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ID1000603100

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    Vokabeln: 8
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    6. Bundeskanzler: 1
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    Plenarprotokoll 10/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betr. Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz) Burgmann GRÜNE 259 B Dr. Bötsch CDU/CSU 260 C Becker (Nienberge) SPD 261 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53 a des Grundgesetzes — Drucksache 10/45 — 261 B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses — Drucksache 10/46 — 261 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) — Drucksache 10/49 — 261 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — Drucksache 10/47 — 261 D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Dregger CDU/CSU 262A Brandt SPD 270 D Schily GRÜNE 279 D Mischnick FDP 282 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 290 B Dr. Vogel SPD 292 C Präsident Dr. Barzel 268A Nächste Sitzung 293 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 294*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Mai 1983 259 6. Sitzung Bonn, den 6. Mai 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 6. 5. Dr. Ahrens 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Ertl 6. 5. Dr. Glotz 6. 5. Dr. Götz 6. 5. Hartmann 6. 5. Hauser (Krefeld) 6. 5. Höpfinger 6. 5. Hoffie 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Frau Huber 6. 5. Ibrügger 6. 5. Klose 6. 5. Dr. Kreile 6. 5. Frau Männle 6. 5. Nelle 6. 5. Poß 6. 5. Reimann 6. 5. Frau Roitzsch 6. 5. Schartz (Trier) 6. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 6. 5. Dr. Solms 6. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Voigt (Sonthofen) 6. 5. Frau Dr. Wisniewski 6. 5. Würtz 6. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Lieber Herr Kollege Sperling, natürlich ist das auch früher von der Opposition gesagt worden. Nur: Wenn Sie überzeugt sind, daß Ihr Programm so richtig ist — selbst wenn die Wähler dazu nicht ja gesagt haben —, dann erwarte ich natürlich, daß Sie das hier als Gesetzesinitiativen einbringen. Dann kann man sich j a im einzelnen damit auseinandersetzen.

    (Beifall bei der FDP und CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Daß die Chancen gering sind, sie durchzusetzen, bestreite ich nicht. Aber ich kann mich entsinnen, daß wir Freien Demokraten in der Zeit der Großen Koalition keine Scheu gehabt haben, eine Menge Gesetzentwürfe einzubringen, von denen wir von vorneherein wußten, daß sie nicht durchkamen. Ich bin allerdings nicht nur gespannt darauf, wie Sie den Inhalt der Gesetze begründen, sondern auch darauf, wie Sie sich den Ersatz dessen, was dadurch an Einnahmeausfall, an Ausgabenzuwachs bewirkt wird, vorstellen, um den Haushalt besser ausgleichen zu können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in der Debatte eine ganze Menge zum Umweltschutz gesagt worden. Wir sind sehr froh darüber, daß der Herr Bundesinnenminister diesen Bereich sehr ausführlich dargelegt hat. Auch Umweltschutz ist natürlich keine kurzfristige, sondern eine langfristige liberale Perspektive.

    (Duve [SPD]: Aber die Entlassung von hohen Beamten, die der FDP angehören, kann sehr kurzfristig erfolgen!)

    — Vielleicht waren Sie — das werfe ich Ihnen nicht vor — gestern zufällig nicht hier. Wenn Sie nicht hier waren, darf ich Ihnen sagen, daß der Kollege Hirsch und andere dazu sehr deutlich Stellung genommen haben. Ich kann mich allerdings entsinnen, daß auch früher schon dann, wenn Minister gewechselt haben, personelle Veränderungen vorgenommen worden sind, die wir nicht immer für
    richtig gehalten haben und auch heute nicht immer für richtig halten.
    Lassen Sie mich nun zum Umweltschutz noch ein paar Bemerkungen machen. Natürlich wissen wir, daß die Umweltlage insgesamt nicht rosig ist. Aber das kann uns doch nicht daran hindern deutlich zu machen, welche entscheidenden Leistungen hier von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in den letzten Jahren schon vollbracht worden sind, aber auch noch vollbracht werden müssen. Ich werde doch niemanden dazu bringen, sich in diesem Bereich weiterhin voll zu engagieren, wenn er den Eindruck gewinnen muß: Ich kann machen, was ich will, die Bereitschaft, das anzuerkennen, was geleistet worden ist, besteht nicht. Nur in Partnerschaft zwischen Umweltschutzbemühungen und Wirtschaft wird es möglich sein, die notwendigen Entscheidungen, die wir hier gemeinsam zu treffen haben, nicht nur gesetzgeberisch zu fassen, sondern sie auch Stück für Stück umzusetzen. Dazu braucht es die Partnerschaft aller, wenn wir den Umweltschutz wirklich so umsetzen wollen, wie wir es uns vorstellen.

    (Beifall bei der FDP — Duve [SPD]: Dann hätten Sie das Ressort nicht aus der Hand geben dürfen!)

    Meine Damen und Herren, es gibt doch keine Zweifel darüber, daß die Bundesrepublik Deutschland eine gewisse Spitzenposition erreicht hat, nicht erst in den letzten Jahren.

    (Duve [SPD]: Herr Zimmermann hat vorhin gesagt, es sei nichts geschehen!)

    — Ich habe kein Wort gesagt, daß nichts geschehen sei.

    (Zurufe von der SPD: Zimmermann!)

    — Hat auch nicht gesagt, daß nichts geschehen ist. Ich würde nicht so leichtfertig mit Behauptungen umgehen. Richtig ist, daß wir genau wissen, daß uns die Entscheidungen, die seit 1970 getroffen worden sind, entscheidend nach vorn gebracht haben, j a, zu einer Spitzenstellung unter vergleichbaren europäischen Staaten.

    (Beifall bei der FDP — Duve [SPD]: Zimmermann sahnt jetzt ab!)

    Wir wollen diese Spitzenstellung nicht nur halten, wir wollen sie ausbauen. Es zeigt sich aber immer mehr, wie notwendig es ist, über die Grenzen hinweg innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, aber auch in den Raum des Warschauer Paktes, des COMECON, hinein zu entsprechenden Vereinbarungen zu kommen. Auch das ist doch nicht, wie das mancher von den GRÜNEN hier weismachen will, eine Sache, die uns heute einfällt. Die erste europäische Umweltministerkonferenz, durch Hans-Dietrich Genscher veranlaßt, war 1970. Daß die anderen Länder noch nicht so schnell bereit waren mitzugehen, ist bedauerlich, zeigt aber — so, wie es im eigenen Land vorher war —, daß selbst solch entscheidende Fragen oft einen ganzen Zeitraum



    Mischnick
    brauchen, bis sie voll in das Bewußtsein eindringen.

    (Duve [SPD]: Warum ist die Präsidentschaft in der EG denn nicht genutzt worden?)

    — Da sind wir doch gerade dabei. Das Treffen in Stuttgart findet doch im Juni statt. Das scheinen Sie übersehen zu haben. Im Juni wird bei diesem Treffen in Stuttgart von dieser Bundesregierung auch die Frage des Umweltschutzes mit aller Deutlichkeit und mit Nachdruck nicht nur eingebracht, sondern vertreten werden. Da können Sie sicher sein.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf von der SPD: Wir wollen Ergebnisse sehen!)

    — Aber glauben Sie ernstlich, daß wir keine Ergebnisse sehen wollen? Nur: Sie müssen doch zugeben
    — und so klug sind doch auch Sie —, daß Ergebnisse im europäischen Rahmen nicht durch Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages zustande kommen, sondern nur durch Vereinbarungen, die wir in Europa treffen.

    (Brandt [SPD]: Warme Luft kommt da raus!)

    Wir wissen, daß wir in manchen Dingen hier nicht so schnell zum Ziel kommen werden, aber wir werden den Bundesinnenminister voll unterstützen, wenn er sagt: Wir sind bereit, in Bereichen, z. B. bei Autoabgasen, Vorreiterfunktion zu übernehmen, wenn es nicht gelingt, zu Vereinbarungen zu kommen. Ich hoffe nur, daß dann, wenn der Widerstand aus bestimmten Bereichen kommt — von Unternehmen wie von Betriebsräten — wegen der Folgen, die daraus entstehen können, wir gemeinsam die Notwendigkeiten mit der gleichen Durchschlagskraft, mit der gleichen Überzeugung vertreten, wie es bei solchen Debatten jetzt hier geschieht.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch ein paar Bemerkungen zu einem weiteren Thema machen, das für die Freien Demokraten nicht neu, sondern seit Jahrzehnten von großer Bedeutung ist,

    (Duve [SPD]: Zur geistig-moralischen Wende sollten Sie ein paar Takte sagen!)

    nämlich zur Rentenfinanzierung. Es ist immer geklagt worden, daß zu wenig über die Sache gesprochen wird. Wir Freien Demokraten stellen mit Freude fest, daß die erdrückenden Fakten nunmehr doch zu einer nachdenklichen Prüfung quer durch alle Fraktionen geführt haben. Ich erkenne voll an, daß sich hier auch schon in den vergangenen Jahren manches in Bewegung gesetzt hat. Aber müssen nicht viele, quer durch die Fraktionen, zugeben, daß ein zu langes Prestigedenken über früher Beschlossenes viel Zeit hat vergehen lassen, bis nun Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich schon vor Jahren hätten getroffen werden müssen? Wir können hier darauf verweisen, daß wir diese schwierige Aufgabe von Anfang an gesehen haben.
    Ich will Sie hier nicht mit Zitaten langweilen, aber ich will es für die neueren Kollegen sagen, die das vielleicht nicht wissen, was ich nur feststellen, nicht vorwerfen will. Da kann man schon 1957 und 1959 nachlesen, wie wir damals die Gefahren deutlich gemacht haben, die heute in unserem Rentenversicherungssystem eingetreten sind. Es gibt keinen Zweifel: In den 60er Jahren und in den 70er Jahren gab es manche Gelegenheit, Entscheidungen zu treffen, die so harte Eingriffe, wie sie in den 80er Jahren notwendig geworden sind, nicht hätten notwendig werden lassen.
    Wir freuen uns nicht, daß wir recht behalten haben, wir sagen das nur, weil dies zeigt, daß es wenig Sinn hat, eine zwar als schön, den eigenen Überzeugungen entsprechend erkannte Lösung zu präsentieren, aber dann um jeden Preis an ihr festzuhalten — wie es einmal hieß: mit Klauen und Zähnen —, wenn die Entwicklung längst darüber hinweggegangen ist. Ich wehre mich aber dagegen, daß diejenigen, die hier Kritik an den Maßnahmen, die wir vorhaben, üben, das unter dem Motto tun, als sollte dem Rentner von dem, was er heute bekommt, etwas weggenommen werden. Dies war nie der Sinn der Überlegung einer Veränderung von Voraussetzungen, von Anrechnungsmöglichkeiten und so fort.

    (Gilges [SPD]: Das ist aber das Ergebnis!)

    — Nein, das ist nicht das Ergebnis. Wenn Sie sagen, das sei das Ergebnis, dann gehören Sie zu denjenigen — das scheint im Widerspruch zu Ihren sonstigen Bemerkungen zu stehen —,

    (Gilges [SPD]: Wird etwas zurückgenommen oder nicht?)

    die dann Rentenwachstumsietischisten wären, sich aber sonst beim Wachstum so zurückhalten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich kann auch bei den Renten das Wachstum nicht unabhängig davon sehen, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist. Wir sind zur Kooperation und dazu bereit, alle Möglichkeiten und Modelle, die hier vorgelegt werden, unvoreingenommen zu prüfen. Wir haben da manche Präferenzen; das haben wir nie geleugnet. Aber wenn es hier wirklich gelingen sollte, zwischen Koalition und Opposition einen gemeinsamen Weg zu finden, so werden wir dem nicht im Wege stehen. Wir wollen allerdings keine Lösungen, die für das Jahr 1984 oder 1985 gut sein mögen, die aber nicht berücksichtigen, wie die Entwicklung im Jahre 1990 und im Jahre 2000 ist. Wir wollen eine langfristige Lösung haben, die über ein, zwei Jahrzehnte hinweg Geltung haben kann und nicht nur Haushaltsprobleme lösen hilft. Darum geht es uns.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zu den Fragen der Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik. Hier hat Herr Kollege Brandt sehr ausführlich und — verständlicherweise — in vielen Punkten sehr in die Tiefe gehend Stellung genommen und dabei die Sorge geäußert, daß drei Punkte ein Beweis wären, daß es keine



    Mischnick
    Kontinuität mehr gebe. Sehr verehrter Herr Kollege Brandt, Sie können sicher sein, diese Freien Demokraten, diese Freie Demokratische Partei wird ihre außenpolitische, ihre deutschlandpolitische, ihre ostpolitische Grundlinie durchhalten, die ja nicht erst etwa bei Beginn der sozialliberalen Koalition gefunden wurde, sondern die zurückreicht bis zu Karl Georg Pfleiderer, Thomas Dehler und Max Becker, um nur ein paar Namen zu nennen. Diese Kollegen waren es, die damals in der Koalition mit den Unionsparteien manches Tabu nicht nur angesprochen, sondern durch ihr Verhalten gebrochen haben und die damals deutlich gemacht haben, daß keine Einseitigkeit unserer Außenpolitik richtig oder sinnvoll wäre. Wir sind aber nie auch nur einen Schritt davon abgegangen, diese offensive Ostpolitik auf keinen Fall mit Zweifeln an die Einbettung im Bündnis zu verbinden. Das ist von uns nie geschehen. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie Max Becker von dieser Stelle hier sagte: Eingebettet in das westliche Bündnis, müssen wir in den 50er Jahren nach dem Osten schauen und hier eine Ergänzung unserer Politik sehen, aber nicht etwa losgelöst von dem Bündnis.
    Daß die Mehrheit bei Ihnen, daß die Redner, die das hier gesagt haben, genauso denken, das bezweifle ich nicht. Aber Sie werden uns nicht übelnehmen, wenn unsere Sorge groß wird, wenn bestimmte Stimmen aus Ihren Reihen weit darüber hinausgehen und nicht nur bestimmte Handlungen, Entscheidungen der Amerikaner kritisieren, sondern sogar mit dem Bündnisaustritt als Möglichkeit spekulieren. Da ist der Punkt, wo wir hoffen, daß bei Ihnen sich diejenigen durchsetzen, die wissen: ohne ein gesichertes Bündnis sind die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und die Sicherheit Berlins nicht zu garantieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Darüber müssen wir uns doch immer im klaren sein.
    Wir werden die Tradition Rathenaus und Stresemanns in der Politik fortsetzen. Wir waren es, die mitten im Kalten Krieg die Aufnahme diplomatischer Beziehungen für richtig hielten. Ich denke daran, daß wir hier während der Großen Koalition einen Deutschlandvertrag auf den Tisch legten, als das von vielen Seiten noch sehr umstritten war — nicht bei allen, aber noch auf vielen Seiten, so möchte ich mich ausdrücken —, aus der Erkenntnis, aus der Überzeugung: wir wollen Schritt für Schritt versuchen, die negativen Folgen der Teilung zu überwinden. Deshalb werden wir alles daransetzen, daß die Verträge nicht nur eingehalten werden, sondern daß sich die Beziehungen weiter entwickeln, auch wenn es Phasen kritischer Auseinandersetzungen, bedenklicher Abweichungen gibt. Das hat es schon immer gegeben.
    Aber eines werden wir uns auch angelegen sein lassen — und daran können Sie uns immer erinnern —: eine feinfühlige Pflege insbesondere des deutsch-polnischen Verhältnisses. Das muß nicht immer lauthals geschehen.

    (Zuruf von der SPD)

    Das kann auch durch entsprechende Gespräche geschehen. Wir wissen: polarisierende Diskussionen, ganz gleich von welcher Seite sie ausgelöst werden, führten weder früher, führen noch heute weiter.
    Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, daß diese Kontinuität erhalten bleibt. Das heißt doch nicht, daß ich nicht, wenn ich im Laufe der Entwicklung Mängel erkenne, versuche, diese Mängel zu beseitigen, daß ich nicht da, wo es notwendig ist, neue Entwicklungen einzubeziehen, sie einbeziehe. Nicht ohne Grund hat ja der Herr Bundeskanzler alle Bestandteile der vertraglichen Abmachungen mit der Sowjetunion und mit der DDR — einschließlich Grundgesetz, Brief zur Einheit und Verfassungsgerichtsurteil — hier als Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit bezeichnet. Kollege Ronneburger hat Gelegenheit genommen, hier deutlich zu machen, was alles an Forderungen, an Anforderungen, aber auch an Auslegungen des Verf assungsgerichts dazu vorhanden ist.
    Sie haben nun die Sorge, die in Ihren drei Punkten, Herr Brandt, angesprochenen Gesichtspunkte seien verlorengegangen. Ich sage Ihnen: mit Sicherheit nicht. Sie können sicher sein, daß diese Koalition — und selbstverständlich auch die Freien Demokraten in dieser Koalition — keine Politik betreiben will und betreiben wird, die etwa Spannungen erzeugte. Ganz im Gegenteil, wir werden alles tun, Spannungen dort, wo sie entstehen, entstanden sind oder entstehen könnten, durch rechtzeitige Maßnahmen zu verhindern, abzubauen oder einzudämmen. Da kommt es nicht darauf an, ob ich immer diese oder jene Vokabel verwende, sondern darauf, den jeweils richtigen und besten Weg zu suchen. Daß das immer gelingt, behaupte ich nicht; aber den Versuch dazu, die Bereitschaft dazu, den Willen dazu, den können Sie auf jeden Fall voraussetzen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte allerdings auch in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen: Dann, wenn bei der Wahrnehmung und bei der Durchführung vertraglicher Regelungen Probleme auftauchen, sind wir der Meinung, daß wir sie durch intensive Arbeit lösen müssen. Wir dürfen nicht kopflos davonrennen oder meinen, man müsse nun alles umstülpen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Wer die Verantwortung trägt, muß gerade bei hochgehenden Wellen der Emotionen kühl bleiben und standfest zugleich sein. Beharrlichkeit in der Sache und Realitätssinn im Urteil und in der Beurteilung sind nach meiner Überzeugung die Voraussetzungen für sinnvolles Handeln.
    Ich füge noch eines hinzu: Schlagzeilen von heute, z. B. im deutsch-deutschen Verhältnis, sind keine Erfolge von morgen. Sie haben sich meistens als kurzfristige kleine Münze herausgestellt, die in der Sache nichts weiterbringt. Dies gilt für jede Art von Reaktion.
    Wir werden das deutschlandpolitische Erbe der Freien Demokraten hüten und mehren. Dies ist für uns keine Last, sondern eine Verpflichtung, eine Verpflichtung, die von uns eine sorgsame Pflege des Erreichten, des Anvertrauten, verlangt, aber auch bedeutet, daß wir uns eben nicht — wie wir es hier von manchen gehört haben — einen Ausstieg aus



    Mischnick
    den europäischen oder den weltpolitischen Rahmenbedingungen leisten können. Denn dann würde dies nicht mehr gepflegt werden, sondern alles verlorengehen.
    Ich sage ganz offen: Ich weiß, daß da viele anderer Meinung sind. Für mich gibt es keine machbaren Utopien, für mich gibt es nur eine realistische Politik, um Ziele, mögen sie auch noch so weit entfernt liegen, Schritt für Schritt zu erreichen. Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, die zum Teil — ohne Rücksicht auf Koalitionen — in diesem Hause völlig unbestritten waren, gelten fort.
    Wenn jetzt ein neuer Vorschlag vom sowjetischen Generalsekretär Andropow gekommen ist, so werden wir — dies ist das erste — ihn genauso nüchtern und sachlich prüfen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist.

    (Brandt [SPD]: Es ist gerade nicht geschehen!)

    — Entschuldigung, ich muß natürlich erst prüfen, und dann kann ich dazu Stellung beziehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die machen's ja umgekehrt!)

    Zweitens zeigen mir die bisherigen Reaktionen aus unserem Bündnislager, daß die Bereitschaft zu dieser Prüfung dort genauso vorhanden ist wie bei uns.

    (Beifall bei der FDP)

    Das beweist, daß die Behauptung, es gebe gar keine Bereitschaft, auf andere Überlegungen einzugehen, falsch ist.

    (Sehr wahr! bei der FDP)

    Es ist aber genauso unbestritten, daß mit dem, was wir bisher lesen und hören konnten, nicht alle Fragezeichen beiseite geschoben sind und daß wir eben prüfen müssen, ob diese Fragezeichen bleiben müssen oder ob wir sie durch einen Punkt oder vielleicht sogar durch ein Ausrufungszeichen ersetzen können.
    Eines ist sichtbar: Das Eingehen der sowjetischen Seite auf die westliche Zählweise ist doch nicht erfolgt, weil hier einmal Transparente gezeigt werden, weil hier Demonstrationen stattgefunden haben, sondern weil man erkannt hat, daß der Wille, den Doppelbeschluß in beiden Teilen ernst zu nehmen, voll vorhanden ist. Deshalb sind wir doch weitergekommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Natürlich werden wir nicht unbeeindruckt bleiben von dem, was jetzt in den Vereinigten Staaten diskutiert wird. Das wäre auch völlig falsch. Wir sind auch nicht so voreilig, zu sagen, das, was im Kongreß mit Mehrheit beschlossen worden ist, sei nun allein Diskussionsgegenstand. Für uns sind natürlich sowohl diese Gesichtspunkte wie die Bedenken dagegen in die Diskussion einbezogen. Da kann am Ende stehen, daß man sagt: Was die Kongreßmehrheit da gesagt hat, das wird hoffentlich jetzt amerikanische Politik. Es kann auch am Ende stehen, daß das, was die Kongreßmehrheit gesagt hat, in vielen Dingen zwar sehr viel guten Willen und gute Absicht verkörpert, aber die Würdigung der Fakten nicht ausreichend erfolgt ist. Ich wage heute nicht, zu sagen, wir allein haben recht oder jene allein haben recht. Dies müssen wir sorgfältig miteinander prüfen. Wir müssen auch im direkten Gespräch, in direkten Verhandlungen ausloten, welche Möglichkeiten hier für uns bestehen.
    Ich füge genauso offen und klar hinzu, wie das schon von anderen Rednern meiner Fraktion geschehen ist: Es ist bedauerlich, daß das Spitzengespräch zwischen den beiden deutschen Staaten nicht zustande gekommen ist. Da gibt es die verschiedensten Wertungen, die auch vom Kollegen Brandt und anderen vorgenommen worden sind. Ich will mich da nicht noch mit zusätzlichen Wertungen beteiligen. Eines sollte uns aber doch klar sein: Gerade wenn wir darum ringen, alles darauf ansetzen, daß in Genf Verhandlungsergebnisse erzielt werden, dann ist jede verlorene Gesprächsmöglichkeit negativ zu werten, jede gewonnene Gesprächsmöglichkeit positiv zu werten.

    (Beifall bei der FDP)

    In diesem Sinne hoffen wir, daß es eben nicht das letzte Wort bleibt. Es ist gar kein Zweifel, daß das, was in dem langen Artikel im „Neuen Deutschland" deutlich geworden ist, die Bereitschaft, der Wille, hier im Gespräch zu bleiben, auch in der DDR vorhanden ist.
    Ich habe gelesen — und ich war mir nicht sicher, ob es nur ein Kommentar war, eine Wiedergabe oder ein wörtliches Zitat —, man brauche nur mit Moskau zu sprechen; das Gespräch mit der DDRSpitze habe eben wenig Sinn. Dies ist eine Auffassung, die vor zehn, vor 20 Jahren weitverbreitet war. Daß sie sich als falsch herausstellte, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Ich bin fest überzeugt, die Bundesregierung, die sie tragenden Koalitionsfraktionen und die Opposition werden daran festhalten: Bei den deutsch-deutschen Problemen, die wir haben, genügt es nicht, „nur" mit Moskau zu sprechen, es muß auch das deutsch-deutsche Gespräch auf allen Ebenen gepflegt werden. Das schließt doch nicht aus, daß ich mit aller Härte und Deutlichkeit da, wo ich Mängel sehe, wo ich Kritik anzubringen habe, Kritik übe; aber ich soll dies in Verhandlungen, in Gesprächen tun und nicht glauben, daß es mit Interviews gelingen könnte, auch nur eines der schwierigen Probleme auf Dauer zu beseitigen.

    (Gilges [SPD]: Das war aber jetzt für die CSU!)

    — Entschuldigen Sie, ich habe es noch nie so gemacht, daß ich, wenn ich glaubte, daß etwas falsch gemacht worden ist, das immer nur einseitig sah. Ich habe das auch in aller Deutlichkeit gesagt. Ich weiß allerdings auch, verehrter Herr Kollege, daß manchmal in Ihren Reihen jetzt die Neigung wieder größer ist, als das in der Vergangenheit war, manche Dinge in der Öffentlichkeit darzustellen, die man besser im direkten Gespräch behandelt. Ich habe immer das Gespräch vor der öffentlichen Auseinandersetzung bevorzugt und diese nur gewählt, wenn es nicht anders ging. Gerade in diesen spe-



    Mischnick
    ziellen Fragen ist manchmal die öffentliche Auseinandersetzung schädlich, nicht nützlich.
    Der Wille zum Verhandlungserfolg, die Bereitschaft, alles an geistigen Kräften und Möglichkeiten einzusetzen, um in Genf zu einem Erfolg zu kommen, müssen immer sichtbar bleiben. Die Bereitschaft zur Nachrüstung darf nie in Frage gestellt werden, gerade zu einem Zeitpunkt nicht, wo sich bestimmte Bewegungsmöglichkeiten abzeichnen. Wir werden immer wieder beweisen, daß wir mit unserer ganzen politischen Kraft alles tun werden, gegenüber allen Partnern, allen Verbündeten, um zu guten Verhandlungsergebnissen zu kommen. Wir werden darum ringen, weil wir genauso wie jeder, der hier gesprochen hat, die Nachrüstung verhindern und vermeiden wollen, um diese Rüstungsspirale nicht weiterzudrehen.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Wie lange wollen Sie uns das noch erzählen?)

    Gerade aus Verantwortung für die Jüngeren in unserem Volk sind wir Älteren verpflichtet, die Erfahrungen, die wir mit Glauben am falschen Platz, mit Glauben statt Handeln gemacht haben, auszuwerten und für diese junge Generation eine Zukunft zu ermöglichen. Sie würde es uns zum Vorwurf machen, wenn wir heute nicht so konsequent handeln würden, wie wir es uns vorgenommen haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    Dies heißt nicht, daß nicht jede Friedensbemühung, von wem sie auch kommt, von uns voll unterstützt wird. Dies heißt aber auch: Sachliche Auseinandersetzung ist notwendig. Parolen haben noch nie den beeindruckt, der über große Waffenarsenale verfügt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Weil wir dies aus bitterer Erfahrung gelernt haben, werden wir auch in Zukunft diese Erfahrung nicht über Bord werfen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Fraktion der Freien Demokraten wird in dieser Legislaturperiode die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um die Konsolidierung des Haushalts, die • Kontinuität unserer Wirtschaftsstrukturpolitik, die Bewältigung unserer außen- und deutschlandpolitischen Fragen, die Garantierung unserer Sicherheit voll unterstützen. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit, mit Ihnen gemeinsam das, was wir als Grundlage erarbeitet haben, in die Tat umzusetzen. Die Freien Demokraten stehen zu dem Auftrag, den uns die Wähler hier gegeben haben, als Partner in einer Koalition, als Partner der gegenseitigen Rücksichtnahme, aber als gemeinsam Verpflichtete für das Wohl dieses Landes.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Ende dieser Debatte über die Regierungserklärung und nach sehr vielen Stunden des Ringens um den richtigen Weg der deutschen Politik eine ganz kurze Bemerkung. Die Debatten dieser drei Tage eröffnen praktisch die parlamentarische Arbeit und die Debatten der nächsten vier Jahre, und wir werden noch viele Gelegenheiten, viele Chancen, aber auch mancherlei Not der Entscheidung haben, um in diesen Jahren den richtigen Weg in allen Teilen jener Probleme zu finden, deren Lösung uns aufgetragen ist.
    Ich darf mich zunächst bei meinen Kollegen und Freunden in der Koalition für die Unterstützung bedanken, die aus vielen Beiträgen, insbesondere aus denen des Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU, des Landesgruppensprechers der CSU und des Fraktionsvorsitzenden der FDP, deutlich geworden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bedanke mich dafür, weil es auch als eine äußere Demonstration der Gemeinsamkeit dieser Koalition der Mitte verstanden werden kann und darf.
    Ich war viele Jahre in einem Landesparlament Vorsitzender einer Regierungsfraktion. Später habe ich hinreichend Gelegenheit gehabt, als Oppositionsführer auch die andere Seite dieser Erfahrung kennenzulernen. Das Wesen einer Regierungsfraktion ist nicht so einfach zu beschreiben. Regierungsfraktion heißt ja nicht, daß man zu allem ja und amen sagt, was die Regierung vorlegt, sondern heißt auch kritische Wegbegleitung, eigenständige Überzeugung von der Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen ist es wichtig — —


    (Zuruf von der SPD: Da machen sich einige Mut!)

    — Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie es nicht einmal mehr mit Ruhe ertragen, daß man über wirkliche Notwendigkeiten des Parlamentarismus miteinander spricht.

    (Zurufe von der SPD)

    Deswegen bedanke ich mich herzlich dafür, daß dieses selbstverständliche Miteinander hier noch einmal so deutlich geworden ist.
    Ich bedanke mich auch für das, was an kritischen Anmerkungen aus den Reihen der Opposition gekommen ist, aus der Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag, sowie aus der Rede des Kollegen Brandt und manchen anderen Bemerkungen.
    Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe natürlich überhaupt nicht erwartet — das gilt auch umgekehrt für Sie —, daß das, was ich für die Koalition der Mitte vorgetragen habe, Ihre Zustimmung findet; das wäre ja auch ganz ungewöhnlich. Aber neben der Kritik ist mir auch manches Nachdenkenswerte gesagt worden. Ich sprach j a von der Notwendigkeit der Auseinandersetzung über die Grundfragen deutscher Politik in den nächsten vier Jahren. Wir werden hier, Herr Kollege Brandt, über viele Einzelheiten zu sprechen haben.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Ich will nur einen einzigen Satz aus Ihren heutigen Äußerungen herausnehmen. Es handelt sich um die Stelle, in der Sie über die Frage der Ausbildungschancen von Lehrlingen und jungen Leuten sprachen. Nun, Herr Kollege Brandt, ich lade uns dazu ein, daß wir im September, wenn die Zahlen für einen Jahrgang wirklich überschaubar sind, erneut gemeinsam darüber sprechen, ob diese Garantie gezogen hat oder nicht. Das ist ein faires Verfahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Brandt, in Ihren Ausführungen war noch etwas, was mich natürlich reizt, darauf einzugehen, wenn auch nur ganz kurz. Sie haben Ihre Sorge geäußert — es war eine beinahe bewegende Sorge —, ob ich die Richtlinienkompetenz nach der Verfassung auch wirklich wahrnehmen würde. Nun, Herr Kollege Brandt, ich stehe lange genug im politischen Leben. Ich habe die ganze Reihe deutscher Bundeskanzler seit Inkrafttreten des Grundgesetzes erlebt. Ich habe auch das Auf und Ab der Diskussion in allen Parteien dieses Hauses, die je Kanzler gestellt haben, um die Richtlinienkompetenz erlebt. Ich kann Sie beruhigen: Der Sachverhalt ist bekannt. Ich habe meinen Eid auf die Verfassung geleistet, und zu dieser Verfassung gehört auch der Artikel über die Richtlinienkompetenz.
    Sie brachten dies in Zusammenhang mit dem Verständnis der Parteien, die diese Koalition tragen. Auch in dieser Hinsicht darf ich Sie beruhigen. Ich denke, es gibt niemand in den Führungen der drei Koalitionsparteien, der nicht genau weiß, daß uns die Wähler im März dieses Jahres 56 % der Stimmen gegeben haben. Verehrter Herr Kollege Brandt, es gibt auch niemand in der Union, der nicht weiß, daß CDU und CSU 48,8 % erhalten haben. Jeder in der Union weiß auch, mit welchem Spitzenkandidaten die Union dies erreicht hat. Insofern, Herr Kollege Brandt, kann kein Zweifel darüber aufkommen, wie das bei der Wahl war und wie das in der Regierung sein wird. Ich will das nur einmal sehr deutlich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stratmann [GRÜNE]: Sagen Sie das ein mal in München!)

    — Ich habe es doch jetzt deutlich für Sie alle verständlich gesagt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Wo soll ich es eigentlich noch sagen, wenn nicht hier von der Rostra des Deutschen Bundestages aus?
    Aber, Herr Kollege Brandt, wenn Sie noch den geringsten Zweifel haben beispielsweise über das Verhältnis der CDU zu ihrem Vorsitzenden: Ich lade Sie gerne ein, einmal an unserem Bundesparteitag in drei Wochen teilzunehmen, und zwar zur Zeit der Abstimmung über die Wahl des Parteivorsitzenden. Sie werden dabei für Sie beglückende Erfahrungen machen. Auch das kann ich Ihnen voraussagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Vogel, Sie haben in Ihrer Erklärung am Mittwoch zu Recht aus meiner ersten Rede als
    Oppositionsführer zitiert, die ich nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Wahl 1976 gehalten habe. Ich will ausdrücklich wiederholen, daß ich das, was ich damals gesagt habe, Wort für Wort unterschreibe und daß Sie mich an diese Formulierungen immer erinnern können. Wenn Sie den Eindruck haben, ich dächte heute über die Aufgabe der Opposition anders, sollen Sie mich daran auch öffentlich erinnern können. Ich will das ausdrücklich sagen.
    In unserem Gespräch vor einigen Tagen habe ich Sie darauf hingewiesen — ich wiederhole es jetzt öffentlich —, daß für meine Entwicklung, für mein persönliches Leben, auch für meine politische Vorstellungswelt diese Erfahrungen zwischen 1976 und 1982 als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, als Oppositionsführer sehr wichtig waren. Es waren ganz gewiß nicht immer einfache Erfahrungen im Auf und Ab meines Lebens, aber Erfahrungen, die ich deswegen nicht missen möchte, weil man die Notwendigkeit von Regierung und Opposition eigentlich erst dann wirklich begreift, wenn man beide Funktionen einmal innegehabt hat. Ich sage das deswegen so klar und so deutlich, weil Sie von mir, von uns, nicht das Wort hören werden — ich glaube, auch mein Freund Waigel hat das deutlich gesagt —: Wir brauchen die Opposition nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Jeder, der jetzt in der Regierung sitzt, soll zu keinem Zeitpunkt vergessen, daß Opposition von heute Regierung von morgen und Regierung von heute Opposition von morgen sein kann. Das war immer unsere Überzeugung, und dabei wird es bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dann eine vorletzte Bemerkung: In dieses Haus ist eine neue Fraktion eingezogen. Ich habe die ganzen Tage aufmerksam zugehört. Von mir gibt es keine solchen Zitate aus der Vergangenheit — wie sie zum Teil vorgetragen wurden —, die sich gegen eine Gruppe wenden und zum Ausdruck bringen, daß ich sie von vornherein nicht in ihrer demokratischen Substanz, als vom Wählerwillen hierher geschickt akzeptiere. Aber ich will eines sagen — lassen Sie mich das als einer der Abgeordneten tun; ich habe aufmerksam zugehört —: Sie sind mit Blumen hierher gekommen, aber Sie haben in diesen Tagen im Deutschen Bundestag viel Haß gesät.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer von Gewaltlosigkeit spricht und wer sich die Embleme des Friedens — die Blumen — wählt, sollte hinsichtlich der Tonart und der Form des Umgangs mit anderen überlegen, ob das friedlich ist.

    (Duve [SPD]: Das gilt für das Christliche doch wohl noch sehr viel mehr! — Hoss [GRÜNE]: Und das sagt jemand, der Raketen stationieren will!)

    Herr Kollege Brandt, ein Letztes. Sie haben von den Sorgen und von den Ängsten der Bürger gesprochen. Sie haben bemängelt, ich hätte davon und auch von der Zielrichtung unserer Politik zuwenig gesprochen. Ich will nur noch einmal folgende Sätze zitieren:



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Es gibt in Wahrheit nur einen Weg aus diesem Dilemma: Wir müssen die nuklearen Waffen auf beiden Seiten drastisch reduzieren, diejenigen, die unsere Existenz bedrohen, und diejenigen, die wir heute für unsere Sicherheit bereithalten müssen. Der Weg zu mehr Sicherheit führt weg von Waffen. Wir wollen immer danach handeln: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie wollen Sie eigentlich klarer und deutlicher in zwei knappen Sätzen eine Politik des Friedens und — ich habe keine Berührungsängste bezüglich dieses Worts — eine Politik der Entspannung formulieren? Vor uns stehen die Fragen der Abrüstung, der Entspannung, der Überrüstung im nuklearen Bereich und, wie ich bewußt und betont hinzufüge, der Überrüstung in weiten Teilen der Welt — auch der Dritten Welt — im konventionellen Bereich. Ich bin etwas bedrückt darüber, daß sich die ganze öffentliche Diskussion in unserem Lande immer mehr auf die nuklearen Waffen zuspitzt und manche so tun, als seien die gewaltigen Vorräte an konventionellen Waffen weniger gefährlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich verstehe die Ängste und Sorgen unserer Bürger sehr wohl. Für mich ist klar, daß es unsere Aufgabe, die Aufgabe unserer Generation ist, in dieser waffenstarrenden Welt nicht zuletzt als Deutsche mit der Last der geschichtlichen Erfahrung dieses Jahrhunderts Werke des Friedens zu tun.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Herr Kollege Brandt, Sie und ich haben am 30. Januar dieses Jahres in Erinnerung an den 30. Januar 1933 mit anderen zusammen im Deutschen Reichstag in Berlin auch zu diesem Thema gesprochen. Wir mögen über die Wege unterschiedlicher Meinung sein. Wir werden sicherlich noch leidenschaftlich, vielleicht manches Mal auch erbittert miteinander streiten. Aber wir sollten von einem ausgehen dürfen: daß wir als Demokraten in Deutschland gemeinsam aus der Geschichte gelernt haben, daß Krieg und Gewalt für uns keine Mittel der Politik sind.
    Ich habe nicht ohne Grund diesen wichtigen Satz aus der Charta der Vertriebenen von 1950 in Stuttgart zitiert. Die Vertriebenen haben es zu einem Zeitpunkt gesagt, als keine deutsche Partei dies so zu formulieren wagte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Satz hat für uns Gültigkeit.

    Herr Kollege Brandt, ich muß Ihnen auch sagen: Dazu muß ich nicht die Friedensbewegung erwähnen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Für mich sind alle Deutschen, die bei klaren Sinnen sind und die geschichtliche Erfahrung dieses Jahrhunderts bis in die eigene Familie in sich tragen, Mitglieder einer großen Friedensbewegung.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich finde, wir alle sollten bedenken, daß unser Tun vor der Geschichte, Herr Kollege Brandt, von denen, die nach uns kommen, später nicht einmal daran gemessen wird, wie groß die Transparente waren, die getragen wurden und wie zahlreich die Kundgebungen — das Jahrhundert, das zu Ende geht, hat Kundgebungen vieler Art gesehen —, sondern wie entschieden, wie intensiv, wie ernsthaft unser Wollen zu Frieden und Freiheit war.
    Wenn in dieser Legislaturperiode, die jetzt begonnen hat, von jetzt bis zur nächsten Bundestagswahl, ein Wettstreit in diesem Hause darum entsteht, wer den entscheidenden, wer den wesentlichen, wer den bleibenden und den besten Beitrag für Frieden und Freiheit unseres Landes und der Welt um uns herum leisten wird, dann werden wir das Ziel, das die Wähler uns gesetzt haben, erreichen können.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)