Hinblick auf das Gelingen der Pläne der Bundesregierung kundzutun, sondern ich möchte das Augenmerk des Hohen Hauses vielmehr darauf richten, in welcher Weise der Bund seine finanzielle Situation zu Lasten der Länder und Gemeinden ordnet.
    Die Besonderheit für Bremen liegt doch darin, daß das Land mit der geringsten finanziellen Ausstattung und den größten wirtschaftlichen Problemen in unserer Republik bei der Neuverteilung der Belastungen am schlechtesten wegkommt.
    In den neuen Gesetzen sehen wir keine Hilfe für unsere Probleme, sondern aus den Steuerentlastungsgesetzen resultieren zunächst einmal Ausfälle, die wir angesichts unserer Aufgabenfülle und Haushaltsenge kaum auffangen können. Wir reden in Bremen nicht von einem Aufschwung, sondern wir bemühen uns, eine Sturzfahrt von wichtigen Teilen unserer heimischen Wirtschaft aufzufangen, denn wo sich bei anderen die Talsohle abzeichnen mag, erfolgt bei uns der Fall in die Bodenlosigkeit.
    Rund ein Drittel aller Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe entfallen in Bremen auf Krisenbranchen, vor allem auf Schiffbau, Stahlindustrie, Fischerei und Fischverarbeitung. Ein solcher Prozentsatz wird von keinem anderen Bundesland erreicht. Selbst wenn ich den Krisenfaktor „Kohle" mit einbeziehe, so sind die gefährdeten Branchen bei uns stärker vertreten als im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Wir haben den Bund gebeten, uns bei der Überwindung der strukturellen Verwerfungen unserer heimischen Wirtschaft zu helfen. Wir sind dabei nicht allein Bittsteller, sondern haben auch den Appell an den Bund gerichtet, seinen Verfassungsauftrag wahrzunehmen und die notwendigen regionalpolitischen und sektoralen Strukturentscheidungen zu treffen. Wir sehen in der Entscheidung der Bundesregierung, Bremen in ein Sonderprogramm der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufzunehmen und im



    Präsident des Senats Koschnick (Bremen)

    Laufe der nächsten vier Jahre dafür 80 Millionen DM bereitzustellen, einen wichtigen Schritt in Richtung auf flankierende Maßnahmen zur Reduzierung der überproportionalen Arbeitslosenzahl in der Unterweser-Region; es trifft ja nicht Bremen allein, sondern das umliegende Gebiet von Niedersachsen mit. Dieses Sonderprogramm entlastet uns aber nicht unmittelbar von den bei uns vorhandenen wirtschaftlichen Problemen bei Werften und Stahl. Ich hoffe, daß es eine Mehrheit unter den Bundesländern gibt, die dieser Entscheidung des Bundes zustimmt, und beteilige mich nicht an polemischen Auseinandersetzungen über eine versagte Unterstützung durch andere Bundesländer. Ich setze bis zur Entscheidung auf Einsicht, und Solidarität.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, in unserer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft entscheiden die Eigentümer, die Vorstände der betroffenen Gesellschaften über das Schicksal von Betrieben. Die Verantwortung auch dafür, in welchem Umfange Investitionen, Rationalisierungen oder eben Entlassungen vorgenommen werden, also welche Unternehmenspolitik betrieben wird, steht in der Entscheidungsbefugnis derjenigen, die in guten Zeiten eines Unternehmens auch die Beschlüsse faßten, wohin die gemachten Gewinne fließen. Weder Bund noch Länder haben hierauf in unserem Wirtschaftssystem einen unmittelbaren Einfluß. Bund und Länder werden jedoch in wirtschaftlich schwierigen Tagen von Unternehmen wie von Arbeitnehmern häufig in eine Pflicht genommen, die marktwirtschaftlichen Prinzipien widerspricht. Vielleicht scheint gerade deshalb die Politik in Krisenzeiten gut geeignet zu sein, den Prügelknaben der Nation zu spielen.
    Zugegeben: Möglicherweise haben wir alle — ich nehme mich jedenfalls nicht aus — in Zeiten der Umverteilung des wirtschaftlichen Zuwachses die Möglichkeiten staatlichen Einflusses auf die Unternehmen in marktwirtschaftlichen — oder darf ich sagen: kapitalistischen — Systemen überschätzt, zumindest aber Erwartungshaltungen zugelassen, die den wirklichen Einflußmöglichkeiten nicht standhalten. Dennoch ist unsere Wirtschaftsordnung nicht so ausgerichtet, daß sich der Staat mit der Rolle eines neutralen Beobachters begnügen kann, den im Grunde alles nichts angeht.

    (Beifall bei der SPD)

    Es kann sich wohl niemand auf unsere Verfassung berufen, wenn sich Industriepolitik lediglich auf das Begrüßen erfreulicher Entwicklungen und auf das Bedauern von Zusammenbrüchen reduziert.

    (Beifall bei der SPD)

    Vielmehr fordert unsere Verfassung von jeder Regierung, sich um einheitliche Lebensverhältnisse in allen Teilen der Republik zu kümmern.
    Darunter fällt vor allem die Verpflichtung, im Interesse des gesamten Staates eine aktive Rolle bei
    der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bei der Ausbildungsplatznot zu spielen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gilt, den arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bürgern dieses Staates eine faire Lebenschance und eine faire Berufschance zu ermöglichen. Es genügt nicht, allein darauf zu setzen, daß aus den Unternehmen herausgezogene höhere Unternehmensgewinne reinvestiert werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist doch wirklich nicht als Arbeitsmarktpolitik auszugeben.
    Zur Aufgabe des Gesamtstaates, so meine ich, gehört nicht zuletzt, regionale Defizite und strukturelle Verwerfungen anzugehen und gegenzusteuern, soweit die vorhandenen Ressourcen dies zulassen. Natürlich ist es bei unserer Wirtschaftsordnung für alle Verantwortlichen im Bund wie in den Ländern eine unlösbare Aufgabe, wenn man von ihnen verlangen wollte, daß sie an Stelle der Unternehmen und ihrer Kapitaleigner handeln und ihnen ihre ureigene Entscheidung abnehmen. Der Staat ist aber verpflichtet, Fehlentwicklungen zu bremsen, Anreize für bruchlose Übergänge zu neuen Strukturen zu geben, um abwendbare Arbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Strukturkonzepte für gefährdete Branchen sind zu entwikkeln; diese Aufgabe ist vom Bund zu erfüllen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier geht es dann auch um die Beantwortung der Frage, ob ein gesamtstaatliches Interesse da ist, bestimmte Industriesektoren vorzuhalten und in Krisenzeiten zu stützen. Es steht die Frage nach einer nationalen Energie- und Kohlekonzeption, nach einer nationalen Schiffahrts- und Werftenpolitik, nach einer meinetwegen in Europa zu verzahnenden Stahlpolitik. Es muß entschieden werden, ob es Kapazitäten — und welche — in einem bestimmten Industriesektor aus gesamtstaatlichem Interesse geben soll und ob diese aus Gründen der Wirtschaftsentwicklung oder der nationalen Sicherheit auch unter begrenzbaren Verlusten vorgehalten werden sollen.
    Lassen Sie mich als Vertreter der norddeutschen Küste in diesem Zusammenhang etwas zu den Werften sagen. Als nach der Ölpreiskrise 1974 die ersten größeren Einbrüche bei der nach 1950 wieder entstandenen Schiffbauindustrie eintraten und wir schon damals in knapp vier Jahren rund 30% Personalreduzierung hinzunehmen hatten, griff die damalige Bundesregierung Schmidt/Genscher ein und stoppte die Entwicklung. Sie stoppte sie mit einer kombinierten Reeder- und Werftenhilfe einschließlich einer Auftragshilfe für den Export. Sie stoppte so bruchartige Entwicklungen und Verwerfungen. Sie haben uns die Chance gegeben, Stabilisierung an der ganzen Küste möglich zu machen.
    Die norddeutschen Länder haben sich damals ihrer sektoralen Mitverantwortung nicht entzogen und sich absprachegemäß mit 25% an den Auftragshilfen beteiligt.

    (Sehr gut! und Sehr wahr! bei der SPD)




    Präsident des Senats Koschnick (Bremen)

    Doch diese Haltung des Bundes ist nicht durchgehalten worden. Seit 1982 stehen Auftragshilfen zur Hereinnahme von Exportaufträgen nicht mehr zur Verfügung. Seit dieser Zeit kämpfen unsere Werften gegen Billiglohnländer und staatlich subventionierte Werften im internationalen Schiffbaumarkt mit der Folge, daß Aufträge ohne kostendeckende Preise bzw. Unterbeschäftigung die Substanz der Werften erheblich angeschlagen und zum Teil aufgezehrt haben.
    Das war der Grund, daß wir Regierungschefs der Küstenländer am 21. April dieses Jahres uns in Hamburg auf ein gemeinsames Werftenhilfeprogramm verständigten und den Bund eindringlich gebeten haben, uns an der Küste nicht allein zu lassen. Die Antwort ist bekannt. Außer der Aufstokkung der Reederhilfe war in Bonn kein Blumentopf zu gewinnen. Ob Frau Breuel als Vorsitzende der Wirtschaftsministerkonferenz der Küstenländer heute mehr Glück haben wird als meine Kollegen Dr. Albrecht und Dr. Barschel — von Klaus von Dohnanyi und mir will ich besser schweigen —, ist höchst ungewiß. Meine Damen, meine Herren der Koalition, ist es nicht bezeichnend, daß Christdemokraten und Sozialdemokraten an der Küste hier an einem Strang ziehen? Spüren Sie nicht die Not, die sich bei uns in Schleswig-Holstein wie in Niedersachsen, in Hamburg wie in Bremen ausbreitet?
    Ja, wir Regierungschefs der Küstenländer sind nicht nur beim Bund aufgelaufen mit unserer Forderung, wir sind auch von den Gewerkschaften kritisiert worden, weil wir einen Kapazitätsabbau von weiteren 30 % im Schiffneubau hinnehmen würden und dabei Arbeitsplatzverluste akzeptiert hätten. Ich sage Ihnen: Die Angebots- und Nachfragesituation auf dem Weltmarkt verlangt eine realistische Beurteilung. Es sind nicht genügend Schiffe zu akquirieren, um alle Werftkapazitäten auszulasten. Wir kommen an Reduzierungen nicht vorbei. Ich trage das hier Unausweichliche mit.
    Aber ich bin nicht bereit, die Verantwortung für eine ungeklärte nationale Schiffbaupolitik mit deren Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Familien zu tragen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir brauchen Klarheit. Wir in Bremen sind, wie gesagt, noch vor dem Saarland das Bundesland mit den meisten von den weltwirtschaftlichen Verwerfungen betroffenen Industrien und liegen aus diesem Grunde an der Spitze der Arbeitslosenquote. Deshalb erhoffen wir von der Bundesregierung Unterstützung bei der Förderung betriebsübergreifender Maßnahmen bei den Werften. Bei Alleingängen der Werften im Lande Bremen stehen wesentlich mehr Arbeitsplätze als heute auf dem Spiel.
    Während bei den Werften das Wasser immer höher stieg und die Gefahren für den Wirtschaftsbereich an der ganzen Küste immer deutlicher wurden, war noch Anfang Dezember 1982 der Bundeswirtschaftsminister der Auffassung, daß von einer
    Krise der Werften in Norddeutschland nicht zu sprechen sei.

    (Grobecker [SPD]: Aha! — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Hört! Hört!)

    Selbst als der Herr Bundeskanzler im Februar die Lage der Werftindustrie als krisenhaft erkannte, hat sich das in den öffentlichen Erklärungen des Bundeswirtschaftsministeriums nicht niedergeschlagen. Noch im Juni hat das Bundeswirtschaftsministerium, nachdem aus der Sicht der norddeutschen Küste deutlich war, daß sich die Auftragsbücher der deutschen Werften in katastrophaler Weise leerten, die Auffassung vertreten, daß für ein Strukturanpassungsprogramm keine Notwendigkeit gesehen werde. Nur für Bremen könne es regionale Flankierungshilfen geben. Erst ab Juli erfahren wir vom Bundeswirtschaftminister, daß die deutsche Werftindustrie vor einer schweren Bewährungsprobe stehe. Und dann müssen wir heute von ihm hören, daß eine verbesserte Förderung der Reeder- und Neubauhilfe nicht in Frage komme und daß Export- und Auftragshilfen für die Bundesregierung nicht zur Diskussion stünden. — Was das für die Werften in Schleswig-Holstein, in Hamburg, in Niedersachsen und in Bremen bedeutet, will ich hier nur andeuten. Ich sehe, und zwar wie meine christdemokratischen Kollegen, bruchartige Entwicklungen vorprogrammiert.
    Zurück nach Bremen: Wir werden den Bund beim Wort nehmen, wenn die Werftvorstände nun doch noch zu einem Konzept kommen. Den Streit um ein einvernehmliches und dann wieder bestrittenes Konzept habe ich bisher ausgetragen und werde wohl noch eine geraume Zeit Prellbock zwischen Arbeitnehmern und Vorständen sein. Dabei steht die Forderung des Bundes — Graf Lambsdorff hat sie heute morgen noch einmal ausdrücklich wiederholt — nach einem Konzept der Unternehmen, der Vorstände also, und nicht, wie es im Wahlkampf behauptet wird, nach einem Konzept der Landesregierung. Wir wollen an einem Konzept für die Branche mitwirken, können aber nicht für jedes Unternehmen eigene Konzepte entwickeln.
    Alles wäre leichter gewesen, so glaube ich jedenfalls, auch zwischen Vorständen und Betriebsräten, wenn uns der Bund die Größenordnung einer möglichen Hilfe vorgegeben hätte. Er hätte dann einen Rahmen dafür vorgegeben, was überhaupt an realistischer Werftumstrukturierung mit öffentlichen Mitteln, des Bundes und Bremens, machbar wäre. Der Bund ist hierauf nicht eingegangen. Die Gründe hat vorhin Graf Lambsdorff gesagt.
    Wenn die Bundesregierung in ihrem Beschluß vom 20. Juli sagt, daß am Ende eine Werftenstruktur entstehen müsse, die ohne weitere öffentliche Hilfe voll wettbewerbsfähig am Markt Aufträge hereinholen könne, dann frage ich nur, warum der Bund seiner eigenen Werft unter die Arme gegriffen hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Die HDW, Howaldt-Werke Deutsche Werft AG, Kiel
    und Hamburg, erhielt doch zu Lasten des Bundes
    270 Millionen DM und vom Lande Schleswig-Hol-



    Präsident des Senats Koschnick (Bremen)

    stein 90 Millionen DM, um Betriebsverluste abzudecken und Umstrukturierungen möglich zu machen. Sie erhielt diese beachtliche Finanzspritze, weil HDW unter den heutigen Bedingungen nicht kostendeckend am Markt Aufträge akquirieren konnte.
    In Kenntnis dieses Umstandes bemüht sich die Werftindustrie in Bremen und Bremerhaven, ihre Stundensätze für Werftleistungen so weit herunterzudrücken, daß künftige öffentliche Hilfen so gering wie möglich ausfallen. Aber versprechen, daß es stets ohne öffentliche Hilfe gehe, kann keiner, der die Werftindustrie kennt.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, nationale Werften und nationale Schiffahrt gehören untrennbar zusammen. Von je 100 Schiffen, die sich im Eigentum deutscher Reeder befinden, sind inzwischen 40 ausgeflaggt. Seit Beginn des Jahres 1983 ist für die deutsche Flagge ein Substanzverlust von rund 100 000 Bruttoregistertonnen festzustellen. Würde man diese Entwicklung linear fortschreiben, gäbe es in fünf Jahren keine deutsche Handelsflotte mehr. Auch wenn man diese Entwicklung nicht so unterstellt, hat die Ausdünnung des deutschen Schiffbestandes eine bedrohliche Dimension angenommen, eine so bedrohliche Dimension, daß man das Problem sich nicht dadurch lösen lassen kann, daß man gar nichts tut. Auch hier ist die Bundesregierung gefordert, konkret zu erklären, welche Handelsflotte sie für eine der größten Handelsnationen der Welt als notwendig erachtet, und wie sie eine notwendige Flotte sichern will.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei der '78er Krise von Werften und Schiffahrt wurde von der Regierung Schmidt/Genscher

    (Zuruf von der SPD: Das war eine Regierung!)

    eine begrenzte Hilfe durch eine pauschalierte Zinsbeihilfe in den Jahren 1979 bis 1981 an die Seeschiffahrt gegeben, um die Substanz der deutschen Reedereibetriebe zu erhalten. Diese Finanzbeiträge haben die Betriebskosten der Schiffe verringert. Sie waren darüber hinaus ein wesentlicher Anreiz, in Schiffsneubauten unter deutscher Flagge zu investieren. Bekanntlich sind die deutschen Werften zum überwiegenden Teil auf Aufträge deutscher Schiffahrtsunternehmen angewiesen. Deutsche Reeder sind jedoch trotz der gewährten Schiffbauzuschüsse von zur Zeit 12,5 % nur dann in der Lage, Schiffe zu bestellen, wenn die Ertrags- und damit die Finanzlage ihrer Reedereien perspektivisch gesichert erscheint. Und dies kann nach meiner Meinung zur Zeit am ehesten durch die Gewährung von Finanzbeiträgen gefördert werden.
    Nun kann man natürlich fragen: Alles nur für die Küste? Alles nur für Deutschland? Wie sieht es in Europa aus? In den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft liegen die Schiffbau- und Schiffahrtssubventionen mindestens doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik: doppelt so hoch im untersten Fall — in den Niederlanden —, in einem
    Fall dreimal so hoch — in Italien —, und dazwischen bewegen sich Belgien, Dänemark, Frankreich und Großbritannien. Angesichts dieser Situation muß, meine ich, der Bund mehr tun, muß der Bund sich zu ähnlichen Stützungsmaßnahmen durchringen, wie es 1979 der Fall gewesen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Eines ist jedenfalls sicher. Wenn die deutsche Handelsflotte immer weiter ausdünnt, erledigt sich auch das Problem der Werften von selbst.
    An der Küste besteht Übereinstimmung darüber, daß bei Werften und Schiffahrt dringend etwas passieren muß. Es reicht nicht aus, ein verbales Bekenntnis zu den deutschen Werften und zur deutschen Flotte abzulegen. Wir brauchen Klarheit über die Dimension dieses Bekenntnisses, nämlich wieviel Schiffbaukapazität und wie viele Schiffe aus gesamtstaatlicher Sicht abgesichert werden sollen. Jedermann muß sich aber auch klar sein, daß bei abgeschwächter Weltkonjunktur und weltweiter Wettbewerbsverzerrung in diesen Wirtschaftsbereichen ein solches Bekenntnis dann nicht mehr aus Worten, sondern aus realen Zahlen zu bestehen hat. Ich leugne nicht, sondern weiß, wie schwer es ist, diese Forderung bei der ganzen Problematik der Investitionen und Subventionen im Bundeshaushalt zu erfüllen. Aber ich sage Ihnen: Wenn hier nicht geholfen wird, werden die Folgen für den Bund und für die Küstenländer viel dramatischer und schlimmer, als es im Augenblick vorstellbar ist. Daher denke ich da anders.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß die heutige problembeladene Wirtschaftssituation in der Bundesrepublik mit bloßem Warten nicht gelöst werden kann. Die wirtschaftlichen Probleme finden sich in Bremen in besonderer Konzentration und in einer Schärfe, die durch unsere besondere Wirtschaftsstruktur bedingt ist. Wir sind in unserem Bundesland nicht in der Lage, Negativwirkungen politischer Entscheidungen aufzufangen, die in Brüssel getroffen werden. Ich denke hier an den Stahlsektor oder an die katastrophale Handhabung des Fischereiproblems durch die EG.
    Ich appelliere hier an die Bundesregierung, im Interesse der strukturgefährdeten Region unseres Landes dieselbe Unbeugsamkeit zu zeigen, wie wir sie von anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft gewohnt sind, wenn diese ihre Interessen verfechten.

    (Beifall bei der SPD)

    Seit Mitte der 70er Jahre haben unsere EG-Partnerländer zusammengerechnet rund 80 Millionen DM an Subventionen in ihre Stahlindustrie gesteckt. Länder wie Großbritannien und Italien subventionieren heute die Tonne Stahl mit Beträgen, die weit über 200 DM liegen. Das heißt, der Subventionswert liegt dort bei 30 % des Umsatzwertes.
    Die Bundesregierung aber verhielt sich bisher nach streng marktwirtschaftlichem Muster. Abgesehen von Forschungs- und Technologieprogram-



    Präsident des Senats Koschnick (Bremen)

    men mit vergleichsweise geringen Beträgen und abgesehen von den Hilfen für die saarländische Stahlindustrie gibt es bisher keine direkten Subventionen für die deutsche Stahlindustrie.
    Ich meine, die Stahlindustrie hat zu Recht die Frage gestellt: Welcher andere deutsche Wirtschaftszweig kann von sich behaupten, er habe Krisenjahre gegen die Konkurrenz der europäischen Steuerzahler und der Finanzminister Europas durchstehen können? Die deutschen Stahlunternehmen haben dies nur mit Substanzverlusten in Milliardenhöhe geschafft.
    Die Bundesregierung arbeitet weiter auf Marktwirtschaft, obwohl selbst die FAZ festgestellt hat, daß die europäische Stahlentscheidung mit einem marktwirtschaftlichen System nichts mehr zu tun hat.
    Die Subventionszurückhaltung der Bundesregierung hat dazu beigetragen, daß die bundesdeutschen Stahlwerke ihren internationalen Vorsprung bei der Produktivität nahezu eingebüßt haben. Der Technologievorsprung, den die deutsche Stahlwirtschaft im Bereich der modernen Oxygen- und Elektrostahlverfahren oder beim Stranggußverfahren noch 1974 aufwies, ist nicht zuletzt durch die Subventionspolitik unserer Nachbarn in Frage gestellt.
    Alle Gespräche über die Zukunft der deutschen Stahlindustrie enden derzeit in der resignativen Erwartung, daß nur noch der Staat die Krise abwenden könnte. Von dem noch im letzten Frühjahr so hoch gelobten, auch von der Bundesregierung gelobten, Moderatorenkonzept ist nur ein Scherbenhaufen übriggeblieben. Vielleicht darf ich aber erinnern, daß nur ein einziger Stahlkonzern bereit war, das Konzept der Moderatoren zu akzeptieren. Das waren die Klöckner-Werke, deren Wirkungen wieder unmittelbar nach Bremen hereinstrahlen.

    (Zuruf des Abg. Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU])

    — Nein. Nicht nur. Ich sagte: „nach Bremen hereinstrahlen". Wir haben Georgsmarienhütte in Niedersachsen. Wir haben 6 000 Beschäftigte allein in Nordrhein-Westfalen. Wir haben das Problem der Maxhütte in Bayern. Ich sage einfach: Es ist ein Problem, das in diese Region hereinstrahlt. Ich weiß genau, wovon ich rede. Ich möchte auch nicht den Konzern plötzlich als bremischen Konzern bezeichnen. Es ist ein Konzern, der über vier Länder hin arbeitet und in Nordrhein-Westfalen sitzt.
    Meine Damen und Herren, mir fällt auf, daß der Bund beispielsweise bei den Fusionsplänen von Thyssen und Krupp in der Stahlwirtschaft andere Antragsvoraussetzungen als bei den Werften fordert. Bei uns hetzt man die Arbeitnehmer der einzelnen Betriebsstätten aufeinander, ohne eine Zusage für eine konkrete Hilfe bei realistischen Konzepten zu geben. Prüfung wurde zugesagt, und zugleich wurden Bedenken wegen der möglichen Wettbewerbsverzerrung angemeldet. Bei der Krupp/Thyssen-Konzeption überläßt man zu Recht die Detail- und Betriebsstättenlösung mit ihren personellen Folgen dem neuen Vorstand und einer gemeinsamen neuen Betriebsvertretung. Nur bei den
    Werften an der Unterweser soll das alles anders sein. Ich frage: warum?
    Zurück zur Stahlproblematik an der Weser. Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich den Entwurf einer Richtlinie für die Gewährung von Strukturverbesserungshilfen an die Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie vorgelegt. Danach wird Klöckner bei Realisierung des Richtlinienentwurfs kein Geld erhalten, solange das Quotenproblem nicht gelöst ist. Die Situation von Klöckner ist bedrohlich. Bei weiterer Überschreitung der Quoten werden Beihilfen verweigert, und bei Einhaltung der Quote soll die Tragfähigkeit des erzwungenen Alleingangkonzeptes von Klöckner trotz Beihilfen nicht mehr gegeben sein.
    Ich fordere die Bundesregierung auf, hier nicht weiter zu warten. Sie muß mit der EG zu einer die Überlebenschancen von Klöckner sichernden Entscheidung kommen, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, eine moderne, technologisch am weitesten entwickelte, aber natürlich auch am stärksten mit Kapitaldiensten belastete Hütte zugunsten der von anderen Regionen betriebenen Modernisierung alter Hütten in Europa preiszugeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Mir fällt auf, meine Damen und Herren, daß der Montanvertrag bei der ganzen Diskussion nicht mehr beachtet wird. Dort war es einmal gemeinsamer Wille aller Vertragschließenden, die Stahlindustrie zu modernisieren und mit modernen Betriebsstätten die Zukunft zu erreichen. Heute stelle ich in Europa fest, daß die alten Klamotten aufrechterhalten werden und daß die modernen Industriebereiche heute in Gefahr geraten, wegen ihrer Kapitalkostenbelastung geschlossen zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Vielleicht darf ich abschweifend sagen: Wenn ich mich recht erinnere, war es auch ein Grundkonsens bei der NATO, nicht nur für Verteidigung und Sicherheit zu sorgen, sondern auch für die Wohlfahrt der Bevölkerung und der Länder zu sorgen. Auch hier steht die Frage: Sollte das nicht in einem Zusammenhang gesehen werden, wenn Kapital von uns wegfließt, um Haushaltsdefizite für Rüstungsaufgaben in Amerika zu finanzieren, Kapital, das an sich hier eingesetzt werden müßte, um Struktursicherungsmaßnahmen durchzuführen?

    (Beifall bei der SPD)

    Jedenfalls sage ich: Mit der endgültigen Vorenthaltung der Mittel wird die Lage der KlöcknerWerke gegenüber den konkurrierenden Stahlwerken aussichtslos. Bräche allein in Bremen die Klöckner-Hütte zusammen, brächen die Werften ein, und unsere Arbeitslosenquote müßte auf weit über 25 % explodieren.
    Lassen Sie es nicht zu, daß wir mit den Krisenbranchen in einen Teufelskreis geraten, wie wir ihn bei der Hochseefischerei bitter erleben mußten! Die deutsche Hochseefischerei hat die Zeche für die Uneinigkeit in der EG, für den nationalen Egoismus bezahlt, der sich ohne Rücksicht auf legitime Interessen der deutschen Küste durchsetzte. Leidtra-



    Präsident des Senats Koschnick (Bremen)

    gende waren nicht nur die Unternehmen der Hochseefischerei, sondern auch und ganz besonders die Fischereiproduktionsstätten in Cuxhaven und Bremerhaven. Nicht nur die Unternehmen, die Arbeitnehmer in diesen Betrieben zahlten den Preis ungenügender europäischer Verständigung.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, noch ist es Zeit, durch nationale Maßnahmen und europäische Standfestigkeit ein weiteres Ausbluten der Küstenregion zu verhindern. Was in unseren Kräften steht, werden wir an der Küste dazu beitragen. Wir brauchen aber den Willen des Gesamtstaates zur Abfederung der notwendigen Strukturveränderung, zur Verhinderung bruchartiger Entwicklungen bei den Krisenbranchen und vor allem zur aktiven Arbeitsmarktstützung der bedrohten Regionen. Wenn ich vom Willen des Gesamtstaates spreche, meine ich nicht Deklamationen, sondern die Wahrnehmung der Verpflichtung zur regionalen und sektoralen Wirtschaftspolitik durch den Bund. Konkrete Maßnahmen sind geboten, Absichtserklärungen langen nicht. Wir vier Länder in Norddeutschland werden unseren Beitrag leisten. Nun bitte hilf auch, Bund!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)