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    Plenarprotokoll 10/11 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 11. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 Inhalt: Nachruf auf Frau Bundesminister a. D. Marie Schlei 525A Erweiterung der Tagesordnung 603 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel in Williamsburg in Verbindung mit Beratung des Jahresgutachtens 1982/83 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — Drucksache 9/2118 — in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1983 der Bundesregierung — Drucksache 9/2400 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und Europäischer Rat in Stuttgart — Drucksache 10/79 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 525 D Dr. Vogel SPD 533A Wissmann CDU/CSU 541 C Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 547D, 615D Stratmann GRÜNE 558 D Lahnstein SPD 563 A Dr. Haussmann FDP 587 A Kittelmann CDU/CSU 590 A Dr. Jens SPD 593 C Gerstein CDU/CSU 596 D Krizsan GRÜNE 599 B Dr. Solms FDP 600 D Dr. Ehrenberg SPD 603 C Lattmann CDU/CSU 607 A Schwenninger GRÜNE 609 D Beckmann FDP 611 B Wolfram (Recklinghausen) SPD 612 C Hinsken CDU/CSU 619C Rapp (Göppingen) SPD 621 D Vizepräsident Westphal 558 D Fragestunde — Drucksache 10/106 vom 3. Juni 1983 — Ergebnisse einer Studie zur Nachrüstung, u. a. über die Einstellung der Bevölkerung zur Stationierung der Pershing II und der Cruise Missiles MdlAnfr 1 03.06.83 Drs 10/106 Reents GRÜNE Antw PStSekr Dr. Jenninger BK . 568 D, 569A, B ZusFr Reents GRÜNE 568 D, 569 A ZusFr Dr. Hirsch FDP 569 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 569 B ZusFr Krizsan GRÜNE 569 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 Verpflichtung der Bundesregierung zur Geheimhaltung der Standorte nuklearer Gefechtsköpfe sowie chemischer und bakteriologischer Kampfstoffe; Wortlaut der „Geheimhaltungsbestimmungen der NATO" MdlAnfr 27, 28 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 569C, D, 570A, B, C, D, 571A, B, C, D, 572A, B ZusFr Dr. Hirsch FDP . . . . 569D, 570A, 571B ZusFr Dr. Ehmke (Bonn) SPD . . . 570B, 571C ZusFr Reuter SPD 570C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 570C, 571 D ZusFr Krizsan GRÜNE 570 D ZusFr Berger CDU/CSU 570 D ZusFr Dr. Sperling SPD 570 D, 571 D ZusFr Peter (Kassel) SPD 572 A ZusFr Reents GRÜNE 572 A ZusFr Frau Simonis SPD 572 B ZusFr Bindig SPD 572 B Errichtung von Bundeswehrdepots im Landkreis Harburg, insbesondere zur Lagerung von ABC-Waffen MdlAnfr 29, 30 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Hauchler SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 572C, D, 573A, B ZusFr Dr. Hauchler SPD 572 D, 573A ZusFr Dr. Sperling SPD 573 B Entwicklung der Verhandlungen über den amerikanischen Truppenübungsplatz bei Schlitz MdlAnfr 31 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Czempiel SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . 573 B, C, D, 574A, B, C, D, 575A ZusFr Frau Dr. Czempiel SPD 573C, D ZusFr Dr. Sperling SPD 573 D ZusFr Reuter SPD 574 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 574 B ZusFr Krizsan GRÜNE 574 C ZusFr Peter (Kassel) SPD 574 D ZusFr Dr. Hirsch FDP 575A Kenntnis der NATO von der Erprobung der sowjetischen SS 20 MdlAnfr 35 03.06.83 Drs 10/106 Reents GRÜNE Antw PStSekr Würzbach BMVg 575B, C, D, 576A, B ZusFr Reents GRÜNE 575C, D ZusFr Schily GRÜNE 575 D ZusFr Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE . . 576A ZusFr Berger CDU/CSU 576 B Kontrolle importierter ausländischer Weine sowie Prozentsatz der Beanstandungen MdlAnfr 38, 39 03.06.83 Drs 10/106 Schartz (Trier) CDU/CSU Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 576C, 577 A ZusFr Schartz (Trier) CDU/CSU 577 A Einführung einer Pflegefall-Versicherung MdlAnfr 42 03.06.83 Drs 10/106 Dr. Weng FDP Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 577B, C ZusFr Dr. Weng FDP 577 C Beurteilung des Einsatzes von Paraquat aus humantoxikologischer Sicht MdlAnfr 48 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Vollmer GRÜNE Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 577D, 578A, B, C ZusFr Frau Dr. Vollmer GRÜNE 578 A ZusFr Frau Dr. Hickel GRÜNE 578 B ZusFr Frau Dr. Bard GRÜNE 578 B Existenzgefährdung des Naturschutzgebiets Riddagshausen durch den Bau der A 39 Salzgitter—Wolfsburg MdlAnfr 54 03.06.83 Drs 10/106 Frau Dr. Hickel GRÜNE Antw StSekr Bayer BMV 578C, D ZusFr Frau Dr. Hickel GRÜNE 578 D Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts für Lastkraftwagen MdlAnfr 61 03.06.83 Drs 10/106 Frau Steinhauer SPD Antw StSekr Bayer BMV 579A, B, C ZusFr Frau Steinhauer SPD 579 B Verbot der Vorführung des Films „Die weiße Rose" in den Goethe-Instituten in den USA MdlAnfr 80 03.06.83 Drs 10/106 Frau Simonis SPD Antw StMin Möllemann AA 580A, C, D, 581A, B ZusFr Frau Simonis SPD 580 B, C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 III ZusFr Schily GRÜNE 580 D ZusFr Dr. Sperling SPD 580 D ZusFr Broll CDU/CSU 581 B ZusFr Dr. Jannsen GRÜNE 581 B Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze im Bereich des Bundes MdlAnfr 73 03.06.83 Drs 10/106 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 581 C, 582A, B, C, D, 583A ZusFr Frau Steinhauer SPD 582 A, B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 582 B ZusFr Frau Weyel SPD 582 C ZusFr Dr. Sperling SPD 582 D ZusFr Gerster (Mainz) CDU/CSU 583A Fehlende Bundesmittel für AB-Maßnahmen zur Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher MdlAnfr 74, 75 03.06.83 Drs 10/106 Schemken CDU/CSU Antw PStSekr Pfeifer BMBW . . 583 B, D, 584 B ZusFr Schemken CDU/CSU 583 C, D ZusFr Toetemeyer SPD 584A ZusFr Heyenn SPD 584 B Scheitern der Neuregelung der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an der Weigerung der Länder zur Mitfinanzierung MdlAnfr 77 03.06.83 Drs 10/106 Kuhlwein SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW 584C, 585A, B, C, D ZusFr Kuhlwein SPD 584 D, 585A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . . 585 B ZusFr Frau Weyel SPD 585 C ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 585 C Erhöhung der Bundesmittel für das Benachteiligtenprogramm MdlAnfr 78, 79 03.06.83 Drs 10/106 Heyenn SPD Antw PStSekr Pfeifer BMBW . . . 585D, 586A ZusFr Heyenn SPD 586A Bemühungen um das Schicksal der in Argentinien verschwundenen Deutschen nach Vorliegen des „Abschlußberichts" der Militärregierung MdlAnfr 84, 85 03.06.83 Drs 10/106 Bindig SPD Antw StMin Möllemann AA 586 B, C ZusFr Bindig SPD 586 C Nächste Sitzung 625 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 627* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Juni 1983 525 11. Sitzung Bonn, den 9. Juni 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 8. Sitzung, Seite 389 D, 12. Zeile von unten: Statt „Cronenberg" ist „Dr. Kronenberg" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein *** 10. 6. Dr. Ahrens ** 10. 6. Antretter ** 9. 6. Bahr *** 10. 6. Biehle *** 10. 6. Böhm (Melsungen) ** 10. 6. Büchner (Speyer) ** 10. 6. Dr. Dregger 10. 6. Dr. Ehmke (Ettlingen) 10. 6. Dr. Enders ** 9. 6. Engelsberger 10. 6. Francke (Hamburg) *** 10. 6. Gansel *** 10. 6. Gerstl (Passau) ** 9. 6. Glombig 10. 6. Grüner 9. 6. Dr. Haack 10. 6. Haase (Fürth) ** 9. 6. Dr. Hackel ** 9. 6. Frau Dr. Hamm-Brücher 10. 6. Handlos ** 9. 6. Hartmann ** 9. 6. Hauck 10. 6. Hauser (Krefeld) 10. 6. Dr. Holtz ** 9. 6. Horn *** 10. 6. Dr. Hupka *** 10. 6. Ibrügger *** 10. 6. Jäger (Wangen) ** 9. 6. Jansen 10. 6. Jungmann *** 10. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kittelmann ** 9. 6. Kolbow *** 10. 6. Kroll-Schlüter 10. 6. Frau Krone-Appuhn *** 10. 6. Dr. Lenz (Bergstraße) *** 10. 6. Lenzer ** 9. 6. Dr. Linde ** 9. 6. Lowack 10. 6. Lutz 10. 6. Dr. Marx *** 10. 6. Dr. Müller ** 10. 6. Petersen *** 10. 6. Reddemann ** 9. 6. Frau Reetz 10. 6. Rühe *** 10. 6. Sauer (Salzgitter) *** 10. 6. Saurin 10. 6. Schäfer (Mainz) *** 10. 6. Dr. Scheer ** 9. 6. Schmidt (Hamburg) 10. 6. Schmidt (München) ** 9. 6. Schmidt (Wattenscheid) 10. 6. Schmitz (Baesweiler) ** 9. 6. Schulte (Unna) ** 9. 6. Schwarz ** 9. 6. Dr. Schwenk (Stade) 10. 6. Sielaff 10. 6. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 6. Dr. Stavenhagen ** 9. 6. Dr. Unland * 10. 6. Vogt (Kaiserslautern) ** 9. 6. Voigt (Frankfurt) *** 10. 6. Voigt (Sonthofen) 10. 6. Vosen 9. 6. Dr. von Wartenberg *** 10. 6. Weiß *** 10. 6. Wilz 9. 6. Wimmer (Neuss) 10. 6. Würtz *** 10. 6. Wurbs 10. 6.
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor acht Monaten und dann mit der Wahl und der Konstituierung der neuen Bundesregierung hat die Bundesregierung damit begonnen, die notwendigen Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft einzulei-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    ten, den Staatshaushalt zu sanieren und das soziale Sicherungssystem zu konsolidieren.
    Der Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg war eine wichtige Station auf diesem Weg. Ohne in der Kürze der Zeit über dieses Ereignis bereits ein abschließendes Urteil zu fällen, darf doch gesagt werden, daß dieses Treffen möglicherweise die Chance hat, später als ein Ereignis weltweiter Solidarität der großen westlichen Industrienationen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit im Bereich der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gewertet zu werden.
    Die dringendste Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik ist und bleibt die Überwindung der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hört! Hört! bei der SPD)

    Die Erholung unserer Wirtschaft in der Bundesrepublik ist in den letzten Monaten in Gang gekommen. Es kommt nun darauf an, dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu sichern, zu Investitionen zu ermutigen und die schöpferischen Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft herauszufordern und zu fördern.
    Wir alle wissen, daß der Erfolg dieser Bemühungen nicht zuletzt auch davon abhängt, welche Politik unsere Partnerländer verfolgen.

    (Roth [SPD]: Jetzt auf einmal! — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Tolle Erkenntnis!)

    — Herr Kollege, das ist eine Erkenntnis, die wir immer hatten. Bloß, die Reihenfolge war bei uns immer so: Wir haben uns dazu bekannt, die Hausaufgaben zu Hause zu machen und dann mit den Partnern zu sprechen. —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Teil der Weltwirtschaft. Sie teilt ihr Schicksal, und sie trägt Mitverantwortung für ihre Entwicklung.

    (Zuruf von der SPD)

    — Verehrter Herr Kollege, was soll es, wenn wir uns auf solch eine Ebene begeben? Seit 1949 haben sich alle Bundesregierungen und ganz gewiß die Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger — also Kanzler der CDU/CSU — darum bemüht, nach dieser Überzeugung Politik zu betreiben. Was soll es also, wenn wir uns gegenseitig in dieser Form unterhalten?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Weltwirtschaftsgipfel von Williamsburg war deshalb für uns zu diesem Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Ereignis. Williamsburg bot der Bundesregierung die Gelegenheit, ihr gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Konzept nach einer Wahl und am Beginn einer Legislaturperiode mit der Politik der wichtigsten Partnerländer abzustimmen. Williamsburg, für die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika ein Ort von großer Bedeutung, Tradition und Geschichte, bot Gelegenheit zu einem offenen Gespräch unter Freunden.
    Die mit Gefühl für Stil und Würde geschaffene Atmosphäre hat die Gelegenheit zu sehr vertrauensvollen Gesprächen und Begegnungen zwischen den Staats- und Regierungschefs entscheidend gefördert. Ich darf auch heute und von dieser Stelle aus unseren amerikanischen Gastgebern, allen voran dem amerikanischen Präsidenten, für die gastliche Aufnahme danken, die wir gefunden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bei diesen Gesprächen haben sich die guten bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Kanada, Frankreich, Großbritannien und Italien und insbesondere auch das persönliche Vertrauensverhältnis zu Präsident Reagan, Präsident Mitterrand und Premierminister Thatcher als sehr hilfreich für uns und für andere bewährt.
    Ich habe es sehr begrüßt, in Williamsburg ein erstes Gespräch mit dem japanischen Ministerpräsidenten Nakasone führen zu können. Wir werden dieses Gespräch in einigen Monaten bei einem geplanten Japan-Besuch fortsetzen.
    Williamsburg mußte Aufschluß geben über das Ausmaß wirtschaftspolitischer Risiken und Konflikte, die sich aus der Politik anderer Länder für uns ergeben können. Williamsburg konnte auch Aufschluß geben, wie weit oder wie eng der Handlungsspielraum unserer eigenen Politik sein und ob sie von unseren wichtigsten Partnern unterstützt wird.
    Die Bundesregierung überschätzt die unmittelbare Wirkungskraft einer solchen Gipfelkonferenz keinesfalls. Aber diese Konferenz konnte einen wertvollen Beitrag zur Orientierung und Abstimmung der internationalen Wirtschaftspolitik leisten.
    Wir sollten uns alle in diesem Zusammenhang an die Fragen erinnern, die die internationale Öffentlichkeit vor der Konferenz von Williamsburg intensiv beschäftigt haben.
    Noch vor wenigen Monaten, meine Damen und Herren, haben sich viele darüber Sorgen gemacht, ob sich die führenden Wirtschaftsnationen auf das gemeinsame Ziel der Inflationsbekämpfung verständigen könnten. Sie hatten Sorge, daß Gegensätzlichkeiten in den politischen Zielen das Weltwährungssystem durcheinanderbringen könnten.
    Viele hatten Zweifel, ob das internationale Finanzsystem den schweren Belastungen der weltweiten Tendenz zur Überschuldung der Staatshaushalte gewachsen sei.
    Die Politik der Handelsbeschränkungen, der nationalen Alleingänge und die Tendenz zum Protektionismus schienen beinahe unaufhaltsam.
    Die Entwicklungsländer haben befürchtet, daß sie mit ihrer Not und auch mit den Folgen oftmals verfehlter Innen- und Außenpolitik allein gelassen werden.
    Die Konferenz in Williamsburg hat in diesen Punkten größere Klarheit geschaffen. Die sieben wichtigsten Industrienationen wollen gemeinsam



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    und zusammen mit ihren Partnern dafür sorgen, daß diese Befürchtungen gegenstandslos werden.
    Die Erklärung von Williamsburg ist nicht bloß eine Botschaft der Hoffnung. Sie ist mehr als das. Sie ist die Vereinbarung einer gemeinsamen Strategie, von der keiner der sieben Teilnehmerstaaten des Gipfels ohne Schaden für sein Ansehen abweichen kann. Der Wirtschaftsgipfel von Williamsburg hat der Zusammenarbeit zwischen den westlichen Industrieländern neue Impulse gegeben. Natürlich kann eine solche Konferenz nicht die Welt verändern, schon gar nicht von heute auf morgen. Das wird niemand vernünftigerweise erwarten. Internationale Zusammenarbeit ist eine Daueraufgabe und hat immer mit neuen Problemen zu kämpfen.
    Williamsburg hat aber insofern einen bedeutenden Fortschritt gebracht, als die Probleme der Weltwirtschaft, der Währungsordnung, des Welthandels, des Nord-Süd-Verhältnisses und der OstWest-Beziehungen nicht mehr nacheinander und getrennt voneinander erörtert wurden, sondern in ihrem unauflöslichen Gesamtzusammenhang gesehen werden. Deshalb will ich aus der Erklärung von Williamsburg vor allem einen Satz besonders hervorheben. Es heißt dort:
    Wir wissen, daß wir gemeinsam handeln und ein ausgewogenes Ganzes an politischen Maßnahmen verwirklichen müssen, die den Zusammenhang zwischen Wachstum, Handel und Finanzen berücksichtigen und nutzen, damit der Aufschwung alle Länder, die Industrieländer gleichermaßen wie die Entwicklungsländer, erfaßt.
    Das Ergebnis des Gipfels in Williamsburg ist in mehrfacher Hinsicht ermutigend: Ermutigend ist Williamsburg wegen der gemeinsamen Feststellung, daß nicht Einzelmaßnahmen und Sonderprogramme helfen können. Beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit kommt es vielmehr auf die Geschlossenheit und die Übereinstimmung aller Bereiche der Politik an.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die wirtschaftspolitische Strategie der Bundesregierung gegen die Arbeitslosigkeit und für die Gesundung der Wirtschaft ist damit voll bestätigt worden.
    Ermutigend ist Williamsburg wegen der Gemeinsamkeit in der Überzeugung, daß monetäre Disziplin, d. h. eine auf Stabilität gerichtete Geldpolitik, unverzichtbar ist.
    Ermutigend ist Williamsburg wegen der vollen Übereinstimmung darüber, daß budgetäre Disziplin, d. h. ein Abbau der staatlichen Neuverschuldung, geboten ist. Wichtig ist, daß auch die Vereinigten Staaten dies voll anerkannt haben.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Unbefriedigend ist jedoch für uns alle — ich sage das mit Nachdruck —, daß sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht in der Lage sahen, ausreichende praktische Schritte zur Entlastung der
    Währungs- und Finanzlage ihrer Partnerländer schon jetzt in Aussicht zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ermutigend ist Williamsburg wegen des Einvernehmens in dem Ziel, Protektionismus zu stoppen und der Liberalisierung des Welthandels eine neue Chance zu geben. Nach dieser Vereinbarung setzt sich jeder ins Unrecht, der auf Protektionismus zurückgreift.
    Ermutigend ist Williamsburg wegen der Vereinbarung, beim Umweltschutz künftig verstärkt zusammenzuarbeiten. Die Ursachen des sauren Regens und des Waldsterbens sind nur in internationaler Zusammenarbeit zu überwinden. Deshalb ist die gemeinsame Verabredung im Interesse der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen für uns ganz besonders wichtig.
    Ermutigend ist Williamsburg schließlich wegen der Einbeziehung der Entwicklungsländer in alle Überlegungen der Währungs-, Finanz- und Handelsbeziehungen. Diese Länder, und besonders die ärmsten unter ihnen, sind von der weltweiten Rezession besonders hart betroffen.
    In den Tagen vor dem Wirtschaftsgipfel habe ich von verschiedenen Staats- und Regierungschefs aus wichtigen Ländern der Dritten Welt sowie vom Generalsekretär der Vereinten Nationen beschwörende Botschaften erhalten, in denen sie auf die dramatische Lage der Entwicklungsländer aufmerksam gemacht haben und in denen sie mich gebeten haben, auf dem Wirtschaftsgipfel ihre Belange mit zu vertreten. Wir haben das im Rahmen unserer Möglichkeiten getan.
    Wir haben in Williamsburg die Bedeutung der öffentlichen Entwicklungshilfe für ein gesundes Wirtschaftswachstum in diesen Ländern unterstrichen. Wir haben insbesondere auch unsere Verpflichtung bekräftigt, die internationale Entwicklungshilfeorganisation mit Mitteln in der vereinbarten Höhe auszustatten. Dies wird gerade den armen und ärmsten Ländern besonders zugute kommen. Wir wollen, daß die Entwicklungsländer nicht Unterstützungsempfänger sind, sondern wirkliche Partner im Welthandel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir begrüßen die in Neu-Delhi und Buenos Aires deutlich gewordene Bereitschaft der Gruppe der 77, auch ihre weltwirtschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Wir müssen und wollen mit ihnen darüber sprechen, und wir arbeiten an der 6. Welthandelskonferenz in Belgrad verständnisbereit und engagiert mit.
    Meine Damen und Herren, Wirtschaftsgipfel dienen dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch von Regierungschefs. Sie bieten aber auch die Gelegenheit, bestehende Meinungsunterschiede offen anzusprechen und in Ruhe nach Wegen des Einvernehmens zu suchen. Dies nützt den Ländern, die beteiligt sind. Noch vor 10 Jahren galten solche Gespräche als etwas Außergewöhnliches. Heute gehören sie zur Selbstverständlichkeit im politischen Alltag befreundeter Völker.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Die Gespräche, die wir führen konnten, haben die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, der sozialpolitischen Probleme und der wirtschaftspolitischen Aufgaben auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Das heißt, daß an die Politik aller beteiligten Länder die gleichen Ansprüche gestellt werden, wie überhaupt gilt, daß Beschlüsse solcher Konferenzen nur dann ihre Wirkung voll entfalten können, wenn jede der beteiligten Regierungen dazu beiträgt, daß jeweils zu Hause die Hausaufgaben gewissenhaft erledigt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das heißt im Klartext: Wer den Amerikanern Haushaltskürzungen empfiehlt, der darf zu Hause nicht einer höheren Verschuldung das Wort reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer die Eigenständigkeit europäischer Politik betont, der darf nicht im gleichen Atemzug den Amerikanern die alleinige, zentrale Verantwortung für Zinsen und Wechselkurse und die wirtschaftspolitischen Probleme des eigenen Landes anlasten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich denke, daß die heutige Debatte ausreichend Gelegenheit gibt, alle für uns besonders relevanten Fragen zu erörtern. Die Aussprache zum Gutachten des Sachverständigenrates und zum Jahreswirtschaftsbericht ist in diesem Sinne gedacht.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Gipfeltreffen von Williamsburg fand in einer Zeit statt, in der in Genf über die wichtigen Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle verhandelt wird. Das sind Fragen, die heute die Menschen in allen Teilen der Welt und nicht zuletzt auch die Menschen in unserem eigenen Lande tief bewegen.
    Es war deshalb zwingend, daß die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder der westlichen Welt auch dieses Thema ausführlich beraten und dazu eine gemeinsame Erklärung verabschiedet haben. Ich will vorweg sagen, weil es Kritik gab: Hätten sie nicht so gehandelt, dann wäre dies nicht nur ein Anlaß für berechtigte Kritik, sondern auch für vielfältige Spekulationen über angebliche Uneinigkeit der sieben Staaten und für Fehldeutungen auf seiten der Verhandlungspartner der USA in Genf gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Erklärung von Williamsburg zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ist geprägt von der Entschlossenheit, den Frieden und die Sicherheit unserer Länder zu gewährleisten. Wir haben uns vor aller Welt dazu verpflichtet, unsere ganze Kraft dafür einzusetzen, Frieden durch bedeutsame Rüstungsminderung zu erreichen.
    Japans Entschluß, diese Erklärung mitzutragen, ist ein Signal dafür, daß die Gefahren für den Frieden in der Welt von heute nicht teilbar sind. Zugleich wird damit bewiesen, daß die sowjetische Überrüstung als globale Bedrohung empfunden wird.
    Die Bundesregierung schätzt es für die Sicherheit unseres Landes wie für die Sicherheit der verbündeten und befreundeten Staaten als außerordentlich wichtig ein, daß sich die freien Völker des Westens einschließlich Japans im Angesicht der Bedrohung einig und standfest zeigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist die Sicherheitspolitik der Atlantischen Allianz. Gemeinsam vertreten wir die Doppelstrategie des Harmel-Berichts: Abschreckung durch Fähigkeit und Willen zur Verteidigung wird ergänzt mit der Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit.
    Wir waren uns im Williamsburg einig: Die militärische Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses ist ein Faktor der Stabilität in den internationalen Beziehungen. Die militärischen Mittel der Atlantischen Allianz sind ausschließlich auf die Bewahrung der eigenen Sicherheit begrenzt. Sie bedrohen niemanden.
    Die Verpflichtung, die eigenen Waffen — konventionelle wie nukleare — niemals einzusetzen, es sei denn zur Abwehr eines Angriffs, soll Vertrauen schaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesrepublik Deutschland wie das Atlantische Bündnis verfolgen gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten keine aggressiven Ziele.
    Diese auf Verteidigung angelegte Strategie der Allianz braucht die enge Verknüpfung mit den Zielen und Möglichkeiten der Rüstungskontrolle. Das Ziel ist klar; es heißt: stabiles Gleichgewicht, und zwar auf möglichst niedrigem Niveau.
    Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, setzt sich dafür ein, daß künftig die Abrüstungsbemühungen enger aufeinander abgestimmt werden. Nur so lassen sich Bewegungsmöglichkeiten im Verlaufe der Verhandlungen deutlicher identifizieren und Fortschritte ermöglichen. Uns geht es dabei nicht darum, Verhandlungsforen zusammenzulegen; damit würden die Probleme eher komplizierter. Wir waren uns in Williamsburg darüber einig, daß das umfassende rüstungskontrollpolitische Angebot des Westens eine Gesamtkonzeption für Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung ist.
    Hinter dieser Konzeption steht die feste Überzeugung aller Teilnehmer in Williamsburg, daß Ost und West gleichermaßen auf Abrüstung und ein Klima des Dialogs und des Vertrauens angewiesen sind.
    Die Erklärung von Williamsburg zur Abrüstung und Rüstungskontrolle verweist darauf, daß von westlicher Seite Vorschläge für verschiedene Verhandlungen unterbreitet wurden, um zu positiven Ergebnissen zu gelangen: über die strategischen Waffen, über nukleare Mittelstreckenwaffen, über chemische Waffen, über die Reduzierung von Streitkräften in Mitteleuropa und über eine Konferenz über Abrüstung in Europa.
    Diese Verhandlungen werden mit großem Ernst und mit großem Nachdruck geführt. Wir — die Bun-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    desregierung — tun alles, um diese Verhandlungen zu unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sowjetunion weiß, daß wir an einem ausgewogenen Ergebnis der Genfer INF-Verhandlungen interessiert sind; nicht an einem Ergebnis um jeden Preis: nicht um den Preis der eigenen Sicherheit, nicht um den Preis der politischen Unabhängigkeit, nicht um den Preis der Gefährdung des Friedens.
    Wir stellen den sowjetischen Friedenswillen nicht in Frage. Wir fordern die Sowjetunion jedoch auf, diesen Friedenswillen durch konkrete Vereinbarungen jetzt in Genf unter Beweis zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht um Verhandlungen am Verhandlungstisch.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir haben in Williamsburg erneut deutlich gemacht, daß die Sowjetunion nicht durch eine Politik der Einschüchterung unserer öffentlichen Meinung erwarten kann, die Stationierung auf westlicher Seite zu verhindern, ohne selbst den Zustand der Bedrohung zu korrigieren, den sie durch die Aufstellung von SS-20-Raketen uns gegenüber geschaffen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn die sowjetische Führung den Fehler begehen sollte, die Wirkung ihrer eigenen Propaganda zu hoch und die Standfestigkeit westlicher Demokratien zu niedrig einzuschätzen, dann werden ihr die Tatsachen eine bittere Enttäuschung bereiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sowjetunion wäre schlecht beraten, würde sie ihre Verhandlungsstrategie in Genf auf eine solche Fehleinschätzung gründen.
    Meine Damen und Herren, wir sind bereit, auf der Basis der Gegenseitigkeit auf eine ganze Waffenkategorie, nämlich die landgestützten Mittelstreckenraketen, zu verzichten. Das ist in Wahrheit der Sinn der Null-Lösung, die wir auch weiterhin als Ideallösung jeder anderen vorziehen würden. Bis wir dieses Ziel erreichen, müssen Zwischenlösungen möglich bleiben und, wenn sie vernünftig ausgehandelt werden, selbstverständlich auch akzeptiert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht aber nicht an, daß die Sowjetunion das eigene Potential der Vorrüstung an modernen SS-
    20-Raketen bewahrt und jegliche Stationierung gleichwertiger Systeme auf westlicher Seite zu verhindern versucht. Die Sowjetunion kann nicht erwarten, daß diese Monopolstellung anerkannt wird. Wir halten es für wenig zweckdienlich, ja für gefährlich, von den westlichen Staaten zu fordern, ihren Friedenswillen durch einseitigen Verzicht oder einseitige Maßnahmen der Abrüstung unter Beweis zu stellen. Damit würde der Frieden nicht stabilisiert, sondern unsicherer gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wiederhole, was ich hier in meiner Regierungserklärung Anfang Mai gesagt habe: Wir verstehen das historisch begründete Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion. Wir können und wollen aber nicht hinnehmen, daß die Sowjetunion unsere Sicherheit durch Überrüstung bedroht. Übertriebenes Sicherheitsbedürfnis einer Partei schafft Unsicherheit für die andere, da es zum Streben nach Überrüstung und letztlich zur Hegemonie und Überlegenheit führt.
    Die westliche Position bei den INF-Verhandlungen ist flexibel. Allein die Struktur des NATO-Doppelbeschlusses läßt ein beträchtliches Ausmaß an Flexibilität zu. Mit dem amerikanischen Vorschlag für eine Zwischenlösung, den die Verbündeten aktiv mitgestaltet haben, verfügt der Westen über ein flexibles Verhandlungsinstrument. Es wurde dabei absichtlich ein nicht durch Zahlen festgelegter Lösungsrahmen vorgegeben, um der Sowjetunion die Möglichkeit einzuräumen, eine ihr annehmbare Lösung zu konkretisieren.
    Die jetzige sowjetische Verhandlungsführung läuft auf eine Blockierung der Verhandlungen hinaus: Alle Bewegungen, die die Sowjetunion in kleinen Schritten bisher in den Verhandlungen vollzogen hat, waren immer auf das gleiche, unverrückbare Ziel gerichtet: das eigene Potential der Vorrüstung an modernen SS-20-Raketen und damit die eigene Monopolstellung zu bewahren und gleichzeitig jegliche Modernisierung und Stationierung gleichwertiger Systeme auf der Seite des Westens zu verhindern.
    Ein wesentliches Instrument dieser Maximalposition ist die sowjetische Haltung in bezug auf die Drittstaatensysteme, an denen sie den Umfang ihrer Vorrüstung ausrichten möchte. Dies wurde von allen Teilnehmern in Williamsburg entschieden abgelehnt. Die sowjetische Position zu den Drittstaatensystemen zielt darauf ab, uns schutzlos zu machen. Sie enthält das Verbot für die Modernisierung der amerikanischen Nuklearwaffen in Europa bei gleichzeitiger Aufrüstung der Sowjetunion. Sie ist der sowjetische Hebel zur Verdrängung der nuklearen Präsenz der USA aus Europa. Langfristig soll damit ihre verteidigungspolitische Präsenz beseitigt werden.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, uns in der Bundesrepublik und unseren Freunden geht es nicht um die militärische Überlegenheit; uns geht es um Gleichgewicht; nicht Gleichgewicht durch Rüstungswettlauf, sondern Gleichgewicht durch wirkliche und kontrollierte Abrüstung auf einem möglichst niedrigen Niveau der militärischen Kräfte. Nicht wir wollen das Gleichgewicht zu unseren Gunsten verändern. Wir wollen, daß das von der Sowjetunion geschaffene Ungleichgewicht endlich beseitigt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Drohungen helfen dabei nicht. Die Sowjetunion kann nicht hoffen, einen Keil zwischen uns und unsere Verbündeten treiben zu können. Wir können und werden Drohungen widerstehen, weil wir uns auf unsere Verbündeten verlassen können.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Die Sowjetunion hat in den vergangenen Tagen erneut versucht, auf die westliche Öffentlichkeit Einfluß zu nehmen: Als Gegenmaßnahme zu einer möglichen Dislozierung amerikanischer Mittelstreckenraketen hat sie gedroht, ihre Aufrüstung mit SS-20-Raketen im westlichen Teil der Sowjetunion fortzusetzen und zusätzliche Mittel in Abstimmung mit anderen Staaten des Warschauer Paktes zu ergreifen.
    Wer bis jetzt nicht bereit war zuzugeben, daß die Sowjetunion militärische Mittel — und dazu gehören die SS 20 — als Mittel der politischen und militärischen Druckausübung auf andere Staaten einsetzt, mag sich nach der Drohung mit Gegenmaßnahmen jetzt eines besseren belehrt sehen.
    Wer sowjetisches Einlenken in Genf wünscht — und ich denke, wir wünschen es alle und mit allem Nachdruck —, darf in Moskau nicht die Hoffnung aufkommen lassen, die Nachrüstung doch noch auf einem anderen Weg verhindern zu können. Wer den engen Zusammenhang zwischen den beiden Teilen des Doppelbeschlusses auflöst, gefährdet in Wahrheit den Erfolg der Verhandlungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nur wenn der Sowjetunion unmißverständlich klar ist, daß wir zu dem stehen, was wir im Bündnis beschlossen haben, ist auch ein ausgewogenes Ergebnis in Genf zu erwarten.
    Für die Politik der Bundesrepublik Deutschland sollten eigentlich folgende Positionen unbestritten sein:
    Erstens. Wir sind bereit, die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu respektieren. Wir sind jedoch nicht bereit, Westeuropa — und damit die Bundesrepublik Deutschland — als eine Zone minderer Sicherheit zu akzeptieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen müssen auf dem Grundsatz der Gleichheit beruhen, und sie müssen verifizierbar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Drittens. Eine Berücksichtigung der französischen und der britischen Systeme hat in den INF-Verhandlungen keinen Platz.
    Viertens. Wir streben eine Reduzierung der sowjetischen Mittelstreckenpotentiale gegen Europa auf Null an und sind bereit, dafür auf die Dislozierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu verzichten. Wenn es zu keinem Ergebnis kommen sollte, weil die Sowjetunion dazu nicht bereit ist, wird gemäß Doppelbeschluß stationiert werden. Sollte ein Zwischenergebnis erzielt werden, so wird sich der Umfang der Stationierung nach dem konkreten Verhandlungsergebnis richten.
    Fünftens. Eine Verlagerung des gegen Europa gerichteten sowjetischen nuklearen Mittelstreckenpotentials nach Fernost ist für uns nicht hinnehmbar.
    Sechstens. Die Sowjetunion bleibt aufgefordert, eine Einigung nicht dadurch zu verhindern, daß sie sich durch verstärkte Rüstung in Fernost ein neues hegemoniales Machtmittel gegenüber ihren asiatischen Nachbarn und zugleich ein verlegbares Dispositionspotential gegenüber Westeuropa verschafft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ebenso sollte sie die Dislozierung neuer Nuklearraketen in der westlichen Sowjetunion und in den anderen Staaten des Warschauer Paktes einstellen, damit ein Verhandlungskompromiß nicht bereits unterlaufen wird, während er abgeschlossen werden könnte.
    Die Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle bleiben eingebettet in den Gesamtzusammenhang der Ost-West-Beziehungen.
    Wir wollen eine neue und, wenn möglich, bessere Qualität der Beziehungen zur Sowjetunion und zu den Staaten des Warschauer Paktes. Wir streben an, die Gespräche mit den osteuropäischen Staaten, insbesondere mit der Sowjetunion, auf allen Ebenen zu führen und, wenn möglich, zu vertiefen. Auch dazu haben sich die Teilnehmer von Williamsburg ausdrücklich bekannt.
    Wir streben den baldigen Abschluß des Madrider KSZE-Folgetreffens an. Die westlichen Verbesserungswünsche für die vorliegenden Schlußdokumente sind nicht gegen die Sicherheitsinteressen anderer Teilnehmerstaaten gerichtet. Wir appellieren an die Sowjetunion, den Abschluß in Madrid nicht durch eine Verweigerung des Dialogs zu verhindern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Westen hat seine Bereitschaft zur Aufnahme baldiger Schlußverhandlungen immer wieder demonstriert. Die Sowjetunion muß erkennen, daß sie bei einer Politik des Abwartens nicht mit einer allmählichen Aufweichung westlicher Positionen rechnen kann. Wenn sie sich verweigert, so müßte sie die Verantwortung für einen Mißerfolg der Verhandlungen in Madrid übernehmen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, für uns gilt, daß der Sinn für das Machbare jetzt unser Vorgehen bestimmen muß. Wir begrüßen die Dialogbereitschaft über die westlichen Verbesserungswünsche, die in der rumänischen Haltung zum Ausdruck kommt. Wir begrüßen insbesondere die erneuten Bemühungen der Neutralen und Ungebundenen.
    Wir stehen zu der Auffassung, daß beiderseits vorteilhafter Handel mit dem Osten zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen wesentliches Element der Stabilisierung im Verhältnis zwischen Ost und West bleibt. Das war auch die übereinstimmende Auffassung in Williamsburg. Niemand will einen Wirtschaftskrieg. Aber jeder ist sich klar, daß unser Handeln im Einklang mit unseren Sicherheitsinteressen stehen muß.
    Am 4. Juli werde ich nach Moskau reisen. Ich habe die Einladung in die Sowjetunion sehr begrüßt. Für uns ist es selbstverständlich, daß wir das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen der Sowjetunion intensiv führen wollen. Ich begrüße, daß die sowjetische Führung dies ebenso sieht.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Bei diesem ersten Besuch geht es mir um das persönliche Kennenlernen der neuen sowjetischen Führung; es geht mir darum, die Verdeutlichung unserer Politik konstruktiver und — wenn möglich — gutnachbarlicher Beziehungen zur Sowjetunion zu erreichen, und um die wichtige Gelegenheit, auch mit der sowjetischen Führung über die westlichen Rüstungskontrollvorschläge zu sprechen. Ich führe diese Gespräche auf der Grundlage der festen Verankerung der Bundesrepublik Deutschland in der westlichen Gemeinschaft, als Teil der Allianz, als Teil der Europäischen Gemeinschaft. Gerade dies begründet unsere Glaubwürdigkeit bei den östlichen Gesprächspartnern.
    Der Gipfel in Williamsburg und der Europäische Rat in Stuttgart garantieren die enge Abstimmung mit unseren Freunden und Verbündeten. Wir sind in Moskau nicht Vermittler oder Dolmetscher. Wohl aber werden wir die deutschen Interessen selbstverständlich entschieden vertreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden auch sehr aufmerksam darauf hören, was unsere sowjetischen Gesprächspartner uns zu sagen haben. In diesem Sinne hoffe ich, daß der Besuch in Moskau auch den laufenden Verhandlungen nützlich ist. Die Gelegenheit sollte nicht vertan werden.
    Meine Damen und Herren, in wenigen Tagen tritt in Stuttgart der Europäische Rat zusammen. Er wird von hochgespannten Erwartungen der Öffentlichkeit begleitet. Die Erwartungen richten sich auch an die deutsche Präsidentschaft. Wir bemühen uns, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Wir bereiten den Europäischen Rat mit aller Sorgfalt, mit einem hohen persönlichen Einsatz der beteiligten Minister und mit intensiven Beratungen in Brüssel und Konsultationen mit unseren Partnern vor.
    Ich muß aber deutlich sagen, daß der Europäische Rat nur dann den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten zu Kompromissen und Beiträgen bereit sind. Das wird alle Opfer kosten. Auch bei uns.
    Durch die Europäische Gemeinschaft ist der über die Jahrhunderte in sich zerrissene Kontinent — das alte Abendland —, ist Westeuropa zu einer Zone des Friedens, zu einer Zone politischer Stabilität und beispielhafter Zusammenarbeit geworden. Ich glaube aber — und ich denke, diese Meinung teilen viele hier im Hohen Hause —, daß wir quer durch alle Länder politisch in Sachen Europa zu bequem geworden sind. Zu viele haben sich zu lange darauf verlassen, daß die Gemeinschaft von allein funktioniert.
    Heute stehen wir vor der schwierigen Lage, daß Westeuropa, daß die Gemeinschaft Gefahr läuft zu stagnieren, ja, daß der Zusammenhalt unter ihren Mitgliedstaaten gelockert wird: wenn wir nicht bereit sind, einen neuen Anlauf zu nehmen, der Gemeinschaft neue Kraft zu geben; wenn wir nicht bereit sind, durch unser Verhalten neues Vertrauen in den Fortgang der europäischen Einigung herzustellen.
    Ich glaube, daß wohl alle Partner in der Europäischen Gemeinschaft in den vergangenen Wochen und Monaten deutlicher gespürt haben, daß die Gemeinschaft nur aus gemeinsamen Anstrengungen aller lebt und daß sie nicht eine Bank ist, bei der man ein Konto unterhält, auf das man so wenig wie möglich einzahlt, um dann um so mehr abheben zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es geht in der Tat wieder darum, sich auf die Gründungsväter der Gemeinschaft zu besinnen, auf die europäische Vision, auf die Vision einer politischen Einigung, die Robert Schuman, Alcide de Gasperi, Paul Henri Spaak, Konrad Adenauer und viele andere bewegt haben. Es geht darum, die europäische Solidarität wieder lebendig werden zu lassen und zu stärken.
    Alle Regierungen der Partnerstaaten in der Gemeinschaft haben gesehen, daß sie nicht ungestraft allzu lange aus dem wirtschaftspolitischen Tritt kommen dürfen. Es bleibt eine der wichtigsten Aufgaben und Vorgaben für europäische Politik, die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten untereinander besser zu koordinieren und die wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten und einzelnen Regionen zu fördern. Wer glaubt, allein vorangehen zu können, schadet nicht nur sich selbst, sondern allen Partnern.
    Zur europäischen Solidarität gehört auch die Solidarität in sicherheitspolitischen Fragen. Dabei will ich in keiner Weise die Zuständigkeiten in der Gemeinschaft ändern. Wohl aber ist es wichtig, ja unerläßlich, daß wir auch unter den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ein klares gemeinsames Verständnis für die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen unserer Sicherheit entwickeln. Das Bündnis braucht in Europa einen starken Stützpfeiler.
    Wichtige Aufgaben sind von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten zu erledigen: Ein Ziel bleibt die Vollendung des Binnenmarktes. Alle Mitgliedstaaten sind existentiell auf das reibungslose Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarktes angewiesen. Dieser Markt übt auch große Anziehungskraft auf Drittländer aus. Wir müssen diese Anziehungskraft als Chance nutzen und dürfen nicht versuchen, uns furchtsam hinter protektionistische Schranken zurückzuziehen. Unser großer innerer Markt erleichtert es uns, von Dritten freien Zugang zu ihren Märkten zu verlangen. Europa wird stark sein, wenn es sich dem Wettbewerb stellt, bei sich zu Hause wie draußen in der Welt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der bevorstehende Beitritt Portugals und Spaniens verlangt zusätzliche Anstrengungen von uns, wie natürlich auch von den Beitrittskandidaten. Vorrangig bleibt uns aufgegeben, das Notwendige zu tun, unsere Volkswirtschaften wieder in Gang zu bringen, die Investitionen zu beleben und so die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, zu bekämpfen. Hier sind vorrangig die einzelnen Mitgliedstaaten gefordert. Aber die Gemeinschaft kann begleitend hilfreich sein. Der



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    jüngste Beschluß der Arbeits- und Sozialminister der Gemeinschaft konzentriert die Mittel des Sozialfonds auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, und zwar in einer Größenordnung von über 4 Milliarden DM.
    Die Gemeinschaft muß sich auch verstärkt den Fragen zuwenden, die Hochindustrialisierung, moderne Technologie und die Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen an uns stellen. Diese Fragen haben längst eine europäische Dimension, die von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten als politische Aufgabe begriffen und angepackt werden muß. Dies gilt — ich wiederhole es noch einmal — vorrangig für das Problem des Waldsterbens, das nur durch gemeinschaftliche und internationale Maßnahmen zu lösen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zur Erledigung dieser Aufgaben müssen alle Kräfte der Gemeinschaft, müssen alle Formen der Zusammenarbeit in der Gemeinschaft unter ihren Institutionen und den Mitgliedstaaten zusammengefaßt und auch effizienter gestaltet werden. Dies ist der Sinn einer der wichtigsten Anstöße, die wir mit der deutsch-italienischen Initiative, der Genscher-Colombo- Initiative, verfolgen.
    Die immer wieder erneute Auseinandersetzung um den Gemeinschaftshaushalt hat der Gemeinschaft sehr geschadet. Sie hat auch die irrige Ansicht gefördert, daß sich der Vorteil, den die einzelnen aus der Gemeinschaft ziehen, nur am Umfang der Nettoerstattungen aus dem Haushalt messen läßt.
    Dennoch — das sei hier klar gesagt — handelt es sich bei der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts um Größenordnungen, die wir nicht vernachlässigen können — insbesondere in einer Zeit, da Haushaltsmittel überall knapp sind. Wenn wir, meine Damen und Herren, hier in der Bundesrepublik im Bereich des nationalen Haushalts für 1984 bittere Einsparungen in einer Größenordnung von 6,5 Milliarden DM vornehmen, müssen wir auch darauf bestehen, daß in der Europäischen Gemeinschaft eine strengere Haushaltsdisziplin erreicht und die notwendigen Haushaltsumstrukturierungen vorgenommen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Uns ist daher die Aufgabe gestellt, durch Stabilisierung der Gemeinschaftsfinanzen und eine Begrenzung der Ausgabendynamik einschließlich des Abbaus von Unausgewogenheiten im EG-Haushalt wieder eine solide Grundlage für die Tätigkeit der Gemeinschaft zu schaffen. Dies ist die Voraussetzung für die notwendige Weiterentwicklung der europäischen Integration und für die Verwirklichung der Erweiterung der Gemeinschaft.
    Wer sich dieser Aufgabe völlig verweigern will — es gibt solche Stimmen in Europa —, sollte daran denken, welchen Nutzen der Europäischen Gemeinschaft er aufs Spiel zu setzen bereit ist. So gingen beispielsweise 1982 48 % unserer Ausfuhren in Länder der Gemeinschaft. Das sind 13 % unseres Bruttosozialprodukts. Gerade wir Deuchen haben in der Tat keine Alternativen zu Europa.
    In Stuttgart müssen diese vielfältigen Anstrengungen in konkrete Leitlinien umgewandelt werden. Da sie nicht isoliert gesehen werden können, sondern in einem politischen und sachlichen Zusammenhang stehen, bedarf es einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung. Sie setzt echten, wechselseitigen Interessenausgleich voraus, um zu wirklichen Fortschritten in der Sache zu kommen.
    Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, dazu ihren Beitrag zu leisten, und zwar nicht nur auf Grund der besonderen Verantwortung, die sie jetzt in der Präsidentschaft trägt, sondern auch als ein Mitgliedstaat, der auf Grund seiner politischen Interessen sich für diese Gemeinschaft in hohem Maße mitverantwortlich fühlt.
    Meine Damen und Herren, wir sind ein geteiltes Land. Die Einheit Deutschlands, die Einheit der Nation kann nur im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung erreicht werden. Wir Deutschen brauchen Europa mehr als alle anderen auf diesem Kontinent.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage dies im Wissen um die Bereitschaft der großen Mehrheit unseres Volkes, diesen Weg nach Europa zu bejahen und in diesen Jahrzehnten auch notwendige Lasten zu übernehmen, um die Fortsetzung und Weiterentwicklung des europäischen Einigungswerks zu erreichen. Ich glaube, man darf sagen: Seit Konrad Adenauers bahnbrechender Entscheidung zugunsten der europäischen Einigung ist sich die Mehrheit unseres Volkes in diesem Punkte treu geblieben.
    Europapolitik war bei aller Unterschiedlichkeit in einzelnen Bereichen und Zielen stets von einem breiten Konsens aller verantwortlichen demokratischen Kräfte im Deutschen Bundestag getragen. Ich bin in diesen Fragen, die ganz gewiß schwierig und oft auch kontrovers sind, selbstverständlich zu einem offenen Gespräch bereit. Europapolitik darf nach meiner Überzeugung nicht zu einem Feld egoistischer parteipolitischer Profilierung werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im übrigen stehen wir alle 1984 vor der zweiten Direktwahl zum Europäischen Parlament. Dort werden die Parteien von unseren Mitbürgern, von unseren Wählern, danach gewogen werden, was sie für die europäische Einigung getan haben und zukünftig tun wollen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe in meiner Regierungserklärung vom 4. Mai gesagt, daß ich unsere Erwartung an die europäische Einigung nicht nach Monaten und Jahren und nicht allein nach Konferenzen und Beschlüssen bemesse. Wir müssen in historischen Zeiträumen denken; aber wir müssen heute handeln, wenn es uns möglich ist, damit morgen Wirklichkeit wird, was wir



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    immer wollten: der Bau der Vereinigten Staaten von Europa.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [SPD]: War es das?)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Guten Morgen!

    (Heiterkeit und Beifall)

    — Das war gedacht, meine Damen und Herren, Sie vielleicht nach der ersten Stunde etwas wacher zu machen. Dafür bestand Bedarf.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Ihre Fraktion muß man erst einmal aus den Betten holen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Vogel als Wecker!)

    Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Volk und viele andere Völker haben der Begegnung, von der soeben berichtet worden ist, mit Erwartung entgegengesehen. Sie, Herr Bundeskanzler, und viele Sprecher Ihrer Koalition haben diese Erwartung in den Wochen vorher noch gesteigert. Auch ohne diese Ankündigungen hatten die Völker für die Erwartung, in Williamsburg werde gehandelt, dort werde nicht nur geredet, sondern etwas getan, um der krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft zu begegnen, Gründe genug.
    Sie und Ihre Freunde reden ständig von der Wende. Hier, auf diesem Gebiet, erwarten die Völker tatsächlich eine Wende, die Wende einer weltwirtschaftlichen Entwicklung, die zu einer überaus bedrohlichen Situation geführt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie war diese Situation vor Williamsburg? Allein in den westlichen Industrieländern sind 32 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind mehr Menschen, als die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammen an Einwohnern haben. Die realen Zinsen bewegen sich auf einer extremen Höhe und beginnen erneut zu steigen. Das amerikanische Haushaltsdefizit erreicht immer neue Rekordhöhen. Die Wechselkurse zeigen hektische Ausschläge und hemmen die Entwicklung des Handels. Viele Entwicklungsländer bewegen sich infolge der hohen Zinsen, des steigenden Dollarkurses und niedriger Rohstoffpreise am Rande der Zahlungsunfähigkeit und drohen selbst die Fortschritte wieder einzubüßen, die sie in den letzten Jahren mühsam genug gemacht haben. Handelsbeschränkende Maßnahmen greifen mehr und mehr um sich, und protektionistische Subventionen sind schon fast eine Selbstverständlichkeit.
    In der Bundesrepublik bewegen wir uns auf einen neuen Rekord der Firmenzusammenbrüche zu. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 1982 sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nahezu 10 % mehr Firmenzusammenbrüche zu verzeichnen.

    (Franke [Hannover] [SPD]: Wende!)

    Das, Herr Bundeskanzler, ist die ungeschminkte Realität. Und Sie hätten gut daran getan, diese Realität nüchtern und ohne Umschreibung an den Anfang der Gipfeldokumente und auch an den Anfang Ihrer heutigen Erklärung zu stellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sind doch sonst auch nicht so zimperlich, wenn es um die Darstellung wirtschaftlicher Gegebenheiten geht, etwa der Gegebenheiten in der Bundesrepublik am Tage Ihres Amtsantritts im Oktober 1982. Da haben Sie an grellen Schockfarben nicht gespart. Heute malen Sie im Vergleich dazu in recht zarten Pastelltönen.
    Vielleicht liegt das an der idyllischen Atmosphäre Ihres Tagungsortes, an dem nostalgischen Ausflug in die Kolonialzeit des 18. Jahrhunderts, den Sie mit allem Zubehör, das zu einem solchen Ausflug gehört — einschließlich aller malerischen Details einer vorindustriellen Agrarzeit —, unternommen haben. Ist Ihnen übrigens die feine Ironie aufgegangen, die darin liegt, daß Sie die Probleme der Industriegesellschaft in einem Milieu behandelt haben, in dem kein einziges dieser Probleme real gegenwärtig war?

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Was sollte er denn machen? — Rühe [CDU/CSU]: Wie war das denn mit Versailles?)

    Da hatte die Realität offenbar keine Chance.

    (Broll [CDU/CSU]: Versailles kennt er gar nicht!)

    Da saßen die Völker, da saßen die Arbeitslosen, da saß die bittere Not der Entwicklungsländer auch im übertragenen Sinne kaum mit am Tisch.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Aber in Versailles!)

    Nichts gegen internationale Gastfreundschaft und internationales Protokoll, und erst recht nichts gegen Stil und Würde. Aber ich frage allen Ernstes: Wäre es nicht erwägenswert, daß ein solches Gipfeltreffen auch einmal in einem Zentrum der Arbeitslosigkeit, in einer durch den Strukturwandel hart betroffenen Region stattfinden könnte,

    (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: In Versailles?)

    etwa in Detroit

    (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Das hätten Sie schon Herrn Schmidt sagen sollen!)

    oder in der Borinage zwischen Lüttich und Charleroi oder im Ruhrgebiet

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist doch Schau!)

    oder im nächsten Jahr in Liverpool oder in Birmingham?

    (Zustimmung bei der SPD)




    Dr. Vogel Auch dort

    (Broll [CDU/CSU]: Aber da wird konservativ gewählt!)

    ließe sich durchaus mit Stil und Würde verhandeln. Die Begegnung mit den harten Realitäten mag schmerzlich sein;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

    der Würde tut eine solche Begegnung keinen Abbruch.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Niveaulos!)

    Wie dem auch sei: Hat Williamsburg die Wende von der weltwirtschaftlichen Krise zur weltwirtschaftlichen Erholung oder wenigstens konkrete Schritte zu einer solchen Wende gebracht? Was wird sich denn an der Realität konkret ändern? Ich fürchte, trotz der wortreichen Dokumente und trotz Ihrer heutigen nicht minder wortreichen Erklärung wenig, wenn überhaupt etwas.
    Gewiß, es gibt einzelne positive Ansätze. Das will ich nicht leugnen. Richtig ist erstens die Selbstverpflichtung, den protektionistischen Tendenzen dadurch Einhalt zu gebieten, daß wettbewerbsverzerrende Beschränkungen und Subventionen abgebaut werden. Gerade wir haben ein massives Interesse daran, daß die Zerstörung der offenen gegenseitigen Handelssysteme nicht weiter fortschreitet.
    Aber was geschieht denn konkret? Werden die EG-Partner die für unsere Stahlproduktion existenzgefährdende Subventionierung ihrer Altanlagen vom Beginn dieses Jahrhunderts nun endlich einstellen?

    (Beifall bei der SPD)

    Sind Sie bereit, Herr Bundeskanzler, die EG-Agrarmarktordnung in Wahrnehmung Ihrer besonderen Verantwortung während der deutschen Präsidentschaft so zu beeinflussen, daß die USA und viele andere Länder den Absatz der Überschußproduktion nicht geradezu als Herausforderung für ihre Handelssysteme empfinden müssen?

    (Beifall bei der SPD)

    Zu begrüßen ist zweitens, daß der Ost-West-Handel diesmal nicht Gegenstand von Versuchen war, ihn als Kampfmittel in der Auseinandersetzung der Weltmächte zu instrumentalisieren. Aber manche Andeutungen zeigen, daß die Sache nicht ausgestanden ist. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung, wenn sie hier wachsam bleibt. Im übrigen: Wer dafür sorgt, daß sein Weizen blüht, sollte anderen nicht gram sein, wenn sie sich um ihre Röhren und um ihre Maschinen kümmern.

    (Beifall bei der SPD)

    In aller Freundschaft: Was den Farmern in Idaho und Indiana recht ist, das ist den Arbeitern bei Mannesmann in Essen und bei der Salzgitter AG, um nur zwei Beispiele zu nennen, weiß Gott billig.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Anzuerkennen ist schließlich die Absicht, beim Umweltschutz verstärkt zusammenzuarbeiten. Aber auch hier müssen Taten folgen. Außerdem darf die Notwendigkeit internationaler Kooperation nicht als billige Entschuldigung für nationale Untätigkeit gelten. Dies sage sich unter dem Eindruck der Debatte in der letzten Sitzungswoche im Hinblick auf die Einführung bleifreien Benzins hier in unserem Bereich.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit, Herr Bundeskanzler, sind aber die positiven Elemente der Beschlüsse von Williamsburg im wesentlichen auch schon erschöpft.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Dann haben Sie sie nicht gelesen!)

    Was bleibt, ist die vage Hoffnung, es werde einen weltweiten Aufschwung geben und der werde die Probleme dann schon lösen. Das ist die gleiche Philosophie, nach der Sie auch die nationale Wirtschaftspolitik betreiben oder — besser — nicht betreiben. Hier wie dort sagen Sie, die Arbeitslosigkeit werde zurückgehen, wenn der Staat seine Ausgaben und seine sozialen Aufwendungen kürze, wenn man die sogenannten Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und des Marktes gewähren lasse und sich im übrigen darauf beschränke, die Angebotsbedingungen zu verbessern. Dann komme der Aufschwung, dann beschleunige sich das Wachstum, dann werde alles gut, dann werde wieder alles, wie es früher war.
    Wir sagen: Das ist eine Illusion, eine nostalgische Illusion, das greift viel zu kurz, und zwar auch im internationalen Maßstab.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Natürlich, wir wünschen Aufschwung, aber wir unterscheiden uns von Ihrer wirtschaftspolitischen Philosophie in zwei wesentlichen Punkten: Anders als Sie glauben wir nicht, daß wirtschafts- und beschäftigungspolitische Untätigkeit zu Wachstum der Wirtschaft führt. Wir wissen, daß Wachstum allein die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen, ja nicht einmal fühlbar vermindern wird. — Einzelne aus Ihren Reihen, wie etwa Herr Biedenkopf, haben ja schon damit begonnen, die Wähler — Ihre Wähler — auf diese Einsicht einzustimmen. Diese Ehrlichkeit bekommt ihm aber nicht sonderlich gut, wie wir verfolgen können. —

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb beklagen wir, daß die Industrieländer ohne Probleme oder mit geringen Problemen in der Zahlungsbilanz und bei der Inflationsbekämpfung wie die Bundesrepublik, Japan und auch Großbritannien in Williamsburg keine gemeinsame Aktion zur aktiven Wachstumsförderung zustande gebracht haben. Warum haben Sie nicht auf eine solche internationale Beschäftigungsinitiative, auf einen internationalen Beschäftigungspakt gedrängt?

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Statt dessen bringen Sie als Botschaft vom Gipfel die Forderung nach weiterer Einschränkung der Massenkaufkraft und der staatlichen Nachfrage mit. Das Wort „Nachfrage" kommt in den Williamsburger Texten übrigens überhaupt gar nicht vor. Wir sagen: Das kann nicht gut gehen.



    Dr. Vogel
    Schlimmer noch ist, daß Sie in der Hochzinsfrage mit leeren Händen nach Hause gekommen sind.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Schmidt seinerzeit!)

    Es wird keinen nachhaltigen Aufschwung in der Weltwirtschaft geben, solange die Realzinsen so extrem hoch bleiben, wie sie heute sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Zinsen werden nicht sinken, solange das amerikanische Haushaltsdefizit allein für 1983 die astronomische Höhe von rund 500 Milliarden DM erreicht und in den Folgejahren kaum wesentlich darunterliegen soll.

    (Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

    Da werden dann eben Auslandsgelder angezogen und die Zinsen ebenso in die Höhe gedrückt wie der Kurs des US-Dollars.
    Eine solche Fiskalpolitik und die auch weiterhin zu erwartende restriktive Geldmengenpolitik sind jedenfalls mit den Wachstumserwartungen, die in Williamsburg offenbar gehegt wurden, Wachstumserwartungen von 4 oder 5 %, nicht vereinbar. Im Zusammenhang damit erhöhen sich dann für viele Länder die Leistungsbilanzdefizite, was wiederum zum Protektionismus anreizt. In den Entwicklungsländern werden überdies die Verschuldungsprobleme verschärft. Jedes Prozent Zinssenkung würde dort zu einer Entlastung von etwa vier bis fünf Milliarden DM führen, Milliarden, die dann zur Entschuldung oder als kaufkräftige Nachfrage auch auf unseren Märkten zur Verfügung stünden.
    Und auch wir leiden: Auftriebstendenzen werden sogleich abgewürgt; die Bundesbank verliert an Spielraum. Nicht umsonst, sondern in diesem Zusammenhang sind die Zinsen für Hypotheken mit längerer Laufzeit bei uns in den letzten Tagen um ein ganzes Prozent gestiegen. Für die neue Bundesanleihe müssen effektiv 8,33 % Zinsen gezahlt werden, nachdem wir vor wenigen Wochen bei vergleichbaren Länderanleihen noch bei 7,5% standen. Der Kapitalmarkt, und zwar weltweit, hat sein Urteil über Williamsburg bereits gesprochen, und es ist kein positives Urteil.

    (Beifall bei der SPD)

    Jeder kennt auch die Ursachen des amerikanischen Haushaltsdefizits. Sie liegen strukturell vor allem in den nach Ansicht auch amerikanischer Experten gewaltig überhöhten Rüstungsausgaben und den gleichzeitigen drastischen Steuersenkungen. Hinzu kommt der durch die Rezession bedingte konjunkturelle Anteil des Defizits.
    Sie sehen das ja in Wahrheit offenbar auch nicht viel anders. Nach Ihrer Rückkehr hat Herr Boenisch am letzten Mittwoch tapfer erklärt, Sie hätten es in Übereinstimmung mit Ihren Kabinettskollegen als ärgerlich und bedrückend bezeichnet, daß die USA auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg nicht auf die nachdrückliche Forderung der Europäer nach Senkung ihrer Zinsen eingegangen seien. Dies stelle eine schlimme Belastung für die Weltwirtschaftsentwicklung dar.
    Da kann man nur sagen: Sehr wahr, Herr Bundeskanzler! Sie hätten unseren Beifall bekommen, wenn Sie dies hier von dieser Stelle aus mit derselben Deutlichkeit und Klarheit ausgesprochen hätten.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Hat er doch!)

    Aber wie war das eigentlich in Williamsburg?

    (Roth [SPD]: Gekniffen!)

    Haben Sie dort für eine Verringerung der Rüstungsprogramme geworben?

    (Rühe [CDU/CSU]: Null-Lösung!)

    Haben Sie dargelegt, Herr Bundeskanzler, daß die Sicherheit und Schutzfähigkeit der Industrieländer durch eine andauernde Weltwirtschaftskrise, durch eine Zunahme derArbeitslosigkeit viel nachhaltiger gefährdet werden als dadurch, daß sich die Produktion immer neuer Raketensysteme verzögert oder in die Länge zieht?
    Hier besteht doch ein innerer Zusammenhang. Ich wiederhole: Die wirtschaftlichen und sozialen Schäden, die auf diese Weise unserer Gesellschaft, insbesondere aber auch den Völkern der Dritten Welt zugefügt werden, die Verbitterung, die sich gerade dort gegenüber den westlichen Industrienationen breit macht, lassen sich doch durch Raketen nicht überwinden; j a, ich sage: Sie lassen sich dadurch noch nicht einmal in Schach halten.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Billige Polemik!)

    Haben Sie diesen Zusammenhang angesprochen? Haben Sie auf einen neuen weltweiten Marshallplan gedrängt? Da geht es doch gar nicht um den Begriff, sondern um die Sache. Das ist eine Sache — ich werde nicht müde, das zu wiederholen —,

    (Rühe [CDU/CSU]: Sie sind schon müde!)

    die sich leicht finanzieren ließe, wenn die beiden großen Bündnissysteme nur auf einen Teil ihrer Rüstungsausgaben von gegenwärtig mehr als 600 Milliarden Dollar oder 430 Milliarden Rubel verzichten würden.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihre eigene Devise lautet doch: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.
    Ich fürchte, die ehrliche Antwort auf alle diese naheliegenden, aber von Ihnen bisher nicht beantworteten Fragen lautet: Nein. Statt dessen werden die Entwicklungsländer im Kommuniqué von Williamsburg mit Sätzen abgespeist wie „Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Fluß finanzieller Mittel, insbesondere der öffentlichen Entwicklungshilfe". — Donnerwetter! Gab es denn diese Aufmerksamkeit bisher nicht?

    (Zuruf des Abg. Wissmann [CDU/CSU])

    Was sollen denn solche glatten Selbstverständlichkeiten? Glauben Sie wirklich, daß die betroffenen
    Länder in der Dritten Welt solche Sätze als Aus-



    Dr. Vogel
    druck von Verständnis und Hilfsbereitschaft empfinden?

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei ist gerade diese Entwicklung doch auch für die Bundesrepublik von Bedeutung, weil unser Export auch auf die Märkte dieser Entwicklungsländer angewiesen ist. Wir spüren doch schon, wie die Schwierigkeiten der Entwicklungsländer auf unsere Auftragsbestände durchschlagen. Die bisherige Finanzierung wachsender Teile der großen Leistungsbilanzdefizite dieser Länder durch private Kredite erweist sich ebenfalls als überaus problematisch. Die daraus erwachsenden Zins-, Tilgungs-
    und Umschuldungsprobleme sind doch mit den bisherigen Instrumenten kaum lösbar. Notwendig sind vielmehr Verhandlungen mit dem Ziel, das für das Programm der Weltbank zur Finanzierung von Strukturanpassungsmaßnahmen mehr Mittel bereitgestellt werden. Zusätzliche Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds könnten die Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer erleichtern. Auch insoweit sind die Ergebnisse des Gipfels nicht konkret und deshalb unbefriedigend.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die hohen Realzinsen beleben auch die Diskussion um die Weltwährungsordnung immer wieder aufs neue. Sie sagen dazu in der Abschlußerklärung von Williamsburg — ich zitiere —: Unter Wahrung unserer jeweiligen Handlungsfähigkeit seien wir bereit, koordiniert in die Wechselkursmärkte in den Fällen einzugreifen, in denen man sich über die Nützlichkeit eines Eingreifens einig sei. Ein fabelhafter Satz. Er ist offenbar von demselben unbekannten Verfasser formuliert worden, der zu Ihrer Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 den Satz beigesteuert hat: Das Tor zur Zukunft stehe weit offen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Das Problem besteht doch gerade darin, Herr Bundeskanzler, daß man sich über die Nützlichkeit des Eingreifens in Williamsburg offenbar nicht einig geworden ist, daß es die Einigkeit in diesem Punkt nicht gibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Fazit lautet: Es ist gut, daß der Gipfel stattgefunden, daß man miteinander gesprochen hat.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja schon großzügig!)

    Wir sehen einzelne positive Ansätze, aber das Gesamtergebnis ist nicht nur unbefriedigend, nein, es ist enttäuschend. Es ist sogar kontraproduktiv, weil wir als Ergebnis von Williamsburg in den Tagen danach schon einen weiteren raschen Zinsanstieg und weitere Währungsprobleme feststellen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Außerdem: Wir stehen doch mit dem Urteil nicht allein. Sprecher aller Fraktionen des Europäischen Parlaments, also auch der Ihren, haben sich in der gestrigen Debatte ebenso geäußert, wie ich das tue.
    Und der französische Staatsprasident, auf den Sie sich doch sonst so gerne und so häufig berufen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt hören wir gespannt zu!)

    hat gestern abend sogar erklärt, Frankreich werde in Zukunft möglicherweise nicht mehr an Gipfeltreffen dieser Art teilnehmen, wenn sie in gleicher Weise wie in Williamsburg abgehalten würden. Er fuhr fort, der Gipfel der sieben führenden westlichen Industrienationen habe die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt; das gelte besonders für die Bereiche Arbeitsbeschaffung, Zurücknahme der Zinsen und Unterstützung der Dritten Welt.
    Solche Äußerungen lassen Ihre Lobeshymnen auf die weltweite Solidarität und auf die Übereinstimmung, die Sie nach allen Seiten ununterbrochen erzielen, in einem merkwürdigen Licht erscheinen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich fürchte, da liegt ein Fall partiellen Realitätsverlustes vor. Da werden Wunsch und Wirklichkeit miteinander verwechselt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich füge hinzu: Unsere Position im Bündnis und in Europa sowie auch unter diesen sieben Nationen wird nicht geschwächt, sondern gestärkt, wenn man solche Meinungsunterschiede anspricht, aufgreift und dazu die eigene Position, auch vor dem nationalen Parlament, darlegt. Dafür nämlich sind wir da.

    (Beifall bei der SPD)

    Auf Ihrer Wanderung haben Sie einen Gipfel hinter sich. Der nächste, nämlich der EG-Gipfel, steht unmittelbar bevor. Hier ist Ihre Verantwortung in Anbetracht der deutschen Präsidentschaft ungleich größer. Ihre Ankündigungen und Versprechungen vor allen Dingen aus den ersten Monaten dieses Jahres, was Sie unter deutscher Präsidentschaft zusammen mit dem Herrn Kollegen Genscher alles bewirken und verändern würden, waren noch umfassender, noch tönender und sind uns auch noch exakter in Erinnerung. Unser Entschließungsantrag greift einen Teil Ihrer Ankündigungen auf und sagt im übrigen, was wir im Interesse unseres Landes und der Europäischen Gemeinschaft von diesem Stuttgarter Gipfel, der unter Ihrer Verantwortung stattfindet, erwarten.
    Täuschen wir uns nicht: Die EG befindet sich in einer tiefen Krise, in einer Krise, die an die Wurzel ihrer Existenz geht. Infolge einer Agrarmarktpolitik, die Ihr Finanzminister, jedenfalls außerhalb des Parlaments, offen attackiert und die selbst Ihr Landwirtschaftsminister nur noch partiell und mit halbem Herzen verteidigt, droht der Gemeinschaft der finanzielle Kollaps. Allein zur Beseitigung der Agrarüberschüsse — das hat auf Frage in dieser Woche Herr Gallus dem Parlament mitgeteilt — wird die Europäische Gemeinschaft in diesem Jahr mindestens 32 Milliarden DM ausgeben. Allein zur Beseitigung der Überschüsse! Das sind 4,6 Milliarden DM mehr als im letzten Jahr. Gleichzeitig schwelt der Beitragsstreit.



    Dr. Vogel
    Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine europäische Sozial- und Strukturpolitik fehlen die Konzepte, vor allem aber die Mittel. Die Freizügigkeit des Binnenmarktes ist in Gefahr. Der Abschluß der Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal zieht sich über die Maßen in die Länge. Was das für Spanien bedeutet, hat Ihnen der spanische Ministerpräsident sicher ebenso — mit den gleichen Worten — erläutert wie uns. Der Genscher-Colombo-Plan erweist sich endgültig als eine Chimäre, die seit geraumer Zeit mehr der häufigen öffentlichen Nennung der Namen der beiden Außenminister, vor allem in Wahlkampfzeiten, als wirklich der Einigung Europas dient.

    (Beifall bei der SPD)

    Seit dem 1. Januar 1983 hat die deutsche Präsidentschaft zur Lösung dieser eben von mir knapp, präzise und konkret aufgezählten Probleme kaum etwas beigetragen. Ich hoffe — bin mir aber nicht sicher —, die Bundesregierung hat den Stuttgarter Gipfel auf das Sorgfältigste vorbereitet. Es ist die letzte Gelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, Versäumtes nachzuholen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wohl, Herr Oberlehrer!)

    — Die Originalität Ihrer Darbietungen, Herr Kollege, war auch schon einmal größer. Sie haben heute keinen besonders guten Tag.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das haben wir oft gehört!)

    Meine Damen und Herren von der Union, Sie lieben ja die vergleichende Betrachtung, und wenn Ihnen nichts anderes einfällt, verwenden Sie auch heute noch das Stichwort von der Erblast. Ich lade Sie jetzt einmal zu einer vergleichenden Betrachtung ein.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das gilt heute noch!)

    — Ich finde, es ist eigentlich ein verstecktes Kompliment für mich, daß Sie bei mir viel lebhafter sind als bei Ihrem Bundeskanzler. Da wirkten Sie ein bißchen müde, ein bißchen schläfrig.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber ich freue mich, daß ich die Oppositionsaufgabe, Sie zu beleben, Sie anzuregen, Sie zu mehr oder weniger geistreichen Äußerungen zu veranlassen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!)

    in einem so vorbildlichen Maße erfülle. — Vielen Dank.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Nicht nervös werden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, es ist eine alte Erfahrung, daß Sie Ihre Zwischenrufe ein bißchen ordnen sollten. Wenn Sie im Chor auftreten, ist es schon akustisch nicht zu verstehen, geschweige denn inhaltlich. Vielleicht kann man eine gewisse Reihenfolge einhalten.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Er belehrt schon wieder!)

    Ich komme zurück zu meinem Gedankengang. Ich lade Sie zu einer vergleichenden Betrachtung ein. Ich trage Ihnen einmal vor, was während der letzten deutschen Präsidentschaft vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1978 bewegt worden ist. Da ist das europäische Währungssystem beschlossen worden.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Da ist die materielle Einigung über den Beitritt Griechenlands erzielt worden. Da ist die Direktwahl des Europäischen Parlaments vorbereitet worden. Da ist eine weitgehende Einigung bei den multilateralen Handelsverhandlungen im GATT erzielt worden. Ich lade Sie ein, die Ergebnisse Ihrer Präsidentschaft in vergleichenden Wettbewerb zu setzen zu dem, worauf wir für die Zeit der letzten Präsidentschaft unter unserer Verantwortung zurückblicken können.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit wir uns recht verstehen: Wir Sozialdemokraten sind für ein starkes und handlungsfähiges Europa. Wir sind für den Beitritt Spaniens und Portugals. Wir sind nicht für feierliche Erklärungen, die nichts bewegen. Wir sind dafür, daß das Europäische Parlament mehr Rechte bekommt, und zwar möglichst noch vor den nächsten Wahlen, damit wir in Europa mit der Wahlbeteiligung bei der nächsten Europawahl nicht ein Fiasko erleben — alle miteinander.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sind auch bereit, für dies und für eine aktive europäische Beschäftigungspolitik Opfer zu bringen, aber nur — und da sollte gut zugehört werden —, wenn es gleichzeitig zu einer substantiellen und kostensenkenden Reform der europäischen Agrarpolitik kommt; nur dann.

    (Beifall bei der SPD — Abg. Ertl [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Lieber Kollege Ertl, nicht in diesem Zusammenhang; bei nächster Gelegenheit gerne.

    (Ertl [FDP]: Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie eine falsche Zahl genannt haben, daß Sie mit falschen Zahlen operieren!)

    — Ich würde dann vorschlagen, Kollege Ertl, daß Sie über die Zahlen mit Ihrem ehemaligen Staatssekretär Herrn Gallus ein Gespräch führen. Ich habe die Zahlen aus seiner Antwort. Es ist dann leichter, Sie reden mit ihm als mit mir sozusagen über das Dreieck.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    Ich sage noch einmal, wir sind nur dann dazu bereit, wenn es gleichzeitig zu einer substantiellen und kostensenkenden Reform der deutschen Agrarpolitik kommt. Solange dort das Geld in geradezu ärgerniserregender Weise für die Lagerung und den Absatz der Überproduktion von Milch, Schweinefleisch und anderen Agrarerzeugnissen, ja, ich sage, verschwendet wird, werden wir schon deshalb jede Erhöhung unseres Beitrages strikt ablehnen.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    Eine solche Politik kann uns die Bundesregierung in einer Zeit, in der sie Arbeitnehmern und Rentnern immer neue Kürzungen und Streichungen verordnet, nicht zumuten.

    (Beifall bei der SPD)

    Übrigens: aktive Beschäftigungspolitik. Herr Bundeskanzler, ist es zutreffend, daß fünf christdemokratische Regierungschefs von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft an Sie Briefe geschrieben haben?

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Wer sollte denn das sein?)

    — Nur langsam! Also, die Tatsache des Briefeschreibens ist ja nicht ehrenrührig. Ich meine: brieflich aufgefordert haben, endlich eine den Arbeitsmarkt stimulierende Politik einzuleiten. Und wenn es diese Aufforderung gibt, wobei vier auch schon eine schöne Anzahl wären: Was haben Sie geantwortet? Offenbar sind wir deutsche Sozialdemokraten mit unseren beständigen Forderungen nach einer aktiven Beschäftigungspolitik in bester Gesellschaft.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir diskutieren in diesen Tagen über die Lage der Weltwirtschaft und über die Lage der Europäischen Gemeinschaft. Natürlich geht es dabei letzten Endes immer auch um die Lage im eigenen Lande. Es geht vor allem um die Eindämmung und Überwindung der Arbeitslosigkeit. Daran und an der Friedenssicherung wird Erfolg oder Mißerfolg der Politik, daran wird Ihr Erfolg oder Mißerfolg in erster Linie gemessen werden.
    Die Arbeitslosenzahlen sind unverändert alarmierend. Sie selbst rechnen für 1984 inzwischen nicht mehr mit einem Jahresdurchschnitt von 2,350 Millionen, sondern mit einem Anstieg auf 2,5 Millionen. Ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaftler prognostizieren in ihrer Mehrheit für den vor uns liegenden Winter sogar um die 3 Millionen Arbeitslose.
    Sie sagen dazu immer wieder, der Aufschwung komme, Arbeitslose seien eben Spätindikatoren, man müsse abwarten. Ich finde, das ist schon sprachlich nicht gut. Arbeitslose sind keine Indikatoren, sondern Menschen, von denen nicht wenige der Verzweiflung nahe sind, Menschen, denen wir miteinander helfen müssen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    — Wir beschränken uns doch nicht auf Kritik, wir haben doch konkrete Vorschläge gemacht; aber Sie sagen immer nein.

    (Seiters [CDU/CSU]: Sie haben die Arbeitslosigkeit doch erst geschaffen!)

    Wir sagen mit wachsener Unterstützung, die Arbeitszeit muß verkürzt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann wird es noch schlimmer!)

    Ein modernes Arbeitszeitgesetz, das wir noch in diesem Monat von neuem einbringen, soll dazu verhelfen. Sie sagen schon am voraus nein.
    Wir sagen, die öffentliche Nachfrage muß ebenso wie bestimmte private Investitionen auch durch staatliche Programme gestärkt werden. Sie sagen nein.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir sagen, für Dauerarbeitslose müssen auf einem zweiten Arbeitsmarkt sinnvolle Beschäftigungen unter Einsatz der Mittel geschaffen werden, die sonst für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ausgegeben werden. Sie lehnen es ab, darüber auch nur ernsthaft mit uns zu diskutieren.
    Wir sagen, bei öffentlichen oder gemeinnützigen Trägern müssen zusätzliche Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, wenn Handwerk und Industrie es allein nicht schaffen. Sie lassen sich noch nicht einmal davon beeindrucken, daß Ihre Parteifreunde in Berlin, Herr von Weizsäcker und Herr Wronski, genau das in Fortsetzung der bahnbrechenden Initiativen unseres Freundes und Kollegen Olaf Sund tun. Dabei hätten Sie auf diesem Gebiet, Herr Bundeskanzler, in Anbetracht Ihrer Lehrstellengarantie ganz besonderen Grund zuzuhören und tätig zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sollten auch deutlicher erkennen, was wir Ihnen in diesem Zusammenhang vorwerfen. Natürlich verdient es Kritik, daß die Notlage junger Menschen zum Gegenstand eines vordergründigen Wahlversprechens in Zeitungsanzeigen geworden ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Oder Ihrer Polemik!)

    Aber das ist nicht unser Hauptvorwurf. Unser Hauptvorwurf ist, daß Sie nicht das Mögliche tun, um Ihr Versprechen nun tatsächlich zu erfüllen,

    (Beifall bei der SPD)

    daß Sie die Zeit verstreichen lassen, in der viele zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten.
    Statt dessen eröffnen Sie jetzt auf dem Felde der Arbeitsschutzvorschriften, die Sie plötzlich als angebliche Ausbildungshemmnisse entdeckt haben, einen Nebenkriegsschauplatz. Wir werden dieser Ablenkungsoffensive Widerstand entgegensetzen, wenn Sie unter dem Vorwand der Ausbildungsplatzförderung gesundheitlichen und sozialen Schutz abbauen wollen. Vom Kernproblem werden wir uns aber nicht ablenken lassen. Das Kernproblem ist und bleibt, die rund 160 000 jungen Menschen unter 20 Jahren, die gegenwärtig ohne Ausbildung und ohne Arbeit sind, von der Straße wegzubringen, auch wenn dabei Ordnungsprinzipien vorübergehend in die zweite Linie treten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir fürchten sehr, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Politik des Abwartens die Realität nicht verändert. Im Gegenteil. Die Zinsen steigen schon wieder. Die Auftragslage wird in vielen Branchen wieder skep-



    Dr. Vogel
    tischer beurteilt. Von der Exportseite — so teilt uns die dafür zuständige Stelle mit — kommt kaum Entlastung. Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen ist im Mai dieses Jahres — so sagt die Bundesanstalt — gegenüber dem Vormonat April noch einmal um 26 000 gestiegen. Ihre Haushaltsbeschlüsse verschärfen diesen Trend noch, denn sie vermindern die Einkommen derer, die jeden Pfennig und jede Mark für ihren Lebensunterhalt ausgeben müssen. Sie begünstigen diejenigen, die immer noch genug haben, um ihr Geld in Abschreibungsgesellschaften oder sonst zinsträchtig in in- und ausländischen Kapitalien anzulegen.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    In diese Anlagen nämlich wird die größere Hälfte der Mittel auf Grund der von Ihnen schon beschlossenen Vermögensteuersenkung fließen. Das bestätigt selbst Ihr Parteifreund, der saarländische Finanzminister, unser früherer Kollege Zeitel, wenn er beklagt, daß höchstens die Hälfte der beschlossenen Steuererleichterungen Anreize zu höherer Investition bietet. Herr Mundorf schrieb zu diesem Thema am 20. Mai 1983 im „Handelsblatt", das ja wohl nicht im Verdacht steht, unser Sprachrohr zu sein — und damit meinte er Sie, Herr Bundeskanzler —: Man muß nicht unbedingt dann Fenster putzen, wenn das Haas brennt, so schön Sauberkeit sonst auch ist. — Das ist ein Satz zum Nachdenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Kontraproduktiv ist auch die Art und Weise, wie Sie mit den Städten und Gemeinden umgehen. Denen haben Sie in Ihrer Regierungserklärung wohlklingende allgemeine, inhaltlich aber nicht konkretisierbare Vorschläge gemacht. In Wahrheit vermindern Sie die Einnahmen der Städte und Gemeinden durch die Reduzierung von Unternehmenssteuern überproportional.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Gleichzeitig steigern Sie doch die finanziellen Belastungen der Gemeinden, weil Hunderttausende von Mitbürgern und Mitbürgerinnen, vor allem arbeitslose Frauen, infolge der Beschneidung sozialer Leistungen künftig zusätzlich die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Die unmittelbare Konsequenz ist — auch das ist nicht meine Erfindung; das sagt Herr Rommel doch fast täglich —: Die Gemeinden müssen die Investitionen, j a da und dort bereits den notwendigen Gebäudeunterhalt weiter beschneiden. Dadurch wird sich die Arbeitslosigkeit verschärfen.
    Sie antworten auf Fragen in dieser Hinsicht meist und selbstverständlich mit der Gegenfrage, wo denn das Geld sonst herkommen solle. Wir bleiben Ihnen die Antwort darauf nicht schuldig. Lassen Sie beispielsweise die Finger von der unnötigen Vermögensteuersenkung. Allein das spart schon 1,5 Milliarden DM.

    (Beifall bei der SPD)

    Machen Sie ernst mit dem Abbau von Steuersubventionen,

    (Beifall bei der SPD)

    insbesondere mit der Einschränkung der Steuervorteile für die Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie werden unsere Unterstützung haben. Beides haben Sie doch in Ihrem Wahlprogramm versprochen. Warum halten Sie diese Versprechen nicht?
    Schon warnen Sie doch Ihre eigenen Freunde vor der Fortsetzung Ihrer Politik der sozialen Ungerechtigkeit. So kann man in der Juni-Ausgabe des Organs der Katholischen Arbeitnehmerbewegung — auch kein ausgesprochen sozialdemokratisches Blatt — folgendes lesen. Ich zitiere wörtlich. Ich zitiere deswegen wörtlich, weil ich mir das gar nicht mal so alles in dieser Sprache zu eigen mache. Da liest man:
    Die Unionsparteien laufen Gefahr, das am 6. März gewonnene Vertrauenskapital schon jetzt zu verspielen.
    Und dann liest man dort weiter den Satz:
    Die CDU darf nicht die Partei der Wählertäuschung und der Geschäftemacher werden.

    (Hört! Hört! und Beifall bei der SPD) Es ist kein Sozialdemokrat, der das sagt.

    Und der Herr Scharenbroich, Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse und sicherlich ein besonderer Vertrauter von Herrn Kollegen Blüm, hat in dieser Woche mit seiner scharfen Kritik an den Kürzungsbeschlüssen, beispielsweise beim Mutterschaftsgeld, im Grund das gleiche gesagt. Er hat übrigens hinzugefügt, daß sich wachsender Widerstand dagegen in der Union rege. Gut. Wenn das so ist, dann könnte sich ja plötzlich eine ganz neue Mehrheit bilden.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich meine: Was die Katholische Arbeitnehmerbewegung, was Herr Scharenbroich und die Sozialausschüsse sagen, das sollte Ihnen mehr zu denken geben als das allmählich schon penetrante Dauerlob bestimmter großer Wirtschaftsverbände, sei es in Anzeigen, Briefen oder Erklärungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Gipfel von Williamsburg hat sich auch mit Fragen der Rüstung und der Rüstungskontrolle beschäftigt. Sie haben diese Themen in Ihrer Erklärung ebenfalls angesprochen. Wenn wir richtig informiert sind, ist eine weitere Regierungserklärung, die von Herrn Genscher, zu diesem Thema für die nächste Woche angekündigt worden. Ich beschränke mich deshalb heute auf vier Bemerkungen; dies auch deshalb — und das sage ich in alle Richtungen des Parlaments —, weil sich sonst draußen der Eindruck verstärkt, wie schon in Williamsburg weiche jetzt auch die nationale Politik auf die Erörterung der Sicherheitspolitik aus, um die wirtschaftspolitische Untätigkeit zu überdecken.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    Erstens. Wir begrüßen es, Herr Bundeskanzler, daß sich die Staats- und Regierungschefs für die Einberufung einer Konferenz über Abrüstung in Europa ausgesprochen haben. Aber die kann doch nur stattfinden, wenn die Madrider KSZE-Folgekonferenz auf der Grundlage des Vorschlags der Neutralen bald zu einem positiven Abschluß kommt. Haben Sie die fortdauernden amerikanischen Widerstände gegen diese Vorschläge angesprochen? Glauben Sie, daß diese Widerstände durch Modifikationen ausgeräumt werden? Denn gegen diesen Widerstand wird es keine Abrüstungskonferenz für Europa geben.
    Zweitens. Wir begrüßen die erneut bekundete Bereitschaft, mit der Sowjetunion zu Fortschritten in der Rüstungskontrolle zu kommen. Aber was heißt das praktisch? Warum taucht dann, wenn man dies begrüßt, der Begriff Entspannung, anders als in der Erklärung des Bonner Gipfels vom 10. Juni 1982, in dem von Ihnen unterschriebenen Dokument nicht mehr auf? Und warum fehlt in dem Dokument auch die Bezugnahme auf den Harmel-Bericht, die auch 1982 noch zu finden war? Es ist gut, daß Sie heute auf diese Grundlage der Bündnispolitik eingegangen sind. Um so erstaunlicher ist aber vor diesem Hintergrund dann das Schweigen von Williamsburg. Hat man dort die von Ihnen geforderte Bezugnahme auf den Harmel-Bericht abgelehnt, und Sie holen das heute nach? Dies würde sogar unseren Respekt verdienen, wenn Sie es dort zuvor gefordert haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Schlüssel für ein Ergebnis in Genf, das den atomaren Rüstungswettlauf zum Stehen bringt, liegen gewiß in Moskau. Und Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie die sowjetische Führung bei Ihrem bevorstehenden Besuch in Moskau ebenso dazu drängen, in Genf weitergehende Angebote vorzulegen, wie es andere, und im Rahmen meiner Möglichkeiten auch ich im Januar dieses Jahres, getan haben. Aber die Schlüssel liegen eben nicht nur dort, sie liegen für jeden real Denkenden auch in Washington; sie liegen in beiden Hauptstädten.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb frage ich Sie — auch in Kenntnis dessen, was Sie heute vormittag hier vorgetragen haben —: Haben Sie in Williamsburg die Forderung des amerikanischen Repräsentantenhauses angesprochen und ernsthaft diskutiert, die INF- und die START-Verhandlungen zu verbinden? Mit diesem Gedanken, der aus der sich abzeichnenden Sackgasse herausführen könnte, weil er die Behandlung des Problems der Drittstaatensysteme erleichtert, sympathisieren doch auch andere, bis — wenn ich die Zeitungen richtig verfolgt habe — in den deutschen militärischen Bereich hinein; und im Ausland nicht nur der kanadische Ministerpräsident.
    Haben Sie gefragt, Herr Bundeskanzler, warum die USA den Nitze/Kwizinski-Kompromiß nicht, jedenfalls noch nicht — um mich vorsichtig auszudrücken — offiziell in die Genfer Verhandlungen eingeführt haben? Etwas, was der amerikanische Delegationschef in Genf für diskutabel und erwägenswert hält, kann doch für die deutsche Bundesregierung und erst recht für die Parteien dieses Parlaments nicht tabu sein,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern müßte Gegenstand der Erwägungen und der Aussprache sein.
    Es ist richtig, in Moskau das Problem der russischen Überrüstung anzusprechen. Das haben auch andere getan, z. B. Ihr Vorgänger im Amt und in dem Rahmen, der mir zukam, auch ich.
    Aber haben Sie in Williamsburg auch deutlich gemacht, welche psychologischen Wirkungen öffentliche Äußerungen darüber haben, daß Atomkriege geführt und in Europa auch gewonnen werden könnten oder daß die Sowjetunion das Reich des Bösen sei?
    Drittens. Sie werfen uns vor, daß wir uns aus der Kontinuität unserer eigenen Sicherheitspolitik entfernten und die Position des Westens schwächten. Das weise ich zurück.

    (Beifall bei der SPD)

    Ziel und Zweck der in den 70er Jahren eingeleiteten Politik war und ist nicht eine weitere Umdrehung der Rüstungsspirale und nicht die Stationierung neuer Raketen auf unserer Seite, sondern gerade die Vermeidung ihrer Stationierung durch ein Verhandlungsergebnis.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich stimme Ihnen zu: Zu diesem Zweck muß sich die Sowjetunion noch weiter bewegen. Aber zu diesem Zweck müssen auch die Vereinigten Staaten in Genf weitere Schritte tun.

    (Rühe [CDU/CSU]: Welche?)

    Wer das so zum Ausdruck bringt, wie wir es in unserem Beschluß vom vergangenen Mittwoch getan haben, wer außerdem mit großem Ernst immer wieder auf die unser Vorstellungsvermögen noch immer übersteigende Größe der Gefahren hinweist, die aus der Fortsetzung des atomaren Rüstungswettlaufs erwachsen, der schwächt nicht die Position des Westens, sondern stärkt die moralische Glaubwürdigkeit dieser Position und damit die Position des Friedens.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Position des Friedens erfordert, daß jede Chance, auch die kleinste, genutzt werden muß.
    Lassen Sie mich hier folgendes einschieben. Gerade in diesem Zusammenhang fehlt mir jedes Verständnis dafür, daß es Vertretern bestimmter Positionen offenbar an der Selbstsicherheit schon in bezug auf die Tatsache mangelt, daß junge Menschen mit der Farbe eines bestimmten Tuches ihrer Auffassung und ihrem Bekenntnis Ausdruck geben.

    (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht das Problem!)

    Viertens. Ich habe Sie — Sie wissen das, und ich halte das für selbstverständlich — mehr als einmal gegen Zweifel an Ihrem Friedenswillen in Schutz genommen, Herr Bundeskanzler. Sorgen Sie bitte umgekehrt dafür, daß nicht aus Ihrem Lager stän-



    Dr. Vogel
    dig Verdächtigungen anderen Richtung verbreitet werden. Damit meine ich Verdächtigungen, die sich gegen die Friedensbewegung richten, ebenso wie Verdächtigungen, j a, Verleumdungen, die uns Sozialdemokraten treffen. Widersprechen Sie den Argumenten der Friedensbewegung, wo Sie sie für falsch halten! Auch wir tun das, wo wir es für geboten halten. Aber hören Sie auf damit, die Friedensbewegung als kommunistisch und als Instrument der Kommunisten verdächtigen zu lassen.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Das wäre übrigens nur das, was unter Ihrem Vorsitz, Herr Wissmann, in der Enquetekommission als Handlungsanweisung für die Politik erarbeitet worden ist. Setzen Sie sich mit uns über den besten Weg zur Friedenssicherung auseinander. Aber hören Sie bitte auf, uns durch Leute aus dem zweiten oder dritten Glied als Agenten, Handlanger oder Lobbyisten Moskaus verleumden zu lassen.

    (Zurufe von der SPD)

    Als ich im Januar 1983 noch meinem MoskauBesuch die Ansicht äußerte, die Sowjetunion sei an ernsthaften Verhandlungen interessiert, war das nicht nur für die Münchener CSU-Wochenendpostille, mit der Sie ja auch von Mal zu Mal Ihre Erfahrungen machen, Anlaß zu einer üblen Kampagne. Jetzt hat Herr Späth nach seinem Moskau-Besuch wörtlich dasselbe erklärt, nein, er ist noch weitergegangen, er hat der Sowjetunion sogar den ernsthaften Willen bescheinigt, in Genf zu einem Ergebnis zu kommen. Ist Herr Späth nun auch ein Agent Moskaus? Ich glaube das nicht.

    (Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Ich glaube vielmehr, daß es auch in Ihren Reihen Stimmen der Vernunft gibt, Frauen und Männer, die wissen, daß gerade diese Sache einen derartigen Primitivstil nicht verträgt, Frauen und Männer, die wissen, was auf dem Spiel steht, außen- wie innenpolitisch und — lassen Sie mich das hinzufügen — auch im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten.
    Gerade diesen Aspekt — ich möchte das mit Ernst und Ruhe sagen — dürfen wir bei allem, was in den nächsten Monaten vor uns liegt, nicht aus den Augen verlieren. Im Gegenteil. Wir sollten uns bei jeder Entscheidung fragen, was wohl die Menschen — ich rede von den Menschen — in der DDR von uns erwarten, welche Entscheidung sie wohl befürworten würden. Das gehört nämlich auch zur Bewahrung und Pflege der Gemeinschaft der Deutschen, wenn dieser Begriff nicht nur eine Feiertagsfloskel oder ein leeres Gerede sein soll. Das gehört auch dazu.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir alle werden viel Vernunft, viel Engagement, viel Entscheidungskraft, aber auch Toleranz und auch schlüssige Konzepte brauchen: für die Überwindung der Arbeitslosigkeit, für die Sicherung des äußeren Friedens, auch für die Bewahrung des inneren Friedens. Die Konferenz von Williamsburg hat dazu wenig beigetragen, Ihre eigene Erklärung nicht mehr. Die Reihe der vertanen Chancen, die Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 eröffnet haben, hat damit eine enttäuschende Fortsetzung gefunden. Im Blick auf den Stuttgarter EG-Gipfel kann ich Ihnen deshalb nur zurufen: Die Zeit wird knapp, werden Sie endlich konkret, Herr Bundeskanzler! Reden Sie nicht nur von den Hausaufgaben, sondern machen Sie diese Hausaufgaben, damit wir weiterkommen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)