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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/11 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 11. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 Inhalt: Nachruf auf Frau Bundesminister a. D. Marie Schlei 525A Erweiterung der Tagesordnung 603 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel in Williamsburg in Verbindung mit Beratung des Jahresgutachtens 1982/83 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — Drucksache 9/2118 — in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1983 der Bundesregierung — Drucksache 9/2400 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und Europäischer Rat in Stuttgart — Drucksache 10/79 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 525 D Dr. Vogel SPD 533A Wissmann CDU/CSU 541 C Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 547D, 615D Stratmann GRÜNE 558 D Lahnstein SPD 563 A Dr. Haussmann FDP 587 A Kittelmann CDU/CSU 590 A Dr. Jens SPD 593 C Gerstein CDU/CSU 596 D Krizsan GRÜNE 599 B Dr. Solms FDP 600 D Dr. Ehrenberg SPD 603 C Lattmann CDU/CSU 607 A Schwenninger GRÜNE 609 D Beckmann FDP 611 B Wolfram (Recklinghausen) SPD 612 C Hinsken CDU/CSU 619C Rapp (Göppingen) SPD 621 D Vizepräsident Westphal 558 D Fragestunde — Drucksache 10/106 vom 3. Juni 1983 — Ergebnisse einer Studie zur Nachrüstung, u. a. über die Einstellung der Bevölkerung zur Stationierung der Pershing II und der Cruise Missiles MdlAnfr 1 03.06.83 Drs 10/106 Reents GRÜNE Antw PStSekr Dr. Jenninger BK . 568 D, 569A, B ZusFr Reents GRÜNE 568 D, 569 A ZusFr Dr. Hirsch FDP 569 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 569 B ZusFr Krizsan GRÜNE 569 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 Verpflichtung der Bundesregierung zur Geheimhaltung der Standorte nuklearer Gefechtsköpfe sowie chemischer und bakteriologischer Kampfstoffe; Wortlaut der „Geheimhaltungsbestimmungen der NATO" MdlAnfr 27, 28 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 569C, D, 570A, B, C, D, 571A, B, C, D, 572A, B ZusFr Dr. Hirsch FDP . . . . 569D, 570A, 571B ZusFr Dr. Ehmke (Bonn) SPD . . . 570B, 571C ZusFr Reuter SPD 570C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 570C, 571 D ZusFr Krizsan GRÜNE 570 D ZusFr Berger CDU/CSU 570 D ZusFr Dr. Sperling SPD 570 D, 571 D ZusFr Peter (Kassel) SPD 572 A ZusFr Reents GRÜNE 572 A ZusFr Frau Simonis SPD 572 B ZusFr Bindig SPD 572 B Errichtung von Bundeswehrdepots im Landkreis Harburg, insbesondere zur Lagerung von ABC-Waffen MdlAnfr 29, 30 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Hauchler SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 572C, D, 573A, B ZusFr Dr. Hauchler SPD 572 D, 573A ZusFr Dr. Sperling SPD 573 B Entwicklung der Verhandlungen über den amerikanischen Truppenübungsplatz bei Schlitz MdlAnfr 31 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Czempiel SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . 573 B, C, D, 574A, B, C, D, 575A ZusFr Frau Dr. Czempiel SPD 573C, D ZusFr Dr. Sperling SPD 573 D ZusFr Reuter SPD 574 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 574 B ZusFr Krizsan GRÜNE 574 C ZusFr Peter (Kassel) SPD 574 D ZusFr Dr. Hirsch FDP 575A Kenntnis der NATO von der Erprobung der sowjetischen SS 20 MdlAnfr 35 03.06.83 Drs 10/106 Reents GRÜNE Antw PStSekr Würzbach BMVg 575B, C, D, 576A, B ZusFr Reents GRÜNE 575C, D ZusFr Schily GRÜNE 575 D ZusFr Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE . . 576A ZusFr Berger CDU/CSU 576 B Kontrolle importierter ausländischer Weine sowie Prozentsatz der Beanstandungen MdlAnfr 38, 39 03.06.83 Drs 10/106 Schartz (Trier) CDU/CSU Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 576C, 577 A ZusFr Schartz (Trier) CDU/CSU 577 A Einführung einer Pflegefall-Versicherung MdlAnfr 42 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Weng FDP Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 577B, C ZusFr Dr. Weng FDP 577 C Beurteilung des Einsatzes von Paraquat aus humantoxikologischer Sicht MdlAnfr 48 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Vollmer GRÜNE Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 577D, 578A, B, C ZusFr Frau Dr. Vollmer GRÜNE 578 A ZusFr Frau Dr. Hickel GRÜNE 578 B ZusFr Frau Dr. Bard GRÜNE 578 B Existenzgefährdung des Naturschutzgebiets Riddagshausen durch den Bau der A 39 Salzgitter—Wolfsburg MdlAnfr 54 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Hickel GRÜNE Antw StSekr Bayer BMV 578C, D ZusFr Frau Dr. Hickel GRÜNE 578 D Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts für Lastkraftwagen MdlAnfr 61 03.06.83 Drs 10/106 Frau Steinhauer SPD Antw StSekr Bayer BMV 579A, B, C ZusFr Frau Steinhauer SPD 579 B Verbot der Vorführung des Films „Die weiße Rose" in den Goethe-Instituten in den USA MdlAnfr 80 03.06.83 Drs 10/106 Frau Simonis SPD Antw StMin Möllemann AA 580A, C, D, 581A, B ZusFr Frau Simonis SPD 580 B, C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 III ZusFr Schily GRÜNE 580 D ZusFr Dr. Sperling SPD 580 D ZusFr Broll CDU/CSU 581 B ZusFr Dr. Jannsen GRÜNE 581 B Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze im Bereich des Bundes MdlAnfr 73 03.06.83 Drs 10/106 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 581 C, 582A, B, C, D, 583A ZusFr Frau Steinhauer SPD 582 A, B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 582 B ZusFr Frau Weyel SPD 582 C ZusFr Dr. Sperling SPD 582 D ZusFr Gerster (Mainz) CDU/CSU 583A Fehlende Bundesmittel für AB-Maßnahmen zur Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher MdlAnfr 74, 75 03.06.83 Drs 10/106 Schemken CDU/CSU Antw PStSekr Pfeifer BMBW . . 583 B, D, 584 B ZusFr Schemken CDU/CSU 583 C, D ZusFr Toetemeyer SPD 584A ZusFr Heyenn SPD 584 B Scheitern der Neuregelung der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an der Weigerung der Länder zur Mitfinanzierung MdlAnfr 77 03.06.83 Drs 10/106 Kuhlwein SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 584C, 585A, B, C, D ZusFr Kuhlwein SPD 584 D, 585A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . . 585 B ZusFr Frau Weyel SPD 585 C ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 585 C Erhöhung der Bundesmittel für das Benachteiligtenprogramm MdlAnfr 78, 79 03.06.83 Drs 10/106 Heyenn SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW . . . 585D, 586A ZusFr Heyenn SPD 586A Bemühungen um das Schicksal der in Argentinien verschwundenen Deutschen nach Vorliegen des „Abschlußberichts" der Militärregierung MdlAnfr 84, 85 03.06.83 Drs 10/106 Bindig SPD Antw StMin Möllemann AA 586 B, C ZusFr Bindig SPD 586 C Nächste Sitzung 625 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 627* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 525 11. Sitzung Bonn, den 9. Juni 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 8. Sitzung, Seite 389 D, 12. Zeile von unten: Statt „Cronenberg" ist „Dr. Kronenberg" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein *** 10. 6. Dr. Ahrens ** 10. 6. Antretter ** 9. 6. Bahr *** 10. 6. Biehle *** 10. 6. Böhm (Melsungen) ** 10. 6. Büchner (Speyer) ** 10. 6. Dr. Dregger 10. 6. Dr. Ehmke (Ettlingen) 10. 6. Dr. Enders ** 9. 6. Engelsberger 10. 6. Francke (Hamburg) *** 10. 6. Gansel *** 10. 6. Gerstl (Passau) ** 9. 6. Glombig 10. 6. Grüner 9. 6. Dr. Haack 10. 6. Haase (Fürth) ** 9. 6. Dr. Hackel ** 9. 6. Frau Dr. Hamm-Brücher 10. 6. Handlos ** 9. 6. Hartmann ** 9. 6. Hauck 10. 6. Hauser (Krefeld) 10. 6. Dr. Holtz ** 9. 6. Horn *** 10. 6. Dr. Hupka *** 10. 6. Ibrügger *** 10. 6. Jäger (Wangen) ** 9. 6. Jansen 10. 6. Jungmann *** 10. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kittelmann ** 9. 6. Kolbow *** 10. 6. Kroll-Schlüter 10. 6. Frau Krone-Appuhn *** 10. 6. Dr. Lenz (Bergstraße) *** 10. 6. Lenzer ** 9. 6. Dr. Linde ** 9. 6. Lowack 10. 6. Lutz 10. 6. Dr. Marx *** 10. 6. Dr. Müller ** 10. 6. Petersen *** 10. 6. Reddemann ** 9. 6. Frau Reetz 10. 6. Rühe *** 10. 6. Sauer (Salzgitter) *** 10. 6. Saurin 10. 6. Schäfer (Mainz) *** 10. 6. Dr. Scheer ** 9. 6. Schmidt (Hamburg) 10. 6. Schmidt (München) ** 9. 6. Schmidt (Wattenscheid) 10. 6. Schmitz (Baesweiler) ** 9. 6. Schulte (Unna) ** 9. 6. Schwarz ** 9. 6. Dr. Schwenk (Stade) 10. 6. Sielaff 10. 6. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 6. Dr. Stavenhagen ** 9. 6. Dr. Unland * 10. 6. Vogt (Kaiserslautern) ** 9. 6. Voigt (Frankfurt) *** 10. 6. Voigt (Sonthofen) 10. 6. Vosen 9. 6. Dr. von Wartenberg *** 10. 6. Weiß *** 10. 6. Wilz 9. 6. Wimmer (Neuss) 10. 6. Würtz *** 10. 6. Wurbs 10. 6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, jetzt nicht, ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen.
    Aber welcher gesunde Menschenverstand, meine Damen und Herren, vermag zu verstehen, weshalb die richtige Antwort auf unsere Probleme lauten soll: Laß dir nichts einfallen und arbeite weniger? — Wenn wir dieser von der Opposition empfohlenen Strategie folgen wollten, so hätte das fatale Konsequenzen.

    (Beifall bei der FDP — Roth [SPD]: Fälscher!)

    — Herr Roth, Sie haben auch schon intelligentere und auch höflichere Zwischenrufe gemacht;

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie auch!)

    aber das macht j a nichts.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Roth [SPD]: Sie haben selten so etwas Dummes erzählt!)




    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Durch Aufhalten von Modernisierung, Rationalisierung und technischem Fortschritt würden wir die Bundesrepublik zur technologischen Provinz degradieren. Unser Wohlstand würde rapide absinken, Umweltschutz und Sozialsystem wären nicht mehr zu finanzieren, und die Reallöhne würden massiv sinken. Das wäre der Marsch in den kumulativen Abschwung und damit in die dauerhafte Massenarbeitslosigkeit.

    (Roth [SPD]: Sie sind dafür verantwortlich! Sture Haltung!)

    Auch, meine Damen und Herren, forcierte Arbeitszeitverkürzungen sind nicht die richtige Antwort, ganz zu schweigen von den heute schon absehbaren Entwicklungen der 90er Jahre, die vielleicht wieder längere Lebensarbeitszeiten erforderlich machen werden. Wenn die Bundesregierung Bemühungen um mehr Flexibilität im Arbeitsleben unterstützt, so vor allem, um dem Bürger damit die Möglichkeit zu geben, seinen persönlichen Wünschen über die Aufteilung der Erträge seiner Produktivität in Einkommen und Freizeit mehr Raum zu geben.

    (Beifall bei der FDP — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das ist doch ein Allgemeinplatz!)

    Daraus, meine Damen und Herren, resultieren sicherlich zum Teil auch zusätzliche Arbeitsplätze, aber das ist noch lange kein ausreichender Ansatz für die Lösung unserer gravierenden Beschäftigungsprobleme.
    Einen flankierenden beschäftigungspolitischen Beitrag können flexiblere Arbeitszeitregelungen zudem nur dann leisten, wenn sie von den Tarifpartnern gefunden werden, wenn sie sich den Bedürfnissen der Unternehmen anpassen

    (Lahnstein [SPD]: Dann müssen Sie mit dem Herrn Esser reden!)

    und wenn sie ohne Zusatzbelastungen für die Unternehmen, den Steuer- und Beitragszahler sowie die öffentlichen Haushalte vonstatten gehen, d. h. wenn nicht nur die Arbeitsplätze, sondern wenn auch die Einkommen geteilt werden. — Im übrigen, was den Zwischenruf: „Dann müssen Sie mit dem Herrn Esser reden!" anlangt: Mit dem habe ich, wie Sie wissen, öffentlich diskutiert. Ich habe mich selbstverständlich auch unter vier Augen mit ihm unterhalten.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie scheinen ihn nicht sehr beeindruckt zu haben!)

    — Herr Wolfram, das geht nun manchmal so. Sie beeindrucken mich nicht, ich beeindrucke Herrn Esser nicht. So ist die Welt. Was wollen Sie machen?

    (Lachen bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es wird sehr interessant sein, zu sehen, meine Damen und Herren, wie viele unserer Mitbürger freiwillig bereit sein werden, weniger zu arbeiten und dafür die notwendigen, nicht unbeträchtlichen Einkommensabschläge hinzunehmen. Ich bin da sehr skeptisch. Aber vielleicht erweist sich meine Skepsis als unbegründet.
    Ich sehe durchaus, Herr Kollege Vogel — um auf Ihre Bemerkungen zurückzukommen —,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — er ist da, er sitzt nur ein bißchen weiter hinten —, daß unsere Wachstumsmöglichkeiten durch Rohstoffverknappungen und durch Umweltbelastungen beeinträchtigt werden könnten. Werden allerdings die Einsatzfaktoren für die Produktion knapper und damit teurer, so werden Anpassungsprozesse eingeleitet, die gleichzeitig die Produktivität verringern. Auch das muß man sehen. Die von Ihnen, Herr Vogel, vermutete Schere zwischen Produktivität und Wachstum durch natürliche Knappheiten kann sich deshalb so, wie Sie es sehen, nicht auftun. Der Sachverständigenrat hat auch hierauf in der Ziffer 221. seines Gutachtens hingewiesen. Und das sollte dort einmal nachgelesen werden.

    (Matthöfer [SPD]: Das machen wir gleich!)

    Ich bin außerdem davon überzeugt, meine Damen und Herren, daß wir noch so manche Überraschung, und zwar positive, darüber erleben werden, welche Antworten moderne Technologien und vermehrte Kapitalbildung auf diese Probleme finden werden und wie hierdurch die sogenannten natürlichen Grenzen des Wachtums hinausgeschoben werden können.
    Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht und in der Regierungserklärung vom 4. Mai ihre wirtschaftspolitischen Absichten erläutert. Wir haben die grundlegende wirtschaftspolitische Kehrtwendung eingeleitet, um dafür Sorge zu tragen, daß das ökonomische Wachstum wieder deutlicher steigt, als es in den letzten Jahren der Fall war.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Kehrtwende des Grafen!)

    Dabei haben wir bewußt auf die Anwendung der alten Rezepte verzichtet; denn diese haben ja zum Teil die Schwierigkeiten, mit denen wir es heute zu tun haben, hervorgebracht.
    Trotz dieser Erfahrungen beharrt die Opposition bei ihrer beschäftigungspolitischen Strategie, auf öffentlichen Nachfrageprogrammen. Aber die Finanzierungsmodalitäten bleiben, wie so oft bei Ihren Vorschlägen, im Vagen oder im Dunkeln. Das haben Ihnen gerade in diesen Tagen zehn renomierte Professoren, die Ihrer Partei angehören, öffentlich bescheinigt.
    Was helfen, meine Damen und Herren, großangelegte staatliche Nachfrageprogramme, wenn z. B. die Zinsen an den Kapitalmärkten daraufhin steigen und durch unterlassene private Investitionen Arbeitsplätze an anderer Stelle vernichtet werden? Sie helfen überhaupt nichts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Roth [SPD]: Bei Ihnen steigen die Zinsen ohne Beschäftigungspolitik!)

    Ihr Hinweis, Herr Kollege Vogel, man könne doch
    die Entlastung bei der Vermögensteuer rückgängig



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    machen, verkennt zwei Dinge: erstens, den Betrag von 1,5 Milliarden DM. Es ist überhaupt keine Rede davon, daß das auch nur annähernd eine Größenordnung wäre, die Ihren Vorstellungen von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen entsprechen könnte.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das ist nur ein Punkt!)

    Zweitens. Aber, meine Damen und Herren, es muß erreicht werden, daß die ertragsunabhängigen steuerlichen Belastungen unserer Unternehmen zurückgeführt werden. Und wenn eine Steuer in ihrer Anlage falsch ist, dann bleibt sie auch falsch, wenn sie Vermögensteuer heißt und aus diesem Grunde bei Ihnen auf Sperren stößt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Matthöfer [SPD]: Ist die von Ihnen erhöhte Umsatzsteuer ertragsabhängig?)

    — Wir sind uns doch wohl immer darüber einig gewesen, Herr Matthöfer, Sie und Ihr Vorgänger im Amte und ich,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das weiß er alles nicht mehr!)

    daß ein Austausch hin zu mehr Belastung durch indirekte Steuern und weg von zu hoher Belastung durch direkte Steuern in einem vernünftigen und modernen Steuersystem richtig ist. Das haben Sie doch nie bestritten. Warum bestreiten Sie es denn jetzt?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Matthöfer [SPD]: Sie wollen die ertragsunabhängigen Steuern senken und erhöhen die Umsatzsteuer!)

    — Nein. Die Umsatzsteuer haben wir erhöht; das ist vollständig richtig. Und wir haben sie teilweise eingesetzt, um in Bereichen, in denen Investitionen getätigt werden, die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist völlig eindeutig und klar das Konzept dieser Regierung und dieser Politik. Ich habe das doch schon einmal angeregt. Das liegt aber schon ein bißchen zurück. Das war am 9. September vorigen Jahres. Deswegen werden Sie verstehen, daß ich nichts dagegen habe.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das weiß er doch selber!)

    Meine Damen und Herren, unser wirtschaftliches Konzept geht gegenüber dieser Strategie davon aus, daß mit einer nachhaltigen Verbesserung der Beschäftigungslage nur gerechnet werden kann, wenn die Unternehmensinvestitionen wieder deutlich steigen. Das bedeutet nicht, daß diese Regierung konsumfeindlich eingestellt wäre. Im Gegenteil! Nur mit mehr Wachstum und mit mehr Investitionen läßt sich auch unser Konsumniveau nachhaltig heben.
    Man mag die Frage stellen, ob ein Wachstumsprozeß in Gang gesetzt und aufrechterhalten werden kann, der primär von den Investitionen getragen ist. Es ist übrigens eine Formel, die wir schon damals gemeinsam entwickelt haben, daß die 80er Jahre Jahre der Investition, nicht des Konsums sein müssen. Auch daran sollten Sie sich gelegentlich erinnern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Matthöfer [SPD]: Aber nicht bei Senkung der Realeinkommen!)

    — Daß die Realeinkommen bei uns zurückgehen müssen, nachdem das in allen anderen westlichen Ländern der Fall gewesen ist — aber, Herr Matthöfer, ich komme noch zu diesem Thema —, und daß das Festhalten an der Steigerung der Realeinkommen dazu führt, daß diejenigen, die Arbeitsplätze haben, immer mehr verdienen und die anderen, die Arbeitsplätze verlieren, immer weniger bekommen, ist doch auch offensichtlich!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nein, ich halte dieser Frage, ob ein Wachstumsprozeß von Investitionen eigentlich nachhaltig in Gang gesetzt werden kann, entgegen: Nur wer investiert, bleibt auf Dauer wettbewerbsfähig. Das wird zwischen uns unbestritten sein. Der Modernisierungsbedarf — Investitionen gerade in neue, kostengünstigere und effizientere Produktionstechniken, z. B. Mikroelektronik, z. B. numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen — ist sehr hoch. Durch den Abbau von Investitionshemmnissen eröffnen sich neue Marktchancen. Nachfrage nach mehr Investitionsgütern strahlt auch in andere Bereiche aus, z. B. in die Verbrauchsgüterindustrie oder in die Dienstleistungen. Investitions- und Konsumnachfrage steigen dann Hand in Hand. Investitionsnachfrage löst schließlich erhöhten Investitionsbedarf auch in den Investitionsgüterindustrien selbst aus, und all das, meine Damen und Herren, kommt letztlich dem Arbeitsmarkt zugute.
    Nun hängt die Investitionstätigkeit der Unternehmen vor allem von den aktuellen, aber eben auch von den erwarteten Unternehmenserträgen ab. Zugleich müssen diese Erträge in einem vernünftigen Verhältnis zu den Zinserträgen stehen, die man mit risikoarmen Finanzanlagen auf den Geld- und Kapitalmärkten erzielen kann. In den letzten Jahren hat sich dieses Verhältnis sehr stark zuungunsten der Investitionsrenditen verschoben. Diese Entwicklung muß umgekehrt werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Lahnstein [SPD])

    — Nein, das ist sie noch längst nicht! Das ist sie nicht, Herr Lahnstein. Wir können gern an Hand praktischer Beispiele darüber diskutieren, ob das der Fall ist.
    Diese Entwicklung muß vor allem im Interesse von mehr Arbeitsplätzen, im Interesse von weniger Arbeitslosen umgekehrt werden. Vor allen Dingen deshalb plädiert die Bundesregierung — wie auch der Sachverständigenrat — für eine Politik der Zurückhaltung bei Löhnen und Lohnnebenkosten — dafür ist nämlich der Staat verantwortlich — sowie auch und vor allem für eine stärkere Differenzie-



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    rung der Löhne nach Qualifikationen, nach Regionen und auch nach Branchen.
    Meine Damen und Herren, auch wenn es ungern gehört wird, wiederhole ich es doch — Herr Matthöfer, ich habe die Frage eben schon in einem anderen Zusammenhang beantwortet —: Arbeit ist in der Bundesrepublik durchaus mehr vorhanden, als angeboten wird, aber leider nicht zu den geforderten Preisen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Arbeit ist in der Bundesrepublik zu teuer geworden.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Meine Damen und Herren, die notwendige dauerhafte Korrektur der Einkommensverteilung zugunsten von mehr Markteinkommen, insbesondere der Unternehmenserträge, erfordert ganz gewiß einen beträchtlichen sozialen Konsens. Die Bundesregierung will ihn durch zwei Initiativen erleichtern, einmal durch die Intensivierung des wirtschaftlichen und sozialen Dialogs, denn wir brauchen das vorbehaltlose Gespräch zwischen und mit den Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern, um die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Probleme zu beraten.

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU — Roth [SPD]: Das sagt der, der die Konzertierte Aktion kaputtgemacht hat!)

    — Herr Roth, davon kann doch überhaupt keine Rede sein! Als ich Bundeswirtschaftsminister geworden bin, war sie kaputt, und ich habe mich darum bemüht und daran gestrickt, sie wieder zusammenzubringen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Roth [SPD]: Wer hat denn die Mitbestimmung bekämpft?)

    — Herr Roth, wenn Sie von Mitbestimmung reden, will ich Ihnen ein Beispiel entgegenhalten. Wenn Sie unter Mitbestimmung der Arbeitnehmer das verstehen, was Herr von Dohnanyi in Hamburg macht, nämlich die Arbeitnehmerbank, die geschlossen gegen ihn ist, durch Aktionäre seiner Auswahl unter Nichtberücksichtigung der Minderheitsaktionäre totstimmen zu lassen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    wenn das Ihre Mitbestimmung ist, so finden Sie mich auf dieser Seite nicht!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Hervorragend!)

    Meine Damen und Herren, wenn ich das schon höre! Immer werden diese pathetischen Mitbestimmungs-Zwischenrufe gemacht, und in der Praxis, wo Sozialdemokraten das Sagen haben,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sieht es ganz schlimm aus!)

    werden die Arbeitnehmer niedergebügelt!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: „Vorwärts"! — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ja, die Zeitungen! Ein einziger Jammer!)

    Meine Damen und Herren, wir wollen zum anderen den sozialen Dialog durch eine aktive Förderung der Bildung von Produktivkapital in Arbeitnehmerhand erleichtern. Die Bundesregierung wird dazu noch vor der Sommerpause einen Entwurf zum 936-DM-Gesetz verabschieden und vorlegen.
    Die uns gegebenen Alternativen müssen allen Beteiligten klar sein. Es sind ernsthafte und nicht bequeme Alternativen. Ich füge das sofort hinzu. Entweder wird an dem Prinzip einer falsch verstandenen sozialen Symmetrie, die von gleichen Zuwachsraten der einzelnen Einkommensarten ausgeht, festgehalten — das würde die Lösung unserer Probleme weit hinausschieben, wenn nicht gar verhindern. Oder die Unternehmenserträge und Investitionen werden ausreichend gestärkt — das gewährleistet eine neue Wachstumsdynamik, bessere Staatsfinanzen, eine solidere Basis für das soziale Sicherungssystem und nicht zuletzt neue Arbeitsplätze. Dies sind die Alternativen. Sie zu verniedlichen hat überhaupt keinen Zweck.
    Ich weiß, daß die Gewerkschaften hier besonders gefordert sind. Ich bin in dem Punkt zuversichtlich, weil sie sich über die Jahre hinweg durch hohe wirtschaftspolitische Verantwortungsbereitschaft ausgezeichnet haben. Die Tarifrunde dieses Jahres stützt dieses Urteil. Ich hoffe zuversichtlich, daß es auch der ÖTV gelingen wird, zu einem Ergebnis zu kommen, das öffentliche Haushalte insgesamt und Volkswirtschaft nicht unnötig und zusätzlich belastet.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Dann folgen Sie doch auch den gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Beschäftigungspolitik!)

    Meine Damen und Herren, auch der Staat hat in unserem Konzept zur Überwindung der Arbeitslosigkeit eine entscheidende Funktion. Wir sehen in ihm nicht den Nachtwächterstaat, Herr Roth, wie es die Opposition so oft und so gern behauptet, aber wir sehen seine Funktion anders als Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei.

    (Zuruf des Abg. Roth [SPD])

    — Ich komme noch dazu; das kriegen wir später, Herr Roth.
    Im Jahreswirtschaftsbericht haben wir dargestellt, wie sehr die finanzpolitische Vorsorge für die Zukunft in den letzten Jahren ins Hintertreffen geriet. Ich erinnere hier an die Erhöhung der Staatsquote seit 1970 von 39 % auf über 50 %, an die Erhöhung der Abgabenquote im gleichen Zeitraum um 6 Prozentpunkte auf über 42 %, wobei dieser Anstieg fast ausschließlich auf die Zunahme der Sozialabgaben zurückzuführen ist, und die Erhöhung der Staatsverschuldung seitdem von gut 120 Milliarden DM auf jetzt über 600 Milliarden DM, also auf das Fünffache. Der bremsende Einfluß des Staates durch vielfältige Behinderungen privater Initiative



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    auf Grund gesetzlicher Vorschriften und auf Grund der Bürokratisierung kommt in diesen Zahlen noch gar nicht zum Ausdruck.
    All dies hat den Ablauf marktwirtschaftlicher Anpassungsprozesse erheblich erschwert, wenn nicht gar gänzlich verhindert. Gewiß hat es für jede einzelne Entscheidung gute Gründe gegeben. Auch die Energiepreisexplosion oder die Ergebnisse des Bonner Weltwirtschaftsgipfels haben ihren Teil dazu beigetragen. Aber in der Kumulation haben sie unsere Wirtschaft überfordert, und diesen Trend müssen wir umkehren.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Das heißt vor allem:
    Erstens müssen die hohen Defizite der öffentlichen Haushalte in ihren strukturellen Teilen nachhaltig zurückgeführt werden. Denn neben der Stärkung der Unternehmenserträge zur Eigenfinanzierung von Investitionen ist auch eine steigende Inanspruchnahme der privaten Ersparnisbildung durch externe Finanzierung erforderlich. Die hohe Beanspruchung der Kapitalmärkte durch die öffentlichen Haushalte muß rechtzeitig zurückgeführt sein, bevor die steigende Kreditnachfrage privater Investoren auf den Markt trifft und damit die Zinsen hochgehalten bzw. hochgetrieben werden.
    Zweitens. Die Belastung der Bürger und der Wirtschaft darf nicht weiter steigen. Sie geht jetzt schon zu weit. Leistungsverweigerung, Schwarzarbeit, Fiskalverdrossenheit nehmen sonst zu. Soweit in Teilbereichen der sozialen Sicherung Beitragserhöhungen unvermeidlich sind, muß in anderen Teilbereichen entsprechend kompensiert werden. Jeder weiß, daß das politisch schwierig ist. Das sehen wir auch in den Gesprächen des Arbeits-, des Finanz- und des Wirtschaftsministers über eine neue Rentenformel. Ich will aber die Gelegenheit nutzen, um ausdrücklich zu sagen, daß diese Gespräche sehr konstruktiv geführt werden und daß sie nach meiner festen Überzeugung zu positiven Ergebnissen gelangen werden.

    (Roth [SPD]: Für wen?)

    — Im wesentlichen, Herr Roth, für die Sicherung unserer sozialen Sicherungssysteme, für ihre Finanzierbarkeit, für die Rentner und für die Arbeitslosen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die kleinen Leute haben nichts davon, meine Damen und Herren, wenn man ihnen Zusagen und Inaussichtstellungen macht, die man nicht finanzieren kann, von denen man nicht weiß, wie man sie bezahlen soll.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Bindig [SPD])

    Die haben viel mehr Sinn für Solidität, als Sie es manchmal vermuten, Herr Roth, und als Sie nachempfinden können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich komme noch einmal auf die Gespräche zwischen den drei Ressortchefs zurück. Im Vergleich zu früher zeigt sich eine wesentliche Erleichterung, weil alle drei Beteiligten in den gleichen ordnungspolitischen Kategorien denken.
    Drittens müssen wir das Steuer- und Abgabensystem investitions- und leistungsfreundlicher gestalten.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Deshalb haben wir nach den zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Steuererleichterungen weitere steuerliche Entlastungen in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden DM beschlossen, die gerade auch die Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen reduzieren. Aber auch die erforderliche und für diese Legislaturperiode angekündigte Reform des Einkommen- und Lohnsteuertarifs muß im Interesse der Verbesserung der Leistungsanreize, sobald die Finanzlage es zuläßt, verwirklicht werden. Auch um hierfür die erforderlichen beträchtlichen Mittel freizubekommen, bedarf es schneller Erfolge bei der Lösung der Konsolidierungsaufgaben.
    Es ist viertens entscheidend, daß der Ausgabenanstieg eng begrenzt wird. Er wird deshalb deutlich unter dem erwarteten Anstieg des nominellen Bruttosozialprodukts liegen. Wir haben Einsparungen bei den komsumtiven Ausgaben mit Schwerpunkt bei den Sozialausgaben und beim öffentlichen Dienst beschlossen. Zugleich werden zusätzliche wachstumsfördernde Maßnahmen im Volumen von 1 bis 1,5 Milliarden DM finanziert werden. Insgesamt ergibt sich für den Haushalt so eine erhebliche Umstrukturierung zugunsten der produktivitätsfördernden und investiven Verwendung. Wir haben bei der Konsolidierung sowohl der öffentlichen Haushalte als auch der sozialen Sicherungssysteme wichtige Fortschritte erzielt. Weitere Einsparungen — auch in anderen Bereichen — werden künftig notwendig. Dafür haben wir den Auftrag des Wählers, und ihm müssen wir gerecht werden.
    Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten zu Recht festgestellt, daß die Finanzpolitik zwar einen wesentlichen Beitrag für die Wiederbelebung der Investitionstätigkeit leisten kann, aber nicht den Hauptbeitrag. Es bedarf darüber hinaus der Festlegung und Durchsetzung einer überzeugenden marktwirtschaftlichen Politik in allen Bereichen, insbesondere in allen Bereichen staatlichen Handelns, mit einer klaren Absage an staatliche Interventionismen, an Bürokratisierung und Strukturlenkung der Wirtschaft.
    Der vordringlichen Aufgabe der Wiederbelebung und der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft haben sich gerade im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze andere Wünsche und Interessen unterzuordnen, mögen sie für sich betrachtet auch noch so wichtig erscheinen. Herz und Motor einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist eine gesunde mittelständisch strukturierte Wirtschaft. Sie belebt den Wettbewerb, und sie bietet den geeigneten Rahmen für die Entfaltung privater Initiative.



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Mit ihrer Dynamik spielt die mittelständische Wirtschaft eine wichtige Rolle für die Wiedergewinnung von Wachstum und für die Sicherung und Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Deshalb muß der Mittelstand gestärkt werden.
    Allerdings ist Mittelstandspolitik nicht die Verteilung finanzpolitischer Sondergeschenke. Für uns kommt es in erster Linie darauf an, durch günstige, verläßliche und damit kalkulierbare wirtschafts- und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen in einer konsequent marktwirtschaftlichen Politik die Grundlage für einen leistungsfähigen Mittelstand zu legen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, marktwirtschaftliche Politik verlangt, daß wir auch das Problem des Subventionsabbaus angehen, selbst dann, wenn sich Erfolge nicht von heute auf morgen einstellen.

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Natürlich kenne ich die Kritik, daß beim Subventionsabbau nichts geschieht.

    (Schlatter [SPD]: Genauso ist es!)

    Aber auch Sie kennen die Hindernisse. Auch Sie kennen das Argument, daß der weitaus größte Teil der bestehenden Subventionen aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung gegeben worden ist; Gründe, die heute zumeist noch fortbestehen.

    (Matthöfer [SPD]: Wir haben ja auch keinen linearen Abbau von 8% gefordert, Herr Graf Lambsdorff, wie Sie genau wissen!)

    — Mal langsam, Herr Matthöfer. Ganz so war die Diskussion j a nicht.

    (Matthöfer [SPD]: Nein?)

    — Ich habe immer die Auffassung vertreten, daß es richtig und sinnvoll wäre, den linearen, prozentualen Abbau zunächst einmal zu verlangen, nicht weil ich glaubte, daß er durchsetzbar sei, sondern weil ich glaube, daß dann, wenn man das verlangt, die Beweislast, daß das angeblich nicht gehe, bei demjenigen liegt, dem man etwas kürzen will. Es ist eines unserer großen Probleme,

    (Matthöfer [SPD]: Wem kürzen Sie jetzt etwas?)

    daß im selben Augenblick, in dem Sie Subventionen abbauen wollen, nicht nur die Unternehmen, sondern selbstverständlich auch die Gewerkschaften und zahllose Kollegen Ihrer Fraktion — ich gucke gerade einmal so ein bißchen hinter Sie — bei uns auf der Matte stehen und erklären: Das geht natürlich unter keinen Umständen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Gerade deswegen habe ich eine Vorliebe, eine gewisse Neigung für den Vorschlag der linearen Kürzung nach dem Schweizer Muster, nämlich um die Beweislast auf die andere Seite zu schieben. Die müssen uns dann nämlich dartun, warum das unter gar keinen Umständen gemacht werden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir werden auch vor dieser Aufgabe nicht kapitulieren; denn Subventionen sind und bleiben nun einmal schädlich. Wachstumschancen werden verschenkt, kranke Strukturen auf Kosten der gesunden und expansiven Bereiche erhalten und Arbeitsplätze letztlich nur um den Preis dauernd steigender Nachschußpflichten des Staates erhalten. Gerade die jüngsten Erfahrungen im Stahlbereich und mit den Werften lehren, daß die Bedingungen für den Subventionsabbau bereits im voraus festgelegt werden müssen, wenn wir in Ausnahmefällen den Grundsatz der vollen Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen, ihrer Eigentümer und ihrer Banken durchbrechen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Auf die Frage, die Herr Vogel vorhin gestellt hat — ob denn nun eigentlich die Stahlsubventionen in der Europäischen Gemeinschaft aufhören —: Ja, wenn sich alle Regierungen an das halten, was im Subventionskodex vereinbart worden ist. Diese Voraussetzung, Herr Vogel, muß ich selbstverständlich machen; denn ich kann mit niemandem in irgendwelche Finanzministerien fahren und dort mit Gewalt die Türen schließen lassen, wenn die subventionieren wollen. Wenn der Subventionskodex eingehalten wird, der in Europa miteinander vereinbart worden ist, wenn die Kommission ihrer Pflicht genügt, auf die Einhaltung des Subventionskodex zu dringen, wenn die Kommission ihrer Pflicht genügt, auch auf die Einhaltung des Quotensystems zu dringen — aber wir sind ja nicht in der besten Position bei der Einhaltung des Quotensystems angesichts des Verhaltens deutscher Unternehmen bei ihrer Stahlproduktion —, dann wären wir einen guten Schritt weiter. Ich hoffe, daß uns das in den nächsten Tagen, auch mit Hilfe des Europäischen Rates und anschließend des Ministerrates in Brüssel bzw. Luxemburg gelingen wird.
    Wo Subventionen tatsächlich unausweichlich sind, müssen wir sie grundsätzlich befristen. Wir müssen sie in ihren Zielen so umschreiben, daß ihr Erfolg nachprüfbar bleibt. Für den Mitkonkurrenten am Markt darf kein gravierender Wettbewerbsnachteil entstehen. Das muß stärker als bisher berücksichtigt werden.
    Bundesregierung und Bundesländer sind schließlich übereinstimmend der Meinung, daß staatliche Hilfen den notwendigen Anpassungsprozeß im Werft- und Stahlbereich, d. h. die Umstrukturierung und namentlich den Kapazitätsabbau, nicht erschweren dürfen. Herr Roth, Sie mögen dieses Bekenntnis zu privater Initiative und zu marktwirtschaftlicher Anpassung — so haben Sie es jedenfalls am 5. Mai 1983 getan — als Abstinenz einer Industriepolitik im Wirtschaftsministerium, als Sich-Verweigern des Steuern eines Modernisierungsprozesses bezeichnen. Ja, ich bestätige Ihnen: Ich halte nichts von einem bürokratisch gesteuerten Wirtschaftssystem und nichts vom Marsch in die Intervention;

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    denn das scheinen Sie mit dem Begriff Industriepolitik zu verbinden. Mit solchen Rezepten haben an-



    Bundesminister Dr. Graf LAmbsdorff
    dere Länder sozial und wirtschaftlich kostspieligen Schiffsbruch erlitten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Das Konzept der Koalition von Union und FDP beruht auf der Erkenntnis und auf der Erfahrung,

    (Zuruf des Abg. Roth [SPD])

    daß die Soziale Marktwirtschaft als ein offenes und effizientes System die Bedürfnisse der Menschen besser als alle anderen Wirtschaftssysteme zu berücksichtigen vermag. Die marktwirtschaftliche Ordnung ist zugleich elementarer Bestandteil unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft.
    Herr Roth, ich will Ihren Zwischenruf aufgreifen. Wenn ich Sie eben phonetisch richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, beim Stahl sei das Ergebnis marktwirtschaftlicher Prozesse j a doch eine völlige Pleite, eine völlige Katastrophe.

    (Roth [SPD]: Nein, ich habe nur auf die Urteile der „Treuarbeit" hingewiesen!)

    — Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß die Entwicklung der Stahlindustrie in Europa noch irgend etwas mit Marktwirtschaft zu tun gehabt habe. Staatsinterventionen, staatliche Subventionen, staatliche Eingriffe in marktwirtschaftlich geordnete Verhältnisse haben dazu geführt, daß dieser ruinöse Zustand entstanden ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Hätte man die europäische Stahlindustrie ohne Subventionen dem Wettbewerb ausgesetzt, hätten wir gewiß eine kleinere Stahlindustrie, hätten wir kleinere Einheiten, aber wir hätten eine wettbewerbsfähige Stahlindustrie und nicht die Gefährdung von weiteren Arbeitsplätzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, unser Kurs zur Stärkung der Marktkräfte beinhaltet auch den Abbau der zahlreichen in der Vergangenheit in manchen Bereichen aufgetürmten Investitionshindernisse, z. B. im Wohnungsbau, wo mit der Änderung der Mietgesetzgebung ein recht großer Schritt nach vorn gemacht worden ist, bei den neuen Kommunikationstechniken, wo wir mehr Raum für private Initiative schaffen müssen, bei der Kernkrafttechnik, wo inzwischen die Weichen für eine kostengünstigere Energieversorgung der Unternehmen gestellt worden sind.

    (Lachen bei den GRÜNEN)

    — Mit irgendeiner Bemerkung muß ich heute doch auch bei Ihnen Freude erregen.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)

    Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Wir sorgen auch für mehr und für neuen Bürokratismus. Das, was ich jetzt sage, wird auch niemanden erfreuen. Nehmen Sie einmal die 7. gesellschaftsrechtliche Richtlinie der EG. Wir kamen aus Brüssel zurück und lobten unsere europäische Großtat auf dem Gebiet der Harmonisierung. Mit vollem Recht, europapolitisch gesehen. Nehmen Sie einmal die 4. gesellschaftsrechtliche EG-Richtlinie, die Bilanzrichtlinie, mit größerer Publizitäts-, Bilanzierungs- und Abschlußpflicht für Tausende von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Oder nehmen Sie — jetzt wird es noch unangenehmer — die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Das war alles notwendig und ist gänzlich unbestritten. Alles bedeutet mehr Regelung, mehr Eingriff, mehr Bürokratie. So machen wir fröhliche Fortschritte unter Zustimmung aller mit der Begründung der Notwendigkeit.
    Wo bleibt der Abbau? Wir sind bis jetzt nur in der Lage gewesen, ganz kleine Stückchen zurückzugehen. Hier müssen wir weiterkommen.

    (Zuruf des Abg. Lahnstein [SPD])

    — Es wird schon zugehört, Herr Lahnstein. — In meinen Augen hat der entscheidende Punkt bei der Wiederbelebung und bei der Freisetzung dynamischer Kräfte unserer Wirtschaft hiermit zu tun.
    Meine Damen und Herren, es gilt eben auch hier, was ich zur finanzpolitischen Entwicklung gesagt habe: Jede einzelne Regelung hat ihren guten Sinn, in der Masse lähmen sie unsere Wirtschaft, würgen sie Initiative ab, und deshalb darf es so nicht weitergehen. Wir müssen das Gewirr der Investitionshemmnisse lichten, die in zahlreichen Vorschriften, bürokratischen Verhaltensweisen, im Verwaltungsvollzug und in vom Gesetzgeber häufig nicht gewollten Auslegungen der Gesetze liegen.
    Aber die Aufforderung geht auch an den Gesetzgeber, seinen Regelungsdrang etwas zu beschränken, und zwar auf allen staatlichen Ebenen. Das ist ohne Zweifel ein langwieriger, schwieriger Weg, auf dem es sicherlich immer wieder Rückschläge und Enttäuschungen geben wird. Aber er muß dennoch gegangen werden.
    Was ich hier gesagt habe, gilt — auch wenn Sie, Herr Kollege Vogel, nur die eine Seite der Medaille beleuchtet haben — auch für die ausbildungshemmenden Vorschriften im Jugendarbeitsschutzgesetz. Wenn durch Einschränkung dieser Ausbildungshemmnisse mehr Arbeitsplätze, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, ist es eine vernünftige Maßnahme, ist es ein vernünftiger Schritt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, zur marktwirtschaftlichen Politik gehört auch, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um das Ausufern protektionistischer Tendenzen zum Stillstand zu bringen. Die in Williamsburg versammelten Regierungschefs waren sich alle darin einig, daß im Zuge der wirtschaftlichen Belebung bestehende Handelshemmnisse und wettbewerbsverzerrende Maßnahmen abgebaut werden müssen. Ohne ein offenes, multilaterales Welthandelssystem werden Industrie- und Entwicklungsländer die auf sie zukommenden Belastungsproben nicht bewältigen können. Für uns alle gilt: Märkte sind wie Fallschirme, sie funktionieren nur, wenn sie offen sind.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Das, meine Damen und Herren, hat besondere Bedeutung für die Entwicklungsländer. Ich komme



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    gerade aus Belgrad, wo ich als Ratspräsident der Europäischen Gemeinschaft an der Eröffnung der 6. UNCTAD teilgenommen habe. Mein Eindruck vom bisherigen Verlauf war, daß trotz unterschiedlicher Ansichten von Industrie- und Entwicklungsländern über die Lösung der zu überwindenden Schwierigkeiten allseits die gute Absicht besteht, in der Konferenz auch zu Fortschritten im Nord-SüdDialog zu gelangen. Meine Erfahrung in Manila war — also auf UNCTAD V—, daß alle Resolutionen, die mittels Mehrheitsentscheidungen gefaßt wurden, mehr oder weniger im Papierkorb landeten, daß aber das, was im Konsenswege vereinbart wurde, schließlich verwirklicht wurde oder wenigstens auf gutem Wege ist. Ich habe das in Belgrad sehr offen gesagt und hoffe, daß die Konsequenzen daraus gezogen werden. Das Gesprächs- und Verhandlungsklima war in Belgrad nach meinem persönlichen Eindruck in den ersten Tagen besser, kompromißbereiter, moderater, als es einige Jahre zuvor in Manila der Fall gewesen ist.
    Wir jedenfalls werden uns sorgfältig mit den Anliegen der Enwicklungsländer auseinandersetzen und werden uns für marktwirtschaftliche Antworten in vielen Bereichen einsetzen. Dazu gehört die Weiterführung der Entwicklungshilfe auf hohem Niveau. Dazu gehört auch, daß wir mit gutem Beispiel vorangehen und in unserer Entwicklungspolitik nicht auf das Instrument der Lieferbindung und damit auf dirigistische Maßnahmen zurückgreifen.

    (Matthöfer [SPD]: Hört, hört bei der CDU!)

    Aber es gehört nicht dazu — Herr Kollege Matthöfer, hören Sie bitte jetzt auch zu, fordern Sie nicht nur andere zum Zuhören auf —, es gehört nicht dazu, Herr Vogel, daß wir neue Sonderziehungsrechte schaffen und damit Entwicklungshilfe finanzieren, wie Sie das heute vorgeschlagen haben, was im übrigen eine Abkehr von den Prinzipien der früheren Regierung ist.

    (Zuruf des Abg. Lahnstein [SPD])

    — Wenn, Herr Lahnstein, damit gemeint ist, daß der internationale Währungsfonds zur Bewältigung der Lösung der Verschuldungsprobleme vieler einzelner Länder die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen soll

    (Lahnstein [SPD]: Einschließlich Sonderziehungsrechte!)

    — einschließlich Sonderziehungsrechte —, wenn damit gemeint ist, daß das weiterhin konditioniert zu vergebende Mittel sind,

    (Matthöfer [SPD]: Was denn sonst?)

    dann können wir uns einigen. „Was denn sonst?", fragen Sie. Ich habe vorhin diesen Zusatz bei Herrn Kollegen Vogel vermißt. Wenn ich das nun vermißt oder nicht gehört habe, werde ich mir erlauben dürfen, darauf aufmerksam zu machen; denn dies ist, wie Sie wissen, ein außerordentlich heikler Punkt.

    (Matthöfer [SPD]: Sie lenken ab!)

    - Nein, nein, ich lenke nicht ab.

    (Matthöfer [SPD]: Kommen wir zur Lieferbindung, die Ihr Kollege Warnke haben will!)

    — Nein, das ist ja gar nicht richtig. Sie müssen nun auch nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht. Das tun Sie-ja sonst auch nicht, Herr Matthöfer; Sie glauben nicht einmal an den „Vorwärts", und das mit gutem Recht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier dargelegt, welcher Strategie diese Koalition den Vorzug gegeben hat, nämlich der marktwirtschaftlichen. Dies steht in vollem Einklang mit den Ergebnissen des Gipfeltreffens und mit unserer grundsätzlichen Lage- und Entwicklungsanalyse, so wie ich sie im ersten Teil meines Beitrages vorgetragen habe. Williamsburg hat klar gezeigt, daß die deutsche Wirtschaftspolitik keiner Korrektur bedarf. Wir befinden uns in weiterer guter Gesellschaft. Der Sachverständigenrat oder die große Mehrheit der Wirtschaftsexperten kommt zu demselben Ergebnis. Dieser breite Konsens ist nützlich. Er wird dem Bürger helfen, die für jeden einzelnen oftmals auch bitteren Wahrheiten zu verstehen und zu akzeptieren. Zur Lösung der beträchtlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme der 80er Jahre sind wir auf die Bereitschaft unserer Bürger zur Mitarbeit und das Verständnis unserer Mitbürger angewiesen, Verständnis dafür, daß es darum geht, die extrem hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen, Verständnis dafür, daß dies im Interesse aller, im Interesse auch unserer politischen Stabilität liegt. Der Wähler hat uns, hat dieser Koalition mit seinem klaren Bekenntnis vom 6: März gezeigt, daß wir auf dieses Verständnis bauen können.
    Wir haben Anstrengung, Fleiß, Pflichtbewußtsein und Verantwortung gefordert und damit das Mandat zur Regierungsbildung erhalten. Die Chance für die weitere wirtschaftliche Entwicklung liegt jetzt darin, daß jeder den erforderlichen Weg mitgeht. Dafür muß jeder bei sich selbst anfangen. Dauerhafte Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Stagnation, nachhaltige Wohlstandseinbußen sind nicht das unvermeidliche Schicksal von Industriegesellschaften, sie sind das Ergebnis falscher Analysen und schlechter politischer Therapien. Vor beidem sollten wir uns hüten.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Bevor ich das Wort weiter gebe, muß ich noch eine Anmerkung machen. Nach unseren Regeln und unserer Praxis ist der Zwischenruf „Fälscher" nicht so hinnehmbar. Ich muß Sie, Herr Kollege Roth, dafür zur Ordnung rufen.
Das Wort hat Kollege Stratmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Eckhard Stratmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Liebe Bürger und Bürgerinnen! Das Tor zur Zukunft steht offen und bleibt offen — so Dr. Kohl, Lambsdorff und andere. Ganz anderer Meinung waren da am vergangenen Wochenende 80 000 Demonstranten aus den europäi-



    Stratmann
    schen Gewerkschaften in Stuttgart, die gegen die vorhandene Arbeitslosigkeit und gegen die Bedrohung durch zunehmende Arbeitslosigkeit demonstriert haben. Ganz anderer Meinung, Herr Lambsdorff, sind auch die — es sind heute noch wenige Tausende — Demonstranten von Arbeitsloseninitiativen in der Bundesrepublik, die nicht mehr bereit sind, sich weiterhin als finanzielle und soziale Manövriermasse von Unternehmern und ihren Haushaltspolitikern à la Stoltenberg mißbrauchen zu lassen. Ich habe den Eindruck, daß diese Demonstranten und Arbeitslosen mit ihren Erfahrungen zwar nicht den gesammelten Sachverstand und die Intelligenz, die Sie für sich beanspruchen, auftischen können, aber wesentlich mehr Gespür für die tatsächlichen — langfristigen — Gefahren, die ihnen und der Wirtschaft drohen, haben, als Sie es bisher in dieser Debatte deutlich gemacht haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich möchte auf die Regierungserklärung von Herrn Kohl Bezug nehmen. Zitat:
    Aufgabe Nummer ein ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Hier geht es ... nicht nur um ein wirtschaftliches Problem, sondern vor allem um ein Gebot der Mitmenschlichkeit.
    Diesen Sätzen können wir alle zustimmen.
    Wie verhält es sich aber mit der tatsächlichen Entwicklung? Nach dem Bericht der Bundesanstalt für Arbeit ist die Arbeitslosigkeit im Mai gegenüber dem Vormonat zwar gesunken, saisonbereinigt allerdings gestiegen. Wie die Vertreter der Koalition angesichts einer solchen Monatsentwicklung nur von der konjunkturellen Erholung schwätzen können, ist mir schleierhaft und war den Demonstranten ebenfalls schleierhaft.
    Ich möchte auf Presseverlautbarungen von Vertretern der Bundesregierung Bezug nehmen, und zwar zunächst auf Herrn Vogt, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit. In der Zeitung war zu lesen, daß nach seinen Schätzungen im Jahre 1984 mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von knapp 2,5 Millionen zu rechnen sei und daß selbst bis 1987 mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 2,3 Millionen zu rechnen sei. — Herr Lambsdorff, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal zuhörten. Ich habe nämlich eben versucht, Ihnen diesbezüglich eine Frage zu stellen. Sie sind elegant oder weniger elegant darüber hinweggegangen.
    Das heißt, aus dem eigenen Regierungslager kommen solche ja mehr als pessimistischen Schätzungen. Wie im neuesten „Spiegel" zu lesen war, geht dieser Pessimismus mittlerweile auch im Bundeswirtschaftsministerium um, wo eine vertrauliche Studie in der Arbeit ist, nach der die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 1988 im Durchschnitt auf 3,1 Millionen ansteigen wird und dieser Stand —3,1 Millionen Arbeitslose — bis 1991 gehalten wird, und dies bei unterstellter Wende, bei unterstelltem Aufschwung von jährlich real 2,5 bis 3 % Wachstum.
    Selbst wenn Ihre Aufschwungpolitik greifen sollte — an mehr als ein jahresdurchschnittliches Wachstum von real 2,5 bis 3% wagen Sie ja wohl im Traum nicht zu glauben —, selbst beim Erfolg Ihrer Politik werden Sie die Massenarbeitslosigkeit nicht nur nicht beseitigen können, sondern wird die Massenarbeitslosigkeit im Gegenteil weiter ansteigen; so eine vertrauliche Studie aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Ich halte es für erforderlich, daß im Verlauf der weiteren Debatte zu diesen Arbeitsergebnissen aus dem eigenen Ministerium klar und eindeutig Stellung genommen wird.

    (Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff: Das habe ich doch getan!)

    Wie man angesichts von solchen Prognosen weiterhin in Optimismus machen kann, ist mir nicht nur schleierhaft; ich halte dies sogar für zynisch.
    Die langfristige Erwartung von Massenarbeitslosigkeit wird auch vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geteilt. Ich möchte, statt hier allgemeine Floskeln über Aufschwungsoptimismus von mir zu geben, einmal die Zahlen aus der IAB-Studie von 1982 vortragen. Die Verfasser der Studie argumentieren und operieren mit relativ günstigen Voraussetzungen. Drei Voraussetzungen möchte ich nennen und dann die Prognosen für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wiedergeben.
    Die erste Voraussetzung betrifft die Zahl der Erwerbstätigen: Demographische Tendenzwende für die deutschen Erwerbstätigen 1988/89; dann wird der Zustrom am Arbeitsmarkt sich umkehren. Es wird die günstige Prognose gemacht, daß die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen bei dem Stand von 1981 — 2 1/2 Millionen — bleibt, d. h. nicht zunimmt. Das ist eine unter demographischen Gesichtspunkten äußerst günstige Situation, bei der sich selbst ein Herr Zimmermann die Hände reiben müßte, unter rein arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten.
    Die zweite Prognose ist ebenfalls recht optimistisch: Für den Zeitraum von 1980 bis 2000 wird ein jährliches Wachstum von 2 bis 2,5 % real unterstellt. Mehr wagen auch Sie j a wohl im 20jährigen Durchschnitt nicht zu erhoffen, selbst bei Ihrer Wendepolitik nicht.
    Die dritte Voraussetzung ist ebenfalls optimistisch: ein Produktivitätsanstieg pro Jahr von 2,2 bis 2,9 %, wobei sich Produktivitätsanstieg und Produktionswachstum ungefähr die Waage halten, also nicht die Produktivität über dem Produktionswachstum liegt und damit zu weiterer Arbeitslosigkeit führt.
    Das sind also drei relativ günstige Prognosen.
    Auf der Grundlage dieser Projektion wird sich die Arbeitslosigkeit folgendermaßen entwickeln: 1985 2,68 Millionen Arbeitslose — das entspricht ungefähr der Prognose aus dem Wirtschaftsministerium —, 1990 3,4 Millionen, 1995 — demographische Entlastung! — 3,1 Millionen und bis zum Jahr 2000 2,33 Millionen.
    Also nach der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, eines sicherlich neu-



    Stratmann
    tralen Instituts, ist von konjunktureller Belebung, die nachhaltig auf den Arbeitsmarkt wirkt, nicht nur nichts zu spüren, sondern, im Gegenteil, die von Ihnen hier vorgetragene Konjunkturpolitik und Ihre Wachstumspolitik werden selbst dann, wenn sie, gemessen an Ihren Konjunkturindikatoren, Erfolg haben sollten, auf dem Arbeitsmarkt zu einem Fiasko führen.
    Herr Kohl, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie da mal zuhörten,

    (Bindig [SPD]: Der versteht davon sowieso nichts!)

    weil ich damit nämlich nicht nur die Sorgen meiner Fraktion zum Ausdruck bringe. Wenn Sie sich die Berichte über die Demonstrationen am Wochenende angeschaut hätten — das haben Sie wahrscheinlich getan —, wüßten Sie, daß das auch die Sorgen von Massen und von heute über zwei Millionen Arbeitslosen sind. Ich unterstelle, daß Sie das wissen. Warum Sie Ihre Politik trotzdem nicht danach richten, werden wir gleich noch ansprechen.
    Wie können Sie angesichts dieser Entwicklung vollmundig erklären: Das Tor zur Zukunft steht offen? Wie können Sie behaupten, Ihr erstes Anliegen sei Massenarbeitslosigkeit

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU: Genau das Gegenteil! — Überwindung der Massenarbeitslosigkeit!)

    — ich sage: behaupten —, und ein Instrumentarium vorschlagen, das, gemessen an Ihren eigenen wirtschaftsministerialen Prognosen und an den Prognosen des IAB, nachweislich ins Leere stößt?
    Massenarbeitslosigkeit wird die Folge Ihrer Politik sein. Ihren Optimismus und Ihre Behauptung, Ihnen seien die Massenarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung das erste Anliegen, halte ich angesichts dieser Prognosen nicht nur für unehrlich, sondern für zynisch.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: „Schwacher Beifall bei den GRÜNEN!")

    Wirtschaftspolitisch sind aus diesen Sachverhalten folgende Konsequenzen zu ziehen: Die Wachstumspolitik, wie sie die Koalition vorgetragen hat und wie sie, allerdings ohne Erfolg, auch die alte Koalition zu praktizieren versucht hat, ist nicht in der Lage, das Problem der Arbeitslosigkeit zu dämpfen, geschweige denn zu beseitigen; vielmehr haben wir es mit einer Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung zu tun. Es hat sich mittlerweile auch im Regierungslager teilweise herumgesprochen, daß sich Wachstum und Energieverbrauch entkoppelt haben. Diese Weisheit hat in den vergangenen Jahren allmählich Platz gegriffen. In vergleichbarer Weise haben sich auch Wachstum und Beschäftigung entkoppelt. Eine Politik, die heute, um Arbeitslosigkeit zu beseitigen, in erster Linie noch auf Wachstum setzt, geht an den soeben genannten Fakten und Prognosen vorbei.
    In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß eine ganz wesentliche Ursache für die Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung die von der Koalition massiv verangetriebene technologische Entwicklung ist. Ich vermeide bewußt den Ausdruck „technologischer Fortschritt", weil hinter dem Fortschritt oftmals — nicht generell — gesellschaftliche Destruktivität zum Vorschein kommt.

    (Eimer [Fürth] [FDP]: Ist Ihnen bekannt, daß in der Zeit der Hochkonjunktur eine Million Arbeitsplätze pro Jahr durch Rationalisierung vernichtet worden sind? Trotzdem haben Sie genügend Arbeitsplätze gehabt! Ich glaube, Sie kennen die Zusammenhänge nicht!)

    — Ich habe den Eindruck, daß ich die Zusammenhänge eben deutlich gemacht habe, daß der gesammelte Sachverstand Ihres Herrn Stoltenberg und des Herrn Lambsdorff, von anderen einmal zu schweigen, nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Weil sie sie nicht lösen können, benennen sie sie auch nicht. Sie wurden weder in der bisherigen Debatte noch in der Regierungserklärung, noch im Jahreswirtschaftsbericht benannt. Es verwundert bei der Zusammensetzung des Sachverständigenrats natürlich auch nicht: im Sachverständigengutachten ist lediglich von monatsperspektivischen Indikatoren die Rede. Von den langfristigen Projektionen, die ich eben angesprochen habe, ist nicht die Rede. Natürlich kann davon auch nicht die Rede sein, weil in dieser langfristigen Entwicklung Ihre totale Ohnmacht und die Ohnmacht Ihrer Politik zum Ausdruck kämen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie haben auch in Williamsburg die Zusammenarbeit für die technologische Entwicklung vorangetrieben. Seit Jahren liegt die technologische Entwicklung, der Produktivitätsfortschritt, durchschnittlich 2 % über dem Wachstum der Produktion. Die Prognosen für das Jahr 1983 liegen in der gleichen Richtung. Herr Lambsdorff, ich habe Sie eben auch fragen wollen — aber Sie haben es nicht zugelassen —, welche Produktivitätsentwicklung Sie für das laufende Jahrzehnt erwarten. Sie müssen mir tatsächlich erklären — aber dafür gibt es keine Erklärung —, wie sich eine Produktivitätssteigerung, die deutlich über dem Produktionswachstum liegt, nicht in Arbeitslosigkeit niederschlagen soll. Sie haben hinterher Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
    Sie haben in Williamsburg in der Vereinbarung über den Bericht der Arbeitsgruppe „Technologische Entwicklung, Wachstum, Beschäftigung", koordiniert die technologische Zusammenarbeit in 18 Projekten vorangetrieben. Ein wesentliches Projekt ist die Weiterentwicklung der Kernenergie, u. a. des Schnellen Brüters, ein weiteres technologisches Projekt ist das Vorantreiben der Entwicklung der Industrieroboter. Sie machen gleichzeitig auf dieser Ebene und anderswo überhaupt keine Anstrengung in der Richtung, die technologische Entwicklung, gegen die wir nicht generell sind,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sondern?)

    sozial kontrollieren zu können. Wir müssen mittel-
    und langfristig dahin kommen, den Produktivitätsanstieg an die Verkürzung der Arbeitszeit weiterzu-



    Stratmann
    geben. Ansonsten wird sich bei relativ geringen Wachstumsraten, die überhaupt nur machbar wären, der Produktivitätsfortschritt in weitere Arbeitslosigkeit niederschlagen.
    Angesichts der Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung bleibt unseres Erachtens ein Haupthebel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit übrig: eine radikale Politik der Arbeitszeitverkürzung. Bei den verschiedenen Modellen, die zur Arbeitszeitverkürzung diskutiert werden — ich werde in diesem Zusammenhang gleich noch auf den Antrag der SPD-Fraktion eingehen —, spielt die schnelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf eine 35-Stunden-Woche die herausragende Rolle.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich möchte begründen, warum. Mich interessieren
    in diesem Zusammenhang allerdings auch die jetzige und die zukünftige Haltung der SPD-Fraktion.
    In der Diskussion über die Verkürzung der Arbeitszeit spielt die 35-Stunden-Woche aktuell die größte Rolle. Auf der anderen Seite geht es um die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, um die Tarifrente ab 58 Jahren. Die SPD-Fraktion hat vorgestern einen Gesetzentwurf dieses Inhalts eingebracht, der sich bezüglich der Finanzierung von dem Vorentwurf des Bundesarbeitsministeriums unterscheidet.
    Ich möchte für uns GRÜNE grundsätzlich feststellen: Wir GRÜNEN treten ebenfalls für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ein, wie wir grundsätzlich auch der Meinung sind, daß alle Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung aus Gründen der Humanisierung der Arbeit und zur Entlastung des Arbeitsmarkts genutzt werden müssen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die entscheidende Frage in der augenblicklichen Situation ist allerdings, welches Modell der Arbeitszeitverkürzung den größten arbeitsmarktentlastenden Effekt bringt. Da sind die Daten für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit eindeutig. Ein Wirksamwerden der 58er-Regelung vorausgesetzt, wären überhaupt nur 900 000 Personen anspruchsberechtigt. Von diesen würde, da richtigerweise Freiwilligkeit vorgesehen ist, nur ein Teil — schätzungsweise zwei Drittel — diese Regelung in Anspruch nehmen.

    (Bindig [SPD]: Das wären 600 000! — Zuruf von der SPD: Ist das denn nichts? — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Hören Sie doch mal zu! Ich setze bei Ihnen voraus, daß Sie die arbeitsmarktpolitische Diskussion ein bißchen genauer kennen. 600 000 Anspruchswillige ergeben bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Neueinstellung — und das ist eine Faustregel unter den Arbeitsmarktforschern — einen numerischen Arbeitsplatzeffekt von 50%. Sie werden die 600 000 bei der Verpflichtung zur Neueinstellung nie voll durchsetzen können. Das wird Ihnen kein Experte so sagen. Das heißt: bei 600 000, die es in Anspruch nehmen, kämen Sie auf einen Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt von 300 000. Das ist in der Tat etwas, ganz klar.

    (Zurufe von der SPD)

    Nur: wir haben zur Zeit Arbeitslosigkeit von 2,1 Millionen, minus 300 000 macht 1,8 Millionen. Angesichts der zu erwartenden Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist eine Reduzierung um eine solche Marge zwar nicht zu vernachlässigen, aber nicht die Lösung des Problems und nicht der Haupthebel.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie werden nach Schätzung von Experten mit dem Mittel der Lebensarbeitszeitverkürzung bis 1988 einen Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt von 400 000 bis 500 000 erreichen können. Man soll diesen Weg gehen. Wir sprechen uns nicht dagegen aus.

    (Roth [SPD]: Da sind Sie in der Nähe von Lambsdorff! Immer mit solchen Argumenten!)

    — Nein, nein. Herr Roth, wenn Sie weiter zuhören, werden Sie noch merken, daß dort vielleicht zwischen den GRÜNEN und einem Teil Ihrer Fraktion Möglichkeiten der politischen Zusammenarbeit bestehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich möchte, daß Sie dazu gleich einmal ganz eindeutig Stellung nehmen.
    Es geht nicht darum, die Lebensarbeitszeitverkürzung zu boykottieren, sondern es geht darum, in der anstehenden Auseinandersetzung um die Jahreswende zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche das gesellschaftliche Kräftepotential, das sich dazu bereit macht, zu unterstützen, nämlich die Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Da frage ich Sie, was Sie strategisch im Sinne haben, wenn Sie in dieser Situation vor der anstehenden Tarifauseinandersetzung einen entsprechenden Gesetzentwurf auftischen, darin erklären, daß er lediglich flankierend zu den anstehenden Tarifauseinandersetzungen sein soll, wo die Lebensarbeitszeitverkürzung durchgesetzt werden soll. Jetzt frage ich Sie — wobei ich in meinem Hinterkopf eine Vermutung habe; und ich möchte eine ganz klare Auskunft von Ihnen, von der SPD-Fraktion, auch in Richtung Gewerkschaften und IG Metall haben —: Halten Sie es machtpolitisch für möglich, daß in der kommenden Tarifauseinandersetzung an zwei Fronten gleichzeitig gekämpft wird:

    (Zuruf von der SPD: Ja, sicher!)

    gleichzeitig tarifliche Durchsetzung der Lebensarbeitszeitverkürzung und Durchsetzung der 35-Stunden-Woche? Ich fürchte, daß Sie damit nur die Kampfkraft für die Durchsetzung der 35-StundenWoche schwächen.
    Herr Roth, auch das möchte ich Ihnen noch sehr klar sagen: Da besteht die fundamentale Differenz zwischen Herrn Lambsdorff, dem Koalitionslager, und uns. Der Vorrang der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnsausgleich für untere und mittlere Einkommen ist in den Augen der GRÜNEN — und



    Stratmann
    nicht nur in den Augen der GRÜNEN — der Haupthebel zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Weitere drastische Arbeitszeitverkürzungen im kommenden Jahrzehnt bis zum Jahre 2000 werden notwendig sein.

    (Cronenberg [FDP]: Am besten die Arbeit ganz einstellen!)

    Die europäische Föderation der Metall-Gewerkschaften hat gerade in diesen Tagen gesagt, daß wir schrittweise bis zum Jahre 2000 auf die 26-StundenWoche kommen müssen.

    (Lachen bei der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Natürlich, ich höre, wie hier einige lachen und Zwischenrufe machen. Wenn Sie nicht in solchen radikalen Perspektiven denken,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jede Woche?)

    werden Sie die Arbeitslosigkeit im Jahr 1990 auf über drei Millionen haben. Alle von Ihnen vorgeschlagenen Instrumentarien sind schon im Ansatz nicht in der Lage, an dieser Massenarbeitslosigkeit etwas zu ändern. Die einzige Möglichkeit ist, radikal an die Arbeitszeitverkürzung heranzugehen, und zwar an die Wochenarbeitszeitverkürzung.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der FDP)

    Ich fürchte — an die Adresse der SPD-Fraktion —, daß Sie mit der Einbringung Ihres Gesetzesantrags zur Lebensarbeitszeitverkürzung, zur Tarifrente den Übergang zu einem langsamen Absetzen von der 35-Stunden-Woche einleiten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie hier ganz klar — auch in Richtung auf die IG Metall — ein Wort sprechen könnten.

    (Zuruf von der SPD)